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vernunft_vs._glauben

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 Es dauerte bis 1880, als endlich Hamanns Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Geistes erkannt wurde. So bezeichnete Jakob Minor 1881 Hamann als das Ferment, welches die deutsche Literatur in Gärung versetzte , was wohl insonderheit auf Goethe gemünzt sein dürfte, der Hamann bereits 1771 [[schätzen]] lernte, allerdings keinen Kontakt zum sehr viel Älteren suchte, was seinen Hauptgrund wohl darin besessen haben dürfte, daß Hamanns tiefempfundene Religiosität den jungen Stürmer Goethe abstieß.\\ Es dauerte bis 1880, als endlich Hamanns Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Geistes erkannt wurde. So bezeichnete Jakob Minor 1881 Hamann als das Ferment, welches die deutsche Literatur in Gärung versetzte , was wohl insonderheit auf Goethe gemünzt sein dürfte, der Hamann bereits 1771 [[schätzen]] lernte, allerdings keinen Kontakt zum sehr viel Älteren suchte, was seinen Hauptgrund wohl darin besessen haben dürfte, daß Hamanns tiefempfundene Religiosität den jungen Stürmer Goethe abstieß.\\
 Zu Hamanns Lebenszeiten mag es insgesamt leichter als heute gewesen sein, die Anspielungen zu verstehen, sofern denn jemand versucht hätte, seine Bücher zu lesen. Unser säkularisiertes Zeitalter läßt uns manches nicht erraten, uns manche alttestamentarische Methode, die Wahrheit zu ziselieren, nicht erkennen. Wir erkennen das Typologische selten genug im von Hamann gemeinten Kontext und suchen Allgemeingültigkeit, die es nicht gibt. Daß Hamann auf in der Zukunft geschehene Vorgänge hinarbeitet, ist denkwürdig genug. Es sind Gerechtigkeitsphantasien und Vorschmäcke (Hamann benutzte das Wort Vorschmack statt Vorgeschmack), Vor-Bilder, die durch eine Einst-Klammer verbunden werden, aber dunkel bleiben müssen. Der Magus ist kein Typolog-, sondern Allegoriker. Er benutzt Masken (Verhüllungen), die er [[Ironie]] nennt. Wir verstehen heute die Ironie als ein nah am Zynischen bewegtes Bild und können Hamann nicht stilistisch folgen.\\ Zu Hamanns Lebenszeiten mag es insgesamt leichter als heute gewesen sein, die Anspielungen zu verstehen, sofern denn jemand versucht hätte, seine Bücher zu lesen. Unser säkularisiertes Zeitalter läßt uns manches nicht erraten, uns manche alttestamentarische Methode, die Wahrheit zu ziselieren, nicht erkennen. Wir erkennen das Typologische selten genug im von Hamann gemeinten Kontext und suchen Allgemeingültigkeit, die es nicht gibt. Daß Hamann auf in der Zukunft geschehene Vorgänge hinarbeitet, ist denkwürdig genug. Es sind Gerechtigkeitsphantasien und Vorschmäcke (Hamann benutzte das Wort Vorschmack statt Vorgeschmack), Vor-Bilder, die durch eine Einst-Klammer verbunden werden, aber dunkel bleiben müssen. Der Magus ist kein Typolog-, sondern Allegoriker. Er benutzt Masken (Verhüllungen), die er [[Ironie]] nennt. Wir verstehen heute die Ironie als ein nah am Zynischen bewegtes Bild und können Hamann nicht stilistisch folgen.\\
