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nietzsche

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nietzsche [2023/07/21 11:30] – [Essay "Nietzsche und die Ethik der Gegenwart"] Robert-Christian Knorrnietzsche [2025/02/08 15:07] (aktuell) – [Jenseits von Gut und Böse] Robert-Christian Knorr
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 - geboren 1844 in Lützen bei Leipzig, gestorben 1900 in Weimar\\ - geboren 1844 in Lützen bei Leipzig, gestorben 1900 in Weimar\\
 {{ :nietzsche.jpg?400|}}- früher [[Tod]] des Vaters\\ {{ :nietzsche.jpg?400|}}- früher [[Tod]] des Vaters\\
-- [[Erziehung]] durch Schwestern und eine strenge Mutter → in dieser Tatsache vernuten viele den [[Ursprung]] von Nietzsches gestörtes Verhältnis zum [[Sexualität#Sex]], den Frauen im [[allgemein#allgemeinen]] und der Selbstbeziehung zu sich [[selbst]] als Mann, woraus in gut [[Freud#Freudscher]] Lesart die Kompensation in seiner kraftvollen Lehre resultierte\\+- [[Erziehung]] durch Schwestern und eine strenge Mutter → darin vermuten viele den [[Ursprung]] von Nietzsches gestörtem Verhältnis zum [[Sexualität#Sex]], den Frauen im [[allgemein#allgemeinen]] und der Selbstbeziehung zu sich [[selbst]] als Mann, woraus in gut [[Freud#Freudscher]] Lesart die Kompensation in seiner kraftvollen Lehre resultierte\\ 
 +- als Schüler in Pforta gut - Ausnahme Mathematik, was ihn beinahe das Abitur gekostet hätte -, aber wenig beliebt, Primaner, der Mitschüler an die Einhaltung von Regeln erinnerte und gottesfürchtig war, insbesondere 1861 bei der Konfirmation\\ 
 +- improvisierte auf dem Klavier, dichtete, besaß wenig Corpsgeist, aber einen Freund, [[https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Deussen|Deussen]]\\ 
 +- Neigung zur Korpulenz, kein Turner, aber Schwimmer; kurzsichtig; selten Alkohol, schnupfte, u.a. bei der Brüderschaft mit Deussen\\
 - erste Weltbilderschütterungen durch die Lektüre D. F. Straußens, dazu F. Albert Langes //Geschichte des [[Materialismus]]//, 1866\\ - erste Weltbilderschütterungen durch die Lektüre D. F. Straußens, dazu F. Albert Langes //Geschichte des [[Materialismus]]//, 1866\\
 - seine Idiosynkrasien und [[Vorurteil#Vorurteile]] spiegeln sich in der [[Willkür]] des [[Urteil#Urteils]] und seinem unsystematischen Lesen wider - Lieblinge: [[Leopardi]], [[Merimee]], [[Emerson]]\\ - seine Idiosynkrasien und [[Vorurteil#Vorurteile]] spiegeln sich in der [[Willkür]] des [[Urteil#Urteils]] und seinem unsystematischen Lesen wider - Lieblinge: [[Leopardi]], [[Merimee]], [[Emerson]]\\
-- ein Neinsager: gleiches oder ähnliches wie [[Stirner]] nimmt er nicht zur Kenntnis;\\ +- ein Neinsager: gleiches oder ähnliches wie [[Stirner]] nimmt er nicht zur Kenntnis\\ 
-- Gott: Nietzsche! Wenn Sie den gekannt hätten. Er hat nie gelacht und war immer durch unseren [[Humor]] wie überrascht. Dazu Kurzsichtigkeit bis zur Augenblödigkeit; armer Nachtvogel, der an allen Ecken und Enden anstieß, den als Prediger des Lachens anzutreffen, berührt seltsam. (Cosima Wagner 1901 zu Richard Strauß)\\+ 
 +- lebte nach 1870 in einer Zeit pazifistischer Entschränkungen und individualistischer Verfeinerungsgeräusche ([[Benn]]) 
 + 
 +- Gott: Nietzsche! Wenn Sie den gekannt hätten. Er hat nie gelacht und war immer durch unseren [[Humor]] wie überrascht. Dazu Kurzsichtigkeit bis zur Augenblödigkeit; armer Nachtvogel, der an allen Ecken und Enden anstieß, den als Prediger des [[Lachen|Lachens]] anzutreffen, berührt seltsam. (Cosima Wagner 1901 zu Richard Strauß)\\
