====== ARISTOTELES ====== ===== Leben ===== 384 und 322 v.Chr.\\ - [[Lehrer]] von [[Alexander#Alexander der Große]] zwischen 342 und 334\\ - kehrte nach [[Athen]] zurück und gründete ein [[Gymnasium]], den Peripatos, d.s. Wandelhallen des [[Apollo]] Lykeios\\ ===== Erkenntnistheorie ===== - weil Aristoteles das [[Seiende]] überhaupt [[erkennen]] wollte, wurde ihm die [[Erkenntnis]] des Grundes des Seienden zur Gotterkenntnis ===== Naturlehre ===== Aristoteles definiert vier je zwei komplementär zusammengehörige [[Ursache]]n: - die Stoff- und Formursache - verhalten sich zueinander wie das Bestimmbare und das Bestimmende - die Bewegungs- und Zweckursache - beziehen sich auf Anfang und Ziel jeder [[Bewegung]]. - der [[Stoff]], Hyle, ist unerkennbar und von unbestimmter potentieller [[Natur]]\\ → [[Gans]] bezeichnete Aristoteles' Stellung in der [[Philosophie]] als sollende leere [[Mitte]] ===== Ethik ===== {{ :aristoteles.jpg?277|}}- Hans von Arnim erbrachte 1924 den Nachweis, daß die Aristoteles zugeschriebenen Ethiken auch von ihm stammen \\ - in seinen Jugendschriften schwankt er zwischen der Ideenlehre [[Plato|Platons]] und einer vorsokratischen Kosmosverehrung, die eher [[Kontemplation]] als höchstes [[Lebensziel]] auspreist als das Tun in der menschlichen [[Gesellschaft]]\\ - stellt Formen und Bedingungen moralischen Verhaltens dar und untersucht die Frage nach dem höchsten [[Gut]] für den Menschen → Entstehung des Namens Ethik\\ - stellt [[Regel#Regeln]] auf, keine Gesetze, denn das [[Gute]] existiert nicht [[schlechthin]], sondern in so vielfacher Hinsicht wie das [[Sein]] (1096e) → deshalb gibt es keinen absoluten [[Maßstab]] für das sittliche Handeln, sondern nur Regeln für das [[Verhalten]] in bestimmbaren Situationen, ABER: Aristoteles kann über das bloße Beschreiben, die empirisch-phänomenologische Auffassung der [[Ethik]] durch die Fixierung seiner [[Prinzip#Prinzipien]] in der Mesotes-[[Lehre]] hinausgehen\\ - will die [[Arete]] erlangen, nicht wissen, was sie ist, um so zu hoffen, daß [[Wissen]] = Tatbestand ist → die zweckfreie Erkenntnis ist höchste Lebenserfüllung\\ - die Doxa ist die Bedingung richtigen [[Handeln#Handelns]], nicht das Wissen (1140b)\\ - setzt auf die [[Bedeutung]] der [[Erziehung]], d.i. die Formung irrationaler Seelenkräfte (1103a), um durch Gewöhnung zu ihr zu gelangen: //Die seelischen Vorzüge entstehen in [[uns]] weder von Natur noch wider die Natur, sondern dadurch, daß wir von der Natur die Fähigkeit haben, sie anzunehmen, und durch Gewöhnung ihnen zur [[Vollendung]] zu helfen.//\\ ==== Mesotes-Lehre ==== [[Definition]]: die richtige Mitte zwischen Zügellosigkeit und Gefühllosigkeit, das gute Maß und gemeinsame [[Merkmal]] der einzelnen [[Tugend#Tugenden]], meson, ein fruchtbares [[heuristisch#heuristisches]] [[Prinzip]]\\ [[Motiv]] für Mesotes: Kalon → [[Streben]] nach [[Schönheit]]\\ - für die Lehre unwichtig sind Umstände wie [[Krankheit]] und [[Vermögen]] o.a., weil sie keinen [[Gegenstand]] der [[Tapferkeit]] abgeben können\\ - Aristoteles weicht von [[Plato#Platon]] dahingehend ab, daß er die drei Lebensformen (Soldat, [[Philosoph]], Bauer) als sich gegenseitig ausschließende [[Möglichkeit#Möglichkeiten]] konfrontiert, während Platon das [[Ideal]] eines von philosophischer Einsicht gelenkten [[Leben#Lebens]] der Tat aufstellt → Rückkehr zum [[Vorsokratiker#vorsokratischen]] [[Gedanke#Gedanken]] einer αίρεσις, d.i. Ketzerei (Wehrli)\\ ==== Nikomachische Ethik ==== - eine seinem Onkel oder seinem Vater gewidmete Zusammenstellung mehrerer ethischer Grundgedanken, die nach Aristoteles' Tod von anderen erweitert und von