Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


eschatologie

ESCHATOLOGIE

- die LEHRE von den Letzten Dingen: fand spät Eingang in die mittelalterliche THEOLOGIE
- SAKRAMENTen- und Gnadenlehre, Christologie und SOTERIOLOGIE und GOTTESLEHRE → die Grundlagen wurden von Petrus Lombardus geschaffen
- fungiert im MITTELALTER in erster Linie als HERMENEUTIK geschichtlichen Handelns und steigert so das Gegenwartsbewußtsein → vgl. dagegen APOKALYPSE

Ereignisfolge

- der Lösung Satans folgt die dreieinhalbjährige HERRSCHAFT des Antichristen, d.i. die letzte Christenverfolgung
- diese Verfolgung verbindet sich mit dem Einfall der Völker Gog und Magog und der WIEDERKEHR des Elias und Enoch
- nach dem SIEG über den Antichristen und der Bekehrung der restlichen JUDEN ertönt das novissima tuba, die zur Auferstehung des Fleisches - Wiedervereinigung des Körpers mit der SEELE - und zum schnell folgenden Jüngsten Gericht rief → SCHEIDUNG in Gerechte (iusti) und Ungerechte (iniusti), Erlöste (electi) und Verworfene (reprobi)

druidische Eschatologie

- Seelen und KOSMOS sind unzerstörbar, wenn auch dereinst FEUER und WASSER die Oberhand behalten würden
- das Seiende ist aus dem Nicht-Seienden entstanden
- palingenetische Vorstellungen → aber unklar
- die SCHATTEN gehen nicht zu den schweigsamen Sitzen des EREBOS und nicht in den HADES, sondern der GEIST gebietet den Gliedern in einer anderen WELTregit idem spiritus artus orbe alio sagt LUCANUS → der TOD ist die MITTE eines langen LEBENs

