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hoelderlin

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hoelderlin [2022/04/10 09:30] Robert-Christian Knorrhoelderlin [2022/04/10 09:31] Robert-Christian Knorr
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 Die Zeit von [[Salomo]] und Hesiod galten für Hölderlin als Epoche „unkultivierter“ Gesellschaften, die durch „ungebildete Philosophie“ gekennzeichnet sind. Die orientalische, d. h. jüdische und griechische Antike werden also noch als eng zueinander gehörige Kulturen behandelt, die mit „unsern Moralsystemen“ im [[Kontrast]] stehen. Den [[Grund]] des Vergleichs bilden die vermittelten Wertvorstellungen. Sowohl Salomo als auch Hesiod ermahnen den Adressaten, [[Gut]] durch Arbeitsamkeit ([[Fleiß]]) und durch rechtliches Betragen ([[Rechtschaffenheit]]) zu gewinnen. Die archaischen Gesellschaften scheinen nämlich zwei Grundwerte zu haben: [[Reichtum]] und [[Ehre]], beide sind als solche [[Güter]] des Lebens betrachtet, in denen die wahre (moralische) [[Qualität]] des Menschen zum Vorschein kommt. Es ist also ganz klar, von welcher moralischen Kollision Hölderlin redet: Er stellt der falschen [[Transzendenz]] verlogener christlicher [[Moralität]] seiner [[Epoche]] die immanente, weltliche Wertvorstellung des [[Testament#Alten Testaments]] und der griechischen Archaik entgegen. Die Charaktermerkmale „Reichtum und Ehre“ werden von nun an zum festen Bestandteil der Hölderlinschen Antike und somit des Orients, und die dichterische [[Orientierung]] nach ihnen hält am Grundwert der Weltlichkeit fest: //„Die Dichter müssen auch / Die Geistigen weltlich seyn.“ Hier verschwieg Hölderlin seine kritische Distanz zum deutschen [[Protestantismus]] auch nicht, als er bemerkte, daß Reichtum und Ehre „in ihrem sittlichen [[Wert]]“// damals „noch nicht so gesunken“ waren wie sie „bei den kultivierten Völkern“ sind. \\ Die Zeit von [[Salomo]] und Hesiod galten für Hölderlin als Epoche „unkultivierter“ Gesellschaften, die durch „ungebildete Philosophie“ gekennzeichnet sind. Die orientalische, d. h. jüdische und griechische Antike werden also noch als eng zueinander gehörige Kulturen behandelt, die mit „unsern Moralsystemen“ im [[Kontrast]] stehen. Den [[Grund]] des Vergleichs bilden die vermittelten Wertvorstellungen. Sowohl Salomo als auch Hesiod ermahnen den Adressaten, [[Gut]] durch Arbeitsamkeit ([[Fleiß]]) und durch rechtliches Betragen ([[Rechtschaffenheit]]) zu gewinnen. Die archaischen Gesellschaften scheinen nämlich zwei Grundwerte zu haben: [[Reichtum]] und [[Ehre]], beide sind als solche [[Güter]] des Lebens betrachtet, in denen die wahre (moralische) [[Qualität]] des Menschen zum Vorschein kommt. Es ist also ganz klar, von welcher moralischen Kollision Hölderlin redet: Er stellt der falschen [[Transzendenz]] verlogener christlicher [[Moralität]] seiner [[Epoche]] die immanente, weltliche Wertvorstellung des [[Testament#Alten Testaments]] und der griechischen Archaik entgegen. Die Charaktermerkmale „Reichtum und Ehre“ werden von nun an zum festen Bestandteil der Hölderlinschen Antike und somit des Orients, und die dichterische [[Orientierung]] nach ihnen hält am Grundwert der Weltlichkeit fest: //„Die Dichter müssen auch / Die Geistigen weltlich seyn.“ Hier verschwieg Hölderlin seine kritische Distanz zum deutschen [[Protestantismus]] auch nicht, als er bemerkte, daß Reichtum und Ehre „in ihrem sittlichen [[Wert]]“// damals „noch nicht so gesunken“ waren wie sie „bei den kultivierten Völkern“ sind. \\
