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hoelderlin

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hoelderlin [2020/03/23 09:22] – [Tod des Empedokles] Robert-Christian Knorrhoelderlin [2024/03/24 12:29] (aktuell) – [literaturhistorische Einordnung] Robert-Christian Knorr
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 [[Dichter]]\\ [[Dichter]]\\
 20.3.1770 Lauffen bis 7.6.1843 Tübingen\\ 20.3.1770 Lauffen bis 7.6.1843 Tübingen\\
 +- entstammte einer schwäbisch-thüringischen Pfarrerfamilie, die in einer Klosterhofmeierei lebte und ein Familienwappen besaß\\
 - in ihm glühte das [[Feuer]] der unentreißbaren [[Menschenrechte]]: das religiöse und politische Freiheitsgefühl koinzidierten\\ - in ihm glühte das [[Feuer]] der unentreißbaren [[Menschenrechte]]: das religiöse und politische Freiheitsgefühl koinzidierten\\
 +- betrachtete sich selber, was er in Augenblicken, in denen ihm seine Freiheit wichtiger war als eine Bindung, immer gut zu formulieren wußte, als //mürrisches, mißmutiges, kränkelndes Wesen mit unüberwindlichem Trübsinn//\\
 +- nach seiner Flucht aus Jena 1795 schrieb er eine Rechtfertigungsschrift an Schiller, was aber unbeantwortet blieb\\
 - frühe Bekanntschaft mit [[Spinoza]]\\ - frühe Bekanntschaft mit [[Spinoza]]\\
-trägt die [[Natur]] als [[Gottheit#Gottheiten]] in sich, die unwandelbar im [[Sein]] wohnen, und sie regieren und bestimmen die [[konkret#konkrete]] Natur, die ihn jeweils umgibt\\+in Frankfurt/Main lernte er Susette Gontard kennen, unterrichtete ihren Sohn und gestand ihr im Sommer 1796 seine Liebe, die erwidert wurde, verbrachte mit Heinse und ihr einen schönen Sommer 1797 in Westfallen und wurde 1798 von Herrn Gontard mit Schlägen aus dem Hause geworfen, woraufhin er sich wieder zu seiner Mutter bewegte\\ 
 +- trug die [[Natur]] als [[Gottheit#Gottheiten]] in sich, die unwandelbar im [[Sein]] wohnen, und sie regierten und bestimmten die [[konkret#konkrete]] Natur, die ihn jeweils umgab\\
 - im [[Gegensatz]] zu seinen Kumpeln [[Hegel]] und [[Schelling]] blieb Hölderlin in der weichen [[Sehnsucht]]\\ - im [[Gegensatz]] zu seinen Kumpeln [[Hegel]] und [[Schelling]] blieb Hölderlin in der weichen [[Sehnsucht]]\\
 - die Versenkung in die [[Antike]] läßt ihn die ersehnte Einheit von [[Mensch]] und [[Umwelt]] als ein Lebendiges finden, raubt ihm aber zugleich die [[Kraft]] für die [[Realität]] und macht ihm das [[Dasein]] zur [[Qual]] → die Gräkomanie (Griechenfreund) wird ihm zur tödlichen [[Krankheit]] \\ - die Versenkung in die [[Antike]] läßt ihn die ersehnte Einheit von [[Mensch]] und [[Umwelt]] als ein Lebendiges finden, raubt ihm aber zugleich die [[Kraft]] für die [[Realität]] und macht ihm das [[Dasein]] zur [[Qual]] → die Gräkomanie (Griechenfreund) wird ihm zur tödlichen [[Krankheit]] \\
-glaubt an das staatenbewegende Tun großer Menschen+glaubte an das staatenbewegende Tun großer Menschen
  
 ==== Lehre ==== ==== Lehre ====
-- eine Alleinheitslehre ([[Pantheismus]]), deren Stellung zu [[Shaftesbury]], [[Hemsterhuis]], [[Goethe]], [[Herder]] und [[Schiller]], gegen [[Kant]] und [[Fichte]] und zwischen Hegel und Schelling fixierbar\\ +- eine Alleinheitslehre ([[Pantheismus]]), deren Stellung zu [[Shaftesbury]], [[Hemsterhuis]], [[Goethe]], [[Herder]] und [[Schiller]], gegen [[Kant]] und [[Fichte]] und zwischen Hegel und Schelling fixierbar ist: von Schelling scheidet ihn die Wärme des religiösen Gefühls - Hölderlin war kein praktisch denkender Politiker, sondern eher ein Sucher nach einer Möglichkeit, Gottes Reich hieunten zu verwirklichen -, von Goethe die metaphysische Note seines Humanismus\\ 
-- die Götterwelt Griechenlands, die alles vom tiefsten Schoß bis zum höchsten [[Äther]] in sich faßt, mit dem [[Christentum]], das nun einmal das [[Schicksal]] der neueren [[Menschheit]] geworden, zu versöhnen, also in ihren Zusammenhängen dichterisch zu durchdringen\\ +- er wendet sich vom subjektiven Idealismus Fichtes in Jena 1794 ab und dem Pantheismus Spinozas zu, zugleich wendet er sich gegen die Frömmelei, ohne das [[Christentum]] selber aufzugeben\\ 
-- man muß die Spuren der entflohenen [[Götter]] suchen und sehen+- die Götterwelt Griechenlands, die alles vom tiefsten Schoß bis zum höchsten [[Äther]] in sich faßt, mit dem Christentum, das nun einmal das [[Schicksal]] der neueren [[Menschheit]] geworden, zu versöhnen, also in ihren Zusammenhängen dichterisch zu durchdringen\\ 
 +- man muß die Spuren der entflohenen [[Götter]] suchen und sehen\\ 
 +- der volle Reichtum des Lebens ist nur in einer Seligkeit zu finden, welche Schmerz und Leiden in sich aufnahm
 === literaturhistorische Einordnung === === literaturhistorische Einordnung ===
 +- findet Begeisterung an den Stürmern, insbesondere Schiller, Hölty, Thill, Stolberg, Bürger, [[Schubart]], keine an der Lyrik [[Klopstock|Klopstocks]], die ihm veraltet vorkömmt\\
 +- daß Dichtung sich nur, Goethe!, aus Gegenständlichem speist, wäre ihm nie in den Sinn gekommen (Hultenreich)\\
 - Hölderlins dichterische [[Individualität]], die Spezifik seiner [[Weltanschauung]] und Poesie prägt sich ganz entschieden in jenem Zeitraum aus, der sich durch die Zäsuren 1792/3 und 1796/7 begrenzen läßt. In historischem Betracht sind es die Jahre des 1.Revolutions- bzw. Koalitionskrieges; für das politische [[Denken]] beinhalten sie einen entscheidenden Differenzierungsprozeß; philosophiegeschichtlich vollzieht sich zu dieser Zeit die Entwicklung von Kants Kritizismus über Fichtes "Wissenschaftslehre" zu Schellings [[Naturphilosophie]]; und für die deutsche [[Literaturgeschichte]] bezeichnet dieser Zeitraum die erste Phase frühromantischen Denkens und Dichtens, die entscheidenden Jahre revolutionär-demokratischer [[Literatur]] und die ästhetische Formierung der Weimarer [[Klassik]]. (Mieth) - Hölderlins dichterische [[Individualität]], die Spezifik seiner [[Weltanschauung]] und Poesie prägt sich ganz entschieden in jenem Zeitraum aus, der sich durch die Zäsuren 1792/3 und 1796/7 begrenzen läßt. In historischem Betracht sind es die Jahre des 1.Revolutions- bzw. Koalitionskrieges; für das politische [[Denken]] beinhalten sie einen entscheidenden Differenzierungsprozeß; philosophiegeschichtlich vollzieht sich zu dieser Zeit die Entwicklung von Kants Kritizismus über Fichtes "Wissenschaftslehre" zu Schellings [[Naturphilosophie]]; und für die deutsche [[Literaturgeschichte]] bezeichnet dieser Zeitraum die erste Phase frühromantischen Denkens und Dichtens, die entscheidenden Jahre revolutionär-demokratischer [[Literatur]] und die ästhetische Formierung der Weimarer [[Klassik]]. (Mieth)
  
 +=== Staatsbegriff ===
  
 +- //Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk. Die Idee der Menschheit voran - will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig, als es eine Idee von der Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus!//
 ==== Andenken ==== ==== Andenken ====
 - benutzt den [[Imperativ]] als [[Leitmotiv]] - z.B. //geh//\\ - benutzt den [[Imperativ]] als [[Leitmotiv]] - z.B. //geh//\\
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 |Mythosbegriff|- [[Palingenesia#Palingenesie]] des [[Mythos]] (z.B. Tithon und [[Aurora]]) im revolutionären [[Zeitalter]]|- ästhetisch und pädagogisch; bildungsbürgerlich| |Mythosbegriff|- [[Palingenesia#Palingenesie]] des [[Mythos]] (z.B. Tithon und [[Aurora]]) im revolutionären [[Zeitalter]]|- ästhetisch und pädagogisch; bildungsbürgerlich|
  
-Buch über [[http://www.vonwolkenstein.de/forum/showthread.php?t=7211|Hölderlins Zeit in Jena]], seine Begegnungen mit Schiller, [[Goethe]] und [[Fichte]]+Buch über Hölderlins Zeit in Jena, seine Begegnungen mit Schiller, [[Goethe]] und [[Fichte]] kann man [[buecherei@vonwolkenstein.de|hier]] bestellen: 6 € plus Versand
  
 ==== Hyperion ==== ==== Hyperion ====
 - vom Affekt zur [[Vernunft]] → die Verinnerlichung führt vom äußeren Affekt zur [[Hoffnung]]\\ - vom Affekt zur [[Vernunft]] → die Verinnerlichung führt vom äußeren Affekt zur [[Hoffnung]]\\
-- ist zu wenig heroisch und zu wenig skrupellos, was zur [[Katastrophe]] führt;\\ +- ist zu wenig heroisch und zu wenig skrupellos, was zur [[Katastrophe]] führt; 
-- macht den finsteren Zug, der dem [[Antlitz]] des Lebens so tief eingegraben ist, sichtbar und deutet das Leben aus diesem [[selbst]] ([[Dilthey]]) + 
 +- macht den finsteren Zug, der dem [[Antlitz]] des Lebens so tief eingegraben ist, sichtbar und deutet das Leben aus diesem [[selbst]] ([[Dilthey]]) \\ 
 +- Damit er sich im Sinne von ὑπέρ dauerhaft über alle Zustände erheben und Eremit werden kann, muß er unseliges Auf und Nieder überwinden //wie ein Saitenspiel, wo der Meister alle Töne durchläuft, und Streit und Einklang mit verborgener Ordnung durcheinanderwirft//. (Hultenreich)
  
 ==== Hölderlins Orient ==== ==== Hölderlins Orient ====
  
-Johann Wolfgang [[Goethe]] hat im //West-östlichen Diwan// die kulturelle [[Selbsterkenntnis]] des abendländischen Dichters an den [[Orient]] gebunden. Dieser poetischen Selbstreflexion zufolge //„Wer sich selbst und andere kennt/ wird auch hier erkennen:/ Orient und Okzident/ Sind nicht mehr zu trennen.“// Aus der Perspektive der Hölderlinforschung hat dieser Spruch seinen [[Sinn]] in der These gefunden, daß der Orient für Hölderlin das Herkunftsland der griechischen und somit der abendländischen [[Kultur]] war. Er stellte sich - wie [[Herder]] oder [[Hegel]] – den Verlauf der [[Weltgeschichte]] von Osten nach [[Westen]] vor. (G.F. W. Hegel: Vorlesungen über die [[Philosophie]] der Weltgeschichte. Werke, Frankfurt/Main 1970, S. 134.) Auch die [[Antike]], die Hölderlin lebenslang fesselte, sollte im Rahmen dieses Prozesses der //translatio culturae// ihren Ort gefunden haben. Die [[Hymne]] //Am Quell der Donau// hat diesen Gang programmatisch formuliert:\\+Johann Wolfgang [[Goethe]] hat im //West-östlichen Diwan// die kulturelle [[Selbsterkenntnis]] des abendländischen Dichters an den [[Orient]] gebunden. Dieser poetischen Selbstreflexion zufolge //„Wer sich selbst und andere kennt/ wird auch hier erkennen:/ Orient und Okzident/ Sind nicht mehr zu trennen.“// Aus der [[Perspektive]] der Hölderlinforschung hat dieser Spruch seinen [[Sinn]] in der These gefunden, daß der Orient für Hölderlin das Herkunftsland der griechischen und somit der abendländischen [[Kultur]] war. Er stellte sich - wie [[Herder]] oder [[Hegel]] – den Verlauf der [[Weltgeschichte]] von Osten nach [[Westen]] vor. (G.F. W. Hegel: Vorlesungen über die [[Philosophie]] der Weltgeschichte. Werke, Frankfurt/Main 1970, S. 134.) Auch die [[Antike]], die Hölderlin lebenslang fesselte, sollte im Rahmen dieses Prozesses der //translatio culturae// ihren Ort gefunden haben. Die [[Hymne]] //Am Quell der Donau// hat diesen Gang programmatisch formuliert:\\
  
 //So kam\\ //So kam\\
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 O Asia, das [[Echo]] von dir.//\\  O Asia, das [[Echo]] von dir.//\\ 
  
