nietzsche
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nietzsche [2023/11/04 15:51] – [Essay "Nietzsche und die Ethik der Gegenwart"] Robert-Christian Knorr | nietzsche [2025/02/08 15:07] (aktuell) – [Jenseits von Gut und Böse] Robert-Christian Knorr | ||
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- geboren 1844 in Lützen bei Leipzig, gestorben 1900 in Weimar\\ | - geboren 1844 in Lützen bei Leipzig, gestorben 1900 in Weimar\\ | ||
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- | - [[Erziehung]] durch Schwestern und eine strenge Mutter → in dieser Tatsache vernuten | + | - [[Erziehung]] durch Schwestern und eine strenge Mutter → darin vermuten |
+ | - als Schüler in Pforta gut - Ausnahme Mathematik, was ihn beinahe das Abitur gekostet hätte -, aber wenig beliebt, Primaner, der Mitschüler an die Einhaltung von Regeln erinnerte und gottesfürchtig war, insbesondere 1861 bei der Konfirmation\\ | ||
+ | - improvisierte auf dem Klavier, dichtete, besaß wenig Corpsgeist, aber einen Freund, [[https:// | ||
+ | - Neigung zur Korpulenz, kein Turner, aber Schwimmer; kurzsichtig; | ||
- erste Weltbilderschütterungen durch die Lektüre D. F. Straußens, dazu F. Albert Langes // | - erste Weltbilderschütterungen durch die Lektüre D. F. Straußens, dazu F. Albert Langes // | ||
- seine Idiosynkrasien und [[Vorurteil# | - seine Idiosynkrasien und [[Vorurteil# | ||
- | - ein Neinsager: gleiches oder ähnliches wie [[Stirner]] nimmt er nicht zur Kenntnis;\\ | + | - ein Neinsager: gleiches oder ähnliches wie [[Stirner]] nimmt er nicht zur Kenntnis\\ |
- | - Gott: Nietzsche! Wenn Sie den gekannt hätten. Er hat nie gelacht und war immer durch unseren [[Humor]] wie überrascht. Dazu Kurzsichtigkeit bis zur Augenblödigkeit; | + | |
+ | - lebte nach 1870 in einer Zeit pazifistischer Entschränkungen und individualistischer Verfeinerungsgeräusche ([[Benn]]) | ||
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+ | - Gott: Nietzsche! Wenn Sie den gekannt hätten. Er hat nie gelacht und war immer durch unseren [[Humor]] wie überrascht. Dazu Kurzsichtigkeit bis zur Augenblödigkeit; | ||
- wollte nicht für seine Zeit, sondern für Jahrhunderte recht behalten → [[Konservatismus# | - wollte nicht für seine Zeit, sondern für Jahrhunderte recht behalten → [[Konservatismus# | ||
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- Spätperiode: | - Spätperiode: | ||
+ | === Aspekte seiner Lehre === | ||
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+ | * Geniekult; | ||
+ | * Kult des Prinzips der [[Autonomie]], | ||
+ | * hybrider [[Protestantismus]]; | ||
+ | * Pathos der Distanz; | ||
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+ | === stilistisches Selbstverständnis 1866 === | ||
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+ | - Mein Bestreben ist, das logische Grundgerippe nicht so sichtbar durchblicken zu lassen. Dies ist übrigens sehr schwer. Wenigstens für mich. Ich möchte derartigen Dingen ein etwas künstlerisches Kleid geben. Es ist nötig, nachdem ich mich so lange vernachlässigt habe. Sodann vermeide ich möglichst streng die Gelehrsamkeit, | ||
==== Erkenntnistheorie ==== | ==== Erkenntnistheorie ==== | ||
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- philosophische Begriffe und Kategorien werden zu psychologischen Absurditäten | - philosophische Begriffe und Kategorien werden zu psychologischen Absurditäten | ||
+ | ==== Ethik ==== | ||
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+ | Verbindungspunkt zur [[Aufklärung]] ist die Sicht des [[Egoismus]], | ||
+ | - Agon (Wettkampf) und Eris (Streit) als Agenti des Menschseins - als Grundphänomen des gesellschaftlichen Lebens\\ | ||
+ | - die bisherige Religion, Philosophie, | ||
+ | - der Wegfall der Gottesvorstellung, | ||
+ | - Verbindung von [[Theorie]] und Praxis → Gegensatz zur seinerzeit vorherrschenden [[Meinung]] der Positivisten und Neukantianer - siehe [[Neukantianismus]] -, die die [[Praxis]] als irrelevant betrachteten → [[Theorie vs. Praxis]]\\ | ||
+ | - zur „ewigen Wiederkunft”: | ||
+ | - da er nichts von der Ökonomik des [[Kapitalismus]] verstand, konnte er nur die Symptome des Überbaus beschreiben\\ | ||