 - wollte nicht für seine Zeit, sondern für Jahrhunderte recht behalten → [[Konservatismus#konservativer]] Standpunkt - wollte nicht für seine Zeit, sondern für Jahrhunderte recht behalten → [[Konservatismus#konservativer]] Standpunkt
  
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   - Spätperiode: [[Zarathustra]]   - Spätperiode: [[Zarathustra]]
  
 +=== Aspekte seiner Lehre ===
 +
 +  * Geniekult;
 +  * Kult des Prinzips der [[Autonomie]], der Abweichung;
 +  * hybrider [[Protestantismus]];
 +  * Pathos der Distanz;
 +
 +=== stilistisches Selbstverständnis 1866 ===
 +
 +- Mein Bestreben ist, das logische Grundgerippe nicht so sichtbar durchblicken zu lassen. Dies ist übrigens sehr schwer. Wenigstens für mich. Ich möchte derartigen Dingen ein etwas künstlerisches Kleid geben. Es ist nötig, nachdem ich mich so lange vernachlässigt habe. Sodann vermeide ich möglichst streng die Gelehrsamkeit, die nicht nötig ist. Das kostet auch manche Selbstüberwindung. Denn manches superfluum muß hinweggeschnitten werden, das uns gerade sehr gefällt. Eine strenge Exposition der Beweise, in leichter udn gefälliger Darstellung, womöglich ohne jeden morosen Ernst udn jene zitatenreiche Gelehrsamkeit, die so billig ist: das sind meine Wünsche.
 ==== Erkenntnistheorie ==== ==== Erkenntnistheorie ====
  
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 - philosophische Begriffe und Kategorien werden zu psychologischen Absurditäten - philosophische Begriffe und Kategorien werden zu psychologischen Absurditäten
  
 +==== Ethik ====
 +
 +Verbindungspunkt zur [[Aufklärung]] ist die Sicht des [[Egoismus]], der allerdings aufgehoben werden soll in einer Gemeinschaft Gleichgesonnener: //Ich träume eine Genossenschaft von Menschen, welche unbedingt sind, keine Schonung kennen und "Vernichter" heißen wollen: Sie halten an alles den Maßstab ihrer Kritik und opfern sich der Wahrheit. Das Schlimme und Falsche soll ans Licht.//\\
 +- Agon (Wettkampf) und Eris (Streit) als Agenti des Menschseins - als Grundphänomen des gesellschaftlichen Lebens\\
 +- die bisherige Religion, Philosophie, Moral hatte die Aufgabe, der Befreiung der Instinkte entgegenzuwirken, sie zu verzerren und verkümmern zu lassen\\
 +- der Wegfall der Gottesvorstellung, der Tod Gottes, führt eine moralische [[Renaissance]] mit sich → Weiterführung des Aufklärungsgedankens, daß eine moralisch handelnde [[Gesellschaft]] nicht ans [[Christentum]] gebunden sein muß\\
 +- Verbindung von [[Theorie]] und Praxis → Gegensatz zur seinerzeit vorherrschenden [[Meinung]] der Positivisten und Neukantianer - siehe [[Neukantianismus]] -, die die [[Praxis]] als irrelevant betrachteten → [[Theorie vs. Praxis]]\\
 +- zur „ewigen Wiederkunft”: der entscheidende Ausgleichsbegriff zum Werden, denn ein Neues ist nicht möglich, denn „alles Werden ist innerhalb des Kreislaufs und der Kraftmenge” \\
 +- da er nichts von der Ökonomik des [[Kapitalismus]] verstand, konnte er nur die Symptome des Überbaus beschreiben\\
 +- sein Auftrag besteht darin, den ehrlichen Intellektuellen zu retten, ihm einen Weg zu weisen, der jeden Bruch mit der [[Bourgeoisie]] überflüssig macht, einen Weg, der dem moralischen Rebellen das angenehme [[Gefühl]] beschert, erlöst worden zu sein, ästhetisch\\
 +- steht der ästhetisch-oppositionellen Dekadenz zu nahe, um Rassentheoretiker zu sein (Lukacs)\\
 +
 +==== Der Antichrist ====
 +
 +1888\\
 +- entschlüsselt die hochkomplexe Psychologie des [[Christentum|Christentums]] mit Hilfe vieler kleiner und großer Übertreibungen\\
 +- es gibt den gläubigen und den wahrheitssuchenden Menschentypus, die Gläubigen sind in der Überzahl\\