-Der Orient sei also für Hölderlin eine Urlandschaft der Kultur, das Land unter der heißesten Sonne“ (Hölscher) die Geburtsstätte der [[Götter]], insbesondere die [[Heimat]] des [[Dionysos]] und des Syriers“ (Böschenstein), wie der Dichter den biblischen Gottessohn nennt. Das Adjektiv „orientalisch“ bezeichne dementsprechend die dionysische [[Herkunft]] und Grundlage der griechischen Kultur (Jochen Schmidt), jene hohe Begeisterung, die mit dem [[Element]] des [[Feuer#Feuers]], mit der Kultur des Weines und mit der exzentrischen [[Sehnsucht]] nach dem Göttlichen in Verbindung steht. \\ +Der Orient sei also für Hölderlin eine Urlandschaft der Kultur, das Land unter der heißesten Sonne die Geburtsstätte der [[Götter]], insbesondere die [[Heimat]] des [[Dionysos]] und des //Syriers//, wie der Dichter den biblischen Gottessohn nennt. Das Adjektiv „orientalisch“ bezeichne dementsprechend die dionysische [[Herkunft]] und Grundlage der griechischen Kultur, jene hohe [[Begeisterung]], die mit dem [[Element]] des [[Feuer#Feuers]], mit der Kultur des Weines und mit der exzentrischen [[Sehnsucht]] nach dem Göttlichen in Verbindung steht. \\ 
-Mögen diese vereinzelten Beobachtungen früherer Hölderlinforscher durchaus richtig sein, haben sie doch das Orientalische allzu sehr dem Griechischen unterordnet. Es gibt zahlreiche Stellen in Hölderlins [[Werk]], die der orientalische Kulturlandschaft gewidmet sind, und eine Übersicht dieser [[Text]]stellen kann dazu beitragen, über den polaren Gegensatz von Hellas und Hesperien hinausgehend, ein triangulares Kulturmodell bei Hölderlin wahrzunehmen. Im [[Gegensatz]] zu den generalisierenden [[Begriff]]en in der Querelle von Antike und [[Moderne]] hat zum Beispiel August Boeckh ein triangulares [[Modell]] in seiner Enzyklopädie formuliert: „Um eine [[Anschauung]] des Antiken zu gewinnen, muß man es im Gegensatz sehen und abheben vom Orient einerseits, vom Modernen andererseits.“  Boeckhs Enzyklopädie erschien zwar 1877 posthum, sie geht aber auf das [[Jahr]] 1809 zurück. Eine solche triangulare Auffassung von Antike und Moderne ist schon seit Herder und [[Hamann]] und [[Winckelmann]] in [[Deutschland]] geläufig. Auf welche Weise Hölderlin mit diesem Kulturmodell sich auseinandergesetzt hat und es weiterdachte, wird im folgenden noch erörtert. \\+Mögen diese vereinzelten Beobachtungen früherer Hölderlinforscher durchaus richtig sein, haben sie doch das Orientalische allzu sehr dem Griechischen unterordnet. Es gibt zahlreiche Stellen in Hölderlins [[Werk]], die der orientalische Kulturlandschaft gewidmet sind, und eine Übersicht dieser Textstellen kann dazu beitragen, über den polaren Gegensatz von Hellas und Hesperien hinausgehend, ein triangulares Kulturmodell bei Hölderlin wahrzunehmen. Im [[Gegensatz]] zu den generalisierenden [[Begriff|Begriffen]] in der Querelle von Antike und [[Moderne]] hat zum Beispiel August Boeckh ein triangulares [[Modell]] in seiner Enzyklopädie formuliert: „Um eine [[Anschauung]] des Antiken zu gewinnen, muß man es im Gegensatz sehen und abheben vom Orient einerseits, vom Modernen andererseits.“  Boeckhs Enzyklopädie erschien zwar 1877 posthum, sie geht aber auf das [[Jahr]] 1809 zurück. Eine solche triangulare Auffassung von Antike und Moderne ist schon seit Herder und [[Hamann]] und [[Winckelmann]] in [[Deutschland]] geläufig. Auf welche Weise Hölderlin mit diesem Kulturmodell sich auseinandergesetzt hat und es weiterdachte, wird im folgenden noch erörtert. \\
 Boeckh fügt dann hinzu, daß „der Charakter des Hellenischen (…) das eigentlich Antike“ sei, „daß die gesammte antike Cultur ihren Höhepunkt im Hellenischen erreicht und hier wirklich zu einer klassischen [[Vollendung]] gelangt.“ Man kann zwar denken, daß der junge Hölderlin durch eine ähnliche exklusive Schwärmerei für die Antike geprägt war, es gehört aber zum wesentlichen Zug der antiklassischen [[Wende]] seiner Spätperiode, daß er nach 1802 auf die [[Idee]] der klassischen Vollendung der griechischen Kultur sowie auf deren Mustergültigkeit für die abendländische [[Gegenwart]] [[klar]] verzichtete. [[Wir]] erkennen erst von Schritt für Schritt, daß Hölderlin nicht nur einen ganz originellen Beitrag zum Konstrukt „Antike und Moderne“ leistete, sondern auch darin voranging, daß er seine eigenen Konstrukte in Frage zu stellen und sie teils abzubauen wagte. Es ist erstaunlich, wie dynamisch die Antike als kulturelle Landschaft, in ihrer geographischen, geschichtlichen und bildlichen [[Vielfalt]] im Verlauf des Hölderlinschen Werkes sich verwandelt, wie vielschichtig und polyzentrisch sie sich erweitert, um zuletzt doch in der kaum mehr faßbaren Komplexität von Bezügen zwischen Orten, Begebenheiten und Personen aufzugehen.  Boeckh fügt dann hinzu, daß „der Charakter des Hellenischen (…) das eigentlich Antike“ sei, „daß die gesammte antike Cultur ihren Höhepunkt im Hellenischen erreicht und hier wirklich zu einer klassischen [[Vollendung]] gelangt.“ Man kann zwar denken, daß der junge Hölderlin durch eine ähnliche exklusive Schwärmerei für die Antike geprägt war, es gehört aber zum wesentlichen Zug der antiklassischen [[Wende]] seiner Spätperiode, daß er nach 1802 auf die [[Idee]] der klassischen Vollendung der griechischen Kultur sowie auf deren Mustergültigkeit für die abendländische [[Gegenwart]] [[klar]] verzichtete. [[Wir]] erkennen erst von Schritt für Schritt, daß Hölderlin nicht nur einen ganz originellen Beitrag zum Konstrukt „Antike und Moderne“ leistete, sondern auch darin voranging, daß er seine eigenen Konstrukte in Frage zu stellen und sie teils abzubauen wagte. Es ist erstaunlich, wie dynamisch die Antike als kulturelle Landschaft, in ihrer geographischen, geschichtlichen und bildlichen [[Vielfalt]] im Verlauf des Hölderlinschen Werkes sich verwandelt, wie vielschichtig und polyzentrisch sie sich erweitert, um zuletzt doch in der kaum mehr faßbaren Komplexität von Bezügen zwischen Orten, Begebenheiten und Personen aufzugehen. 
  
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 Christian Friedrich Schnurrer lehrte „Orientalistik“, d. h. [[Philologie]] und [[Hermeneutik]] der biblischen Texte, ganz aus dem Geiste der aufklärerischen Moderne. Der kritische Geist des Lehrers ermöglichte Hölderlin, sowohl ideengeschichtlich als auch poetologisch Parallelen zwischen einem Text der [[Bibel]] und [[Hesiod#Hesiods]] Bauernethik zu ziehen.\\ Christian Friedrich Schnurrer lehrte „Orientalistik“, d. h. [[Philologie]] und [[Hermeneutik]] der biblischen Texte, ganz aus dem Geiste der aufklärerischen Moderne. Der kritische Geist des Lehrers ermöglichte Hölderlin, sowohl ideengeschichtlich als auch poetologisch Parallelen zwischen einem Text der [[Bibel]] und [[Hesiod#Hesiods]] Bauernethik zu ziehen.\\
 Die Zeit von [[Salomo]] und Hesiod galten für Hölderlin als Epoche „unkultivierter“ Gesellschaften, die durch „ungebildete Philosophie“ gekennzeichnet sind. Die orientalische, d. h. jüdische und griechische Antike werden also noch als eng zueinander gehörige Kulturen behandelt, die mit „unsern Moralsystemen“ im [[Kontrast]] stehen. Den [[Grund]] des Vergleichs bilden die vermittelten Wertvorstellungen. Sowohl Salomo als auch Hesiod ermahnen den Adressaten, [[Gut]] durch Arbeitsamkeit ([[Fleiß]]) und durch rechtliches Betragen ([[Rechtschaffenheit]]) zu gewinnen. Die archaischen Gesellschaften scheinen nämlich zwei Grundwerte zu haben: [[Reichtum]] und [[Ehre]], beide sind als solche [[Güter]] des Lebens betrachtet, in denen die wahre (moralische) [[Qualität]] des Menschen zum Vorschein kommt. Es ist also ganz klar, von welcher moralischen Kollision Hölderlin redet: Er stellt der falschen [[Transzendenz]] verlogener christlicher [[Moralität]] seiner [[Epoche]] die immanente, weltliche Wertvorstellung des [[Testament#Alten Testaments]] und der griechischen Archaik entgegen. Die Charaktermerkmale „Reichtum und Ehre“ werden von nun an zum festen Bestandteil der Hölderlinschen Antike und somit des Orients, und die dichterische [[Orientierung]] nach ihnen hält am Grundwert der Weltlichkeit fest: //„Die Dichter müssen auch / Die Geistigen weltlich seyn.“ Hier verschwieg Hölderlin seine kritische Distanz zum deutschen [[Protestantismus]] auch nicht, als er bemerkte, daß Reichtum und Ehre „in ihrem sittlichen [[Wert]]“// damals „noch nicht so gesunken“ waren wie sie „bei den kultivierten Völkern“ sind. \\ Die Zeit von [[Salomo]] und Hesiod galten für Hölderlin als Epoche „unkultivierter“ Gesellschaften, die durch „ungebildete Philosophie“ gekennzeichnet sind. Die orientalische, d. h. jüdische und griechische Antike werden also noch als eng zueinander gehörige Kulturen behandelt, die mit „unsern Moralsystemen“ im [[Kontrast]] stehen. Den [[Grund]] des Vergleichs bilden die vermittelten Wertvorstellungen. Sowohl Salomo als auch Hesiod ermahnen den Adressaten, [[Gut]] durch Arbeitsamkeit ([[Fleiß]]) und durch rechtliches Betragen ([[Rechtschaffenheit]]) zu gewinnen. Die archaischen Gesellschaften scheinen nämlich zwei Grundwerte zu haben: [[Reichtum]] und [[Ehre]], beide sind als solche [[Güter]] des Lebens betrachtet, in denen die wahre (moralische) [[Qualität]] des Menschen zum Vorschein kommt. Es ist also ganz klar, von welcher moralischen Kollision Hölderlin redet: Er stellt der falschen [[Transzendenz]] verlogener christlicher [[Moralität]] seiner [[Epoche]] die immanente, weltliche Wertvorstellung des [[Testament#Alten Testaments]] und der griechischen Archaik entgegen. Die Charaktermerkmale „Reichtum und Ehre“ werden von nun an zum festen Bestandteil der Hölderlinschen Antike und somit des Orients, und die dichterische [[Orientierung]] nach ihnen hält am Grundwert der Weltlichkeit fest: //„Die Dichter müssen auch / Die Geistigen weltlich seyn.“ Hier verschwieg Hölderlin seine kritische Distanz zum deutschen [[Protestantismus]] auch nicht, als er bemerkte, daß Reichtum und Ehre „in ihrem sittlichen [[Wert]]“// damals „noch nicht so gesunken“ waren wie sie „bei den kultivierten Völkern“ sind. \\
-Der zweite Aufsatz, die //Geschichte der schönen Künste unter den [[Griechen]]// (1790), reflektiert auf Winckelmanns //Geschichte der Kunst des Altertums//. Hölderlin folgt Winckelmanns [[Kritik]] an der ägyptischen Kunst: //„Der Orient war nicht für die Kunst, am wenigsten für die bildende. (...) Der Orientalismus neigt sich mehr zum wunderbaren und abentheurlichen: der griechische [[Genius]] verschönert, versinnlicht.“// Den Grund, weshalb die Ägypter keine schöne Kunst hatten, erklären „das feurige Klima“, „das schauerlicherhabne Religionssystem“ mit den „fürchterlichen Dämonen des Orients“ und die „überhaupt strenge [[Monarchie]]“. In //[[Hyperion]]// wird die Frage nach dem [[Wesen]] orientalischer Kunsttätigkeit wiederholt gestellt. Auf dem Weg zu den majestätischen Ruinen [[Athen]]bemerkt Hyperion über die „Ägypter“, die er nun überraschend mit den nördlichen Völkern in Parallele stellt: //„Der Aegyptier trägt ohne [[Schmerz]] die Despotie der Willkühr, der [[Sohn]] des Nordens ohne Widerwillen die Gesetzesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform; denn der Aegyptier hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesetzlichen zu hängen.“// So setzt Hyperion fort: //„Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt hat, muß er knien, eh er [[sprechen]] gelernt hat, muß er beten. (...) Der Aegyptier ist hingegeben, eh’ er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen, nichts von Schönheit, und das [[Höchste]], was er nennt, ist eine verschleierte Macht...“//\\ Die Eigenart des Orientalischen – Religionszwang, Demütigung (knien und einen zum [[Gebet]] zwingen), Herrschaftssystem – verrät eindeutig, daß der Begriff des „Ägyptischen“ auf das [[Hebräisch]]e und somit auf die hebräisch-christliche [[Überlieferung]] zu übertragen ist. Aus dieser Perspektive ist der Vergleich des Orientalischen mit dem Nordischen durchaus transparent.\\ +Der zweite Aufsatz, die //Geschichte der schönen Künste unter den [[Griechen]]// (1790), reflektiert auf Winckelmanns //Geschichte der Kunst des Altertums//. Hölderlin folgt Winckelmanns [[Kritik]] an der ägyptischen Kunst: //„Der Orient war nicht für die Kunst, am wenigsten für die bildende. (...) Der Orientalismus neigt sich mehr zum wunderbaren und abentheurlichen: der griechische [[Genius]] verschönert, versinnlicht.“// Den Grund, weshalb die [[Ägypter]] keine schöne Kunst hatten, erklären „das feurige Klima“, „das schauerlicherhabne Religionssystem“ mit den „fürchterlichen Dämonen des Orients“ und die „überhaupt strenge [[Monarchie]]“. In //[[Hyperion]]// wird die Frage nach dem [[Wesen]] orientalischer Kunsttätigkeit wiederholt gestellt. Auf dem Weg zu den majestätischen Ruinen [[Athen|Athens]] bemerkt Hyperion über die „Ägypter“, die er nun überraschend mit den nördlichen Völkern in Parallele stellt: //„Der Aegyptier trägt ohne [[Schmerz]] die Despotie der Willkühr, der [[Sohn]] des Nordens ohne Widerwillen die Gesetzesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform; denn der Aegyptier hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesetzlichen zu hängen.“// So setzt Hyperion fort: //„Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt hat, muß er knien, eh er [[sprechen]] gelernt hat, muß er beten. (...) Der Aegyptier ist hingegeben, eh’ er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen, nichts von Schönheit, und das [[Höchste]], was er nennt, ist eine verschleierte Macht...“//\\ Die Eigenart des Orientalischen – Religionszwang, Demütigung (knien und einen zum [[Gebet]] zwingen), Herrschaftssystem – verrät eindeutig, daß der Begriff des „Ägyptischen“ auf das [[Hebräisch]]e und somit auf die hebräisch-christliche [[Überlieferung]] zu übertragen ist. Aus dieser Perspektive ist der Vergleich des Orientalischen mit dem Nordischen durchaus transparent.\\ 
-__Kurzum__: Die frühen Aufsätze sowie die Athenerrede des Hyperion schildern einen Orient der [[Despotie]], dämonischer [[Religion]], von [[Aberglauben]] und Verknechtung, den die [[Verachtung]] der schönen Künste bzw. ein abenteuerlicher, verdorbener [[Geschmack]] charakterisieren. Diese Abneigung vom Ägyptisch-Hebräisch-Orientalischem entspricht in manchen Zügen der gängigen Auffassung zu Hölderlins Zeit, es ist aber überraschend, daß das Ägyptische analogisch auf den christlichen Norden übertragen wird. Es ist auch bei Hölderlin nicht zu leugnen, daß sein brennendes [[Interesse]] für Griechenland von seiner Kritik am [[Christentum]] sowie von seinen politischen Ansichten abhängt. Der zweite Aufsatz, die Geschichte der schönen Künste unter den Griechen bietet aber bereits eine differenziertere Vorstellung über Hellas und den Orient. Hölderlin nimmt den am Beispiel des Salomo einmal schon aufgegriffenen positiven Kulturzusammenhang wieder auf und stellt die unterschiedlichen Etappen des griechischen Bildungswegs nicht einheitlich, ideell, wie man das gewöhnlich meint, sondern nach geographischen Gebieten dar, von Ionien über den dorischen [[Peloponnes]] bis nach Athen. Die erste Dichtergestalt, den Hölderlin emphatisch hervorhebt, ist [[Orpheus]], dessen kleinasiatische [[Muse]] mit dem „Orientalismus“ verbunden wird: //„Seine Hymnen, wie der auf die Sonne, scheinen noch das Gepräge des Orientalismus zu haben, wenigstens eine entfernte Würkung des Sonnendienstes“.// Nach dem Trojanischen Krieg folgte ihm [[Homer]], dessen //„Empfänglichkeit für das [[Schöne]] und [[Erhaben]]e, seine [[Phantasie]], sein Scharfsinn“// nur selten, oder kaum von der Natur wiederholt wurde. Die Eigenart seiner [[Genialität]] wird mit der kleinasiatischen Heimat, mit Ionien, erklärt: //„Empfänglichkeit für das Schöne und [[Erhabene]] bot sich das paradiesische Ionien dar“//.\\ +__Kurzum__: Die frühen Aufsätze sowie die Athenerrede des Hyperion schildern einen Orient der [[Despotie]], dämonischer [[Religion]], von [[aberglaube|Aberglauben]] und Verknechtung, den die [[Verachtung]] der schönen Künste bzw. ein abenteuerlicher, verdorbener [[Geschmack]] charakterisieren. Diese Abneigung vom Ägyptisch-Hebräisch-Orientalischem entspricht in manchen Zügen der gängigen Auffassung zu Hölderlins Zeit, es ist aber überraschend, daß das Ägyptische analogisch auf den christlichen Norden übertragen wird. Es ist auch bei Hölderlin nicht zu leugnen, daß sein brennendes [[Interesse]] für Griechenland von seiner Kritik am [[Christentum]] sowie von seinen politischen Ansichten abhängt. Der zweite Aufsatz, die Geschichte der schönen Künste unter den Griechen bietet aber bereits eine differenziertere Vorstellung über Hellas und den Orient. Hölderlin nimmt den am Beispiel des Salomo einmal schon aufgegriffenen positiven Kulturzusammenhang wieder auf und stellt die unterschiedlichen Etappen des griechischen Bildungswegs nicht einheitlich, ideell, wie man das gewöhnlich meint, sondern nach geographischen Gebieten dar, von Ionien über den dorischen [[Peloponnes]] bis nach Athen. Die erste Dichtergestalt, den Hölderlin emphatisch hervorhebt, ist [[Orpheus]], dessen kleinasiatische [[Muse]] mit dem „Orientalismus“ verbunden wird: //„Seine Hymnen, wie der auf die [[Sonne]], scheinen noch das Gepräge des Orientalismus zu haben, wenigstens eine entfernte Würkung des Sonnendienstes“.// Nach dem Trojanischen Krieg folgte ihm [[Homer]], dessen //„Empfänglichkeit für das [[Schöne]] und Erhabene, seine [[Phantasie]], sein Scharfsinn“// nur selten, oder kaum von der Natur wiederholt wurde. Die Eigenart seiner [[Genialität]] wird mit der kleinasiatischen Heimat, mit Ionien, erklärt: //„Empfänglichkeit für das Schöne und [[Erhabene]] bot sich das paradiesische Ionien dar“//.\\ 
 Trotz des prägenden Einflusses Winckelmanns zeigt Hölderlins Bewunderung für den ionischen poetischen [[Geist]] des Homer von Anfang an stark antiklassische Züge. Hölderlin betrachtet Chios als Homers Vaterstadt, er soll aber in der altanatolischen [[Stadt]] [[Smyrna]] gelebt haben, dessen [[Schönheit]] und orientalische Atmosphäre Hölderlin enthusiastisch schildert. Trotz des prägenden Einflusses Winckelmanns zeigt Hölderlins Bewunderung für den ionischen poetischen [[Geist]] des Homer von Anfang an stark antiklassische Züge. Hölderlin betrachtet Chios als Homers Vaterstadt, er soll aber in der altanatolischen [[Stadt]] [[Smyrna]] gelebt haben, dessen [[Schönheit]] und orientalische Atmosphäre Hölderlin enthusiastisch schildert.
  