-Als Hamann 1759 mit den „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ in winziger Auflage ins Licht der literarischen Öffentlichkeit trat, geschah dies als „Liebhaber der langen Weile“, so daß ihn die Rädelsführer der pragmatischen Aufklärung, die um 1760 zunehmend das Sagen in der deutschen Gelehrtenrepublik hatten, der Rubrik der Spötter und Verneiner subsumierten. Die Aufklärer spürten Widerspruch, der ihnen einen ihrer Gralshüter (Sokrates) – diese Stilikone rationalistischer Weltwahrnehmung – wegriß und zum Vor-Bild der obwaltenden Vernunftohnmacht  modelte. Sokrates war für Hamann ein Vorbote christlich-paulinischen Erkenntnisdranges und kein rationalisierter Sophist mit Aufklärungspathos. Sokrates war für Hamann nur als Ganzes verstehbar und so mußte das Menschsein auch vermittelt werden, als Ganzheit! Sokrates wollte Vorurteile wegräumen, die den Menschen daran hinderten, seinem Wesen zu entsprechen, dieses zu entwickeln. Es ging ihm nicht um Weisheitsvermittlung und unabdingbare Postulate zum praktischen Gebrauch der Vernunft. Ja, er verneinte das Streben nach der alleinigen [[Herrschaft]] der Vernunft, diesen neuen Diktator des Zeitalters, der die Menschen nicht weniger gängelte als die überwundene Herrschaft des Buchstabenglaubens. Anmaßung ist beides. Hamanns Gegenkonzept nimmt das klassische Humanitätsideal vorweg, allerdings in einem Punkt stärker als dieses auf die Auslebung des Gemüts, das Zusammenwirken von Herz, Geist und Zuversicht gemünzt. Es ist dies ein wiedergebärendes Schreiben, Palingenesie, ein eine geistige Gestalt schaffendes Schreiben, das sich aus der Ehrfurcht vor dem eingeborenen Wort (Daimonium) speist. Hamann führt seine Leser an einen Punkt, der es ihnen erleichtern würde, das [[Evangelium]] zu hören: Liebet einander und dividiert euch nicht auseinander! Gebraucht euer Herz, aus dessen unmittelbarer Anschauung der Born der Sprache und Poesie quillet, die allein die [[Muttersprache]] des Menschengeschlechts abgibt. Des Menschen Tun ist begrenzt und nicht unbegrenztes Walten. Prüft alles Tun! Fragen begleitet, aber der Mensch gewinnt Sicherheit durchs Daimonium, er forscht und hebt das Gute zutage, aber er wird es nicht heben, weil er seinem Verstand vertraut. Denn der ist trügerisch und führt nur zum Nicht-Wissen. \\+Als Hamann 1759 mit den „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ in winziger Auflage ins Licht der literarischen Öffentlichkeit trat, geschah dies als „Liebhaber der langen Weile“, so daß ihn die Rädelsführer der pragmatischen Aufklärung, die um 1760 zunehmend das Sagen in der deutschen Gelehrtenrepublik hatten, der Rubrik der Spötter und Verneiner subsumierten. Die [[Aufklärer]] spürten Widerspruch, der ihnen einen ihrer Gralshüter (Sokrates) – diese Stilikone rationalistischer Weltwahrnehmung – wegriß und zum Vor-Bild der obwaltenden Vernunftohnmacht  modelte. Sokrates war für Hamann ein Vorbote christlich-paulinischen Erkenntnisdranges und kein rationalisierter Sophist mit Aufklärungspathos. Sokrates war für Hamann nur als Ganzes verstehbar und so mußte das Menschsein auch vermittelt werden, als Ganzheit! Sokrates wollte Vorurteile wegräumen, die den Menschen daran hinderten, seinem Wesen zu entsprechen, dieses zu entwickeln. Es ging ihm nicht um Weisheitsvermittlung und unabdingbare Postulate zum praktischen Gebrauch der Vernunft. Ja, er verneinte das Streben nach der alleinigen [[Herrschaft]] der Vernunft, diesen neuen Diktator des Zeitalters, der die Menschen nicht weniger gängelte als die überwundene Herrschaft des Buchstabenglaubens. Anmaßung ist beides. Hamanns Gegenkonzept nimmt das klassische Humanitätsideal vorweg, allerdings in einem Punkt stärker als dieses auf die Auslebung des Gemüts, das Zusammenwirken von Herz, Geist und Zuversicht gemünzt. Es ist dies ein wiedergebärendes