 +__Kerngedanken__: //Das Wort schon "Christentum" ist ein Mißverständnis - im Grunde gab es nur einen Christen, und der starb am Kreuz. Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem "Glauben", etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich. Nicht ein [[Glauben]], sondern ein Tun, ein Vieles-nicht-tun vor allem, ein anderes Sein. Die gewöhnlichste [[Lüge]] ist die, mit der man sich selber belügt; das Belügen anderer ist relativ der Ausnahmefall. Nun ist dies Nicht-sehen-wollen, was man sieht, dies Nicht-so-sehen-wollen, wie man es sieht, beinahe die erste Bedingung für alle, die Partei sind in irgend welchem Sinn: der Parteimensch wird mit Nothwendigkeit Lügner.//
 ==== Die fröhliche Wissenschaft ==== ==== Die fröhliche Wissenschaft ====
  
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 === Ergebnis === === Ergebnis ===
 - wenn das [[Subjekt]] ein Wille in der Welt ist, dann bildet es sich als Leser der Welt unter den Bedingungen des Handelns\\ - wenn das [[Subjekt]] ein Wille in der Welt ist, dann bildet es sich als Leser der Welt unter den Bedingungen des Handelns\\
-- aus diesem Handeln läßt sich der ästhetische Zuhörer formen, der sich selbst negiert in einem Sinnen aufs Einssein - Natur vs. Kultur → die Geburt der Tragödie ist also [[Resultat]] wider Willen;\\ +- aus diesem Handeln läßt sich der ästhetische Zuhörer formen, der sich selbst negiert in einem Sinnen aufs Einssein - Natur vs. Kultur → die Geburt der Tragödie ist also [[Resultat]] wider Willen; 
-- Nietzsche hat den Mythus als Philosophem begriffen, nicht das Leiden im [[Schicksal]] des Helden als [[Tragik]]: er schwingt sich über die Musik (als Erlebnisabbreviatur) in das Dionysische des tragischen Mythus, verklärt ihn ästhetisch als perzipierte Urlust, letztlich ist das eine philosophisch-ästhetische Deutung, keine mythische (Bäumler)+ 
 +- Nietzsche hat den Mythus als Philosophem begriffen, nicht das Leiden im [[Schicksal]] des Helden als [[Tragik]]: er schwingt sich über die Musik (als Erlebnisabbreviatur) in das Dionysische des tragischen Mythus, verklärt ihn ästhetisch als perzipierte Urlust, letztlich ist das eine philosophisch-ästhetische Deutung, keine mythische (Bäumler)\\ 
 +- geistreiche Schwiemelei (Ritschl)
  
  
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 KANZELRABE GEGEN ALTARKRÄHE\\ KANZELRABE GEGEN ALTARKRÄHE\\
 - Zukunftsphilosophie im Namen des Dionysos, d.i. eine Präfiguration [[Jesus Christus]]\\ - Zukunftsphilosophie im Namen des Dionysos, d.i. eine Präfiguration [[Jesus Christus]]\\
-- Huldigung [[Goethe]]s\\ +- Huldigung [[Goethe|Goethes]]\\ 
-- Einsiedlervisionen → ewige Metamorphosen; Idiosynkrasie (bei Nietzsche die [[Absicht]], sich mit Erfolg am Leben zu rächen, indem man sich ihm entzieht), andererseits kann nur der die Höhe der Türme einer [[Stadt]] wirklich ermessen, der diese Stadt verließ – das gilt auch für moralische Bewertungen\\+- Einsiedlervisionen → ewige [[Metamorphose|Metamorphosen]]; Idiosynkrasie (bei Nietzsche die [[Absicht]], sich mit Erfolg am Leben zu rächen, indem man sich ihm entzieht), andererseits kann nur der die Höhe der Türme einer [[Stadt]] wirklich ermessen, der diese Stadt verließ – das gilt auch für moralische Bewertungen\\
 - Variation bekannter Themen in der Form der Verkündigung → Nietzsche will sich einen Jasagenden nennen dürfen\\ - Variation bekannter Themen in der Form der Verkündigung → Nietzsche will sich einen Jasagenden nennen dürfen\\
 - die [[Liebe]] zum Schicksal, [[fatum]], läßt alles als [[notwendig]] erkennen → [[Freiheit]] und [[Spontaneität]] sind kirre, d.i. die Lehre von der willigen Verantwortungslosigkeit\\ - die [[Liebe]] zum Schicksal, [[fatum]], läßt alles als [[notwendig]] erkennen → [[Freiheit]] und [[Spontaneität]] sind kirre, d.i. die Lehre von der willigen Verantwortungslosigkeit\\