-<html>  +{{ :homersschule.jpg?400|}}
-<img src = "http://www.vonwolkenstein.de/images/homersschule.jpg" alt = "Homers Schule" align = "right" +
-hspace="35" vspace="35" style="margin-left:5mm" >  +
-</html>+
  
 Im ersten Entwurf des [[Roman#Romans]] unternimmt der Erzähler zuerst eine imaginäre [[Reise]] nach Mäonien (Nord-Ost-Lydien), nach dem Land Homers: //„Ich schlummerte, mein Kallias! (...) Aber der Genius von Mäonia hat mich gewekt. Halbzürnend trat er vor mich, und mein Innerstes bebte wieder von seinem Anruf. In süßer Trunkenheit lag ich am Ufer des Archipelagus und mein Auge weidete sich an ihm...“.// Die einzelnen Landschaften besitzen einen eigenen Geist, einen spezifischen Genius. In der Hymne an den Genius Griechenlands wird Homer entsprechend nach seinem Land „der trunkene Mäonide“ benannt und als das [[Genie]] des allumfassenden [[Eros]], der feurigen Liebe, charakterisiert: \\ Im ersten Entwurf des [[Roman#Romans]] unternimmt der Erzähler zuerst eine imaginäre [[Reise]] nach Mäonien (Nord-Ost-Lydien), nach dem Land Homers: //„Ich schlummerte, mein Kallias! (...) Aber der Genius von Mäonia hat mich gewekt. Halbzürnend trat er vor mich, und mein Innerstes bebte wieder von seinem Anruf. In süßer Trunkenheit lag ich am Ufer des Archipelagus und mein Auge weidete sich an ihm...“.// Die einzelnen Landschaften besitzen einen eigenen Geist, einen spezifischen Genius. In der Hymne an den Genius Griechenlands wird Homer entsprechend nach seinem Land „der trunkene Mäonide“ benannt und als das [[Genie]] des allumfassenden [[Eros]], der feurigen Liebe, charakterisiert: \\
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 Im zweiten Entwurf zu //Hyperion// werden Smyrna und seine Umgebung zum Schauplatz von Hyperions [[Jugend]] gewählt. Hyperion, dessen [[Name]] eine Anspielung auf den orientalischen Sonnenkult enthält, sagt zu seinem Freunde Adamas: //„Es ist kein Wunder (...) daß die Städte sich zankten um die Abkunft Homers. Der Gedanke ist so erheiternd, daß der holde Knabe da im Sande gespielt habe, und die ersten Eindrüke empfangen, aus denen so ein schöner gewaltiger Geist sich mählig entwickelte. Du hast recht, erwiderte er (Adamas), und ihr Smyrner müßt euch den erfreulichen [[Glauben]] nicht nehmen lassen. Mir ist es heilig, dieses Wasser und dieß Gestade! Wer weiß, wie viel das Land hier, nebst Meer und [[Himmel]], Theil hat an der Unsterblichkeit des Mäoniden! Das unbefangene Auge des Kindes sammelt sich Ahndungen und Regungen aus der beschauten Welt...“//.\\  Im zweiten Entwurf zu //Hyperion// werden Smyrna und seine Umgebung zum Schauplatz von Hyperions [[Jugend]] gewählt. Hyperion, dessen [[Name]] eine Anspielung auf den orientalischen Sonnenkult enthält, sagt zu seinem Freunde Adamas: //„Es ist kein Wunder (...) daß die Städte sich zankten um die Abkunft Homers. Der Gedanke ist so erheiternd, daß der holde Knabe da im Sande gespielt habe, und die ersten Eindrüke empfangen, aus denen so ein schöner gewaltiger Geist sich mählig entwickelte. Du hast recht, erwiderte er (Adamas), und ihr Smyrner müßt euch den erfreulichen [[Glauben]] nicht nehmen lassen. Mir ist es heilig, dieses Wasser und dieß Gestade! Wer weiß, wie viel das Land hier, nebst Meer und [[Himmel]], Theil hat an der Unsterblichkeit des Mäoniden! Das unbefangene Auge des Kindes sammelt sich Ahndungen und Regungen aus der beschauten Welt...“//.\\ 
 Hölderlin formuliert hier zum ersten Mal seine Ansicht von der engsten Zusammengehörigkeit der geographisch konkreten Landschaft, ihres Gewässers, ihrer Berge und Ufer, mit dem dichterischen Geist ihres Genies. Er schloß sich damit an eine bis heute für „sektiererisch“ gehaltene Linie der Homerforschung an, die behauptet, daß es Homer bei der Schilderung von Landschaften und Schauplätzen um Realitätsnähe ging, daß seine epische Poesie durch die Landschaft Kleinasiens und des östlichen Archipelagus inspiriert war. (John V. Luce: Die Landschaften Homers, Stuttgart 2000.) Diese heute wieder belebte Homerphilologie wandelt in den Fußstapfen von Robert Wood, dessen [[Essay]] //On the Original Genius and Writing of Homer// (1769) der Göttinger Orientalist [[Michaelis#Johann David Michaelis]] ins [[Deutsche]] übertrug und unter führenden Intellektuellen der Goethezeit – wie Herder, Hamann, Goethe, [[Schiller]] – bekannt machte. Wood hat zuerst behauptet, daß die [[Welt]] der Homerischen Epen mitsamt ihrer Götterwelt aus der genauen Eigenart der kleinasiatischen Landschaft, aus der spezifischen Natur Kleinasiens herzuleiten ist. Um genaue topographische Beobachtungen machen zu können, besuchte er Smyrna und die Gegend von [[Troja]], um das [[Epos]] vor Ort lesen und es auf diese Weise unklassisch, realistisch verstehen zu können. Er führte damit eine Lesepraxis ein, der zahlreiche Hölderlin-Philologen (wie etwa Uffhausen, Henrich oder Lefébre), auch nachfolgen, wenn sie Hölderlins späte Gedichte, wie etwa //Andenken//, an Ort und Stelle lesen, um sie aus den Realien besser zu verstehen. \\ Hölderlin formuliert hier zum ersten Mal seine Ansicht von der engsten Zusammengehörigkeit der geographisch konkreten Landschaft, ihres Gewässers, ihrer Berge und Ufer, mit dem dichterischen Geist ihres Genies. Er schloß sich damit an eine bis heute für „sektiererisch“ gehaltene Linie der Homerforschung an, die behauptet, daß es Homer bei der Schilderung von Landschaften und Schauplätzen um Realitätsnähe ging, daß seine epische Poesie durch die Landschaft Kleinasiens und des östlichen Archipelagus inspiriert war. (John V. Luce: Die Landschaften Homers, Stuttgart 2000.) Diese heute wieder belebte Homerphilologie wandelt in den Fußstapfen von Robert Wood, dessen [[Essay]] //On the Original Genius and Writing of Homer// (1769) der Göttinger Orientalist [[Michaelis#Johann David Michaelis]] ins [[Deutsche]] übertrug und unter führenden Intellektuellen der Goethezeit – wie Herder, Hamann, Goethe, [[Schiller]] – bekannt machte. Wood hat zuerst behauptet, daß die [[Welt]] der Homerischen Epen mitsamt ihrer Götterwelt aus der genauen Eigenart der kleinasiatischen Landschaft, aus der spezifischen Natur Kleinasiens herzuleiten ist. Um genaue topographische Beobachtungen machen zu können, besuchte er Smyrna und die Gegend von [[Troja]], um das [[Epos]] vor Ort lesen und es auf diese Weise unklassisch, realistisch verstehen zu können. Er führte damit eine Lesepraxis ein, der zahlreiche Hölderlin-Philologen (wie etwa Uffhausen, Henrich oder Lefébre), auch nachfolgen, wenn sie Hölderlins späte Gedichte, wie etwa //Andenken//, an Ort und Stelle lesen, um sie aus den Realien besser zu verstehen. \\
-Robert Wood faßte seine wichtigste Erfahrung während seiner archäologischen Reise in [[Kleinasien]] in der These zusammen, daß neben der Landschaft, die sich mit der Zeit am wenigsten verändert und das [[Gedächtnis]] an die antiken Götterwelt am ehesten beibehält, es die archaischen griechischen [[Sitte]]n sind, die seit Homers Zeit am meisten erhalten blieben. Diese homerischen Sitten glaubte Wood im Arabien des 18. Jahrhunderts noch entdeckt zu haben. Er folgerte, daß diese orientalische Welt für die gemeinsame Wiege der archaischen Epik und der biblischen Literatur gehalten werden soll: //„Da wir indessen gefunden haben, daß sich die Sitten der Iliade noch in einigen Theilen des Orients erhalten, und sogar in ziemlich hohem Grade jene ächte natürliche Simplizität beybehalten haben, die wir in seinen Werken und in der Bibel [[schätzen]], so glaube ich, ist es der Mühe wert, zu untersuchen, wie weit diese Ähnlichkeit zu verschiedenen Zeiten geht.“//\\  +Robert Wood faßte seine wichtigste Erfahrung während seiner archäologischen Reise in [[Kleinasien]] in der These zusammen, daß neben der Landschaft, die sich mit der Zeit am wenigsten verändert und das [[Gedächtnis]] an die antiken Götterwelt am ehesten beibehält, es die archaischen griechischen Sitten sind, die seit Homers Zeit am meisten erhalten blieben. Diese homerischen Sitten glaubte Wood im Arabien des 18. Jahrhunderts noch entdeckt zu haben. Er folgerte, daß diese orientalische Welt für die gemeinsame Wiege der archaischen Epik und der biblischen Literatur gehalten werden soll: //„Da wir indessen gefunden haben, daß sich die Sitten der Iliade noch in einigen Theilen des Orients erhalten, und sogar in ziemlich hohem Grade jene ächte natürliche Simplizität beybehalten haben, die wir in seinen Werken und in der Bibel schätzen, so glaube ich, ist es der Mühe wert, zu untersuchen, wie weit diese Ähnlichkeit zu verschiedenen Zeiten geht.“//\\  