Schreiben, Palingenesie, ein eine geistige Gestalt schaffendes Schreiben, das sich aus der Ehrfurcht vor dem eingeborenen Wort (Daimonium) speist. Hamann führt seine Leser an einen Punkt, der es ihnen erleichtern würde, das [[Evangelium]] zu hören: Liebet einander und dividiert euch nicht auseinander! Gebraucht euer Herz, aus dessen unmittelbarer Anschauung der Born der Sprache und [[Poesie]] quillet, die allein die [[Muttersprache]] des Menschengeschlechts abgibt. Des Menschen Tun ist begrenzt und nicht unbegrenztes Walten. Prüft alles Tun! Fragen begleitet, aber der Mensch gewinnt Sicherheit durchs Daimonium, er forscht und hebt das Gute zutage, aber er wird es nicht heben, weil er seinem Verstand vertraut. Denn der ist trügerisch und führt nur zum Nicht-Wissen. \\
 Ein Signalwort: Nicht-Wissen ist Glauben. Hamann will statt Wissen Verstehen erzeugen, v.a. das unserer selbst, denn jeder erlebt sich zutiefst und kennt kein Analogon, also keine Allgemeingültigkeit. Er beschreibt ein Wissen, das nicht objektiv erworben werden kann, wie dies die Aufklärer seiner Zeit im Sinne hatten. Wer zugibt, etwas nicht zu wissen, kann das auf ein reines Faktum beschränken oder den Grad des Nicht-Wissens dahingehend erhöhen, daß er es als Ich weiß, daß ich nichts weiß verkündet, was zugleich Selbstbesinnung und Selbstauftrag ist, nämlich, ein Bewußtsein seines Nichtwissens zu besitzen, ein Paradoxum, welches wie eine Art Hefe den Prozeß der [[Selbsterkenntnis]] begärt.\\ Ein Signalwort: Nicht-Wissen ist Glauben. Hamann will statt Wissen Verstehen erzeugen, v.a. das unserer selbst, denn jeder erlebt sich zutiefst und kennt kein Analogon, also keine Allgemeingültigkeit. Er beschreibt ein Wissen, das nicht objektiv erworben werden kann, wie dies die Aufklärer seiner Zeit im Sinne hatten. Wer zugibt, etwas nicht zu wissen, kann das auf ein reines Faktum beschränken oder den Grad des Nicht-Wissens dahingehend erhöhen, daß er es als Ich weiß, daß ich nichts weiß verkündet, was zugleich Selbstbesinnung und Selbstauftrag ist, nämlich, ein Bewußtsein seines Nichtwissens zu besitzen, ein Paradoxum, welches wie eine Art Hefe den Prozeß der [[Selbsterkenntnis]] begärt.\\
 Damit verließ Hamann die Gelehrtenrepublik. Er war keiner der altgedienten theologischen Schwärmer, kein Fürstendiener und keiner der Aufklärer. Er saß zwischen allen Stühlen. Wäre er früh gestorben oder hätte Gedichte geschrieben, würden wir ihn heute in sämtlichen Schulbüchern als Unverstandenen zu preisen haben. So aber! Wer den [[Spott]] als Mittel benutzt, zudem dunkel und hermetisch bleibt, sozusagen ein Ideal des Nichtwissens aufstellt, der wird seine Zeit kaum überleben, taugt nicht als Lieferant von Schulbuchtexten und wird mit seinem Spott schon zu seiner Zeit begraben; es sei denn, ihn findet ein nachgeborener Großer nachdenkenswert, dann könnte er es doch noch weit bringen.\\ Damit verließ Hamann die Gelehrtenrepublik. Er war keiner der altgedienten theologischen Schwärmer, kein Fürstendiener und keiner der Aufklärer. Er saß zwischen allen Stühlen. Wäre er früh gestorben oder hätte Gedichte geschrieben, würden wir ihn heute in sämtlichen Schulbüchern als Unverstandenen zu preisen haben. So aber! Wer den [[Spott]] als Mittel benutzt, zudem dunkel und hermetisch bleibt, sozusagen ein Ideal des Nichtwissens aufstellt, der wird seine Zeit kaum überleben, taugt nicht als Lieferant von Schulbuchtexten und wird mit seinem Spott schon zu seiner Zeit begraben; es sei denn, ihn findet ein nachgeborener Großer nachdenkenswert, dann könnte er es doch noch weit bringen.\\
