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magdeburgische

MAGDEBURGISCHE

ostfälisches Idiom, vermengt mit Einsprengseln aus der Pfalz (siedelten ab etwa 1700 in Ostfalen), niederdeutschem Platt (dringt seit jeher aus dem Norden ein), dazu geringe Einflüsse durch angesiedelte Hölländer (seit Heinrich dem Löwen bis heute), Rückwirkungen aus dem Ostelbischen und geringe Einflüsse durch Hugenotten (Franzosen, die seit 1688 angesiedelt wurden)

Aussprache und Grammatik

Sprache

Mundart hebt sich im GEGENSATZ zur Hoch- und Schriftsprache nicht nur im Bereich der Lexik ab, sondern auch im SATZBAU und in der Grammatik. Sie wird gesprochen, was eine schriftliche Fixierung nicht unbedingt erleichtert. Im Gegenteil. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, dem Leser die SPRACHE in FORM von SCHRIFT näherzubringen, weshalb versucht wird, die Aussprache durch Buchstaben, WORT und Satz so genau wie möglich wiederzugeben.
Das Magdeburgische ist eine niederdeutsche Sprachform. In der ostfälischen Landschaft gilt das Altsächsische als ursprüngliche Sprachform, die im 6.-8. Jahrhundert von den eindringenden Franken geprägt wurde. (Man darf nicht vergessen, daß MAGDEBURG 805 von den Franken gegründet wurde, um von hier aus die östlichen SLAWEN und umwohnenden OSTFALEN dem eigenen Machtbereich einzuverleiben.) Südöstlich der Region treffen Niederdeutsch und Mitteldeutsch aufeinander.
Magdeburg bildet eine sprachliche Insel, umgeben von „feindlichen“ Gebieten; südlich die hochdeutsche, nördlich die plattdeutsche Kernlandschaft. Magdeburg ist, sprachlich gesehen, ein Grenz- beziehungsweise Übergangsgebiet, wobei sich etwa zehn Kilometer nördlich von Magdeburg die sogenannte ik/ich-Linie entlangzieht, die Benrather Linie. Wer in die EISENBAHN steigt und nach Norden fährt, wird ab Wolmirstedt schon das charakteristische ik der Nordostdeutschen hören. In Magdeburg sagt das keiner. Der Magdeburger sagt ich, mich, dich, palatalisiert, wie das sprachwissenschaftlich heißt, aber er verwendet dabei mit Vorliebe anders als üblich: „jib mich ma de Butter“ oder „mach dich ma den Knopp zu“.
Einflüsse auf die Entwicklung der magdeburger Mundart kamen aus ganz verschiedenen Bereichen. Bis heute kann man die sprachlichen Veränderungen durch die Jahrhunderte verfolgen, weil sie als Spiegel von Geschichte, Kultur, Wirtschaft und Politik der Landschaft geprägt wurden. Einflüsse kamen durch das Meißnische, das Ostmitteldeutsche vom universitären Leipzig, und auch Lehrer, die aus Thüringen, Sachsen, Niedersachsen oder Schlesien kamen, brachten ihre Sprachgewohnheiten nach Magdeburg mit.
Auch über die Handelswege (westlich aus Hannover, Braunschweig, südlich aus Halle und dem Meißnischen, auch aus Franken und Bayern) kamen Eigenheiten verschiedener Dialekte und Sprachformen in unsere Stadt. Selbst von den umliegenden Dörfern, in denen das Platt weit verbreitet war, kamen über die handeltreibenden Bauern sprachliche Besonderheiten nach Magdeburg. Nicht zu vergessen ist die wichtigste Veränderung, die mit der REFORMATION und der Verbreitung des Lutherdeutschen ihren Lauf nahm. Man darf hier nie vergessen: Magdeburg war die Hauptstadt des PROTESTANTISMUS, also auch des Lutherdeutschs und damit URSPRUNG des klassischen DEUTSCH, das noch heute in den Schulen gelehrt werden soll.