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 → die [[Illusion]] des moralischen Urteils unter sich haben bedeutet, sich jenseits von [[gut]] und [[böse]] zu stellen und so zum Übermenschen zu werden, denn NUR der Mensch mißt, der Übermensch aber kann getrost darauf verzichten → die [[Illusion]] des moralischen Urteils unter sich haben bedeutet, sich jenseits von [[gut]] und [[böse]] zu stellen und so zum Übermenschen zu werden, denn NUR der Mensch mißt, der Übermensch aber kann getrost darauf verzichten
  
 +- das Philosophische darin ist dürftig und fast kindisch, das Politische albern und weltunkundig - voll einer widerlichen Verkelung von allem und jedem ([[Rohde]])
 ==== Vier unzeitgemäße Schriften ==== ==== Vier unzeitgemäße Schriften ====
 - von Nietzsche Wagner 1870 in Tribschen als "Die Entstehung des tragischen Gedankens" unter den Weihnachtsbaum gelegt, dem sie gefällt und der sie seinem Leipziger Verleger empfiehlt, das [[Buch]] mit einem Vorwort ausstattet und es 1872 unter obigem Titel in Leipzig erscheinen läßt\\ - von Nietzsche Wagner 1870 in Tribschen als "Die Entstehung des tragischen Gedankens" unter den Weihnachtsbaum gelegt, dem sie gefällt und der sie seinem Leipziger Verleger empfiehlt, das [[Buch]] mit einem Vorwort ausstattet und es 1872 unter obigem Titel in Leipzig erscheinen läßt\\
 - das Buch bewirkt eine Reaktion von [[Wilamowitz]], der in Anspielung auf Wagners //Zukunftsmusik// Nietzsches //Zukunftsphilologie// als //Afterphilologie// brandmarkt und Nietzsche der Philologen-[[Zunft]] entfremdet, was den veranlaßt, seine Professur dem Freunde [[Rohde]] anzubieten und als Wanderprediger für Wagner durchs Land zu ziehen → Wagner will das nicht und der Plan wird vorerst verworfen\\ - das Buch bewirkt eine Reaktion von [[Wilamowitz]], der in Anspielung auf Wagners //Zukunftsmusik// Nietzsches //Zukunftsphilologie// als //Afterphilologie// brandmarkt und Nietzsche der Philologen-[[Zunft]] entfremdet, was den veranlaßt, seine Professur dem Freunde [[Rohde]] anzubieten und als Wanderprediger für Wagner durchs Land zu ziehen → Wagner will das nicht und der Plan wird vorerst verworfen\\
 +- spätere Angriffe auf Wagner sind zugleich Angriffe auf die Reichsdeutschen, der Kampf eines Zerrissenen gegen sein anderes Ich\\
 - die ästhetisch-psychologische Frage wird aufgelöst als ein künstlerisch-literarisches Problem\\ - die ästhetisch-psychologische Frage wird aufgelöst als ein künstlerisch-literarisches Problem\\
 Ziel der Abhandlung: [[Verständnis]] erreichen für die zwei Phänomene, aus denen alles erwächst → Vernunft (Sokrates) und Instinkt (Dionysos) Ziel der Abhandlung: [[Verständnis]] erreichen für die zwei Phänomene, aus denen alles erwächst → Vernunft (Sokrates) und Instinkt (Dionysos)
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 - ein Pragmatiker: das Wahre ist nützlicher -, aber nicht an sich angenehmer... der Wert für das Leben entscheidet zuletzt über den Wert der Wahrheit\\ - ein Pragmatiker: das Wahre ist nützlicher -, aber nicht an sich angenehmer... der Wert für das Leben entscheidet zuletzt über den Wert der Wahrheit\\