Essay Eschatologie

Jedes ZEITALTER hat es prägende Begriffe, die sich durch alle Beziehungen der Menschen ziehen und diese bestimmen. Im Mittelalter SPRECHEN vor allem drei Begriffe die deutliche SPRACHE dessen, was sich da selbst in ihnen erkennen will: CHILIASMUS, Eschatologie und Apokalypse.
Der Chiliasmus oder Millenarismus steht als Synonym für die Erwartungshaltung der Menschen eines tausendjährigen Friedensreiches am Ende der Zeiten. Im Frühmittelalter wurde der Chiliasmus als Zeit des Friedens und der Ruhe des Gerechten nach dem Tode aufgefaßt, die parallel zu den Weltaltern verläuft bis zu dem Zeitpunkt, da das Fleisch aufersteht und das Ende aller Zeiten eingeleitet wird.
Wann? So genau äußert sich BEDA Venerabilis 672 bis 735 in seinem „de temporum ratione“ nicht. Fassen können wir den Chiliasmus als AUSDRUCK eines Wollens, in dem das Friedensreich ein Vorbote kommender GLÜCKSELIGKEIT ist. Die Menschen brauchten einen Halt in der harten und zumeist als Bedrohung empfundenen WIRKLICHKEIT, den das CHRISTENTUM ihnen in der Form späterer Glückseligkeit verhieß. Die täglichen Bußen, denen man ausgesetzt war, können als Ausdruck ausgesuchter weltlicher Herrschaft gelten, aber auch als „Augustinische“ Maßregelung - siehe AUGUSTIN -; das psychologische Äquivalent ist der von der GEGENWART sich entfernende Blick in die ZUKUNFT, wo der Mensch, von der MATERIE befreit, völlig in die GEMEINSCHAFT der göttlichen LIEBE aufgenommen ist. Die Welt vergeht, aber es bleibt das neue REICH der Liebe. Der Liebesbegriff wäre eine gesonderte UNTERSUCHUNG wert, ist er doch Ausdruck der Verneinung des Bösen, die im Kern das Grundproblem jedweder RELIGION ist: Wie erkläre ich das BÖSE in der Welt und somit das Antonym, die Liebe? Ist es ein und derselbe GOTT, der die Liebe und das Böse schuf? Ist Gott selbst das Gute und Böse zugleich?
Die unmittelbare Erwartung fand jedoch auch ihre KRITIKER, so Origines' 180 bis 255 im dritten Jahrhundert bereits. Er beschreibt das Reich der Liebe nicht als ein in RAUM und ZEIT zu erwartendes, sondern als in den Seelen der Gläubigen stattfindendes EREIGNIS. Diese Auffassung hatte sich im 5. Jahrhundert bereits so gründlich durchgesetzt, daß vom KONZIL in Ephesos 431 die Milleniumsvorstellungen zum Aberglauben gestempelt wurden.
Bedas Chiliasmus aus dem 7. Jahrhundert fand die christlich nichtbekehrten Ohren der nordgermanischen Völker vor. Dort herrschte keineswegs das Bewußtsein des EINZELNEn, sondern ein Gemeinschaftsdenken vor, welches nur Zukunftserwartungen für die MASSE und keineswegs für den einzelnen verstehen konnte.
Den letzten prägenden Einfluß auf die Bildung des Chiliasmusbegriffes im Mittelalter möchte ich Joachim von Fiore 1132 bis 1202 zuschreiben. Joachim beschreibt das Friedensreich als dritte EPOCHE, als Zeitalter des Heiligen Geistes. Dem gehen das Zeitalter des Vaters, Altes Testament, und des Sohnes, Neues Testament, voraus. Dieses Zeitalter ist der Zeitraum zwischen zwei apokalyptischen Schlachten und kann als INTERREGNUM aufgefaßt werden. Es ist ein Zeitalter, in dem eine Neuordnung der KIRCHE in einem monastischen Sinne stattfindet. Der mönchische Geist wird die ganze GESELLSCHAFT durchziehen und tiefsten FRIEDEN bringen.
Das ist der Vorgriff auf utopische Sozialordnungen, wie sie erst viele Jahre später Teile Europas ins CHAOS stürzen. Diese von Joachim beschriebene Vergeistigung des Menschen ist jedoch nur von kurzer Dauer. Joachim nimmt sich so selbst zurück und läßt seine sozialen Träume an der Realität zerbrechen. Warum sollte ein mönchisches Reich des Geistes nur von kurzer DAUER sein? Er beantwortet diese Frage nicht, man kann die Antwort in der Unreife des Menschengeschlechts vermuten, die keine dauernde Friedensordnung zulassen wird. Deshalb auch bezeichnet Joachim den Chiliasmus als Interregnum, als Zwischenzeit: Alles Menschliche ist zeitlich begrenzt!
Die Eschatologie ist die Lehre von den letzten Dingen. Diese sind nach Petrus Lombardus die Auferstehung der Toten, das folgende allgemeine GERICHT über sie und das entsprechende URTEIL; entweder völlige Verdammnis oder ewiges Leben.
Man muß eine entscheidende Zäsur im eigenen DENKEN vornehmen, um diese mittelalterliche DIALEKTIK zu begreifen. Das Mittelalter ist ein Zeitalter der Allegoriker. Alles, was man in dieser Zeit sah, dachte oder auch aufschrieb, ist nicht als primär rationales Denkprodukt zu begreifen, sondern: es ist offenbart! Der Offenbarende versucht sich über die OHNMACHT der ihn umgebenden Verhältnisse, mitsamt den Naturgewalten, denen er hilflos ausgesetzt ist und die zudem mystifiziert sind, hinwegzusetzen, indem er eine auf den Verursacher der Verhältnisse hoffende Verheißung projiziert, die auf ihn zurück wirkend GEHORSAM gegenüber diesem Wesens verspricht. Wer dies tut, versucht sich GEWALT über sich und die ihn bedrohende UMWELT zu geben. Der mittelalterliche Mensch empfand das ungeheuerliche DRAMA der Endzeit nicht als das Phantasiebild einer fernen und noch unbestimmbaren Zukunft, sondern als unfehlbare Weissagung, mit deren Erfüllung er sozusagen stündlich rechnete.
Heute ist dieses VERHÄLTNIS umgeschlagen; nicht die Umwelt bedroht den Menschen, sondern er diese. Vielleicht tun wir uns deshalb so schwer, den Menschen des Mittelalters zu verstehen.