 Der zweite Aufsatz, die //Geschichte der schönen Künste unter den [[Griechen]]// (1790), reflektiert auf Winckelmanns //Geschichte der Kunst des Altertums//. Hölderlin folgt Winckelmanns [[Kritik]] an der ägyptischen Kunst: //„Der Orient war nicht für die Kunst, am wenigsten für die bildende. (...) Der Orientalismus neigt sich mehr zum wunderbaren und abentheurlichen: der griechische [[Genius]] verschönert, versinnlicht.“// Den Grund, weshalb die Ägypter keine schöne Kunst hatten, erklären „das feurige Klima“, „das schauerlicherhabne Religionssystem“ mit den „fürchterlichen Dämonen des Orients“ und die „überhaupt strenge [[Monarchie]]“. In //[[Hyperion]]// wird die Frage nach dem [[Wesen]] orientalischer Kunsttätigkeit wiederholt gestellt. Auf dem Weg zu den majestätischen Ruinen [[Athen]]s bemerkt Hyperion über die „Ägypter“, die er nun überraschend mit den nördlichen Völkern in Parallele stellt: //„Der Aegyptier trägt ohne [[Schmerz]] die Despotie der Willkühr, der [[Sohn]] des Nordens ohne Widerwillen die Gesetzesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform; denn der Aegyptier hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesetzlichen zu hängen.“// So setzt Hyperion fort: //„Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt hat, muß er knien, eh er [[sprechen]] gelernt hat, muß er beten. (...) Der Aegyptier ist hingegeben, eh’ er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen, nichts von Schönheit, und das [[Höchste]], was er nennt, ist eine verschleierte Macht...“//\\ Die Eigenart des Orientalischen – Religionszwang, Demütigung (knien und einen zum [[Gebet]] zwingen), Herrschaftssystem – verrät eindeutig, daß der Begriff des „Ägyptischen“ auf das [[Hebräisch]]e und somit auf die hebräisch-christliche [[Überlieferung]] zu übertragen ist. Aus dieser Perspektive ist der Vergleich des Orientalischen mit dem Nordischen durchaus transparent.\\ Der zweite Aufsatz, die //Geschichte der schönen Künste unter den [[Griechen]]// (1790), reflektiert auf Winckelmanns //Geschichte der Kunst des Altertums//. Hölderlin folgt Winckelmanns [[Kritik]] an der ägyptischen Kunst: //„Der Orient war nicht für die Kunst, am wenigsten für die bildende. (...) Der Orientalismus neigt sich mehr zum wunderbaren und abentheurlichen: der griechische [[Genius]] verschönert, versinnlicht.“// Den Grund, weshalb die Ägypter keine schöne Kunst hatten, erklären „das feurige Klima“, „das schauerlicherhabne Religionssystem“ mit den „fürchterlichen Dämonen des Orients“ und die „überhaupt strenge [[Monarchie]]“. In //[[Hyperion]]// wird die Frage nach dem [[Wesen]] orientalischer Kunsttätigkeit wiederholt gestellt. Auf dem Weg zu den majestätischen Ruinen [[Athen]]s bemerkt Hyperion über die „Ägypter“, die er nun überraschend mit den nördlichen Völkern in Parallele stellt: //„Der Aegyptier trägt ohne [[Schmerz]] die Despotie der Willkühr, der [[Sohn]] des Nordens ohne Widerwillen die Gesetzesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform; denn der Aegyptier hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesetzlichen zu hängen.“// So setzt Hyperion fort: //„Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt hat, muß er knien, eh er [[sprechen]] gelernt hat, muß er beten. (...) Der Aegyptier ist hingegeben, eh’ er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen, nichts von Schönheit, und das [[Höchste]], was er nennt, ist eine verschleierte Macht...“//\\ Die Eigenart des Orientalischen – Religionszwang, Demütigung (knien und einen zum [[Gebet]] zwingen), Herrschaftssystem – verrät eindeutig, daß der Begriff des „Ägyptischen“ auf das [[Hebräisch]]e und somit auf die hebräisch-christliche [[Überlieferung]] zu übertragen ist. Aus dieser Perspektive ist der Vergleich des Orientalischen mit dem Nordischen durchaus transparent.\\
-__Kurzum__: Die frühen Aufsätze sowie die Athenerrede des Hyperion schildern einen Orient der [[Despotie]], dämonischer [[Religion]], von [[Aberglauben]] und Verknechtung, den die [[Verachtung]] der schönen Künste bzw. ein abenteuerlicher, verdorbener [[Geschmack]] charakterisieren. Diese Abneigung vom Ägyptisch-Hebräisch-Orientalischem entspricht in manchen Zügen der gängigen Auffassung zu Hölderlins Zeit, es ist aber überraschend, daß das Ägyptische analogisch auf den christlichen Norden übertragen wird. Es ist auch bei Hölderlin nicht zu leugnen, daß sein brennendes [[Interesse]] für Griechenland von seiner