Vokale

In der magdeburger Mundart wird kaum ein Vokal so ausgesprochen, wie er in der Schriftsprache auftritt. Bevorzugt werden die dunklen Vokale O und A. Das dunkle, offene A, das auch das Kloare OA genannt wird, wird man als erstes hören, wenn man mit einem Magdeburger spricht (Stroaße oder Boahn). Der Magdeburger jeht oarbeeten oder jlotz nach de Oarmeesen (Ameisen). Das kurze A bleibt, wie es ist (machen, lassen).
Mit den Umlauten treibt der Magdeburger auch so sein SPIEL, entweder spricht er ein Ä, wo keines hingehört (Färbe, inrähmen) oder er wandelt das kurze Ä zum A (uffjewarmt, vorwarts). Das lange Ä bleibt erhalten (Säbel).
Ein weiteres, sehr auffälliges Merkmal des Magdeburgischen ist die Aussprache des AU, das zum langen O wird. Er sagt also loofen und ooch. AU tritt aber auch als U auf, wie bei uff oder druff; daneben findet sich die normale Form in FRAU, jenau oder blau. Das kurze E wird in Endungen gern verschluckt (machn, sagn, jehn), in Vorsilben tritt es als das dunkle, offene auf (varloofen). Außerdem wird das kurze E als (Arbse, Tarrine), das lange e als Ä (Bäsen, fäjen) gesprochen.
Das I findet wenig Verwendung, es wird entweder als U wie in Kursche oder Burne oder aber normal in wiste (willst du) oder biste (bist du) gebraucht. Ein IE kann zum U beziehungsweise Ü (Vürtel) oder verkürzt wie in disse (diese, weiches s), aber auch normal verwendet werden wie in Wiese.
Wörter wie eens, beede, Beene, kleen, keener, ich wees sind typisch für Magdeburg. Das EI wird zum langen E, wobei wieder einige Formen wie im Hochdeutschen auftreten (Seil, Schwein). Am Wortanfang wird es zu einem I (inkoofen, rinbringen) und manchmal tritt das EI als EU wie in jescheut (gescheit) auf. EU selbst wird dahingegen oft als EI gesprochen (neie Neistadt, Beitel).
Das O kann als kurzes O in kommste (kommst du), als U (vull), als A (Kammode) oder als E (abselut, deste mehr) auftreten. Ein Ö wird häufig ersetzt durch ein langes E, so daß es Keenich, bleede, Eel und scheen heißt.
Auch beim U gibt es die verschiedensten Verwendungsformen. Es kann als O (Blome, Broder) oder als E (simmelieren, akerat) gesprochen werden. Als Umlaut wird das Ü zum kurzen U wie in markwurdisch (merkwürdig), Tute oder Schurze; oder zum langen I/IE wie in Bricke, Sticke, zerick, Biecher, Bliete.

Konsonanten

Die hervorstechendste Eigenschaft des Magdeburgischen liegt wohl in der Aussprache des G. Es wird fast immer als J gesprochen, so daß so schöne Sätze entstehen wie Jünther jeh in Jarten, es jibt jriene Jorken oder Jürgen jehts jarnich jut.
Magdeburg weist gleich zwei weitere Aussprachemöglichkeiten auf, zum einen das G als hartes CH (Machteburch) und weich als CH (Machteburch). Weiterhin wird das G als R gesprochen wie in Larer, Oore (Auge) oder betraren. In der Verbindung -ng bleibt es wie bekannt und bei -ig wird es zum sch (lieblisch).
Seine Probleme hat der Magdeburger bei der Aussprache des Z das eher schwach als scharfes S oder ß gesprochen wird (ßucker, ßeitung, ßijarre).
Das C spricht der Magdeburger als Z beziehungsweise z, es heißt bei ihm Tsenter oder Tsent.
Konsonantenverdoppelung oder Vokalverkürzung sind auch häufiger anzutreffen, es heißt dann ribber (rüber), widder (wieder), ville (viel). Auch werden Buchstaben ersetzt, zum Beispiel D für T (Daler, doll), T für D (Tusche), P für B (Präzel, Puckel), B für P (Borree), K für G (kucken, Klucke). Das PF wird grundsätzlich nur als F (Flanze, Flaster) oder als P beziehungsweise PP (Proppen, Topp, Poten, schimpen) ausgesprochen. Das F tritt in Wörtern wie Stiebel oder Deibel als B auf. Nf wird zu MF in Semf und fümf.
In Magdeburg heißt es Schina, das K wird zum weichen CH (Marcht) und ein knackiges Sch in Wurscht oder Durscht ersetzt das S.
Doch auch bei der GRAMMATIK macht es sich der Magdeburger einfach und quasselt, wie es ihm paßt.