 - betont die Gefahr der [[Bildung]] „in einer Unterordnung der Bildung als eines Mittels unter den Erwerb, unter das roh verstandene Erdenglück”, wie es die Arbeiterbildungsvereine propagieren, die dadurch Bedürfnisse wecken wollen, daß sie die Allgemeinheit oberflächlich bilden → [[Lukacs]] sieht darin Nietzsches Ablehnung von [[Demokratie]] und [[Sozialismus]]\\ - betont die Gefahr der [[Bildung]] „in einer Unterordnung der Bildung als eines Mittels unter den Erwerb, unter das roh verstandene Erdenglück”, wie es die Arbeiterbildungsvereine propagieren, die dadurch Bedürfnisse wecken wollen, daß sie die Allgemeinheit oberflächlich bilden → [[Lukacs]] sieht darin Nietzsches Ablehnung von [[Demokratie]] und [[Sozialismus]]\\
-weiter: er fordert für das [[Heil]] der Kultur - ihr galt seine prinzipielle [[Sorge]] - die entschlossene Privilegisierung einer Minderheit, deren [[Muße]] auf der harten physischen [[Arbeit]] der Mehrzahl, der [[Masse]] beruht\\+weiter: er fordert für das [[Heil]] der Kultur - ihr galt seine prinzipielle [[Sorge]] - die entschlossene Privilegisierung einer [[Minderheit]], deren [[Muße]] auf der harten physischen [[Arbeit]] der Mehrzahl, der [[Masse]] beruht\\
 ABER: Nietzsche betont, daß die moderne Demokratie eine historische Form vom Verfall des Staates ist, nach deren Zeit eine noch zweckmäßigere [[Erfindung]] als der Staat es war zum Siege über den Staat kommen wird, denn die Klugheit und der [[Eigennutz]] der Menschen sind von allen ihren Eigenschaften am besten ausgebildet und somit ist die Aussicht, die sich nach dem Verfall ergibt, nicht eine unglückselige\\ ABER: Nietzsche betont, daß die moderne Demokratie eine historische Form vom Verfall des Staates ist, nach deren Zeit eine noch zweckmäßigere [[Erfindung]] als der Staat es war zum Siege über den Staat kommen wird, denn die Klugheit und der [[Eigennutz]] der Menschen sind von allen ihren Eigenschaften am besten ausgebildet und somit ist die Aussicht, die sich nach dem Verfall ergibt, nicht eine unglückselige\\
-- [[Wagner]] ist ihm der größte [[Ausdruck]] der künstlerischen [[Dekadenz]], [[Bismarck]] der politische Ausdruck dafür: beide bekämpft er in seiner Spätphase\\ +- [[Wagner]] ist ihm der größte [[Ausdruck]] der künstlerischen [[Dekadenz]], [[Bismarck]] der politische Ausdruck dafür: beide bekämpft er in seiner Spätphase (Lukacz)\\
-__Ethik__: \\ +
-Verbindungspunkt zur [[Aufklärung]] ist die Sicht des [[Egoismus]]\\ +
-- Agon (Wettkampf) und Eris (Streit) als Agenti des Menschseins - als Grundphänomen des gesellschaftlichen Lebens\\ +
-- die bisherige Religion, Philosophie, Moral hatte die Aufgabe, der Befreiung der Instinkte entgegenzuwirken, sie zu verzerren und verkümmern zu lassen\\ +
-- der Wegfall der Gottesvorstellung, der Tod Gottes, führt eine moralische [[Renaissance]] mit sich → Weiterführung des Aufklärungsgedankens, daß eine moralisch handelnde [[Gesellschaft]] nicht ans [[Christentum]] gebunden sein muß\\ +
-- Verbindung von [[Theorie]] und Praxis → Gegensatz zur seinerzeit vorherrschenden [[Meinung]] der Positivisten und Neukantianer - siehe [[Neukantianismus]] -, die die [[Praxis]] als irrelevant betrachteten → [[Theorie vs. Praxis]]\\ +
-- zur „ewigen Wiederkunft”: der entscheidende Ausgleichsbegriff zum Werden, denn ein Neues ist nicht möglich, denn „alles Werden ist innerhalb des Kreislaufs und der Kraftmenge” \\ +
-- da er nichts von der Ökonomik des [[Kapitalismus]] verstand, konnte er nur die Symptome des Überbaus beschreiben\\ +
-- sein Auftrag besteht darin, den ehrlichen Intellektuellen zu retten, ihm einen Weg zu weisen, der jeden Bruch mit der [[Bourgeoisie]] überflüssig macht, einen Weg, der dem moralischen Rebellen das angenehme [[Gefühl]] beschert, erlöst worden zu sein, ästhetisch\\ +
-- steht der ästhetisch-oppositionellen Dekadenz zu nahe, um Rassentheoretiker zu sein (Lukacs)\\+
