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SPRACHGESELLSCHAFT

Essay zu "Sprachgesellschaften"

Wie sah das kulturelle LEBEN im 17. Jahrhundert aus? - Neben einigen Hochburgen literarischen Schaffens wie Halle (Saale), Glücksstadt und Wolfenbüttel, Schlesien oder Heidelberg sah es für die deutsche LITERATUR finster aus. Das ist ein ökonomisches Problem. Schriftstellernaturen hatten wir genug, aber sie waren mit dem Verdienst des Lebensunterhalts vollauf beschäftigt. Die humanistischen Institutionen wie SCHULE, UNIVERSITÄT und Kanzlei erwiesen sich als zu eng. So entstanden Gesellschaften, Vereinigungen von Gleichgesinnten, die sich mit Sprache und Literatur beschäftigten, mit SITTE und Anstand. Teils waren sie mit den kulturellen Zentren verwoben, teils übereilt ins Leben gerufen worden, teils überspannten sie die lokalen Gegebenheiten. Ihr Organisationsgrad war außerordentlich unterschiedlich, ist also nur von Fall zu Fall zu bestimmen; die Festigkeit und der institutionelle CHARAKTER der Vereinigungen fielen sehr unterschiedlich aus.
In den Gesellschaften gewannen wesentliche Gegebenheiten des Jahrhunderts Gestalt, in ihrer Differenziertheit schlugen sich die Unterschiede der Regionen nieder. Am Ende spielen die Charaktere der bestimmenden Mitglieder eine wichtige Rolle für ihre literaturwissenschaftliche Bewertung, diese Einzelmitglieder sind oft wichtiger als der institutionelle Rahmen.
Gesellschaften sind kein deutsches PHÄNOMEN. Überall in EUROPA entstanden solche Zusammenschlüsse: 1560 in Neapel, 1603 in Rom, 1666 in Paris, 1650 in London, 1652 in Wien… An diesen meist naturphilosophisch orientierten Gesellschaften muß sich die literarische messen, und gegen sie nehmen sie sich sehr bescheiden aus. In den Sprachgesellschaften zeigt sich ein soziales Profil. In ihnen versammelt sich nämlich ein charakteristischer Ausschnitt der Gesellschaft des 17. Jahrhunderts: humanistische Gelehrte, Vertreter des absolutistischen Staates, Kaufleute (diese spielten eine minimale Rolle, traten aber ab dem 18. Jahrhundert um so stärker hervor, so daß es wie in HAMBURG oder in der Schweiz zu Neugründungen kam). Vor allem vereinigten sich die humanistischen deutschen Gelehrten und gleichgesinnte Adlige. In Orten, wo der ADEL nicht präsent war, blieben die Gelehrten unter sich und orientierten sich eher an schon bestehenden Institutionen wie Schule oder Universität oder vorhandenen städtischen Gesellschaftsformen. Das gab den deutschen Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts ein eher konservatives Gepräge. Diese damals erstmals eingegangene Allianz zwischen Staat und literarischen Intellektuellen prägt die deutsche Literatur bis heute.
Im LEHRPLAN des Tübinger Collegium Illustre, einer 1592 eingeweihten Ritterakademie, behaupteten die gelehrten Studii neben den ritterlichen Übungen schon ihren Platz. Aus aus der PERSPEKTIVE der Gelehrten formulierte sich dieses Bündnis zum schönen Bild. Das zeigt ein Emblem, das Peter Ißelberg für den Schmackhaften, ein Mitglied der Frankfurter Gesellschaft, gestochen hat und auf dem eine Sitzung der Assoziation dargestellt ist.
Damit ist eine soziale ORDNUNG eingezeichnet, die der nobilitas literaria. Unter einem fruchttragenden BAUM, dem Sinnbild menschlicher BILDUNG und guter Anlagen, scharen sich Mitglieder der Gesellschaft um die Tafel. Am Kopf sitzt der Leiter: Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen; ihm zur Rechten der Bedachte, dann in gleichberechtigter Runde die tafenlden Mitglieder. In ihrer Hoftracht sehen sie aus, als habe sich eine Runde nobler Heroen mit ihrem Fürsten freudig vereinigt. Standesunterschiede sind aufgehoben, und zwar dadurch, daß jedes Mitglied einen Gesellschaftsnamen bekam, der den realen STAND verbarg: OPITZ: der Gekrönte; GRYPHIUS: der Unsterbliche, dazu Emblem und Devise. Ein adliger Status wurde trotzdem angestrebt, Opitz von Boberfeld, um ein Beispiel von vielen geadelten Poeten zu nennen. Die Poeten waren auch staatliche Missionare, sie traten als Gesandte, Sekretäre, Hofhistographen auf. Fruchtbringende Gesellschaften waren Orte, die als Prototypen dieser gelehrt-absolutistischen, literarisch-staatlichen Allianz gelten können.
Diese Form der Verbindung trat erstmals in Paris auf. 1548 hatten sich in Paris Rousard, de Baif, des Ballay u.a. zur „Plejade Francaise“ zusammengeschlossen. 1582 gründete sich in FLORENZ eine „Accademia della Crusca“ (Crusca = KLEIE). Diese Florentiner Gesellschaft kann als die Mutter der deutschen Sprachgesellschaften gelten.
Fürst Ludwig trat 1600 in Florenz der Accademia bei. 1617 hat er dann in Weimar (Schloß Hornstein), wo sein Neffe Johann Ernst von Sachsen-Weimar regierte, die „Fruchtbringende Gesellschaft“ nach diesem Florentiner Ebenbild gegründet. Diese Gesellschaft bestand bis 1680 und hatte zu ihrer besten Zeit 800 Mitglieder. 1650 starb der Fürst, was auch das Ende der freizügigen Mitgliedsbestimmungen bedeutete, so daß die Gesellschaft in ihren letzten dreißig Jahren zu einem reinen Adelsklub verschrumpfte.
Alles, was damals Rang und Namen besaß, sah man in ihren Reihen.
Ziele:

  • Pflege der MUTTERSPRACHE
  • Ausbildung einer einheitlichen deutschen Gemeinsprache
  • Schaffung der deutschen GRAMMATIK, die nicht nur Sprachform und -norm regelte, sondern darüber hinaus eine SPRACHPHILOSOPHIE bot und
  • die Zusammenstellung eines deutschen Wörterbuches.

Es wurde viel gestritten, aber über die Ziele war man sich einig.
Die Gesellschaft war angesehen und einflußreich, aber ihre KRAFT reichte nicht aus, den deutschen Literaturbetrieb zentralistisch und flächendeckend zu organisieren. Außerdem rivalisieren Poeten. Viele Köpfe anderer Gesellschfaten waren Mitglieder der Fruchtbringenden Gesellschaft und wirkten in deren Aktivitäten hinein. So ergab sich ein komplexes Netz von Kreuz- und Querverbindungen, das einen großen Teil der literarischen Intelligenz miteinander verknüpfte und zugleich eine Bildung regionaler Zentren erlaubte.
Nicht immer war die ARBEIT das, was wir im Sinne eines positiven Fortschreitens der Literatur erfolgreich nennten. 1644 gründeten in Nürnberg bei einer Hochzeit zwei Poeten (HARSDÖRFFER und Klaj) den noch heute existierenden „Löblichen Hirten- und Blumenorden an der Pegnitz“. Etwa zeitgleich entstand in Königsberg ein vom Domorganisten gegründeter Verein namens „Kürbishütte“. Sie versammelten sich im Sommer im Garten des Domorganisten und schnitzten in ihren Kürbissen: Symbole, die schnell wachsen und schnell vergehen, dazu Verse, für die das gleiche galt.
Doch neben diesen spießigen Besonderheiten besaßen alle ein Ziel: sie wollten die deutsche Sprache und POESIE verbessern. Das alles verkam aber mit der Zeit, so daß später gegründete Sprachgesellschaften nur noch den privaten Neigungen ihrer Mitglieder entsprachen.

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