Kritik am [[Christentum]] sowie von seinen politischen Ansichten abhängt. Der zweite Aufsatz, die Geschichte der schönen Künste unter den Griechen bietet aber bereits eine differenziertere Vorstellung über Hellas und den Orient. Hölderlin nimmt den am Beispiel des Salomo einmal schon aufgegriffenen positiven Kulturzusammenhang wieder auf und stellt die unterschiedlichen Etappen des griechischen Bildungswegs nicht einheitlich, ideell, wie man das gewöhnlich meint, sondern nach geographischen Gebieten dar, von Ionien über den dorischen [[Peloponnes]] bis nach Athen. Die erste Dichtergestalt, den Hölderlin emphatisch hervorhebt, ist [[Orpheus]], dessen kleinasiatische [[Muse]] mit dem „Orientalismus“ verbunden wird: //„Seine Hymnen, wie der auf die Sonne, scheinen noch das Gepräge des Orientalismus zu haben, wenigstens eine entfernte Würkung des Sonnendienstes“.// Nach dem Trojanischen Krieg folgte ihm [[Homer]], dessen //„Empfänglichkeit für das [[Schöne]] und [[Erhaben]]e, seine [[Phantasie]], sein Scharfsinn“// nur selten, oder kaum von der Natur wiederholt wurde. Die Eigenart seiner [[Genialität]] wird mit der kleinasiatischen Heimat, mit Ionien, erklärt: //„Empfänglichkeit für das Schöne und [[Erhabene]] bot sich das paradiesische Ionien dar“//.\\ +__Kurzum__: Die frühen Aufsätze sowie die Athenerrede des Hyperion schildern einen Orient der [[Despotie]], dämonischer [[Religion]], von [[Aberglauben]] und Verknechtung, den die [[Verachtung]] der schönen Künste bzw. ein abenteuerlicher, verdorbener [[Geschmack]] charakterisieren. Diese Abneigung vom Ägyptisch-Hebräisch-Orientalischem entspricht in manchen Zügen der gängigen Auffassung zu Hölderlins Zeit, es ist aber überraschend, daß das Ägyptische analogisch auf den christlichen Norden übertragen wird. Es ist auch bei Hölderlin nicht zu leugnen, daß sein brennendes [[Interesse]] für Griechenland von seiner Kritik am [[Christentum]] sowie von seinen politischen Ansichten abhängt. Der zweite Aufsatz, die Geschichte der schönen Künste unter den Griechen bietet aber bereits eine differenziertere Vorstellung über Hellas und den Orient. Hölderlin nimmt den am Beispiel des Salomo einmal schon aufgegriffenen positiven Kulturzusammenhang wieder auf und stellt die unterschiedlichen Etappen des griechischen Bildungswegs nicht einheitlich, ideell, wie man das gewöhnlich meint, sondern nach geographischen Gebieten dar, von Ionien über den dorischen [[Peloponnes]] bis nach Athen. Die erste Dichtergestalt, den Hölderlin emphatisch hervorhebt, ist [[Orpheus]], dessen kleinasiatische [[Muse]] mit dem „Orientalismus“ verbunden wird: //„Seine Hymnen, wie der auf die [[Sonne]], scheinen noch das Gepräge des Orientalismus zu haben, wenigstens eine entfernte Würkung des Sonnendienstes“.// Nach dem Trojanischen Krieg folgte ihm [[Homer]], dessen //„Empfänglichkeit für das [[Schöne]] und Erhabene, seine [[Phantasie]], sein Scharfsinn“// nur selten, oder kaum von der Natur wiederholt wurde. Die Eigenart seiner [[Genialität]] wird mit der kleinasiatischen Heimat, mit Ionien, erklärt: //„Empfänglichkeit für das Schöne und [[Erhabene]] bot sich das paradiesische Ionien dar“//.\\ 
 Trotz des prägenden Einflusses Winckelmanns zeigt Hölderlins Bewunderung für den ionischen poetischen [[Geist]] des Homer von Anfang an stark antiklassische Züge. Hölderlin betrachtet Chios als Homers Vaterstadt, er soll aber in der altanatolischen [[Stadt]] [[Smyrna]] gelebt haben, dessen [[Schönheit]] und orientalische Atmosphäre Hölderlin enthusiastisch schildert. Trotz des prägenden Einflusses Winckelmanns zeigt Hölderlins Bewunderung für den ionischen poetischen [[Geist]] des Homer von Anfang an stark antiklassische Züge. Hölderlin betrachtet Chios als Homers Vaterstadt, er soll aber in der altanatolischen [[Stadt]] [[Smyrna]] gelebt haben, dessen [[Schönheit]] und orientalische Atmosphäre Hölderlin enthusiastisch schildert.
  
hoelderlin.txt · Zuletzt geändert: 2024/03/24 12:29 von Robert-Christian Knorr