-Im [[Fragment]] von Hyperion reist Hyperion mit Adamas zum Ufer des alten Ilion, um unter den Grabhügeln, //„die vielleicht dem Achill und Patroclus (…) errichtet wurden, vom vergangnen und künftigen Griechenlande“// zu sprechen. In der vollendeten Fassung stammt dagegen der Held nicht mehr aus Kleinasien, sondern von der Kykladeninsel Tina. Es gehört aber zur ersten und prägnantesten Station seines Bildungswegs, nach Smyrna zu gehen: //„Geh vorerst nach Smyrna, sagte mein Vater, lerne da die Künste der See und des Kriegs, lerne die Sprachen gebildeter Völker und ihre Verfassungen und Meinungen und Sitten und Gebräuche, prüfe alles und wähle das Beste!“// Der [[Wunsch]] des jungen Hyperion, “in die Welt zu gehen“, „gebildete Völker“ in der Vielfalt ihrer Sitten und Verfassungen kennen zu [[lernen]], führt nicht nach Westen, sondern nach Osten. Er wandert am Gestade des Meles, wo einst die Ilias entstand, und singt Verse begeistert mit, erreicht die Ebene von [[Sardes]], wo einst der lydische König [[Gyges]] lebte, sieht „in der goldnen Fluth des Pactolus die Schwäne“ spielen, und legt sich des nachts an einem [[Tempel]] der archaischen Muttergöttin Asiens, [[Kybele]], nieder. Das Orientalische der homerischen Welt wird später in den poetologischen Versuchen Hölderlins noch mehr hervorgehoben, mit einer ähnlichen Klarheit wie einige Jahre später bei [[Novalis]]: //„In Jonien merkt man den erweichenden Einfluß des warmen asiatischen Himmels, so wie man hingegen in der frühsten dorischen [[Masse]] die geheimnisvolle Sprödigkeit und Strenge der ägyptischen Gottheiten gewahr wird.“// (Novalis, II, S. 409, III, S. 168.) Oder mit mehr [[Koinzidenz]] können wir Friedrich [[Schlegel]] anführen, mit dessen frühen Schriften Hölderlins genannte Aufsätze durchaus [[Verwandtschaft]] zeigen. Schlegels Erstlingsschrift //Von den Schulen der griechischen Poesie// (1794) gliedert den Werdegang der griechischen [[Poesie]] nicht nur zeitlich, sondern explizit nach Stämmen und nach geographischen Gegenden in „Schulen“ (ionisch, dorisch, attisch, alexandrinisch). Schlegel zufolge waren in der ionischen Epik „Poesie, Geschichte und Philosophie“ „noch nicht getrennt. Es gab, statt dieser noch eins: den [[Mythus]]“. Die epische Dichtung wird durch die „Naturvollkommenheit der heroischen Charaktere“ kennzeichnet, sowie durch „Reichtum, [[Wechsel]] und Spannung“, durch „natürliche Anmuth und Leichtigkeit, kurz: soviel schönes Leben“. Schlegel setzt das Ionische mit Natur, das Dorische mit [[Bildung]], das Attische mit Schönheit gleich, und diese Korrespondenzen sind meiner Auffassung nach auch beim jungen Hölderlin zu finden. Es war sicherlich einer der wichtigsten Aspekte für seine Homerverehrung, daß er die homerischen Epen - wie Schlegel – als „Natur“ betrachtete. Er hat genauso wie Schlegel das Dorische mit „Bildung“ gekennzeichnet, wobei auch die politische Bildung Spartas durch den sagenhaften [[Lykurg]] gemeint ist: „In üppiger Kraft eilt Lacedämon den Atheniensern voraus, und hätte sich eben deswegen auch früher zerstreut und aufgelöst, wäre Lycurg nicht gekommen, und hätte mit seiner [[Zucht]] die übermüthige Natur zusammengehalten. (…) Die Spartaner blieben ewig ein Fragment.“ MHA I, S. 682.)  \\ +Im [[Fragment]] von Hyperion reist Hyperion mit Adamas zum Ufer des alten Ilion, um unter den Grabhügeln, //„die vielleicht dem Achill und Patroclus (…) errichtet wurden, vom vergangnen und künftigen Griechenlande“// zu sprechen. In der vollendeten Fassung stammt dagegen der Held nicht mehr aus Kleinasien, sondern von der Kykladeninsel Tina. Es gehört aber zur ersten und prägnantesten Station seines Bildungswegs, nach Smyrna zu gehen: //„Geh vorerst nach Smyrna, sagte mein Vater, lerne da die Künste der See und des Kriegs, lerne die Sprachen gebildeter Völker und ihre Verfassungen und Meinungen und Sitten und Gebräuche, prüfe alles und wähle das Beste!“// Der [[Wunsch]] des jungen Hyperion, “in die Welt zu gehen“, „gebildete Völker“ in der Vielfalt ihrer Sitten und Verfassungen kennen zu lernen, führt nicht nach Westen, sondern nach Osten. Er wandert am Gestade des Meles, wo einst die Ilias entstand, und singt Verse begeistert mit, erreicht die Ebene von Sardes, wo einst der lydische König [[Gyges]] lebte, sieht „in der goldnen Fluth des Pactolus die Schwäne“ spielen, und legt sich des nachts an einem [[Tempel]] der archaischen Muttergöttin Asiens, [[Kybele]], nieder. Das Orientalische der homerischen Welt wird später in den poetologischen Versuchen Hölderlins noch mehr hervorgehoben, mit einer ähnlichen Klarheit wie einige Jahre später bei [[Novalis]]: //„In Jonien merkt man den erweichenden Einfluß des warmen asiatischen Himmels, so wie man hingegen in der frühsten dorischen [[Masse]] die geheimnisvolle Sprödigkeit und Strenge der ägyptischen Gottheiten gewahr wird.“// (Novalis, II, S. 409, III, S. 168.) Oder mit mehr [[Koinzidenz]] können wir Friedrich [[Schlegel]] anführen, mit dessen frühen Schriften Hölderlins genannte Aufsätze durchaus [[Verwandtschaft]] zeigen. Schlegels Erstlingsschrift //Von den Schulen der griechischen Poesie// (1794) gliedert den Werdegang der griechischen [[Poesie]] nicht nur zeitlich, sondern explizit nach Stämmen und nach geographischen Gegenden in „Schulen“ (ionisch, dorisch, attisch, alexandrinisch). Schlegel zufolge waren in der ionischen Epik „Poesie, Geschichte und Philosophie“ „noch nicht getrennt. Es gab, statt dieser noch eins: den [[Mythus]]“. Die epische Dichtung wird durch die „Naturvollkommenheit der heroischen Charaktere“ kennzeichnet, sowie durch „Reichtum, [[Wechsel]] und Spannung“, durch „natürliche Anmuth und Leichtigkeit, kurz: soviel schönes Leben“. Schlegel setzt das Ionische mit Natur, das Dorische mit [[Bildung]], das Attische mit Schönheit gleich, und diese Korrespondenzen sind meiner Auffassung nach auch beim jungen Hölderlin zu finden. Es war sicherlich einer der wichtigsten Aspekte für seine Homerverehrung, daß er die homerischen Epen - wie Schlegel – als „Natur“ betrachtete. Er hat genauso wie Schlegel das Dorische mit „Bildung“ gekennzeichnet, wobei auch die politische Bildung Spartas durch den sagenhaften [[Lykurg]] gemeint ist: „In üppiger Kraft eilt Lacedämon den Atheniensern voraus, und hätte sich eben deswegen auch früher zerstreut und aufgelöst, wäre Lycurg nicht gekommen, und hätte mit seiner [[Zucht]] die übermüthige Natur zusammengehalten. (…) Die Spartaner blieben ewig ein Fragment.“ MHA I, S. 682.)  \\ 
 Die Ruinen von Athen und das Klassisch-Griechische überhaupt werden in //Hyperion// mit „respektvoller Distanz“ oder eher sogar mit gewisser Kühle behandelt, und die begeisterte Lobrede des Helden auf Athens [[Größe]] klingt ziemlich formelhaft und schematisch. Trotz des erwartungsvollen Heraufbeschwörens der attischen Kultur der Schönheit und [[Freiheit]], ergriff den Helden bloß //„das schöne Phantom des Alten Athens, wie einer Mutter [[Gestalt]], die aus dem Todtenreiche zurückkehrt.“// Die Ruinen von Athen ähneln einem „unermesslichen Schiffbruch“, „wenn die Orkane verstummt sind und die Schiffer entflohn, und der Leichnam der zerschmetterten Flotte unkenntlich auf der Sandbank liegt“. Dieses [[Bild]] der athenischen Antike nimmt einigermaßen jene lyrische Stimme vorweg, die sich vom Vergangenen, vom Gestorbenen distanziert: \\ Die Ruinen von Athen und das Klassisch-Griechische überhaupt werden in //Hyperion// mit „respektvoller Distanz“ oder eher sogar mit gewisser Kühle behandelt, und die begeisterte Lobrede des Helden auf Athens [[Größe]] klingt ziemlich formelhaft und schematisch. Trotz des erwartungsvollen Heraufbeschwörens der attischen Kultur der Schönheit und [[Freiheit]], ergriff den Helden bloß //„das schöne Phantom des Alten Athens, wie einer Mutter [[Gestalt]], die aus dem Todtenreiche zurückkehrt.“// Die Ruinen von Athen ähneln einem „unermesslichen Schiffbruch“, „wenn die Orkane verstummt sind und die Schiffer entflohn, und der Leichnam der zerschmetterten Flotte unkenntlich auf der Sandbank liegt“. Dieses [[Bild]] der athenischen Antike nimmt einigermaßen jene lyrische Stimme vorweg, die sich vom Vergangenen, vom Gestorbenen distanziert: \\
  
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 Neben der dramatischen Überbetonung des Vergangenseins und der Monumentalität der Verwüstung fällt mir noch ein weiteres ungewöhnliches [[Merkmal]] der Hölderlinschen Schilderung der Ruinen von Athen auf: der [[Purismus]] des Blicks. Hyperions Auge säubert die Ruinen von Athen ganz gründlich von allen fremden Lebenszeichen, genau mit dem Effekt, wie man heute die Ruinen museal erlebt. Er sieht von allen Zeichen orientalischer Lebensart und Bautätigkeit weg, die in die weißen Marmordenkmäler attischer [[Vollkommenheit]] eindrangen, schließt alle christlichen und islamischen Lebensmomente aus, obwohl er diese Passagen des Romans, wie es einzelne Details verraten, mit genauer Kenntnis von Chandler, Wood und der Stiche von Stuart und Revett formulierte.  Neben der dramatischen Überbetonung des Vergangenseins und der Monumentalität der Verwüstung fällt mir noch ein weiteres ungewöhnliches [[Merkmal]] der Hölderlinschen Schilderung der Ruinen von Athen auf: der [[Purismus]] des Blicks. Hyperions Auge säubert die Ruinen von Athen ganz gründlich von allen fremden Lebenszeichen, genau mit dem Effekt, wie man heute die Ruinen museal erlebt. Er sieht von allen Zeichen orientalischer Lebensart und Bautätigkeit weg, die in die weißen Marmordenkmäler attischer [[Vollkommenheit]] eindrangen, schließt alle christlichen und islamischen Lebensmomente aus, obwohl er diese Passagen des Romans, wie es einzelne Details verraten, mit genauer Kenntnis von Chandler, Wood und der Stiche von Stuart und Revett formulierte. 
  
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-<img src = "http://www.vonwolkenstein.de/images/ruinenathens.jpg" alt = "Athens Ruinen" align = "right" +
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-</html>+
  