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 Hamann haßte das ganz offensichtlich. \\ Hamann haßte das ganz offensichtlich. \\
 Er liebte dagegen die aufbauenden Wissenschaften, die nach den Ursprüngen fragen, die die Knochen bereitstellen, an denen ein fleißiges Gemüt wie er selbst nagen könne; sie seien das Ei, worüber (!) er brüte.\\ Er liebte dagegen die aufbauenden Wissenschaften, die nach den Ursprüngen fragen, die die Knochen bereitstellen, an denen ein fleißiges Gemüt wie er selbst nagen könne; sie seien das Ei, worüber (!) er brüte.\\
-Das Maßgebliche zur Sprache schrieb Hamann in „Kreuzzüge des Philologen“ nieder. Die Sprache basiert Hamann auf der Erfahrung, die Generationen übergreift; sie steht in einem Wechselverhältnis zur [[Tradition]], dem Überkommenen. Das sinnliche Empfinden geht eine Wechselbeziehung mit dem Überkommenen ein und bildet dieses weiter aus. +Das Maßgebliche zur Sprache schrieb Hamann in „Kreuzzüge des Philologen“ nieder. Die Sprache basiert Hamann auf der Erfahrung, die Generationen übergreift; sie steht in einem Wechselverhältnis zur [[Tradition]], dem Überkommenen. Das sinnliche Empfinden geht eine Wechselbeziehung mit dem Überkommenen ein und bildet dieses weiter aus. \\
 Eine herdersche Subordination der Sprache unter den Gestaltungswillen Gottes in jeder Sprache könnte hier vermutet werden, wobei Herder im Gegensatz zu Hamann die natürliche Herkunft der Sprache betont, gleichwohl Sprache und Kultur als Artikulationen Gottes betrachtet, also doch wie Hamann metaphysisch präludiert. \\ Eine herdersche Subordination der Sprache unter den Gestaltungswillen Gottes in jeder Sprache könnte hier vermutet werden, wobei Herder im Gegensatz zu Hamann die natürliche Herkunft der Sprache betont, gleichwohl Sprache und Kultur als Artikulationen Gottes betrachtet, also doch wie Hamann metaphysisch präludiert. \\
-Sprache gibt für Hamann das bewegliche Denken wieder und ist Organ der Erkenntnis, Mutter von Vernunft und Offenbarung, quasi eine contradictio in adiecto. Um allgemeines Verständnis zu erzeugen, müßte man den Schlüssel der apokalyptischen Engel besitzen, die in den [[Abgrund]] stoßen und die Erwählten sondern. Doch wer darf einen solchen Schlüssel behaupten? Nein, der Ursprung der Sprache liege bei Gott, aber die Menschen besitzen über viele Generationen gewachsene Urmuster, die ihnen bei ihrer Welterfassung hülfen und gleichsam die Schöpfungsgeheimnisse poetischer Texte erzeugten, die wiederum von Generation auf [[Generation]] weitergetragen würden. Die Poesie liege vor der pragmatischen Nutzung der Sprache, sie sei die Muttersprache des menschlichen Geschlechts, die, so möchte angemerkt werden, durch Schulmeister aus den Köpfen der Lernenden ausgetrieben werden soll, damit sie funktionierende Rädchen im Weltgetriebe werden. Damals wie heute.+Sprache gibt für Hamann das bewegliche Denken wieder und ist Organ der Erkenntnis, Mutter von Vernunft und Offenbarung, quasi eine contradictio in adiecto. Um allgemeines Verständnis zu erzeugen, müßte man den Schlüssel der apokalyptischen Engel besitzen, die in den [[Abgrund]] stoßen und die Erwählten sondern. Doch wer darf einen solchen Schlüssel behaupten? Nein, der Ursprung der Sprache liege bei Gott, aber die Menschen besitzen über viele Generationen gewachsene Urmuster, die ihnen bei ihrer Welterfassung hülfen und gleichsam die Schöpfungsgeheimnisse poetischer Texte erzeugten, die wiederum von Generation auf [[Generation]] weitergetragen würden. Die Poesie liege vor der pragmatischen Nutzung der Sprache, sie sei die Muttersprache des menschlichen Geschlechts, die, so möchte angemerkt werden, durch Schulmeister aus den Köpfen der Lernenden ausgetrieben werden soll, damit sie funktionierende Rädchen im Weltgetriebe werden. Damals wie heute.\\