Artikelbenutzung und Rektion

Der Magdeburger verwendet kaum einen Artikel richtig. Vielen Wörtern gibt er einen falschen Artikel, was aber von einer gewissen Regelmäßigkeit gekennzeichnet ist. So sagt er zum Beispiel der Jas, der Auto, die Pendale, die Pelz, das Draht, das Flicken. Oder er läßt den Artikel ganz weg und sagt: „er hat in Keller Kartoffeln zu lijen“ oder „ich jeh in Bette“.
Eine andere MÖGLICHKEIT, den Artikel zu umgehen, ist die Verwendung von nach statt zu. So heißt es: „ich jeh nach Stadt“ (mits Rad nach Stadt) oder „ich fahr nach Opa“.
Auch ist der Magdeburger nicht bestrebt, Artikel so zu verwenden, wie sie andere im deutschen Sprachraum verwenden; man könnte auch von einer Dativ-Schwäche sprechen, wenn man hört: „An das Auto is nischt kaputt.“ oder „Das Kind jeht es jut.“
Ähnlich verhält es sich bei der Verwendung von mir und mich beziehungsweise bei der Verdrängung des 3. durch den 4. Fall. So heißt es: jib mich ma, das kann ich dich sagen, merk dich das oder das läßt mich keene Ruhe. Genauso ist es bei den Präpositionen: komm bei mich, das habe ich von die Oma, ich liege ins Bett, bei diese Jelejenheit oder in unser Haus. Aber es tritt auch der umgekehrte Fall auf, in welchem der Dativ den Akkusativ verdrängt. Beispiele hierfür sind: ich habe mir versprochen, ich habe Ihnen gesehen, du hast dir bedankt, frag ihm mal, das jeht dir jarnischt an, ohne dem Hund, wir wolln ihr ma besuchen usw.
Der zweite Fall scheint wenig beliebt beim Magdeburger und wird daher durch eigenwillige Formen ersetzt. Es heißt: die Tochter von der Frau, das Haus von mein(en) Opa, seine Mutter ihr Kleid, mein Vater sein Hut, wem seine Brille oder meine Oma seine Schuhe.

