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herder

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herder [2012/07/07 20:10] Robert-Christian Knorrherder [2023/04/08 16:47] (aktuell) Robert-Christian Knorr
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-====== HERDER ======+===== HERDER ======
  
 ===== Johann Gottfried Herder ===== ===== Johann Gottfried Herder =====
-25. August 1744 Mohrungen in Ostpreußen bis 1804 Weimar\\ +25. August 1744 Mohrungen in Ostpreußen bis 1803 Weimar\\ 
-- gedrückte [[Jugend]], findet [[Rousseau]] und begeistert sich an ihm → überträgt Rousseau auf die Forderung des dichterischen Empfindens und Schaffens, denn das [[religiös]]-persönliche Lebensgefühl will nicht in sich verbleiben, sondern schöpferisch tätig sein\\ +- gedrückte [[Jugend]], findet [[Rousseau]] und begeistert sich an ihm, ist eine impulsive Natur → überträgt Rousseau auf die Forderung des dichterischen Empfindens und Schaffens, denn das [[religiös]]-persönliche Lebensgefühl will nicht in sich verbleiben, sondern schöpferisch tätig sein\\ 
-- vertieft sich in die Spinozische [[Philosophie]]\\ +- vertieft sich in die spinozische [[Philosophie]], nachdem er Kant in jungen Jahren in Königsberg freundlich aufnahm, doch nach dessen kritischer Wende fortan bekämpfte: faßte die Vernunftphilosophie als unnatürlich\\ 
-- theoretischer Führer des [[Sturm und Drang]]; der entscheidende Wendepunkt in der deutschen Literaturentwicklung zu einer fordernden, imperativen Kunstform, die im [[Leben]] stehen will → er kämpft als Philologe gegen den aufklärerischen Zeitgeist, dem nichts heilig ist und der deshalb oft zum platten [[Materialismus]] entartet\\+- theoretischer Führer des [[Sturm und Drang]]; der entscheidende Wendepunkt in der deutschen Literaturentwicklung zu einer fordernden, imperativen Kunstform, die im [[Leben]] stehen will → er kämpft als Philologe gegen den aufklärerischen [[Zeitgeist]], dem nichts heilig ist und der deshalb oft zum platten [[Materialismus]] [[Entartung#entartet]]\\
 - steht, wie [[Lessing]] und [[Klopstock]], in der Bewußtseinsreihe für die eigene [[Vergangenheit]], die Kontinuität der eigenen [[Überlieferung]]\\ - steht, wie [[Lessing]] und [[Klopstock]], in der Bewußtseinsreihe für die eigene [[Vergangenheit]], die Kontinuität der eigenen [[Überlieferung]]\\
 - nimmt Lebensfragen auf, die in gedanklicher wie in ästhetischer Hinsicht von [[Dauer]] sind\\ - nimmt Lebensfragen auf, die in gedanklicher wie in ästhetischer Hinsicht von [[Dauer]] sind\\
-- prägt den [[Begriff]] des [[Volk]]es, nicht den der [[Nation]], und bezeichnet das völkische [[Denken]] als jenseits der Schichten des bloß [[rational]] stattfindenden Prozesses → in diesem [[Zusammenhang]] wird als seine [[Leistung]] die Erweckung der geistigen Kräfte hin zur Volkspoesie betrachtet+- prägt den [[Begriff]] des Volkes, nicht den der [[Nation]], und bezeichnet das völkische [[Denken]] als jenseits der Schichten des bloß [[rational]] stattfindenden Prozesses → in diesem [[Zusammenhang]] wird als seine [[Leistung]] die [[Erweckung]] der geistigen Kräfte hin zur Volkspoesie betrachtet\\ 
 +- seine Freundschaft zu Goethe brach 1796 über den Streitpunkt [[Kultur]] und [[Zivilisation]] → Herder betonte, daß die Kultur aus der Unterschicht, dem [[Volk]], entspringe, was Goethe abstritt
  