+ | - sein Auftrag besteht darin, den ehrlichen Intellektuellen zu retten, ihm einen Weg zu weisen, der jeden Bruch mit der [[Bourgeoisie]] überflüssig macht, einen Weg, der dem moralischen Rebellen das angenehme [[Gefühl]] beschert, erlöst worden zu sein, ästhetisch\\ | ||
+ | - steht der ästhetisch-oppositionellen Dekadenz zu nahe, um Rassentheoretiker zu sein (Lukacs)\\ | ||
+ | |||
+ | ==== Der Antichrist ==== | ||
+ | |||
+ | 1888\\ | ||
+ | - entschlüsselt die hochkomplexe Psychologie des [[Christentum|Christentums]] mit Hilfe vieler kleiner und großer Übertreibungen\\ | ||
+ | - es gibt den gläubigen und den wahrheitssuchenden Menschentypus, | ||
+ | __Kerngedanken__: | ||
==== Die fröhliche Wissenschaft ==== | ==== Die fröhliche Wissenschaft ==== | ||
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=== Ergebnis === | === Ergebnis === | ||
- wenn das [[Subjekt]] ein Wille in der Welt ist, dann bildet es sich als Leser der Welt unter den Bedingungen des Handelns\\ | - wenn das [[Subjekt]] ein Wille in der Welt ist, dann bildet es sich als Leser der Welt unter den Bedingungen des Handelns\\ | ||
- | - aus diesem Handeln läßt sich der ästhetische Zuhörer formen, der sich selbst negiert in einem Sinnen aufs Einssein - Natur vs. Kultur → die Geburt der Tragödie ist also [[Resultat]] wider Willen;\\ | + | - aus diesem Handeln läßt sich der ästhetische Zuhörer formen, der sich selbst negiert in einem Sinnen aufs Einssein - Natur vs. Kultur → die Geburt der Tragödie ist also [[Resultat]] wider Willen; |
- | - Nietzsche hat den Mythus als Philosophem begriffen, nicht das Leiden im [[Schicksal]] des Helden als [[Tragik]]: er schwingt sich über die Musik (als Erlebnisabbreviatur) in das Dionysische des tragischen Mythus, verklärt ihn ästhetisch als perzipierte Urlust, letztlich ist das eine philosophisch-ästhetische Deutung, keine mythische (Bäumler) | + | |
+ | - Nietzsche hat den Mythus als Philosophem begriffen, nicht das Leiden im [[Schicksal]] des Helden als [[Tragik]]: er schwingt sich über die Musik (als Erlebnisabbreviatur) in das Dionysische des tragischen Mythus, verklärt ihn ästhetisch als perzipierte Urlust, letztlich ist das eine philosophisch-ästhetische Deutung, keine mythische (Bäumler)\\ | ||
+ | - geistreiche Schwiemelei (Ritschl) | ||
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KANZELRABE GEGEN ALTARKRÄHE\\ | KANZELRABE GEGEN ALTARKRÄHE\\ | ||
- Zukunftsphilosophie im Namen des Dionysos, d.i. eine Präfiguration [[Jesus Christus]]\\ | - Zukunftsphilosophie im Namen des Dionysos, d.i. eine Präfiguration [[Jesus Christus]]\\ | ||
- | - Huldigung [[Goethe]]s\\ | + | - Huldigung [[Goethe|Goethes]]\\ |
- | - Einsiedlervisionen → ewige Metamorphosen; | + | - Einsiedlervisionen → ewige [[Metamorphose|Metamorphosen]]; Idiosynkrasie (bei Nietzsche die [[Absicht]], |
- Variation bekannter Themen in der Form der Verkündigung → Nietzsche will sich einen Jasagenden nennen dürfen\\ | - Variation bekannter Themen in der Form der Verkündigung → Nietzsche will sich einen Jasagenden nennen dürfen\\ | ||
- die [[Liebe]] zum Schicksal, [[fatum]], läßt alles als [[notwendig]] erkennen → [[Freiheit]] und [[Spontaneität]] sind kirre, d.i. die Lehre von der willigen Verantwortungslosigkeit\\ | - die [[Liebe]] zum Schicksal, [[fatum]], läßt alles als [[notwendig]] erkennen → [[Freiheit]] und [[Spontaneität]] sind kirre, d.i. die Lehre von der willigen Verantwortungslosigkeit\\ | ||
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→ die [[Illusion]] des moralischen Urteils unter sich haben bedeutet, sich jenseits von [[gut]] und [[böse]] zu stellen und so zum Übermenschen zu werden, denn NUR der Mensch mißt, der Übermensch aber kann getrost darauf verzichten | → die [[Illusion]] des moralischen Urteils unter sich haben bedeutet, sich jenseits von [[gut]] und [[böse]] zu stellen und so zum Übermenschen zu werden, denn NUR der Mensch mißt, der Übermensch aber kann getrost darauf verzichten | ||
+ | - das Philosophische darin ist dürftig und fast kindisch, das Politische albern und weltunkundig - voll einer widerlichen Verkelung von allem und jedem ([[Rohde]]) | ||