-Hölderlin hebt das Klassische in Hellas nicht hervor. Dieses wird nicht als absoluter Höhepunkt, als der Inbegriff des Hellenischen überbewertet, ja man neigt sogar dazu, aus dem Lob die spätere Sicht Hölderlins schon herauszuhören, daß Athen im unmäßigen [[Trieb]] nach Kunst aufging, also im Gestalteten seine [[Natürlichkeit]], seine Lebendigkeit verlor. Der Polyzentrismus der griechischen Antike, die den Hyperion kennzeichnet, wird sogar in Archipelagus, in Hölderlins feierlichster Hymne an Athen, auf vielfältige Weise veranschaulicht. Das [[Thema]] des Gedichts – der heroische [[Sieg]] der Athener über die Perser, die [[Wiedergeburt]] der Stadt Athen aus ihrer Asche - bringt es zwar mit sich, daß diese Polis „die geliebteste“ (V. 63) genannt wird, in der üppigen Fülle der Erinnerungsbilder fällt jedoch der [[Echo]] der dreifältigen geokulturellen Landschaft auf. Athen ist ein „herrlich Gebild“, „des Genius Werk“ (V. 179-83), die Stadt der Kunst und der freudigen [[Fest]]e, Sparta wird um seiner Taten willen (V. 271) erwähnt. Und Ionien, welches mit seinen Kolonien zur westlichen [[Grenze]] der [[Ökumene]] reicht und Asien bis [[Ägypten]] einschließt, es gibt mit seiner allgegenwärtigen Natur, mit seinen Bergen, „Gärten“ (V. 279) und Flüssen den Schauplatz historischer Ereignisse um, und „des Orients [[Kind]]“, „die Sonne des Tages“ windet dem Alten Archipelagus den [[Kranz]], als Liebes- und Siegeszeichen (V. 35-42).41 Diese drei Charakterbilder bilden gemeinsam „das liebende [[Volk]]“, den „Einen Geist“ (V. 239-240, ganz im Sinne des heraklitischen Prinzips des Hen diaferon heauto, des Einen in sich Unterschiedenen. \\+Hölderlin hebt das Klassische in Hellas nicht hervor. Dieses wird nicht als absoluter Höhepunkt, als der Inbegriff des Hellenischen überbewertet, ja man neigt sogar dazu, aus dem Lob die spätere Sicht Hölderlins schon herauszuhören, daß Athen im unmäßigen [[Trieb]] nach Kunst aufging, also im Gestalteten seine [[Natürlichkeit]], seine Lebendigkeit verlor. Der Polyzentrismus der griechischen Antike, die den Hyperion kennzeichnet, wird sogar in Archipelagus, in Hölderlins feierlichster Hymne an Athen, auf vielfältige Weise veranschaulicht. Das [[Thema]] des Gedichts – der heroische [[Sieg]] der Athener über die Perser, die Wiedergeburt der Stadt Athen aus ihrer Asche - bringt es zwar mit sich, daß diese Polis „die geliebteste“ (V. 63) genannt wird, in der üppigen Fülle der Erinnerungsbilder fällt jedoch der [[Echo]] der dreifältigen geokulturellen Landschaft auf. Athen ist ein „herrlich Gebild“, „des Genius Werk“ (V. 179-83), die Stadt der Kunst und der freudigen [[Fest]]e, Sparta wird um seiner Taten willen (V. 271) erwähnt. Und Ionien, welches mit seinen Kolonien zur westlichen [[Grenze]] der [[Ökumene]] reicht und Asien bis [[Ägypten]] einschließt, es gibt mit seiner allgegenwärtigen Natur, mit seinen Bergen, „Gärten“ (V. 279) und Flüssen den Schauplatz historischer Ereignisse um, und „des Orients [[Kind]]“, „die Sonne des Tages“ windet dem Alten Archipelagus den [[Kranz]], als Liebes- und Siegeszeichen (V. 35-42).41 Diese drei Charakterbilder bilden gemeinsam „das liebende [[Volk]]“, den „Einen Geist“ (V. 239-240, ganz im Sinne des heraklitischen Prinzips des Hen diaferon heauto, des Einen in sich Unterschiedenen. \\
 Im Kleeblatt des Hellenischen erhält also die ionische Kultur einen eigenartigen Akzent, der im Kontrast zu den einseitigeren Griechenlandkonstrukten der Zeitgenossen besonders auffällt. Herder, [[Wolf]], Schiller oder sogar die Gebrüder Schlegel haben in Homer eher eine halb barbarische, mündliche Volkspoesie gebilligt, das orientalische Element der ionischen Kunst haben sie für ihren Nachteil gehalten, und die ionische [[Naturphilosophie]] als bescheidenen Anfang des wissenschaftlichen [[Denken]]s gebilligt, der aber im Vergleich zu [[Plato]]n und [[Aristoteles]] unterentwickelt sei. Sie waren nicht wie Hölderlin vom Vorteil einer kulturellen Mischung begeistert, die diese Region kennzeichnete, haben von der feinen und vielschichtigen kulturellen Erfahrung der Ionier mit dem Fremden kaum Kenntnis genommen, die sie durch Seefahrt, Handel und durch die begünstigte Lage, an der Grenze zweier Welten angesiedelt zu sein, für sich erwerben dürften, und dadurch unterschiedliche Kulturen in sich integrierten.\\ Im Kleeblatt des Hellenischen erhält also die ionische Kultur einen eigenartigen Akzent, der im Kontrast zu den einseitigeren Griechenlandkonstrukten der Zeitgenossen besonders auffällt. Herder, [[Wolf]], Schiller oder sogar die Gebrüder Schlegel haben in Homer eher eine halb barbarische, mündliche Volkspoesie gebilligt, das orientalische Element der ionischen Kunst haben sie für ihren Nachteil gehalten, und die ionische [[Naturphilosophie]] als bescheidenen Anfang des wissenschaftlichen [[Denken]]s gebilligt, der aber im Vergleich zu [[Plato]]n und [[Aristoteles]] unterentwickelt sei. Sie waren nicht wie Hölderlin vom Vorteil einer kulturellen Mischung begeistert, die diese Region kennzeichnete, haben von der feinen und vielschichtigen kulturellen Erfahrung der Ionier mit dem Fremden kaum Kenntnis genommen, die sie durch Seefahrt, Handel und durch die begünstigte Lage, an der Grenze zweier Welten angesiedelt zu sein, für sich erwerben dürften, und dadurch unterschiedliche Kulturen in sich integrierten.\\
 Als Hölderlin im östlich-griechischen Dichter Homer den kulturstiftenden [[Geist]] der Griechen bewunderte, hat er zugleich die herkömmliche Orientierung nach Ost und West transzendiert. Er war sich darüber im klaren, daß die Richtungsbestimmungen wie Osten und Westen relativ sind, als Konstrukte unserer kulturellen Orientierung zu betrachten sind, die je nach Standort, Epoche und Perspektive sich wandeln. Diese Wandlungen hängen auch mit der Eigenart des kulturstiftenden Geistes zusammen, daß der Geist - wie es in //Brod und Wein// heißt – „Kolonien“ (Pflanzstätten) „liebt“. [[Mimnermos]] oder [[Herodot]] zufolge entstand auch Ionien als Folge aiolischer [[Kolonisation]] in der vorhomerischen Zeit. Eine umgekehrte Richtung der Kulturströmung erkennt man in der Bevölkerung Siziliens durch die Ionier. Merkmale dieses Kulturtransfers erkennt man auch in Hölderlins Sizilien. So gehört der Ätna schon in //Hyperion// zu den Urlandschaften der [[Entgrenzung]], der für den Osten charakteristische Begeisterung und kühner Lebenslust, die nach einer [[Vereinigung]] mit dem Urelement, mit der Arche Feuer drängt: //„Gestern war ich auf dem Aetna droben. Da fiel der große Sizilianer mir ein, der einst des Stundenzählens satt, vertraut mit der Seele der Welt, in s einer kühnen Lebenslust da hinabwarf, in die herrlichen Flammen, denn der kalte Dichter hätte müssen am Feuer sich wärmen, sagt ein Spötter nach ihm.“// Dieses emphatische Entflammtsein für die Allgegenwart göttlicher Natur ist bei [[Empedokles]] ein Homerisches, östliches Erbe, das Hölderlins //Empedokles//, im [[Gegensatz]] zum unsterblichen „Mäoniden“, durch [[Nüchternheit]], Beobachtungsgabe und Maß nicht zu korrigieren wußte. Als Hölderlin im östlich-griechischen Dichter Homer den kulturstiftenden [[Geist]] der Griechen bewunderte, hat er zugleich die herkömmliche Orientierung nach Ost und West transzendiert. Er war sich darüber im klaren, daß die Richtungsbestimmungen wie Osten und Westen relativ sind, als Konstrukte unserer kulturellen Orientierung zu betrachten sind, die je nach Standort, Epoche und Perspektive sich wandeln. Diese Wandlungen hängen auch mit der Eigenart des kulturstiftenden Geistes zusammen, daß der Geist - wie es in //Brod und Wein// heißt – „Kolonien“ (Pflanzstätten) „liebt“. [[Mimnermos]] oder [[Herodot]] zufolge entstand auch Ionien als Folge aiolischer [[Kolonisation]] in der vorhomerischen Zeit. Eine umgekehrte Richtung der Kulturströmung erkennt man in der Bevölkerung Siziliens durch die Ionier. Merkmale dieses Kulturtransfers erkennt man auch in Hölderlins Sizilien. So gehört der Ätna schon in //Hyperion// zu den Urlandschaften der [[Entgrenzung]], der für den Osten charakteristische Begeisterung und kühner Lebenslust, die nach einer [[Vereinigung]] mit dem Urelement, mit der Arche Feuer drängt: //„Gestern war ich auf dem Aetna droben. Da fiel der große Sizilianer mir ein, der einst des Stundenzählens satt, vertraut mit der Seele der Welt, in s einer kühnen Lebenslust da hinabwarf, in die herrlichen Flammen, denn der kalte Dichter hätte müssen am Feuer sich wärmen, sagt ein Spötter nach ihm.“// Dieses emphatische Entflammtsein für die Allgegenwart göttlicher Natur ist bei [[Empedokles]] ein Homerisches, östliches Erbe, das Hölderlins //Empedokles//, im [[Gegensatz]] zum unsterblichen „Mäoniden“, durch [[Nüchternheit]], Beobachtungsgabe und Maß nicht zu korrigieren wußte.
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 === II. Der Weg nach Arabien === === II. Der Weg nach Arabien ===
  
-Die Lyrik nach 1800 einbegreift noch kühner neue Kulturräume über Griechenland hinaus. In der Hymne //Am Quell der Donau// wird eine Pilgerschaft aus der Heimat über Ionien nach Arabien imaginär vollzogen: //„Auch eurer denken wir, ihr Thale des Kaukasos,/ So alt ihr seid, ihr Paradiese dort“// Das betonte Alter des Kaukasus, sowie sein Beiwort „[[Paradies]]“ deutet an, daß das Gebirge als Urheimat, als Land des Ursprungs betrachtet wird. Die Wanderung verstärkt noch diese Sehnsucht, man könnte sagen: Heimweh, nach Osten („Ich aber will dem Kaukasus zu!“), zum mythischen Ort am Schwarzen Meer, wo einst die Urgermanen mit den „Kindern der Sonne“ (mit den Kolchern) ihre Hochzeit feierten, und die [[Urgriechen]], die Ionier, auf die Welt brachten. Die Mythe ist eine [[Erfindung]] des Dichters, sie könnte aber von den neuesten anthropologischen Studien des Göttinger Physikers, Anthropologen [[Blumenbach#Johann Friedrich Blumenbach]] inspiriert sein. Blumenbach hat in seiner durchaus bekannt gewordenen Studie die Menschen anthropologisch in fünf Klassen geteilt und den [[Terminus]] von der „kaukasischen“ [[Rasse]] geprägt, die in der bunten Vielfalt der Rassen am ältesten und am schönsten sei. Ob Hölderlin damit die deutsche nationale [[Identität]] auf Rassenverwandtschaft gründete, wie es dann in den kommenden Jahrzehnten von einer natürlichen Verwandtschaft der Deutschen mit den Griechen die Rede war, oder ob er mit der Mythe noch einen poetischen, ästhetischen [[Zweck]], die [[Grazie]]n vom Asien nach Deutschland einzuladen, verfolgte, sei dahingestellt. +Die Lyrik nach 1800 einbegreift noch kühner neue Kulturräume über Griechenland hinaus. In der Hymne //Am Quell der Donau// wird eine Pilgerschaft aus der Heimat über Ionien nach Arabien imaginär vollzogen: //„Auch eurer denken wir, ihr Thale des Kaukasos,/ So alt ihr seid, ihr Paradiese dort“// Das betonte Alter des Kaukasus, sowie sein Beiwort „[[Paradies]]“ deutet an, daß das Gebirge als Urheimat, als Land des Ursprungs betrachtet wird. Die Wanderung verstärkt noch diese Sehnsucht, man könnte sagen: Heimweh, nach Osten („Ich aber will dem Kaukasus zu!“), zum mythischen Ort am Schwarzen Meer, wo einst die Urgermanen mit den „Kindern der Sonne“ (mit den Kolchern) ihre Hochzeit feierten, und die [[Urgriechen]], die Ionier, auf die Welt brachten. Die Mythe ist eine [[Erfindung]] des Dichters, sie könnte aber von den neuesten anthropologischen Studien des Göttinger Physikers, Anthropologen [[Blumenbach#Johann Friedrich Blumenbach]] inspiriert sein. Blumenbach hat in seiner durchaus bekannt gewordenen Studie die Menschen anthropologisch in fünf Klassen geteilt und den [[Terminus]] von der „kaukasischen“ [[Rasse]] geprägt, die in der bunten Vielfalt der Rassen am ältesten und am schönsten sei. Ob Hölderlin damit die deutsche nationale [[Identität]] auf Rassenverwandtschaft gründete, wie es dann in den kommenden Jahrzehnten von einer natürlichen Verwandtschaft der Deutschen mit den Griechen die Rede war, oder ob er mit der Mythe noch einen poetischen, ästhetischen [[Zweck]], die [[Grazie]]n vom Asien nach Deutschland einzuladen, verfolgte, sei dahingestellt. \\
 Die Ausbreitung des poetischen Raums läßt sich bei Hölderlin nicht auf die [[Suche]] nach dem eigenen Ursprung einschränken. Texte nach 1802 bezeugen Hölderlins Ansicht, daß die Wüstenlandschaft Arabiens vieles davon, was wir angesichts des [[Altertum]]s als Erratisches, als Enigmatisches fühlen, bewahrt hat. Hölderlins „Erinnerungsräume“ erstrecken sich in die arabische Wüste ([[Palmyra]]) und nach Palästina (Jerusalem). Arabien wird neben Ionien gestellt - als „Spenderin der göttlichgesendeten Gaben“. Arabien ist das „golderfüllte Land“, „die „lichtgetroffne Gegend“, das „glückliche Arabien“ des Dionysos, wie es in der Hölderlinschen Übersetzung des Prologs der //Bacchantinnen// des [[Euripides]] heißt. Ionien und Arabien (sogar bis [[Persien]]) bilden jetzt eine zusammenhängende Kulturlandschaft, die inmitten des Mediterraneums liegt, und südwärts nach Palästina, nordwärts nach dem Kaukasus schaut. Je mehr sich Hölderlin vom Klassischen abkehrt, und sogar über den Höhepunkt der attischen Dramendichtung, über die [[Tragödie]]n des [[Sophokles]] zu sagen wagt, daß er ihre „Kunstfehler“ verbessern wolle und ihre Darstellungsart lebendiger zu machen gedenke, desto klarer wird die [[Tendenz]] einer neuen [[Poetik]], das Griechische auf seinen orientalischen Ursprung zurückzuführen. //„Ich hoffe// – schrieb Hölderlin 1803 an Wilmans - //die griechische Kunst, die uns [[fremd]] ist, durch Nationalkonvenienz und [[Fehler]], mit denen sie sich immer herum geholfen hat, dadurch lebendiger, als gewöhnlich dem [[Publikum]] darzustellen, daß ich das Orientalische, das sie verläugnet hat, mehr heraushebe, und ihren Kunstfehler, wo er vorkommt, verbessere.“// \\ Die Ausbreitung des poetischen Raums läßt sich bei Hölderlin nicht auf die [[Suche]] nach dem eigenen Ursprung einschränken. Texte nach 1802 bezeugen Hölderlins Ansicht, daß die Wüstenlandschaft Arabiens vieles davon, was wir angesichts des [[Altertum]]s als Erratisches, als Enigmatisches fühlen, bewahrt hat. Hölderlins „Erinnerungsräume“ erstrecken sich in die arabische Wüste ([[Palmyra]]) und nach Palästina (Jerusalem). Arabien wird neben Ionien gestellt - als „Spenderin der göttlichgesendeten Gaben“. Arabien ist das „golderfüllte Land“, „die „lichtgetroffne Gegend“, das „glückliche Arabien“ des Dionysos, wie es in der Hölderlinschen Übersetzung des Prologs der //Bacchantinnen// des [[Euripides]] heißt. Ionien und Arabien (sogar bis [[Persien]]) bilden jetzt eine zusammenhängende Kulturlandschaft, die inmitten des Mediterraneums liegt, und südwärts nach Palästina, nordwärts nach dem Kaukasus schaut. Je mehr sich Hölderlin vom Klassischen abkehrt, und sogar über den Höhepunkt der attischen Dramendichtung, über die [[Tragödie]]n des [[Sophokles]] zu sagen wagt, daß er ihre „Kunstfehler“ verbessern wolle und ihre Darstellungsart lebendiger zu machen gedenke, desto klarer wird die [[Tendenz]] einer neuen [[Poetik]], das Griechische auf seinen orientalischen Ursprung zurückzuführen. //„Ich hoffe// – schrieb Hölderlin 1803 an Wilmans - //die griechische Kunst, die uns [[fremd]] ist, durch Nationalkonvenienz und [[Fehler]], mit denen sie sich immer herum geholfen hat, dadurch lebendiger, als gewöhnlich dem [[Publikum]] darzustellen, daß ich das Orientalische, das sie verläugnet hat, mehr heraushebe, und ihren Kunstfehler, wo er vorkommt, verbessere.“// \\
  