  
 ==== Lehre ==== ==== Lehre ====
-- in ihm streiten sich kritische Distanz zu seiner rationalistisch-mechanistischen [[Gegenwart]] der [[Aufklärung]] mit einem unverzagten [[Glauben]] an den [[Fortschritt]], d.i. der Gang [[Gott]]es im Menschen → er sucht die Ganzheit, auch gegen [[Kant]], dem er eine Überbetonung des Rationalen vorwirft, die Totalität in der Erfassung der [[Wirklichkeit]] vollzieht sich auch über die [[Sinn#Sinne]]\\+
 - bei aller Hochachtung des Nationalen, das er gegen den herrschenden [[Kosmopolitismus]] seiner [[Zeit]] betont, stellt er als [[Ziel]] der [[Menschheit]] die [[Humanität]] auf, worunter er die vollendete Menschlichkeit im Menschen und die harmonische [[Vereinigung]] aller Menschen verstand\\ - bei aller Hochachtung des Nationalen, das er gegen den herrschenden [[Kosmopolitismus]] seiner [[Zeit]] betont, stellt er als [[Ziel]] der [[Menschheit]] die [[Humanität]] auf, worunter er die vollendete Menschlichkeit im Menschen und die harmonische [[Vereinigung]] aller Menschen verstand\\
-- will die Natur erkennen wie sie ist und nicht, den Aufklärern gleich, betrachten → die Natur ist ihm kein [[Mittel]] zum [[Zweck]]; sie ist der Gang Gottes → der Mensch wird zu einem Stadium der Entwicklungsgeschichte - einer Raupe gleich → [[Kritik]] von Kant -, der erste Freigelassene der Natur: seine Sinne sind offen, seine [[Organisation]] ist unspezialisiert→ irgendwo zwischen [[Deismus]] und [[Spinozismus]]\\ +- will die Natur erkennen wie sie ist und nicht, den Aufklärern gleich, betrachten → die Natur ist ihm kein [[Mittel]] zum [[Zweck]]; sie ist der Gang Gottes → der Mensch wird zu einem Stadium der Entwicklungsgeschichte - einer Raupe gleich → [[Kritik]] von Kant -, der erste Freigelassene der Natur: seine Sinne sind offen, seine [[Organisation]] ist unspezialisiert → irgendwo zwischen [[Deismus]] und [[Spinozismus]]\\ 
-- wendet sich gegen [[Teleologie]] und bricht mit den pietistischen Schwärmern: Gott wird in der Natur gesucht, also im Menschen, der so, als Teil des Ganzenzum Teil Gottes wird\\ +- das Werdende ist ihm wichtiger als das Gewordene, Jugend besser als Reife, das Ursprüngliche dem Entwickelten vorzuziehen\\ 
-- Allerdings sucht Herder nicht die Natur in der Natur, sondern Gott und kommt so zu einem schwärmerischen Enthusiasmus a la [[Shaftesbury]]: Er wendet sich gegen die Teleologie nach dem Muster der pietistischen [[Schwärmer]]. So birgt diese [[Begeisterung]] die Gefahr der [[Konstruktion]] erwünsch­ter Tatsachen, z.B. stufenweiser Aufstieg der [[Form#Formen]] und Kräfte=Wertabstufung. Diese Konstruktionsmanie hat ihm den Vorwurf eingebracht, sich auszubreiten auf Kosten der Tiefe. [[Jean Paul]] kritisierte diesbezüglich einen „physisch kränkelnden [[Ehrgeiz]]“.\\+- wendet sich gegen [[Teleologie]] und bricht mit den pietistischen Schwärmern: [[Gott]] wird in der Natur gesucht, also im Menschen, der als Teil des Ganzen zum Teil Gottes wird → kommt so zu einem schwärmerischen Enthusiasmus a la [[Shaftesbury]]: So birgt diese [[Begeisterung]] die Gefahr der [[Konstruktion]] erwünschter Tatsachen, z.B. stufenweiser Aufstieg der [[Form#Formen]] und Kräfte=Wertabstufung. Diese Konstruktionsmanie brachte ihm den [[Vorwurf]] ein, sich auf Kosten der Tiefe auszubreiten. [[Jean Paul]] kritisierte diesbezüglich einen „physisch kränkelnden [[Ehrgeiz]]“.\\
 - betrachtet den [[Genius]] der [[Sprache]] als Genius der [[Literatur]] einer Nation → Nation ist an Sprache gebunden\\ - betrachtet den [[Genius]] der [[Sprache]] als Genius der [[Literatur]] einer Nation → Nation ist an Sprache gebunden\\
 - die Sprache besitzt Entwicklungsstufen: das höchste [[Zeitalter]] ist jenes, wo Sprache nicht von [[Schönheit]], wohl aber von Richtigkeit weiß\\ - die Sprache besitzt Entwicklungsstufen: das höchste [[Zeitalter]] ist jenes, wo Sprache nicht von [[Schönheit]], wohl aber von Richtigkeit weiß\\
-- um 1770 weist er den göttlichen [[Ursprung]] der Sprache zurück+- um 1770 weist er den göttlichen [[Ursprung]] der Sprache zurück; sie ist nicht nur ein bloßes Instrument von [[Zeichen]], die als Ideenträger auf etwas Vorgegebenes weisen, wie die Aufklärer glaubten, sondern sie ist ein Medium des Denkens selbst, in dem sich das menschliche [[Wesen]] zum [[Ausdruck]] bringt und sein Selbstbewußtsein in einem Wechselspiel zwischen Natur, Gott und seinem Lebensumfeld entwickelt \\ 
 +- die Nation bildet sich als naturgegebenes [[Phänomen]] aus der organischen Entwicklung des Volksgeistes, jede Nation (als Volkskörper des Ganzen zu verstehen, nicht auf eine Klasse/[[Stand]] zu beschränken) für sich und gleichwertig gegenüber [[andere#anderen]], denen sie mit Respekt als Entäußerung Gottes begegnet 
 + 
 +=== Theologie === 
 + 
 +- [[Luther]]-Begeisterung, den er mit einem knorrigen Eichenbaum vergleicht\\ 
 +- ist charakterisiert durch Dinge, die er nicht sagt: Erlösung, Sündenvergebung, Rechtfertigung\\ 
 +- weltoffenes Christentum, das dogmatische Enge verabscheut, ebenso den engherzigen [[Pietismus]], der //jede Wange der Jugend und jede blühende Rose so fein mit Lämmleinblut bespritzt//\\ 
 +- Religion und Sprache hängen zusammen, es gibt eine Urverwandtschaft zwischen Poesie und Religion\\ 
 +- das Leben ist ewig; der dogmatische Unsterblichkeitsglaube wird abgelehnt: Herder will sich in der Todesstunde ichbefreit den Göttern weihen\\ 
 +- lehnt den freien Willen ab und fühlt sich hierin als guter Lutheraner: Gottvertrauen und Gnade als Glaubensverdikte → Licht. Liebe. Leben. (drei [[johannes|johanneische]] Worte auf seinem Grabstein)
  