 - erklärt Schopenhauer, rettet ihn nicht → das ist auch nicht nötig, denn Freiheit ist zu erklären, aber nicht zu retten (Mieth) - erklärt Schopenhauer, rettet ihn nicht → das ist auch nicht nötig, denn Freiheit ist zu erklären, aber nicht zu retten (Mieth)
 === Nietzsches Anziehungskraft === === Nietzsches Anziehungskraft ===
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 Das sind Vorgänge, die sich in der Weltgeschichte wiederholen. Oberflächliche Naturen wollen daraus ein Entwicklungsgesetz ableiten können, demagogische Dummköpfe mutmaßeln Fortschritt. Und die größten Dummköpfe sprechen von Stadien jeder Kultur, die immer im Zerfall enden müßten. Dieselben Dummköpfe verkennen die Nachwirkung jedes Gedankens, der einmal von den Menschen aufgenommen wurde, verkennen das Fortwirken des empfangenen Wortes in jeder neuen Produktion menschlicher Schöpfungskraft. Doch dazu später. Verfolgen wir die Entwicklungsgeschichte der Metaphysik als dem grundlegenden Baustein jeder Philosophie und, in diesem speziellen Falle, die Bedeutung der Metaphysik für die Ethik weiter.\\ Das sind Vorgänge, die sich in der Weltgeschichte wiederholen. Oberflächliche Naturen wollen daraus ein Entwicklungsgesetz ableiten können, demagogische Dummköpfe mutmaßeln Fortschritt. Und die größten Dummköpfe sprechen von Stadien jeder Kultur, die immer im Zerfall enden müßten. Dieselben Dummköpfe verkennen die Nachwirkung jedes Gedankens, der einmal von den Menschen aufgenommen wurde, verkennen das Fortwirken des empfangenen Wortes in jeder neuen Produktion menschlicher Schöpfungskraft. Doch dazu später. Verfolgen wir die Entwicklungsgeschichte der Metaphysik als dem grundlegenden Baustein jeder Philosophie und, in diesem speziellen Falle, die Bedeutung der Metaphysik für die Ethik weiter.\\
 Metaphysisch dasein heißt fragen. Fragen zieht Antwortung nach sich. Antwortung will systematisiert sein, sucht nach Anfängen, Prämissen. Im Umkehrschluß für Nachgeborene Analyse. Es existiert dieser enge Zusammenhang zwischen Erfahrungswissenschaft und Metaphysik. Erfahrungswissenschaft will gar nichts, sie ist, ist Methode. Metaphysik ist Gründung und ihrem Wesen nach Willensbeschreibung, ist somit in einem empirischen Sinne gar nichts! Das Wollen aber ist in unserer Ethik entscheidend, denn das Sein ändert sich, das Nichts aber bleibt vage und eigentlich Ahnung. Um die aber geht es letzten Ende immer. Sind es nicht die Ahnungen, die das Tun des Menschen bestimmen? Und sind vollständige Analysen des Daseins, worum es in Erfahrungswissenschaften immer gehen wird, nicht nur Brotkrümelei, verloren, wenn das, was Krümel zusammenhält, nicht wenigstens in der Ahnung mitgedacht wird?\\ Metaphysisch dasein heißt fragen. Fragen zieht Antwortung nach sich. Antwortung will systematisiert sein, sucht nach Anfängen, Prämissen. Im Umkehrschluß für Nachgeborene Analyse. Es existiert dieser enge Zusammenhang zwischen Erfahrungswissenschaft und Metaphysik. Erfahrungswissenschaft will gar nichts, sie ist, ist Methode. Metaphysik ist Gründung und ihrem Wesen nach Willensbeschreibung, ist somit in einem empirischen Sinne gar nichts! Das Wollen aber ist in unserer Ethik entscheidend, denn das Sein ändert sich, das Nichts aber bleibt vage und eigentlich Ahnung. Um die aber geht es letzten Ende immer. Sind es nicht die Ahnungen, die das Tun des Menschen bestimmen? Und sind vollständige Analysen des Daseins, worum es in Erfahrungswissenschaften immer gehen wird, nicht nur Brotkrümelei, verloren, wenn das, was Krümel zusammenhält, nicht wenigstens in der Ahnung mitgedacht wird?\\