-Hölderlins „Korrektur“ kann man sicherlich aus der [[Erkenntnis]] herleiten, die er in seinem viel zitierten [[Brief]] an Casimir Böhlendorff formulierte. Hölderlin schrieb an seinen [[Freund]], daß er Homer deshalb für das höchste Genie der griechischen [[Dichtkunst]] hält, //„weil dieser außerordentliche Mensch seelenvoll genug war, um die abendländische Nüchternheit für sein Apollonreich zu erbeuten//“. Er war [[seele]]nvoll – d. h. feurig, [[lebendig]] im Geist, vom feurigen Sonnengott [[Apollo]] inspiriert, kurzum: orientalisch-griechisch genug – um das ihm ursprünglich fremde poetische Prinzip, das Hölderlin „abendländische Nüchternheit“ nennt, aneignen zu können, und zwar ohne die Gefahr hin, sich darin zu verlieren und sich selbst aufzugeben. Homers Genialität habe also das eigene und das fremde dichterische Prinzip in sich vereint, er als angeborener „Mäonide“, Orientale, wurde zum ersten griechischen, das heißt europäischen Dichter, zum [[Stifter]] der abendländischen Kultur. Seine Gabe, solche [[Gegensatz#Gegensätze]] in sich harmonisch vereinigen zu können, fand in seiner vollkommensten künstlerischen [[Schöpfung]], im Charakter des [[Achill]], ihre Erfüllung, in dem der ionische Dichter einander durchaus widersprechende Gegensätze zu einem harmonischen Ganzen zusammenzufügen vermochte. Die Tragödie des Sophokles konnte nicht mehr dieses Gleichgewicht halten. Es hat sich einigermaßen schon im Schönen verflacht, in der Einseitigkeit der junonischen, nüchternen Darstellungsgabe. Im [[Kontext]] des Homerbildes Hölderlins, wie ich es zu verstehen versuchte, ist man auch genötigt, Hölderlins [[Argument]] für die [[Notwendigkeit]] einer „orientalischen“ Korrektur an Sophokles, mit anderen Akzenten zu lesen. \\ +Hölderlins „Korrektur“ kann man sicherlich aus der [[Erkenntnis]] herleiten, die er in seinem viel zitierten [[Brief]] an Casimir Böhlendorff formulierte. Hölderlin schrieb an seinen [[Freund]], daß er Homer deshalb für das höchste Genie der griechischen [[Dichtkunst]] hält, //„weil dieser außerordentliche Mensch seelenvoll genug war, um die abendländische Nüchternheit für sein Apollonreich zu erbeuten//“. Er war seelenvoll – d. h. feurig, [[lebendig]] im Geist, vom feurigen Sonnengott [[Apollo]] inspiriert, kurzum: orientalisch-griechisch genug – um das ihm ursprünglich fremde poetische Prinzip, das Hölderlin „abendländische Nüchternheit“ nennt, aneignen zu können, und zwar ohne die Gefahr hin, sich darin zu verlieren und sich selbst aufzugeben. Homers Genialität habe also das eigene und das fremde dichterische Prinzip in sich vereint, er als angeborener „Mäonide“, Orientale, wurde zum ersten griechischen, das heißt europäischen Dichter, zum [[Stifter]] der abendländischen Kultur. Seine Gabe, solche [[Gegensatz#Gegensätze]] in sich harmonisch vereinigen zu können, fand in seiner vollkommensten künstlerischen [[Schöpfung]], im Charakter des Achill, ihre Erfüllung, in dem der ionische Dichter einander durchaus widersprechende Gegensätze zu einem harmonischen Ganzen zusammenzufügen vermochte. Die Tragödie des Sophokles konnte nicht mehr dieses Gleichgewicht halten. Es hat sich einigermaßen schon im Schönen verflacht, in der Einseitigkeit der junonischen, nüchternen Darstellungsgabe. Im [[Kontext]] des Homerbildes Hölderlins, wie ich es zu verstehen versuchte, ist man auch genötigt, Hölderlins [[Argument]] für die [[Notwendigkeit]] einer „orientalischen“ Korrektur an Sophokles, mit anderen Akzenten zu lesen. \\ 
-Aufgrund der bereits festgestellten Zusammenhänge zwischen dem Orientalischen  und dem Hesperischen können wir weiterhin feststellen, daß mit dem Orientalisieren des Sophoklesschen Dramas weit mehr gemeint ist als es wieder mit Lebendigkeit zu erfüllen. Eine Annäherung an die „Nationalkonvenienz“ des hesperischen Deutschlands ist auch mitgemeint. Das Hesperische ist in diesem Kontext das christliche [[Abendland]], welches nicht nur nach Hegels, sondern auch nach Hölderlins Ansicht in einer „positiven“ Religion aufging. Der ursprünglich feurig orientalische Geist der Hebräer, an dem Hölderlin im [[Gegensatz]] zu Hegel festhielt, wurde zum toten [[Buchstabe]]n, zum [[Gesetz]] und [[Ritual]]. Mit dem Sichtbarmachen des Orientalischen in der Sophoklesschen Tragödie wird also jene Urschicht des Hesperischen zum Vorschein gebracht, die das Abendland jäh von sich ausschloß. Es handelt sich also meines Erachtens bei Hölderlin nicht um einen (zeitgenössischen, präsenten) christlichen Umweg, der den modernen Leser den Griechen, die ihm fremd sind, näher bringen sollte. Obwohl einige Ähnlichkeiten mit Hegels diesbezüglichen Auffasssungen unverklennbar zu konstatieren wären, denkt Hölderlin vom Orientalischen, vom Christlich-Orientalischen anders als sein Studienfreund. Hölderlin benutzt das Orientalische nicht als Vermittler, als Medium, das die „wahre“ Antike, das Griechische, dem Abendland erschließen sollte. Umgekehrt: das Orientalische als elementare Naturwelt, als noch nicht zu menschlichen Gebilden herabwürdigte, zu purer Kunst gewordene Naturreligion, wie Hölderlin etwa [[Spinoza]] folgend sogar das Alte Testament lesen durfte, besitzt sogar eine klare Priorität. Sein Vorrang ist nicht nur zeitlich zu verstehen, sondern auch poetisch-mythisch. Das Orientalische kehrt also in die abendländische Übersetzung der griechischen Dichtung in der [[Form]] einer „neuen Mythologie“, in der Gestalt einer neuen abendländischen Naturreligion wieder ein, die nicht nur im Dionysos die Urschicht des Griechischen bildet, sondern nach Hölderlins Ansicht dem Geist des alten Judentums und des Christentums (als einer Art Sonnenkultes) auch entsprechen sollte. Im Sinne dieser unorthodoxen Christentums schrieb Hölderlin an Auguste, die Prinzessin von Homburg: Er habe mit seiner Sophokles-Übersetzung von dem „unbegreiflich Göttlicheren unserer heiligen Religion in seiner Originalität“ zeugen wollen. Die übersetzerische Erfahrung hat – wie Walter [[Benjamin]] zeigte - Hölderlin gelehrt, daß wahre Dichtung immer aus einer interkulturellen Erfahrung, in einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Anderen entsteht. Dieses [[Andere]] ist aber bei Hölderlin noch nicht beliebig, sondern hängt mit den Quellen eng zusammen, bleibt mit dem verdrängten Ursprung in nächster Verbindung. Genau von dem [[Moment]] an, als in schrankenloser Offenheit eine Beliebigkeit der geokulturellen Bezüge seine Texte zu überlagern beginnt, läßt sich seine Dichtung nicht mehr verfolgen.\\+Aufgrund der bereits festgestellten Zusammenhänge zwischen dem Orientalischen  und dem Hesperischen können wir weiterhin feststellen, daß mit dem Orientalisieren des Sophoklesschen Dramas weit mehr gemeint ist als es wieder mit Lebendigkeit zu erfüllen. Eine Annäherung an die „Nationalkonvenienz“ des hesperischen Deutschlands ist auch mitgemeint. Das Hesperische ist in diesem Kontext das christliche [[Abendland]], welches nicht nur nach Hegels, sondern auch nach Hölderlins Ansicht in einer „positiven“ Religion aufging. Der ursprünglich feurig orientalische Geist der Hebräer, an dem Hölderlin im [[Gegensatz]] zu Hegel festhielt, wurde zum toten Buchstaben, zum [[Gesetz]] und [[Ritual]]. Mit dem Sichtbarmachen des Orientalischen in der Sophoklesschen Tragödie wird also jene Urschicht des Hesperischen zum Vorschein gebracht, die das Abendland jäh von sich ausschloß. Es handelt sich also meines Erachtens bei Hölderlin nicht um einen (zeitgenössischen, präsenten) christlichen Umweg, der den modernen Leser den Griechen, die ihm fremd sind, näher bringen sollte. Obwohl einige Ähnlichkeiten mit Hegels diesbezüglichen Auffasssungen unverklennbar zu konstatieren wären, denkt Hölderlin vom Orientalischen, vom Christlich-Orientalischen anders als sein Studienfreund. Hölderlin benutzt das Orientalische nicht als Vermittler, als Medium, das die „wahre“ Antike, das Griechische, dem Abendland erschließen sollte. Umgekehrt: das Orientalische als elementare Naturwelt, als noch nicht zu menschlichen Gebilden herabwürdigte, zu purer Kunst gewordene Naturreligion, wie Hölderlin etwa [[Spinoza]] folgend sogar das Alte Testament lesen durfte, besitzt sogar eine klare Priorität. Sein Vorrang ist nicht nur zeitlich zu verstehen, sondern auch poetisch-mythisch. Das Orientalische kehrt also in die abendländische Übersetzung der griechischen Dichtung in der [[Form]] einer „neuen Mythologie“, in der Gestalt einer neuen abendländischen Naturreligion wieder ein, die nicht nur im Dionysos die Urschicht des Griechischen bildet, sondern nach Hölderlins Ansicht dem Geist des alten Judentums und des Christentums (als einer Art Sonnenkultes) auch entsprechen sollte. Im Sinne dieser unorthodoxen Christentums schrieb Hölderlin an Auguste, die Prinzessin von Homburg: Er habe mit seiner Sophokles-Übersetzung von dem „unbegreiflich Göttlicheren unserer heiligen Religion in seiner Originalität“ zeugen wollen. Die übersetzerische Erfahrung hat – wie Walter [[Benjamin]] zeigte - Hölderlin gelehrt, daß wahre Dichtung immer aus einer interkulturellen Erfahrung, in einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Anderen entsteht. Dieses [[Andere]] ist aber bei Hölderlin noch nicht beliebig, sondern hängt mit den Quellen eng zusammen, bleibt mit dem verdrängten Ursprung in nächster Verbindung. Genau von dem [[Moment]] an, als in schrankenloser Offenheit eine Beliebigkeit der geokulturellen Bezüge seine Texte zu überlagern beginnt, läßt sich seine Dichtung nicht mehr verfolgen.\\
 Die an Wilmans mitgeteilte neue Poetik Hölderlins setzt also voraus, daß das Orientalische einen gemeinsamen Kulturraum für das Griechische (Dionysoskult, [[Orphik]] etc.) und für die biblische Poesie bildete. Der [[Ausdruck]] „biblische Poesie“ würde dann im Sinne der Göttinger Bibelkritik (Michaelis, Eichhorn) verstanden, also als östlicher poetischer Mythus und nicht als dogmatische Religion. Hölderlin will aber im Gegensatz zur Orientalistik nicht das orientalische Erbe der Hebräer rationalisieren, sondern er versucht aus dem „Behälter“ moderner [[Rationalität]] (Nüchternheit) die elementare, belebende feurige Phantasie, die dichterische Kraft des Orients zu befreien. Durch diese Wiederbelebung gewinnt die Rationalität, die ohne ihre Korrektur entstellt wurde, ihre ursprüngliche [[Funktion]] als genuine poetische Kraft der Darstellungsgabe, als Beobachtungskunst zurück. \\ Die an Wilmans mitgeteilte neue Poetik Hölderlins setzt also voraus, daß das Orientalische einen gemeinsamen Kulturraum für das Griechische (Dionysoskult, [[Orphik]] etc.) und für die biblische Poesie bildete. Der [[Ausdruck]] „biblische Poesie“ würde dann im Sinne der Göttinger Bibelkritik (Michaelis, Eichhorn) verstanden, also als östlicher poetischer Mythus und nicht als dogmatische Religion. Hölderlin will aber im Gegensatz zur Orientalistik nicht das orientalische Erbe der Hebräer rationalisieren, sondern er versucht aus dem „Behälter“ moderner [[Rationalität]] (Nüchternheit) die elementare, belebende feurige Phantasie, die dichterische Kraft des Orients zu befreien. Durch diese Wiederbelebung gewinnt die Rationalität, die ohne ihre Korrektur entstellt wurde, ihre ursprüngliche [[Funktion]] als genuine poetische Kraft der Darstellungsgabe, als Beobachtungskunst zurück. \\
 Sollte Hölderlin seit der Elegie //Brod und Wein// die griechische [[Mythologie]] „synkretistisch“ mit der [[Symbolik]] biblischer Texte verbunden haben, handelt es sich um 1803/4 schon um einen neuen Ansatz. Wir wissen nicht, was Hölderlin veranlaßt hat, das Christentum und Christus selbst in den Mittelpunkt einiger seiner späten Hymnen zu stellen. Ich vermute, daß ihn vielleicht der biblische Glaube des Landgrafen Friedrich V. Ludwig von Homburg während seines zweiten Aufenthalts auch berührt hätte. Es ist aber zugleich auffallend, daß diese Hymnen doch nicht auf das Christliche gerichtet sind, sondern eher mit Hölderlins poetischer Fragestellung nach dem Orientalischen übereinstimmen. Im Gegensatz zu den so genannten „synkretistischen“ Momenten erkennt man in der letzten Fassung des //Patmos// einen Versuch, das [[Schicksal]] Christi auratisch mit den Orten seines Lebens zu verbinden:\\ Sollte Hölderlin seit der Elegie //Brod und Wein// die griechische [[Mythologie]] „synkretistisch“ mit der [[Symbolik]] biblischer Texte verbunden haben, handelt es sich um 1803/4 schon um einen neuen Ansatz. Wir wissen nicht, was Hölderlin veranlaßt hat, das Christentum und Christus selbst in den Mittelpunkt einiger seiner späten Hymnen zu stellen. Ich vermute, daß ihn vielleicht der biblische Glaube des Landgrafen Friedrich V. Ludwig von Homburg während seines zweiten Aufenthalts auch berührt hätte. Es ist aber zugleich auffallend, daß diese Hymnen doch nicht auf das Christliche gerichtet sind, sondern eher mit Hölderlins poetischer Fragestellung nach dem Orientalischen übereinstimmen. Im Gegensatz zu den so genannten „synkretistischen“ Momenten erkennt man in der letzten Fassung des //Patmos// einen Versuch, das [[Schicksal]] Christi auratisch mit den Orten seines Lebens zu verbinden:\\
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 Der orientalische [[Mythos]] über Christi Schicksal läßt sich nicht mit der [[Fabel]] eines [[Herakles]] oder [[Peleus]] vergleichen. Es ist „wundervoller“, rätselhafter, enigmatischer. Es ist „reicher, zu singen“, so offen für das abendländische [[Verständnis]], daß es in einer pindarischen Hymne kaum darstellbar ist. Die [[Figur]] Christi passt doch nicht in den antiken Göttertag als dessen Vollender. Eine Erweiterung des Begriffes der Antike ist nötig, um ihn einbeziehgen zu können. \\ Der orientalische [[Mythos]] über Christi Schicksal läßt sich nicht mit der [[Fabel]] eines [[Herakles]] oder [[Peleus]] vergleichen. Es ist „wundervoller“, rätselhafter, enigmatischer. Es ist „reicher, zu singen“, so offen für das abendländische [[Verständnis]], daß es in einer pindarischen Hymne kaum darstellbar ist. Die [[Figur]] Christi passt doch nicht in den antiken Göttertag als dessen Vollender. Eine Erweiterung des Begriffes der Antike ist nötig, um ihn einbeziehgen zu können. \\
-Sollten die Räume für Christi [[Leben]] und Schicksal für den Dichter in der Patmos-Hymne verschlossen bleiben, können wir in Der Einzige einen entschlossenen Schritt vorwärts vom hellenistischen Kleinasien in die zentrale Gegend Vorderasiens nachvollziehen. Die Fahrt nach Osten beginnt mit der [[Vergegenwärtigung]] von [[Elis]] und Olympia, von denen das lyrische [[Ich]] nur noch „gehöret“ hat, setzt sich dann mit einer vorgestellten Präsenz vom [[Parnaß]], vom Bereich des Apoll nach Kleinasien, in die Welt einer nachchristlichen Mischung von [[Griechentum]] und jüdisch-christlichem Orient:\\ +Sollten die Räume für Christi [[Leben]] und Schicksal für den Dichter in der Patmos-Hymne verschlossen bleiben, können wir in Der Einzige einen entschlossenen Schritt vorwärts vom hellenistischen Kleinasien in die zentrale Gegend Vorderasiens nachvollziehen. Die Fahrt nach Osten beginnt mit der [[Vergegenwärtigung]] von [[Elis]] und Olympia, von denen das lyrische [[Ich]] nur noch „gehöret“ hat, setzt sich dann mit einer vorgestellten Präsenz vom Parnaß, vom Bereich des Apoll nach Kleinasien, in die Welt einer nachchristlichen Mischung von [[Griechentum]] und jüdisch-christlichem Orient:\\ 
  