 Wer die Sprache so begreift, wird in deren auf Nutzen gemünzten vernünftelnden Gebrauch nur Ursprungssinnveränderung erblicken können. Wer die Sprache so begreift, der muß sich aber auch fragen lassen, ob das Wort Gottes vom Ursprung der Sprache verschieden sei, weiter auch, ob es poetisch gewesen, noch weiter, ob der ursprüngliche Sprachnutzer es überhaupt verstehen konnte oder ob das Wort sich nur in die Seele des Menschen einritzte und der alsdann über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel seines begrenzt arbeitenden Verstandes eine Dechiffrierung vornimmt, die eben nur unzureichende Ergebnisse zeitigen muß.\\ Wer die Sprache so begreift, wird in deren auf Nutzen gemünzten vernünftelnden Gebrauch nur Ursprungssinnveränderung erblicken können. Wer die Sprache so begreift, der muß sich aber auch fragen lassen, ob das Wort Gottes vom Ursprung der Sprache verschieden sei, weiter auch, ob es poetisch gewesen, noch weiter, ob der ursprüngliche Sprachnutzer es überhaupt verstehen konnte oder ob das Wort sich nur in die Seele des Menschen einritzte und der alsdann über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel seines begrenzt arbeitenden Verstandes eine Dechiffrierung vornimmt, die eben nur unzureichende Ergebnisse zeitigen muß.\\
 Ein Mensch, der den poetischen Grund der Sprache leugne und sie zu einem Regeln folgenden Instrument mache, darüber reflektiere und Wurzelsaft aus ihr presse, der würde keine rechte Poesie zustande bringen. (Das sei allen Lektoren ins Stammbuch geschrieben.)\\  Ein Mensch, der den poetischen Grund der Sprache leugne und sie zu einem Regeln folgenden Instrument mache, darüber reflektiere und Wurzelsaft aus ihr presse, der würde keine rechte Poesie zustande bringen. (Das sei allen Lektoren ins Stammbuch geschrieben.)\\ 
 Wir haben ein feines Organ, das die Schönheit wahrnimmt, vor allem die der Sprache. Regeln können für eine Angleichung sorgen, für ein Gleichmaß, nicht aber Leidenschaft erwecken. Leidenschaft und Sinnlichkeit, darauf kam es Hamann an. Und hierin ist er ganz griechisch, denn den alten [[Griechen]] waren Dichter Dolmetscher Gottes, sofern sie in Ekstase gerieten.  Regellosigkeit, Mystik, Einversenkung in den Geist, nicht in den Buchstaben, unmittelbare, innige, dunkle und weitaus gewissere Wahrnehmung des Schönen, das im Auswurf des Regellosen mitgeteilt wird. Wie sollte wurzellose Reflexion das leisten? - Auf der anderen Seite standen die Aufklärer, deren Sinn darauf stand, die Sinne und das Erleben aus dem Verstand zu weisen, weil Sinnlichkeit Irritationen bewirke, Maßlosigkeit, Ungerechtigkeit. Nur der bei klarem Verstand Seiende ist in der Lage, nachvollziehbare und gerechte Lösungen zu bewirken. Mordlügnerische Philosophie nennt Hamann den aufklärerischen Versuch der Leugnung des Sinnlichen und Leidenschaftlichen im Denken, Sprechen und Philosophieren. Stümmelei.