Der Begriff der Eschatologie ist ohne das spekulative Element, das diesen Begriff gleichsam umrankt, nicht zu fassen. Zur einfachen Fassung des Begriffes kann gesagt werden, daß all die Vorstellungen eschatologisch zu nennen sind, die den historischen Ablauf als eine Abfolge von Zeitaltern betrachten, die in der endgültigen Belohnung des Guten und der endgültigen Bestrafung des Bösen gipfeln.
In unserer Zeit verlieren viele dieser Spekulationen nicht ihre Wirksamkeit, die Bildhaftigkeit macht eine Nutzanwendung auf verschiedene Verhältnisse der Neuzeit geradezu augenscheinlich; man denke nur an die Vergleichung Saddam-Belisar: Die GESTALT, die man jetzt schlichtweg Antichrist nannte, ließ sich als menschliches Wesen, als ein ebenso verführerischer wie grausamer Despot und somit als Diener und Werkzeug Satans auffassen, nennt das ein FORSCHER auf dem Gebiete der Eschatologie, Cohn. Letztendlich ist alle Eschatologie Spekulation, denn wer will schon ernsthaft festlegen, was nach dem Tod geschieht? Für den Menschen des Mittelalters aber war dies keine grundsätzliche Frage, sondern grundsätzliche GEWIßHEIT. So gab es eine Unzahl von Spekulanten, WISSENSCHAFTLER der Zeit, die sich mit dieser „Gewißheit“ wissenschaftlich beschäftigten und oftmals die uns heute waghalsig erscheinenden Ergebnisse zeitigten.
Einer dieser Wissenschaftler ist Wilhelm von Auxerre. Wilhelm legte fest, daß nur Gott LEIB und Seele wieder zusammenbringen könne und erklärte es mit dem Unvermögen der NATUR, den Weg von der Seele, privatio, zum Leib, habitus, zu gehen, mit der Unmöglichkeit der Natur, zum selben zurückzukehren.
Für den Menschen des Mittelalters war damit der theoretische Teil des späteren Lebens erklärt, jetzt stand für ihn nur noch die Frage, in welchen Topf ihn die RICHTER des Jüngsten Gerichts stecken würden.
Eschatologisches Denken hat sich immer POLITISCH ausgewirkt, zuweilen tritt es sogar als Motor auf. Im Mittelalter jedoch lehnten es die KIRCHENVÄTER ab, einen konkreten Bezug zwischen den symbolischen Weissagungen der Schrift und dem konkreten Verlauf der GESCHICHTE herzustellen. Es hätte wohl die eigene Machtposition schwächen können.
So gesehen versuchten sich theologische Außenseiter an einer Konkretation allgemeiner Überzeugungen. Sie alle aber brauchten einen Fundus, aus dem sie die allgemeinen Erwartungen einer kommenden Endzeit theoretisch erfüllen konnten. Sie benötigten anerkannte und von der allmächtigen Kiche nicht anzweifelbare Formen für ihre Exkurse in die Spekulation des Künftigen: es sind dies vor allem sibyllinische und Offenbarungstexte. Die sie durchziehende Grundidee sind die sich ablösenden Weltreiche. Allen eigentümlich war die Erwartung der messianischen Gestalt eines römischen Endkaisers, der die Feinde der Christenheit besiegt und nach diesem Sieg seine KRONE Gott überreicht.
Die Ausstrahlung der Sibyllen, die sich um ihren Namen rankt, ist von dunkler BEDEUTUNG; man könnte sie ein Rudiment matriarchalischer Frühzeit nennen. Die Sibyllen sind weissagende Frauen, die mitunter sehr schön waren, was einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer WIRKUNG ausmachte. HERAKLIT beschreibt sie mystisch: Sibylla, indem sie mit rasendem Mund unerheiterte und ungezierte Worte redet, reicht auf 1000 Jahre weit durch die KRAFT Gottes. Kurfess, A.; Sibyllinische Texte; S.30.

Um einen Eindruck zu bekommen, mit welcher Sprachkraft hier auf die erwartungsfrohen Menschen eingewirkt wurde, hier ein Ausschnitt aus dem III. Buch der Sibyllen, in welchem eine SIBYLLE das Ende der Welt ankündigt:

Wenn man dereinst an dem sternhellen HIMMEL der Nachtzeit Schwerter gen Abend erblickt und auch gegen Morgen, und alsbald eine WOLKE von Staub vom Himmel zur Erde herabsinkt und aller GLANZ der SONNE vom Himmel verschwindet im Laufe, während die Strahlen des Mondes sich zeigen, herab auf die Erde sich plötzlich ein Blutregen gießt und die Steine zu reden beginnen; in den Wolken ihr schauet den Kampf von Fußvolk und Reitern wie eine Hetzjagd auf Wild, vergleichbar Nebelgebilden! Das ist das Ende des Krieges, das Gott auf den Himmelsthrone bringt.