-Der verhängnisvolle Paradigmenwechsel in der griechischen Philosophie (von der Naturphilosophie, die alles als gegeben voraussetzte, zur Schaffungstheorie aus dem Nichts) war glücklicherweise kein vollständiger. Etwas blieb. Die Griechen setzten weiterhin auf Anschauung, auf individuelle Lebenswahrnehmung, auf Schönheit. Nur so ist die endlose Zahl von Ethiken zu begreifen, die allesamt auf ästhetische Weltwahrnehmung setzten, immer in gewisser Weise lebensbejahend, ob nun in gegenständlicher Wollust am Dasein oder in strikter Verneinung desselben. Die Griechen wollen immer vereinen, anderes aufnehmen, Denken  anschauen in einer Theoria, sie suchen die Auseinandersetzung; ein letzter Rest archaischer Agon schwingt da mit; Selbstbehauptung. Das, was angeschaut werden kann, sind die Konkretationen im Dasein: Pflanzen, Tiere, vorgestellte Atome, Plastiken oder auch Tonnengewölbe. Sie sind manifestierbar vor dem geistigen Auge, welches Ort und Stunde selbständig festlegen kann durch Benennung. Das Benannte kann dem geistigen Auge immer wieder erzeugt werden, die Assoziativität des Begreifens durch den aufgerufenen [[Begriff]].\\+Der verhängnisvolle Paradigmenwechsel in der griechischen Philosophie (von der Naturphilosophie, die alles als gegeben voraussetzte, zur Schaffungstheorie aus dem Nichts) war glücklicherweise kein vollständiger. Etwas blieb. Die Griechen setzten weiterhin auf Anschauung, auf individuelle Lebenswahrnehmung, auf Schönheit. Nur so ist die endlose Zahl von Ethiken zu begreifen, die allesamt auf ästhetische Weltwahrnehmung setzten, immer in gewisser Weise lebensbejahend, ob nun in gegenständlicher Wollust am Dasein oder in strikter Verneinung desselben. Die Griechen wollen immer vereinen, anderes aufnehmen, Denken  anschauen in einer Theoria, sie suchen die Auseinandersetzung; ein letzter Rest archaischer Agon schwingt da mit; Selbstbehauptung. Das, was angeschaut werden kann, sind die Konkretationen im Dasein: Pflanzen, Tiere, vorgestellte Atome, [[Plastik|Plastiken]] oder auch Tonnengewölbe. Sie sind manifestierbar vor dem geistigen Auge, welches Ort und Stunde selbständig festlegen kann durch Benennung. Das Benannte kann dem geistigen Auge immer wieder erzeugt werden, die Assoziativität des Begreifens durch den aufgerufenen [[Begriff]].\\
 Die [[Römer]] sind da von einer ganz anderen Art: Sie haben keine einzige wirkliche Philosophie hervorgebracht - wie im übrigen die Amerikaner unserer Tage auch keine eigene Philosophie zuwege brachten oder bringen werden. Es war ihr Lebens- und Herrschwille, der ihre Größe und Bedeutung bis in unsre Zeit ausmacht. Der Römer diente dem Ganzen, stellte sich ins Glied und focht die Kämpfe um Machterweiterung. Macht bleibt nie bei sich, als [[Prinzip]] gesehen, muß sie wachsen, sich erweitern und andere durchdringen . Kapitalismus. Die Römer durchdrangen die ihnen bekannte Welt mit dem Willen, diese unter ihrem Willen zu strukturieren. \\ Die [[Römer]] sind da von einer ganz anderen Art: Sie haben keine einzige wirkliche Philosophie hervorgebracht - wie im übrigen die Amerikaner unserer Tage auch keine eigene Philosophie zuwege brachten oder bringen werden. Es war ihr Lebens- und Herrschwille, der ihre Größe und Bedeutung bis in unsre Zeit ausmacht. Der Römer diente dem Ganzen, stellte sich ins Glied und focht die Kämpfe um Machterweiterung. Macht bleibt nie bei sich, als [[Prinzip]] gesehen, muß sie wachsen, sich erweitern und andere durchdringen . Kapitalismus. Die Römer durchdrangen die ihnen bekannte Welt mit dem Willen, diese unter ihrem Willen zu strukturieren. \\
 Alle Straßen führen nach Rom. \\ Alle Straßen führen nach Rom. \\
nietzsche.1689939018.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/07/21 11:30 von Robert-Christian Knorr