\\ Wir haben ein feines Organ, das die Schönheit wahrnimmt, vor allem die der Sprache. Regeln können für eine Angleichung sorgen, für ein Gleichmaß, nicht aber Leidenschaft erwecken. Leidenschaft und Sinnlichkeit, darauf kam es Hamann an. Und hierin ist er ganz griechisch, denn den alten [[Griechen]] waren Dichter Dolmetscher Gottes, sofern sie in Ekstase gerieten.  Regellosigkeit, Mystik, Einversenkung in den Geist, nicht in den Buchstaben, unmittelbare, innige, dunkle und weitaus gewissere Wahrnehmung des Schönen, das im Auswurf des Regellosen mitgeteilt wird. Wie sollte wurzellose Reflexion das leisten? - Auf der anderen Seite standen die Aufklärer, deren Sinn darauf stand, die Sinne und das Erleben aus dem Verstand zu weisen, weil Sinnlichkeit Irritationen bewirke, Maßlosigkeit, Ungerechtigkeit. Nur der bei klarem Verstand Seiende ist in der Lage, nachvollziehbare und gerechte Lösungen zu bewirken. Mordlügnerische Philosophie nennt Hamann den aufklärerischen Versuch der Leugnung des Sinnlichen und Leidenschaftlichen im Denken, Sprechen und Philosophieren. Stümmelei.\\
 Die verstümmelte Gesellschaft des rationalistischen Zeitalters hatte den Dialog zwischen allen Menschen auf den zwischen Individuen geschmälert. Das Ergo sum Descartes‘ wirkte kommunikationsreduzierend, ja herzlos, denn der [[Streit]] sollte nicht den ganzen Menschen erfassen, sondern nur den Gebrauch seines Verstandes betreffen. Die Almosentätigkeit des Mittelalters, die jeden Christenmenschen betraf, weil er Milte und Mitleiden so auslebte und seine Seele reinigte, wurde zunehmend durch kategorische und hypothetische Imperative ersetzt, die letztlich ein allgemeines Erfordernis zu einem subjektiven machten, pointierte Nabelschau statt ganzheitlicher Allerfassung förderten und das ganzheitliche Seelenleben des Menschen auf ein abstrakt-rationalistisches Helfenmüssen wegen eines Imperativs verkleinerten.  Letztlich gebar eine Gesellschaft dieses Paradigmas bauernstolze Kathedermoralisten, aber keine Menschen.\\ Die verstümmelte Gesellschaft des rationalistischen Zeitalters hatte den Dialog zwischen allen Menschen auf den zwischen Individuen geschmälert. Das Ergo sum Descartes‘ wirkte kommunikationsreduzierend, ja herzlos, denn der [[Streit]] sollte nicht den ganzen Menschen erfassen, sondern nur den Gebrauch seines Verstandes betreffen. Die Almosentätigkeit des Mittelalters, die jeden Christenmenschen betraf, weil er Milte und Mitleiden so auslebte und seine Seele reinigte, wurde zunehmend durch kategorische und hypothetische Imperative ersetzt, die letztlich ein allgemeines Erfordernis zu einem subjektiven machten, pointierte Nabelschau statt ganzheitlicher Allerfassung förderten und das ganzheitliche Seelenleben des Menschen auf ein abstrakt-rationalistisches Helfenmüssen wegen eines Imperativs verkleinerten.  Letztlich gebar eine Gesellschaft dieses Paradigmas bauernstolze Kathedermoralisten, aber keine Menschen.\\
-Heute haben wir sie zum Gutteil, diese funktionierenden Teilmenschen, die das große Getriebe der Welt laufen lassen und sich in der Freizeit einem Individualismus hingeben, der selbst nur Teilganzheit ist und auch sein will, letztlich aber Stümmelei und Reduktion sein muß. Die Zeiten sind halt so, daß die größten Weltweisen und Dichter in Umstände gesetzt werden, in denen sie entdecken, daß sie nur überleben können, wenn sie funktionieren, daß sie, allzuoft ihrer Schutzengel und Musen beraubt, nur die Möglichkeit besitzen, Einbildungskraft zu retten, indem sie sich dem einfachen Geschäft opfern und zur Pflege eines abgesonderten, künstlerisch-sensiblen Gemütsteils auf Musestunden verlassen, die kommen und gehen.