Der große Neuerer aber war auch bei der Eschatologie Joachim von Fiore. Er begründete die erste Systematik und versuchte die Zeitalter, die lose als unklare Abfolge in den Köpfen der Menschen herumschwirrten, ständig jedoch gewärtig waren, in eine Dreiheit, TRINITÄT, einzuteilen. Er nannte die drei Zeitalter

  1. das des Vaters,
  2. das des Sohnes und
  3. das des Heiligen Geistes.

Joachims systematisch-prophetisch-historische Ausdeutung der BIBEL ist nichts anderes als der Versuch, das Unbegreifliche der Erscheinung Gottes in Gestalt des Sohnes, begreiflich und greifbar zu machen. JESUS CHRISTUS war der feste Punkt für den Menschen des Mittelalters. An Jesus konnte er sich aufrichten. Joachim sucht Antworten auf viele Fragen, die tief im Menschen liegen, wenn er die rhetorische Frage stellt: 'Wie sich Gewalt geben?' Er versucht, mit seiner Systematik Unbewußtes beziehungsweise nicht zu Greifendes bewußt zu machen und kommt letztendlich zu einer Verherrlichung des Geistes, des geistlich-geistigen Überwindens alles Nichtbewußten. Das ist ein großer Schritt. Es ist dies ein großartiger Versuch in der MENSCHHEITSGESCHICHTE, der SPEKULATION durch eine Verschmelzung des Eigenen mit dem erahnbar Gewollten zu begegnen. Wer die letzten Dinge ordnet, will sich Gewalt über sie geben, dies ist MENSCHLICH statthaft und vielleicht auch der einzige Rettungsanker, wenn man sich über das Danach Klarheit verschafft. Joachim hat dies mit seiner Trinität glaubhaft vollzogen. Joachims historische Bedeutung bestand jedoch auch darin, daß er die Grundfesten der mittelalterlichen Theologie in Frage stellte. Eine dieser Grundfesten ist die Lehre Augustins, wonach es kein anderes Millenium geben werde als jenes der reinen Kirche.
Joachims GESCHICHTSPHILOSOPHIE läßt zumindest die Möglichkeit offen, daß sich die Befreiung der MENSCHHEIT ohne die INSTITUTION Kirche verwirklichen läßt. Deshalb wurde seine Lehre nach dessen Tod auch als ketzerisch bewertet.