Mehrzahlbildung und Verhältniswörter

Eigen ist die Gestaltung der Mehrzahl im Magdeburgischem. Bei der Mehrzahl mit -s heißt es dann Frauens, Dingers; mit der Nachsilbe -sch Doktorsche, Müllersche, und mit -r entstehen Wör-ter wie Rester, Stöcker. Das -n am Ende bringt Wörter wie Löffeln, Stiebeln oder Rosten hervor. Dazu kommen noch ganz eigenwillige Mehr-zahlbildungen wie Kaktusse, Atlasse, Lexikone, Kroküsse…
Bei als und wie hat der Magdeburger auch seine eigenen Gesetzlichkeiten entwickelt. Er nimmt das wie für das als bei Formulierungen wie wie ich hin kam, wie ich da war oder bei Vergleichen wie größer wie du. Andererseits nimmt er auch gern das als für das wie: jenauso groß als ich. Wenn er sich nicht entscheiden kann, klingt das so: als wie wenn ich oder als wie wenn als ob. Das als wird aber auch durch ein wo ersetzt, was in folgenden Fällen auftritt: wo ich zur Oma kam oder wo ich gerade anfing. Wo wird außerdem als Ersatz für über oder wozu genutzt, z.B. eine Sache, wo ich mich drüber ärgerte oder wo ich kein Vertrauen zu habe. Daß ist recht beliebt in Magdeburg, ersetzt zum Beispiel das Wörtchen damit und wird auch sonst gern eingeschoben: daß das besser klappt, je doller daß das weh tut. Damit wiederum steht für mit ihm beziehungsweise mit ihr, so daß es heißt mußte ma damit reden.
Noch viel lieber benutzt der Magdeburger das Wort da an allen möglich Stellen: da muß ich was zu sagen oder da kann man nischt dran ändern. Auch womit, wovon und weswegen werden durch ein was ersetzt, also mit was ich fuhr, von was ich sprach oder wegen was ich lachte. Zwei schöne Beispiele gibt es für die Verwendung eines Adverbs als Adjektiv, nämlich bei oft und ganz, deren Anwendung wie folgt auftritt: keen noch so oftes Ibberpriefen hilft oder das is eene janze verrickte Jeschichte.
Statt diejenigen, die oder welche, die sagt der Magdeburger nur die (die das machen statt diejenigen, die das machen). Auch ein jemand wird gern nur als wer bezeichnet: Hat noch wer ne Frare?

Zeitformen und Partizipalkonstruktionen

Leicht macht es sich der Magdeburger bei der Anwendung des Partizips II, wobei er sich selten an die grammatikalischen Regeln hält. Denn er sagt sie hat mich jebittet, ich habe es aufjehangen, ich bin jerennt, er hat sich uffjedrungen, wir haben jeeßt. Auch beim Präteritum sieht es ähnlich aus. Es finden sich Formen wie ich kriechte, ich hängte, er werfte, er schlagte, sie trinkte, sie fliegte usw.
Eine weitere Eigenheit des Magdeburgischen ist wohl das Zusammenziehen von Pronomen und Verb, wobei zum Beispiel das du, ihr oder wir mit dem entsprechenden Verb folgendermaßen gebildet wird: wiste, haste, kannste, mußte; habter, könnter, wollter, seiter; hammer, wollmer, könnmer, machmer. Weiterhin wird hastn, kannstn usw. für hast du einen, kannst du einen gebildet. Aus was machst du wird was dusten und aus wenn du, ob du wird wennste und obste.

Andere Besonderheiten

Der Magdeburger kürzt sehr gern, zum Beispiel bei Endungen (sons, rein Wein) oder mitten im Wort (Hanschuh, Flaumkuchn). Dagegen hängt er vielen Wörtern auch gern noch etwas an. Anhängsel und Einschübe werden zum Beispiel gebildet mit T (ebent, anderst), mit S (unterwejens, Zeichs), mit E (ofte, rosane), mit R (Karnal), mit N (Pendalen, Werningerode) und seltener mit NE (nischt zu dune, sehne).
Für nein und nicht gibt es einige Variationen, wobei ein Hang zur Verdoppelung spürbar wird, wenn es heißt: niemals nich, nie nich, nichts nüscht, kein nichts, kein jarnüscht, für nüscht und widder nüscht usw. Das Wörtchen man ist recht beliebt. Es kann nur oder mal ersetzen beziehungsweise als Verstärkung oder Worteinstreuung dienen: komm mich man nach Hause, was haste denn man, ich meine man bloß, wie siehste denn man aus.
Und schlußendlich heißt es in Magdeburg viertel, halb, dreiviertel und einfach um 6, wobei hier sowohl morgens als auch abends gemeint sein kann.
und zuletzt… Wie buchstabiert der Magdeburger FACKELN?

F wie Ferd (PFERD)
A wie Arbse (Erbse)
C wie Quark, zwee Mal
E wie Eel (Öl)
L wie Lektrische (elektr. Straßenbahn)
N wie N’abend (Guten Abend) (Kilian)

magdeburgische.txt · Zuletzt geändert: 2024/01/20 15:21 von Robert-Christian Knorr