==== Vier unzeitgemäße Schriften ==== | ==== Vier unzeitgemäße Schriften ==== | ||
- von Nietzsche Wagner 1870 in Tribschen als "Die Entstehung des tragischen Gedankens" | - von Nietzsche Wagner 1870 in Tribschen als "Die Entstehung des tragischen Gedankens" | ||
- das Buch bewirkt eine Reaktion von [[Wilamowitz]], | - das Buch bewirkt eine Reaktion von [[Wilamowitz]], | ||
+ | - spätere Angriffe auf Wagner sind zugleich Angriffe auf die Reichsdeutschen, | ||
- die ästhetisch-psychologische Frage wird aufgelöst als ein künstlerisch-literarisches Problem\\ | - die ästhetisch-psychologische Frage wird aufgelöst als ein künstlerisch-literarisches Problem\\ | ||
Ziel der Abhandlung: [[Verständnis]] erreichen für die zwei Phänomene, aus denen alles erwächst → Vernunft (Sokrates) und Instinkt (Dionysos) | Ziel der Abhandlung: [[Verständnis]] erreichen für die zwei Phänomene, aus denen alles erwächst → Vernunft (Sokrates) und Instinkt (Dionysos) | ||
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- ein Pragmatiker: | - ein Pragmatiker: | ||
- betont die Gefahr der [[Bildung]] „in einer Unterordnung der Bildung als eines Mittels unter den Erwerb, unter das roh verstandene Erdenglück”, | - betont die Gefahr der [[Bildung]] „in einer Unterordnung der Bildung als eines Mittels unter den Erwerb, unter das roh verstandene Erdenglück”, | ||
- | weiter: er fordert für das [[Heil]] der Kultur - ihr galt seine prinzipielle [[Sorge]] - die entschlossene Privilegisierung einer Minderheit, deren [[Muße]] auf der harten physischen [[Arbeit]] der Mehrzahl, der [[Masse]] beruht\\ | + | weiter: er fordert für das [[Heil]] der Kultur - ihr galt seine prinzipielle [[Sorge]] - die entschlossene Privilegisierung einer [[Minderheit]], deren [[Muße]] auf der harten physischen [[Arbeit]] der Mehrzahl, der [[Masse]] beruht\\ |
ABER: Nietzsche betont, daß die moderne Demokratie eine historische Form vom Verfall des Staates ist, nach deren Zeit eine noch zweckmäßigere [[Erfindung]] als der Staat es war zum Siege über den Staat kommen wird, denn die Klugheit und der [[Eigennutz]] der Menschen sind von allen ihren Eigenschaften am besten ausgebildet und somit ist die Aussicht, die sich nach dem Verfall ergibt, nicht eine unglückselige\\ | ABER: Nietzsche betont, daß die moderne Demokratie eine historische Form vom Verfall des Staates ist, nach deren Zeit eine noch zweckmäßigere [[Erfindung]] als der Staat es war zum Siege über den Staat kommen wird, denn die Klugheit und der [[Eigennutz]] der Menschen sind von allen ihren Eigenschaften am besten ausgebildet und somit ist die Aussicht, die sich nach dem Verfall ergibt, nicht eine unglückselige\\ | ||
- | - [[Wagner]] ist ihm der größte [[Ausdruck]] der künstlerischen [[Dekadenz]], | + | - [[Wagner]] ist ihm der größte [[Ausdruck]] der künstlerischen [[Dekadenz]], |
- | __Ethik__: \\ | + | |
- | Verbindungspunkt zur [[Aufklärung]] ist die Sicht des [[Egoismus]]\\ | + | |
- | - Agon (Wettkampf) und Eris (Streit) als Agenti des Menschseins - als Grundphänomen des gesellschaftlichen Lebens\\ | + | |
- | - die bisherige Religion, Philosophie, | + | |
- | - der Wegfall der Gottesvorstellung, | + | |
- | - Verbindung von [[Theorie]] und Praxis → Gegensatz zur seinerzeit vorherrschenden [[Meinung]] der Positivisten und Neukantianer - siehe [[Neukantianismus]] -, die die [[Praxis]] als irrelevant betrachteten → [[Theorie vs. Praxis]]\\ | + | |
- | - zur „ewigen Wiederkunft”: | + | |
- | - da er nichts von der Ökonomik des [[Kapitalismus]] verstand, konnte er nur die Symptome des Überbaus beschreiben\\ | + | |
- | - sein Auftrag besteht darin, den ehrlichen Intellektuellen zu retten, ihm einen Weg zu weisen, der jeden Bruch mit der [[Bourgeoisie]] überflüssig macht, einen Weg, der dem moralischen Rebellen das angenehme [[Gefühl]] beschert, erlöst worden zu sein, ästhetisch\\ | + | |
- | - steht der ästhetisch-oppositionellen Dekadenz zu nahe, um Rassentheoretiker zu sein (Lukacs)\\ | + | |
- erklärt Schopenhauer, | - erklärt Schopenhauer, | ||
=== Nietzsches Anziehungskraft === | === Nietzsches Anziehungskraft === |
nietzsche.1699113107.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/11/04 15:51 von Robert-Christian Knorr