Apokalypse nun, der letzte der obengenannten bedeutsamen Begriffe für die Vorstellungswelt des mittelalterlichen Menschen bedeutet wörtlich OFFENBARUNG. Es ist das, was Gott, der HERR, einem Ausgewählten über den weiteren Verlauf der Welt geoffenbart hat. Die Themen der Apokalypse sind Dauer der Welt, Weltperioden, gegenwärtige und zukünftige Weltkatastrophen, Weltbrand, der entscheidende Kampf zwischen Gut und Böse, das Weltgericht und die WELTERNEUERUNG. Die Apokalypse selbst ist eine Literaturgattung jüdischen Ursprungs. Die erste Apokalypse ist im „Buch Daniel“ nachzulesen und entstand ca. 166 v. Christi. Es ist die „Kundmachung bisher unbekannter Tatsachen und Geschehnisse, die im Ratschluß der göttlichen Macht bisher verborgen waren.“ Wenn ich nunmehr im weiteren eine Apokalypse anspreche, meine ich die Johannesapokalypse, die um 100 entstanden ist und von dem Evangelisten Johannes aufgeschrieben wurde, nachdem dieser sie im EXIL für die Sieben Gemeinden empfangen hat.
Apokalypse, d.i. immer die Frage nach dem Sinn von Geschichte, nach dem Zielen von Geschichte. Der große Geschichtsoptimist HEGEL, vielleicht kann man ihn etwas waghalsig als einen Nachfolger Joachims anführen - beide vertraten die Auffassung von einer steten Entwickelung von Geschichte - sprach in seiner Geschichtsphilosophie davon, daß die Offenbarung von Gott als von keinem Fremden geschehen ist.
Die Offenbarungen übten einen mächtigen Einfluß auf das politische Geschehen aus. Der Mensch des Mittelalters empfindet nicht ganzzeitlich sondern augenblicklich; er rechnet also stündlich mit der Erfüllung der Offenbarung. So finden wir wohl keinen Chronisten, der seinem HERRSCHER nicht in Verbindung mit David, rex iustus, huldigt.
Wir haben es hier mit feiner PSYCHOLOGIE zu tun. Wer sich David nennt, kann wohl kaum aus Amt und Würden gejagt werden. Hier spielt auch der Begriff der Huld eine Rolle, denn der Herrscher mußte sich diesen Namen auch verdienen. Trat dann die unvermeidliche ENTTÄUSCHUNG ein, so hielt man die glorreiche Erfüllung für lediglich bis zum nächsten Herrscher verschoben. Die Menschen degradierten ihren „rex iustus“ zum Vorläufer und der Ruf: 'Der König ist tot. Es lebe der König!' erhält so einen spröden Sinn. Der neue König verspricht größere Nähe zur Verheißung.
Der GEDANKE des Antichristen ließ sich politisch glänzend ausschlachten. Der politische GEGNER wurde regelmäßig als Antichrist, als jenes verführerische und grausame Wesen der Apokalypse bezeichnet. So verschaffte sich mancher Papst Reputation, indem er einfach den politischen Gegner feierlichst zum Antichristen proklamierte. Aus dieser Proklamation erwuchsen politische Spannungen, die sehr RATIONAL zu erklären sind und das ausmachen, was wir heute GESCHICHTSSCHREIBUNG nennen. Viele dieser Spannungen übertrugen sich auf die JUDEN, doch möchte ich heute nichts über die tieferen Ursachen des Judenhasses sagen. Es gab aber auch Bewegungen, die die PRIESTER verfolgten. Dem Morden an den Priestern unter Eudes und TANCHELM um 1100 lag die ÜBERZEUGUNG zugrunde, daß die OPFER Werkzeuge des Satans seien und als Vorbedingung für den Ausbruch des tausendjährigen Friedensreiches ausgerottet werden müßten. Es gab einen MYTHOS, der den Antichristen als den BASTARD eines Bischofs und einer NONNE beschrieb und von gewissenlosen Abenteurern immer wieder zu Vernichtungsfeldzügen gegen die Priesterschaft ausgenutzt wurde. Diese Abenteurer rekrutierten ihre Anhänger aus dem PLEBS. Es ist eine einfache Rechnung: Man stelle sich einen hundearmen Menschen im Mittelalter vor; allen Naturkatastrophen ausgesetzt, vom Herrn gepeinigt, von der Kirche benutzt… sehnt sich der nicht nach Erlösung, sehnt sich der nicht nach einer annehmbaren dauerhaften sozialen Bindung, und ist der nicht bereit, sein Elend einem SÜNDENBOCK zuzuschreiben? Das ist der Boden für MYTHEN und Abenteurer.
Als heute berühmtester eschatologischer FÜRST gilt der Staufer Friedrich II.. Er steht für die weltliche Komponente des eschatologischen Denkens im Mittelalter. Ausgangspunkt für seine diesbezügliche Bedeutung ist wiederum die THEORIE Joachims von Fiore. Diesen Abt von Fiore bewegte nach vielen Jahren mönchischen Studiums zwischen 1190 und 1195 die INSPIRATION, die SCHRIFT müsse einen einzigartigen prophetischen Gehalt besitzen. Er interpretiert die Geschichte als Aufstieg durch die drei Zeitalter, d.i. der Fortschrittsgedanke, und kam über die einfache Rechnung 42*30=1260 zu der ERKENNTNIS, daß 1260 das Ende der Welt sein müsse. - 42 für die Anzahl der Generationen von Abraham bis Jesus; 30 für die Höhe des Durchschnittsalters der damaligen Menschen -
KAISER Friedrich II. hat es dieser PROPHETIE zum großen Teil zu danken, daß ihn die Volksphantasie in der ROLLE des Endzeitzüchtigers der Kirche sah. Überdies unternahm er 1229 tatsächlich einen KREUZZUG, bei dem es gelang, Jerusalem zurückzuerobern und sich zu dessen König krönen zu lassen.
Vor allem aber sah er sich in die härtesten Kämpfe mit dem PAPSTTUM verwickelt. Friedrich drohte, den PAPST zu enteignen, weil, so seine Begründung, der unermeßliche REICHTUM der Kirche die QUELLE der Verderbtheit sei. Die Kirche reagierte mit Exkommunikation. Die Volksmassen sahen in diesen Vorgängen die Vorboten der Apokalypse und Joachims Prophetien erlebten eine Blütezeit. Ein um 1240 verfaßter joachimitischer KOMMENTAR zu Jeremia stempelte ihn in der Tat zu einem solchen Verfolger der Kirche, daß - wie der Kommentar prophezeite - 1260 nichts mehr von ihr übrig sein werde.

eschatologie.txt · Zuletzt geändert: 2020/03/01 15:20 von Robert-Christian Knorr