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-Der Sprechende wendet sich in direkter Anrede an die Städte des Euphrat, um sie zu fragen: „Was seid ihr?“ Diese im Spätwerk ungewöhnliche konkrete dialogische Sprechsituation braucht eine Erklärung. Der direkte Bezug des Sprechenden zum Ruinenfeld in der syrischen Wüste wurde gewöhnlich mit dem Bildmaterial der Reiseberichte erklärt. Die große Anzahl von Stichen aus dem 18. Jahrhundert gibt die kaum vorstellbare Monumentalität dieser Ruinen wieder. Sie durften den Dichter noch weit mehr als einst die Ruinen Athens, die er mit einem Schiffbruch verglich, in eine atemlose Verwunderung angesichts der ungeheuren Verwüstung versetzen. Welche Bilder er genau gesehen hat, welchen Text er dazu zu lesen vermochte, ist in der [[Forschung]] durchaus umstritten und unsicher geblieben. <html>  +Der Sprechende wendet sich in direkter Anrede an die Städte des Euphrat, um sie zu fragen: „Was seid ihr?“ Diese im Spätwerk ungewöhnliche konkrete dialogische Sprechsituation braucht eine Erklärung. Der direkte Bezug des Sprechenden zum Ruinenfeld in der syrischen Wüste wurde gewöhnlich mit dem Bildmaterial der Reiseberichte erklärt. Die große Anzahl von Stichen aus dem 18. Jahrhundert gibt die kaum vorstellbare Monumentalität dieser Ruinen wieder. Sie durften den Dichter noch weit mehr als einst die Ruinen Athens, die er mit einem Schiffbruch verglich, in eine atemlose Verwunderung angesichts der ungeheuren Verwüstung versetzen. Welche Bilder er genau gesehen hat, welchen Text er dazu zu lesen vermochte, ist in der [[Forschung]] durchaus umstritten und unsicher geblieben.  
-<img src = "http://www.vonwolkenstein.de/images/palmyra.jpg" alt = "Palmyra" align = "right" +{{ :palmyra.jpg?600|}}
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 Man hat auch die Beweiskraft des Hölderlinschen Vergleichs zwischen Säulengang und [[Wald]] durchaus überschätzt. So wurde Woods Reisebericht, insbesondere sein [[Kommentar]] bis jetzt kaum beachtet, obwohl das Werk in mehreren Ausgaben, unter anderem in Französisch und auch in deutschen Sammelbänden erschien. \\ Man hat auch die Beweiskraft des Hölderlinschen Vergleichs zwischen Säulengang und [[Wald]] durchaus überschätzt. So wurde Woods Reisebericht, insbesondere sein [[Kommentar]] bis jetzt kaum beachtet, obwohl das Werk in mehreren Ausgaben, unter anderem in Französisch und auch in deutschen Sammelbänden erschien. \\
 Wood hat nicht nur die zuverlässigsten Stiche über Palmyra anfertigen lassen, sondern hat von den rätselhaften Elementen in der [[Geschichte]] der Stadt Palmyra, was sie war und wie sie untergehen sollte, in seinem Kommentar mehrmals gesprochen: //„Es ist in der That wunderbar, daß die Geschichte uns kaum etwas mehr als bloße Muthmassungen von dem, was theils Balbeck, theils Palmyra betrifft, liefert. Gleichwohl findet man sonst nirgends so prächtige Reste des Alterthums, wovon wir wenig [[Unterricht]] haben, außer was man durch die Aufschriften heran gebracht sind. Sollte nicht dieser Mangel uns von der Eitelkeit des Stolzes, und von der Unbeständigkeit menschlicher Größe Anweisung und Überzeugung geben? Das Schicksal dieser zwo Städte ist schon allen andern unterschieden. Von dem, was sie gewesen sind, haben wir keinen weiteren Zeugnisse, als ihr menschliches Stückwerk.“//\\  Wood hat nicht nur die zuverlässigsten Stiche über Palmyra anfertigen lassen, sondern hat von den rätselhaften Elementen in der [[Geschichte]] der Stadt Palmyra, was sie war und wie sie untergehen sollte, in seinem Kommentar mehrmals gesprochen: //„Es ist in der That wunderbar, daß die Geschichte uns kaum etwas mehr als bloße Muthmassungen von dem, was theils Balbeck, theils Palmyra betrifft, liefert. Gleichwohl findet man sonst nirgends so prächtige Reste des Alterthums, wovon wir wenig [[Unterricht]] haben, außer was man durch die Aufschriften heran gebracht sind. Sollte nicht dieser Mangel uns von der Eitelkeit des Stolzes, und von der Unbeständigkeit menschlicher Größe Anweisung und Überzeugung geben? Das Schicksal dieser zwo Städte ist schon allen andern unterschieden. Von dem, was sie gewesen sind, haben wir keinen weiteren Zeugnisse, als ihr menschliches Stückwerk.“//\\ 
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 Die Antike, die auf ihre orientalische Heimat zurückverfolgt wird, verliert allmählich ihre ihre Deutbarkeit. Der Orient wird bei Hölderlin nie zu einem erhellten [[Konzept]]. Parallel dazu wird das moderne Abendland mit seinem Kunststreben immer mehr offen gedacht, da sein Richtungssinn sich als fragwürdig erwies oder kaum mehr klar zu erkennen ist.\\  Die Antike, die auf ihre orientalische Heimat zurückverfolgt wird, verliert allmählich ihre ihre Deutbarkeit. Der Orient wird bei Hölderlin nie zu einem erhellten [[Konzept]]. Parallel dazu wird das moderne Abendland mit seinem Kunststreben immer mehr offen gedacht, da sein Richtungssinn sich als fragwürdig erwies oder kaum mehr klar zu erkennen ist.\\ 
 Die drei Kulturräume werden immer mehr individuell geschildert, mit ihren eigentümlichen Krisen und Untergängen. Die unterschiedlichen [[Apokalypse]]n in Hölderlins Spätdichtung lassen sich durch diese Einsicht wohl anders lesen als zuvor.  Die drei Kulturräume werden immer mehr individuell geschildert, mit ihren eigentümlichen Krisen und Untergängen. Die unterschiedlichen [[Apokalypse]]n in Hölderlins Spätdichtung lassen sich durch diese Einsicht wohl anders lesen als zuvor. 
-Die Städte der Wüste mit ihrem enthusiastischen Sonnenkult fielen ihrer eigenen feurigen Natur anheim: Ihre [[Licht]]trunkenheit, die über die Grenze der Sterblichen ging, hat ein verheerendes Feuer vom Himmel herbeigerufen (Lebensalter). In //Patmos// wird das alles versengende Feuer mit der Stimme [[Gott]]es gleichgesetzt: //„Wie Feuer in Städten, tödlichliebend,/Sind Gottes Stimmen…“.// In //Thränen// ist es das homerische Griechentum, die heroische, ehrgeizige archaische Kultur, die östliche Inselwelt des Archipelagus, die ihre „abgöttische“ Liebe zu den Himmlischen im Feuertod abbüßen mußte. \\+Die Städte der Wüste mit ihrem enthusiastischen Sonnenkult fielen ihrer eigenen feurigen Natur anheim: Ihre Lichttrunkenheit, die über die Grenze der Sterblichen ging, hat ein verheerendes Feuer vom Himmel herbeigerufen (Lebensalter). In //Patmos// wird das alles versengende Feuer mit der Stimme [[Gott]]es gleichgesetzt: //„Wie Feuer in Städten, tödlichliebend,/Sind Gottes Stimmen…“.// In //Thränen// ist es das homerische Griechentum, die heroische, ehrgeizige archaische Kultur, die östliche Inselwelt des Archipelagus, die ihre „abgöttische“ Liebe zu den Himmlischen im Feuertod abbüßen mußte. \\
 Ein anderer Schicksalsverlauf trifft auf das klassische Griechentum zu. Im Fragment //Meinest du, Es solle gehen// wird nach dem Grund gefragt, wie die klassische Antike, die für die Goethezeit zum [[Ideal]] gewordene klassische, vollkommene Schönheit Athens zugrunde ging:\\ Ein anderer Schicksalsverlauf trifft auf das klassische Griechentum zu. Im Fragment //Meinest du, Es solle gehen// wird nach dem Grund gefragt, wie die klassische Antike, die für die Goethezeit zum [[Ideal]] gewordene klassische, vollkommene Schönheit Athens zugrunde ging:\\
  