\\ Freizeitgestaltungstherapie. Sie passen sich an, werden zu Gelegenheitsarbeitern und Spaßivisten am Wortwerk, dem sie sich in Schreibwerkstätten, communities oder im stillen Kämmerlein hingeben gegen Geld, Sozialkontakte oder gute Laune. Sie besitzen keinen Glauben mehr, den sie auch von der Phantasie zu trennen wissen, schließlich ist ihnen die Welt erklärt worden; sie sind aufgeklärt und durchdachten zuvor, was auch immer sie sagen. Auch das Gegenteil davon. Sie geben zu allem ihren Senf, Senf zu dazu. Götzendienst. Die Antithese Hamanns führt zum Bibelwort, 1. Kor. 8: „Erkenntnis bläht auf, Liebe baut auf.“\\ +Heute haben wir sie zum Gutteil, diese funktionierenden Teilmenschen, die das große Getriebe der Welt laufen lassen und sich in der Freizeit einem Individualismus hingeben, der selbst nur Teilganzheit ist und auch sein will, letztlich aber Stümmelei und [[Reduktion]] sein muß. Die Zeiten sind halt so, daß die größten Weltweisen und Dichter in Umstände gesetzt werden, in denen sie entdecken, daß sie nur überleben können, wenn sie funktionieren, daß sie, allzuoft ihrer Schutzengel und Musen beraubt, nur die Möglichkeit besitzen, Einbildungskraft zu retten, indem sie sich dem einfachen Geschäft opfern und zur Pflege eines abgesonderten, künstlerisch-sensiblen Gemütsteils auf Musestunden verlassen, die kommen und gehen.\\ Freizeitgestaltungstherapie. Sie passen sich an, werden zu Gelegenheitsarbeitern und Spaßivisten am Wortwerk, dem sie sich in Schreibwerkstätten, communities oder im stillen Kämmerlein hingeben gegen Geld, Sozialkontakte oder gute Laune. Sie besitzen keinen Glauben mehr, den sie auch von der Phantasie zu trennen wissen, schließlich ist ihnen die Welt erklärt worden; sie sind aufgeklärt und durchdachten zuvor, was auch immer sie sagen. Auch das Gegenteil davon. Sie geben zu allem ihren Senf, Senf zu dazu. Götzendienst. Die Antithese Hamanns führt zum Bibelwort, 1. Kor. 8: „Erkenntnis bläht auf, Liebe baut auf.“\\ 
-Dagegen steht nun der Künstler, der auf sein Genie vertraut. Das Genie! Es prägt eine eigentümliche [[Wissenschaft]] aus, schafft Wissen. Das Genie fürchtet Gott und sucht Übereinkunft mit ihm, woran ihm mehr liegt als am Fundus des Buchstabenwissens aus den Büchern und Schriften anderer. Es glaubt an die innere Stimme und den Atem Gottes, die Inspiration. Dämonologie. Es ist leidenschaftlich und ruft seine Dämonen wie Engel gleichermaßen an; es lebt mit ihnen und muß sich nicht zerreißen in einen Teil, das anschafft und eines, das schafft. Es stirbt auf dem Altar der Liebe: zum Leben, zum Nächsten, zur Dichtung. Poesie. +Dagegen steht nun der Künstler, der auf sein Genie vertraut. Das [[Genie]]! Es prägt eine eigentümliche [[Wissenschaft]] aus, schafft Wissen. Das Genie fürchtet Gott und sucht Übereinkunft mit ihm, woran ihm mehr liegt als am Fundus des Buchstabenwissens aus den Büchern und Schriften anderer. Es glaubt an die innere Stimme und den Atem Gottes, die Inspiration. Dämonologie. Es ist leidenschaftlich und ruft seine Dämonen wie Engel gleichermaßen an; es lebt mit ihnen und muß sich nicht zerreißen in einen Teil, das anschafft und eines, das schafft. Es stirbt auf dem Altar der Liebe: zum Leben, zum Nächsten, zur Dichtung. Poesie. 