-==== Credo ==== +=== Credo === 
-//Lasset uns idiotische – im Sinne von eigentümliche, mundartliche [[Schriftsteller]] sein, eigentümlich für unser Volk - ob wir klassisch sind, mag die Nachwelt entscheiden.//+//Lasset uns idiotische// (im Sinne von eigentümliche, mundartliche) // [[Schriftsteller]] sein, eigentümlich für unser [[Volk]] - ob wir klassisch sind, mag die Nachwelt entscheiden.//
  
 ==== Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit ==== ==== Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit ====
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 ==== Gesetze der Schöpfung ==== ==== Gesetze der Schöpfung ====
   - lebendige Menschenkräfte sind die Triebfeder der Menschengeschichte   - lebendige Menschenkräfte sind die Triebfeder der Menschengeschichte
-  - entscheidend für die Entwicklung ist die Frage, in welcher Zeit und in welche Gegend die Entstehung eines [[Reich]]es fiel, aus welchen Teilen es bestand, und welche äußeren Umstände es umgaben+  - entscheidend für die [[Entwicklung]] ist die Frage, in welcher Zeit und in welche Gegend die Entstehung eines [[Reich]]es fiel, aus welchen Teilen es bestand, und welche äußeren Umstände es umgaben
   - Menschenwerk ist hinfällig; drückend wird auch die beste Einrichtung innerhalb weniger Geschlechter/Generationen   - Menschenwerk ist hinfällig; drückend wird auch die beste Einrichtung innerhalb weniger Geschlechter/Generationen
  
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 ==== Rezeption ==== ==== Rezeption ====
-- eigentlicher Begründer des [[Historismus]], denn Herder war ein Gegner des [[Pathos]]' von der eigenen Generation;\\+- in ihm streiten sich kritische Distanz zu seiner rationalistisch-mechanistischen [[Gegenwart]] der [[Aufklärung]] mit einem unverzagten [[Glauben]] an den [[Fortschritt]], d.i. der Gang Gottes im Menschen → er sucht die [[Ganzheit]], auch gegen [[Kant]], dem er eine Überbetonung des Rationalen vorwirft, die Totalität in der Erfassung der [[Wirklichkeit]] vollzieht sich auch über die [[Sinn#Sinne]]\\ 
 +- eigentlicher Begründer des [[Historismus]], denn Herder war ein Gegner des [[Pathos]]' von der eigenen [[Generation]];\\
 - erster Mythologe, denn er bezeichnete das [[Testament#Alte Testament]] nicht als Zeitregister, sondern als prähistorisch ([[Bäumler]])\\ - erster Mythologe, denn er bezeichnete das [[Testament#Alte Testament]] nicht als Zeitregister, sondern als prähistorisch ([[Bäumler]])\\
-- homo genialis: mehr [[Genie]] als Talent, das war sein Problem ([[Chamberlain]])+//homo genialis//: mehr [[Genie]] als Talent, das war sein Problem ([[Chamberlain]])\\ 
 +- wurde von Schiller geachtet und geliebt und liebte und achtete diesen, wie dies unter Geistern solcher Größe natürlich war\\ 
 +- man pflegte aber keinen häufigen Umgang, denn Herder schloß sich um 1800 gern ab und seine Abneigung gegen die Kantsche Philosophie, der Schiller mit ganzer Seele zugetan war, hätte keine freie Mitteilung gestattet, ohne sich unsanft zu berühren\\ 
 +- hatte die Eigenheit, sich den Anschein zu geben, als bekümmere er sich um die Produkte der neuren Poesie gar nicht (Caroline von Wolzogen)
  
  
  
herder.1341684652.txt.gz · Zuletzt geändert: 2019/07/28 13:41 (Externe Bearbeitung)