-//Nemlich sie wollten stiften\\+//sie wollten stiften\\
 Ein Reich der Kunst. Dabei ward aber\\ Ein Reich der Kunst. Dabei ward aber\\
 Das vaterländische von ihnen versäumet und erbärmlich gieng\\ Das vaterländische von ihnen versäumet und erbärmlich gieng\\
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 Dem Untergang der schönen Antike wird eine säkularisierte hesperische Welt entgegensetzt, die - einer Randnotiz folgend – „orbis ecclesiae“ – genannt werden kann. Die griechische Welt ging zwar an eigener [[Schuld]] zugrunde, war aber doch das Land der Schönheit. Selbst die Griechen, die die größte Schönheit hervorbrachten, konnten nicht mit der Zerbrechlichkeit der von ihnen hervorgebrachten Schönheit umgehen. Sie haben nicht erkannt, wie „apokalyptisch“ sie ist, das heißt wie sehr sie ihren Untergang in sich selbst birgt: //„Das bist Du ganz in deiner Schönheit apocalyptica“// – dieser ohne Kontext dastehende [[Vers]] Hölderlins trifft auf sein Griechenland genau zu. Griechenland hat das Schöne mitsamt seiner apokalyptischer Natur der Welt offenbart: Es zeigte das Schöne in seinem Untergang und eben nicht in der [[Unsterblichkeit]] als ewige [[Norm]] (wie Winckelmann oder Schiller dachten).\\ Dem Untergang der schönen Antike wird eine säkularisierte hesperische Welt entgegensetzt, die - einer Randnotiz folgend – „orbis ecclesiae“ – genannt werden kann. Die griechische Welt ging zwar an eigener [[Schuld]] zugrunde, war aber doch das Land der Schönheit. Selbst die Griechen, die die größte Schönheit hervorbrachten, konnten nicht mit der Zerbrechlichkeit der von ihnen hervorgebrachten Schönheit umgehen. Sie haben nicht erkannt, wie „apokalyptisch“ sie ist, das heißt wie sehr sie ihren Untergang in sich selbst birgt: //„Das bist Du ganz in deiner Schönheit apocalyptica“// – dieser ohne Kontext dastehende [[Vers]] Hölderlins trifft auf sein Griechenland genau zu. Griechenland hat das Schöne mitsamt seiner apokalyptischer Natur der Welt offenbart: Es zeigte das Schöne in seinem Untergang und eben nicht in der [[Unsterblichkeit]] als ewige [[Norm]] (wie Winckelmann oder Schiller dachten).\\
-Der Dichter ist in seinem hesperischen [[Vaterland]] also auf doppelte Weise mit den „Ruinen der Antike“ konfrontiert: Er ist einerseits genötigt, eine [[Lehre]] aus dem [[Untergang]] des Griechischen zu ziehen und die Brechungen, die Verzerrungen des Schönen, seine apokalyptische Natur zu akzeptieren. Diese Akzeptanz der verzerrten, zerteilten, ja sogar kranken Schönheit, die aus den Trümmern der klassisch-griechischen Antike uns noch zugekommen ist, und was Hölderlin selbst noch hervorzubringen fähig war, war ihm anscheinend leichter, als sich mit dem Zerrbild einer einst leidenschaftlichen, feurigen, lebensvollen orientalischen, hebräischen Kultur zu begnügen. Diese gegenwärtige hesperische Kultur hat Hölderlin in seinem Brief an Böhlendorff mit einem Sarg verglichen, der zugleich an die Charakterisierung Ägyptens als leblose Kultur der Demütigung, Tyrannei und Häßlichkeit erinnert. Hier, im zitierten Fragment ist das Vaterländische mit dem Profanieren des Wundervollen mit Dürftigkeit anstatt ursprünglichen Reichtums, mit Eintönigkeit und mit belanglosem Geschwätz gleichgesetzt. Aus dem feurig Orientalischen asiatischen Ursprungs wurde eine despotische, formelhafte „ägyptisch“ starre Kulturwelt. Die Orientalisierung des Sophokles sollte also nicht nur das griechische Kunstwerk von der Rigidität seiner Schönheit befreien, sondern das teils verdrängte, teils „ägyptisch“ verzerrte Erbe des Abendlandes im Orient neu beleben.\\+Der Dichter ist in seinem hesperischen [[Vaterland]] also auf doppelte Weise mit den „Ruinen der Antike“ konfrontiert: Er ist einerseits genötigt, eine [[Lehre]] aus dem [[Untergang]] des Griechischen zu ziehen und die Brechungen, die Verzerrungen des Schönen, seine apokalyptische Natur zu akzeptieren. Diese Akzeptanz der verzerrten, zerteilten, ja sogar kranken Schönheit, die aus den Trümmern der klassisch-griechischen Antike uns noch zugekommen ist, und was Hölderlin selbst noch hervorzubringen fähig war, war ihm anscheinend leichter, als sich mit dem Zerrbild einer einst leidenschaftlichen, feurigen, lebensvollen orientalischen, hebräischen Kultur zu begnügen. Diese gegenwärtige hesperische Kultur hat Hölderlin in seinem Brief an Böhlendorff mit einem Sarg verglichen, der zugleich an die Charakterisierung Ägyptens als leblose Kultur der Demütigung, [[Tyrannei]] und Häßlichkeit erinnert. Hier, im zitierten Fragment ist das Vaterländische mit dem Profanieren des Wundervollen mit Dürftigkeit anstatt ursprünglichen Reichtums, mit Eintönigkeit und mit belanglosem Geschwätz gleichgesetzt. Aus dem feurig Orientalischen asiatischen Ursprungs wurde eine despotische, formelhafte „ägyptisch“ starre Kulturwelt. Die Orientalisierung des Sophokles sollte also nicht nur das griechische Kunstwerk von der Rigidität seiner Schönheit befreien, sondern das teils verdrängte, teils „ägyptisch“ verzerrte Erbe des Abendlandes im Orient neu beleben.\\
 Was Hölderlin unter Aufdecken des wahren gemeinsamen orientalischen Fundaments des Griechischen und des Hesperischen meint, würde also in diesem Kontext heißen: Mit dem griechisch verlautbarten aber ursprünglich hebräischen Begriff des „Apokalyptischen“ wird sowohl der griechischen Kultur als auch dem Abendlands jeweils ein neuer Sinn gegeben. Die Erkenntnis von der apokalyptischen Natur der Schönheit kann das Griechentum von ihren falschen modernen Konstrukten befreien, etwa von seiner Wiederbelebung als überzeitlicher Menschlichkeit, die durch die deutsche [[Klassik]] und durch neohumanistische Strömungen immer wieder inszeniert wurde.  Was Hölderlin unter Aufdecken des wahren gemeinsamen orientalischen Fundaments des Griechischen und des Hesperischen meint, würde also in diesem Kontext heißen: Mit dem griechisch verlautbarten aber ursprünglich hebräischen Begriff des „Apokalyptischen“ wird sowohl der griechischen Kultur als auch dem Abendlands jeweils ein neuer Sinn gegeben. Die Erkenntnis von der apokalyptischen Natur der Schönheit kann das Griechentum von ihren falschen modernen Konstrukten befreien, etwa von seiner Wiederbelebung als überzeitlicher Menschlichkeit, die durch die deutsche [[Klassik]] und durch neohumanistische Strömungen immer wieder inszeniert wurde. 
 In bezug auf das Abendland gewinnt das Apokalyptische einen anderen Sinn. In Anbetracht des orientalischen Flammentods, der mit den Städten der ganzen kleinasiatischen Kultur ein Ende setzte, lernt der moderne Dichter eine neue Ernsthaftigkeit. Rauch und Feuer setzten ihm prophetisch ein Zeichen: //„Gott rein und mit Unterscheidung/ Bewahren, das ist uns vertrauet,/ Damit nicht, weil an diesem/ Viel hängt, über der Büßung über einem Fehler/ Des Zeichens/ Gottes Gericht entstehet.“// \\ In bezug auf das Abendland gewinnt das Apokalyptische einen anderen Sinn. In Anbetracht des orientalischen Flammentods, der mit den Städten der ganzen kleinasiatischen Kultur ein Ende setzte, lernt der moderne Dichter eine neue Ernsthaftigkeit. Rauch und Feuer setzten ihm prophetisch ein Zeichen: //„Gott rein und mit Unterscheidung/ Bewahren, das ist uns vertrauet,/ Damit nicht, weil an diesem/ Viel hängt, über der Büßung über einem Fehler/ Des Zeichens/ Gottes Gericht entstehet.“// \\
-Und zuletzt muß noch hervorgehoben werden, daß es beim späten Hölderlin das Hesperische im [[Allgemein]]en überhaupt nicht mehr gibt. Es gibt Unterschiede je nach Ländern, Völkern, geographischen Gesichtspunkten und Landschaften. [[Frankreich]], die Gegend von Bordeaux, lebt „auf den Ruinen des antiquen Geistes“ unter der gleichen Sonne. Zeiten und Kulturräume können sich mythisch miteinander durchaus korrespondieren, das zeitliche Nacheinander des Kulturverlaufs wird durch die dichterische Arbeit an ihm, durch die Arbeit der [[Erinnerung]] verräumlicht, die Segmente unterschiedlicher Kulturen fügen sich zu einer immer neuen Kombination zusammen, bilden „Erinnerungsräume“, in denen Erfahrungsschichten verschiedener Zeiten gleichzeitig präsent sind. Solche synthetische Erinnerungsräume bringen zum Ausdruck, daß das Abendland ohne die Sonne der orientalischen Antike gottlos, geistlos, leblos wird. Es ist bedroht, ein naturfernes, erkaltetes menschliches Konstrukt zu werden, auch wenn es nie die Schönheit und die plastische Kunst der schönsten [[Polis]], Athen, nachzubilden vermag. Das Anderssein der Moderne ist schon dadurch gegeben, daß sie gegenwärtig ist, und der Dichter befindet sich in dieser Zeit, hat an ihr Teil. Die Moderne schien also für Hölderlin schon aus diesem perspektivischen Grunde offen. Hölderlin glaubte, daß die Moderne in ihrer Selbstbestimmung vor Alternativen steht. Er übertrug Bilder und [[Metapher]] des heroischen Untergangs in das Hesperische, wies als eine Alternative das Aufgehen im himmlischen Feuer auf, dessen geschichtliche Dimension in der apokryphen Apokalyptik der späten Hymnen, etwa in den letzten Überarbeitungen von //Brod und [[Wein]]//, und des [[Patmos]] sich entfaltet. Die andere Alternative wird mit dem Bekenntnis verbunden, daß eine Naturnotwendigkeit herrscht, daß die [[Vorstellung]] von Schicksalswahl und Selbstbestimmung eine bloße [[Illusion]] war. \\+Und zuletzt muß noch hervorgehoben werden, daß es beim späten Hölderlin das Hesperische im Allgemeinen überhaupt nicht mehr gibt. Es gibt Unterschiede je nach Ländern, Völkern, geographischen Gesichtspunkten und Landschaften. [[Frankreich]], die Gegend von Bordeaux, lebt „auf den Ruinen des antiquen Geistes“ unter der gleichen Sonne. Zeiten und Kulturräume können sich mythisch miteinander durchaus korrespondieren, das zeitliche Nacheinander des Kulturverlaufs wird durch die dichterische Arbeit an ihm, durch die Arbeit der [[Erinnerung]] verräumlicht, die Segmente unterschiedlicher Kulturen fügen sich zu einer immer neuen Kombination zusammen, bilden „Erinnerungsräume“, in denen Erfahrungsschichten verschiedener Zeiten gleichzeitig präsent sind. Solche synthetische Erinnerungsräume bringen zum Ausdruck, daß das Abendland ohne die Sonne der orientalischen Antike gottlos, geistlos, leblos wird. Es ist bedroht, ein naturfernes, erkaltetes menschliches Konstrukt zu werden, auch wenn es nie die Schönheit und die plastische Kunst der schönsten [[Polis]], Athen, nachzubilden vermag. Das Anderssein der Moderne ist schon dadurch gegeben, daß sie gegenwärtig ist, und der Dichter befindet sich in dieser Zeit, hat an ihr Teil. Die Moderne schien also für Hölderlin schon aus diesem perspektivischen Grunde offen. Hölderlin glaubte, daß die Moderne in ihrer Selbstbestimmung vor Alternativen steht. Er übertrug Bilder und [[Metapher]] des heroischen Untergangs in das Hesperische, wies als eine Alternative das Aufgehen im himmlischen Feuer auf, dessen geschichtliche Dimension in der apokryphen Apokalyptik der späten Hymnen, etwa in den letzten Überarbeitungen von //Brod und [[Wein]]//, und des [[Patmos]] sich entfaltet. Die andere Alternative wird mit dem Bekenntnis verbunden, daß eine Naturnotwendigkeit herrscht, daß die [[Vorstellung]] von Schicksalswahl und Selbstbestimmung eine bloße [[Illusion]] war. \\
  
 //Wohl muß\\ //Wohl muß\\
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 Der [[Sonne]] Peitsch und Zügel. Das will\\ Der [[Sonne]] Peitsch und Zügel. Das will\\
 Aber heißen\\ Aber heißen\\
-Des Menschen Herz betrüblich//.\\+Des Menschen Herz betrüblich.// 
 ==== Tod des Empedokles ==== ==== Tod des Empedokles ====
 - die [[utopie|Todesutopie]] des Schweigens → der Eintritt in den Ätna ist der [[Tod]] im [[Licht]], der Eingang in die Einheit des Unbewußten, das die Natur, vorzüglich in anorganischer Naturschönheit, zu versprechen scheint ([[Bloch]])\\ - die [[utopie|Todesutopie]] des Schweigens → der Eintritt in den Ätna ist der [[Tod]] im [[Licht]], der Eingang in die Einheit des Unbewußten, das die Natur, vorzüglich in anorganischer Naturschönheit, zu versprechen scheint ([[Bloch]])\\
 - setzt das Seelendrama von [[Sophokles]], [[Racine]] und [[Goethe]] fort ([[Dilthey]])\\ - setzt das Seelendrama von [[Sophokles]], [[Racine]] und [[Goethe]] fort ([[Dilthey]])\\
-- der [[Held]] scheitert am Widerspruche der [[Wirklichkeit]], an der Zerstückelung der Welt um sich her (Fahrner)+- der [[Held]] scheitert am Widerspruche der [[Wirklichkeit]], an der Zerstückelung der Welt um sich her (Fahrner)\\ 
 +- hinter der Empedokles-Figur verbirgt sich Jesus, und die ganze Tragödie ist voll von neutestamentlichen Motiven: der Höhepunkt ist der freiwllige Opfertod des Helden für die Seinen, die nun das Göttliche in ihm erkennen können (Erich Franz)
  
  
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 __Frage__: Wie kann der Stoß weitergegeben werden?\\ __Frage__: Wie kann der Stoß weitergegeben werden?\\
 - wenn die Götter die [[Erde]] rufen und im Ruf eine Welt widerhallt und so der Ruf anklingt als Da-sein des Menschen, dann ist [[Sprache]] als Geschichtliches, Geschichte gründendes Wort. (Heidegger)\\ - wenn die Götter die [[Erde]] rufen und im Ruf eine Welt widerhallt und so der Ruf anklingt als Da-sein des Menschen, dann ist [[Sprache]] als Geschichtliches, Geschichte gründendes Wort. (Heidegger)\\
 +- Wer zuerst Hölderlin liest und danach mich, der versteht beides nicht. ([[Heinse]])\\
 - ihm war es wie keinem gelungen, in klassischer [[Form]] die [[Romantik#romantische]] Seele zu binden, ohne daß sie von ihrer Würze verlor ([[Huch]])\\ - ihm war es wie keinem gelungen, in klassischer [[Form]] die [[Romantik#romantische]] Seele zu binden, ohne daß sie von ihrer Würze verlor ([[Huch]])\\
 - Größter der Sehnsucht nach Urbarem\\ - Größter der Sehnsucht nach Urbarem\\
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hoelderlin.1584951747.txt.gz · Zuletzt geändert: 2020/03/23 09:22 von Robert-Christian Knorr