  
-Schlußworte: Wer dichtet, der zeigt selten Vernunft. Vor allem dann nicht, wenn er dichtet. Moralisten verlangen Einheit zwischen Dichtung und Lebensgestaltung, Vorbildwirkung. Gedichte sind aber Gefühlssache. Es gibt sie, die reinen Gefühlssachen. Gefühle sind nie falsch, ihnen wird nur oft genug das unzureichende Wort geliehen, um sie mitzuteilen. Vorsicht ist hier falsch am Platz. Beginnt ein Lyriker das in ihm wesende Wort zu erfassen, so befällt ihn Furcht vor dem, was er erahnt. Er benutzt seinen Verstand, um diese Furcht zu gängeln und glaubt, wenn er dieses Gängelband an die Gefühle legt, daß er die Welt, sich selbst, andere belehren könnte. Wie töricht! Stimmungen dringen aus dem Tiefsten, sie kommen und gehen – ja! -, aber sie kommen immer wieder, sind selten genug labil und unstät und können durch intensives Nachdenken nicht zerstört werden. Eine Erregung reicht zu ihrer Aktivierung aus. In dieser erregten Stimmungslage sollte der Dichter am meisten schreiben und alles herauslassen, was in ihm tobt. Idealerweise legt ihm ein (ästhetisch begründbarer) Formwille Scheuklappen an, aber ist der Formwille notwendig? Ist Harmonie zwischen Verstand und Gefühl notwendig? Kaum. Formwille dient lediglich der Kommunikation mit den breiten Massen. Wer das will, bitte! Das sollte der Dichter dann schon selbst entscheiden, ob er seiner Poesie ein Gängelband anlegt. \\+**Schlußworte**: Wer dichtet, der zeigt selten Vernunft. Vor allem dann nicht, wenn er dichtet. Moralisten verlangen Einheit zwischen Dichtung und Lebensgestaltung, Vorbildwirkung. Gedichte sind aber Gefühlssache. Es gibt sie, die reinen Gefühlssachen. Gefühle sind nie falsch, ihnen wird nur oft genug das unzureichende Wort geliehen, um sie mitzuteilen. Vorsicht ist hier falsch am Platz. Beginnt ein Lyriker das in ihm wesende Wort zu erfassen, so befällt ihn Furcht vor dem, was er erahnt. Er benutzt seinen Verstand, um diese Furcht zu gängeln und glaubt, wenn er dieses Gängelband an die Gefühle legt, daß er die Welt, sich selbst, andere belehren könnte. Wie töricht! Stimmungen dringen aus dem Tiefsten, sie kommen und gehen – ja! -, aber sie kommen immer wieder, sind selten genug labil und unstät und können durch intensives Nachdenken nicht zerstört werden. Eine Erregung reicht zu ihrer Aktivierung aus. In dieser erregten Stimmungslage sollte der Dichter am meisten schreiben und alles herauslassen, was in ihm tobt. Idealerweise legt ihm ein (ästhetisch begründbarer) Formwille Scheuklappen an, aber ist der Formwille notwendig? Ist Harmonie zwischen Verstand und Gefühl notwendig? Kaum. Formwille dient lediglich der Kommunikation mit den breiten Massen. Wer das will, bitte! Das sollte der Dichter dann schon selbst entscheiden, ob er seiner Poesie ein Gängelband anlegt. \\
 Dürrenmatt entschied sich für das sprudelnde Wort: Dürrenmatt entschied sich für das sprudelnde Wort:
  
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