einem Bibliothekar von Alexandria den Ethiken des Aristoteles subsumiert wurde\\ === Fragepunkte === - Wie kann man ein guter Mensch werden? - Wie kann man zugleich ethisch handeln und dennoch nach Glückseligkeit streben? - Wie unterstützt man das Glück anderer (pöetisches Handeln) und zugleich fördert man deren selbstloses Handeln? ===== Gerechtigkeitslehre ===== * Übereinstimmung mit dem [[Nomos]] * zwischen dem Zuviel und Zuwenig an [[Recht]]: - jeder soll das Seine erhalten\\ - verantwortlich für richtiges [[Verhältnis]] der Seelenteile → gehört somit zur ganzen Seele\\ - im engeren Sinne: Einzeltugend, die jedoch die höchste darstellt, da sie jede einzelne Tugend in sich enthält\\ - Tugend des sozialen Verhaltens\\ - ein [[fremdes]] Gut – //allotria// - als einzige unter allen Tugenden; seinsmäßig von der Tugend geschieden, ethisch ihr zugehörig\\ - nicht accidentiell, sondern substantiell → darin die [[Dynamis]] der [[Gerechtigkeit]]\\ - Bindung an eine [[Kodifikation]] beeinträchtigt wahre Gerechtigkeit → also muß der [[Herrscher]] herrschen können, um [[gerecht]] zu sein \\ - der Mensch besitzt eine natürliche Ablehnung gegenüber dem Unbekannten, dem [[fremd#Fremden]], das er als Bedrohung empfindet (Xenophobie; Fremdenfeindlichkeit) → Gerechtigkeit entsteht für ihn dann, wenn jeder das ihm Gemäße erhält ===== Logik ===== - Methodenlehre des Beweises → untersucht die Formen und Gesetze der wissenschaftlichen Beweisführung\\ - jedes [[Urteil]] ist entweder bejahende oder verneinende Aussage\\ - aus der Verknüpfung zweier Urteile ergibt sich der [[Schluß]], [[Syllogismus]], wenn die Urteile einen gemeinsamen Begriff tragen\\ ==== Beweisführung ==== - Ableitung des [[einzelne]]n aus dem Allgemeinen - [[Deduktion]] - Hinführung vom einzelnen zum Allgemeinen - [[Induktion]] → Erfahrungswerte [[sammeln]] durch Experimente oder andere Erfahrungen - die [[Theologie]] ist deduktiv, weil Gott nur durch Gott erkannt werden kann\\ === axiomatischste Urteile der Logik: === - //contra dictionis//: welche sind die allerallgemeinsten Urteile? - //identitalis//: A bleibt A, es wird nicht B - //exclusii tercii//: das ausgeschlossene Dritte → II. kann auch nicht durch ein Drittes vermittelt werden - //causalitatis//: es muß ein zureichender Grund angegeben werden - die intuitive Bejahung ist nicht zu beweisen: Es ist nicht [[möglich]], denselben dasselbe in demselben Sinn zugleich zuzuordnen und nicht zuzuordnen. → Syllogistik (Kernstück der Aristotelischen Logik)\\ - A ã B, zu lesen: A kommt allen B zu - A ê B, zu lesen: A kommt keinem B zu - A î B, zu lesen A kommt einigen, mindestens einem, B zu - A õ B, zu lesen A kommt einigen, mindestens einem, B nicht zu - die Syllogistik hat zu untersuchen, in welchen Fällen aus zwei Sätzen der Formen 1-4 über Prädikate A,B,C die ein [[Prädikat]] [B] gemeinsam haben, ein Satz der Form A*C [[logisch]] folgt, wobei * eine [[Variable]] für ã, ê, î, õ ist\\ ===== Metaphysik ===== zwei plus zwei Prinzipien sind in der Welt: - die Materie – das Mögliche - die [[Form]] – wesengebende [[Kraft]] * causa efficiens – bewirkende Ursache * causa finalis – das Ziel, auf das alles hinwirkt - die [[Natur]] ist eine bewegte, eine immerwährende κίνησης → quantitative und qualitative [[Veränderung]] der Dinge\\ - das einzelne Ding entsteht durch den Widerstand der Materie gegenüber der Formgestaltung\\ - die [[Wirklichkeit]] entsteht durch das Wirken der Prinzipien; eine den Dingen zugrundeliegende [[Potenz]] verwirklicht sich im [[Akt]]\\ - die Welt ist eine [[Entelechie]], die zu einem [[Telos]] will\\ - über die Betrachtung der Natur zu erreichen → [[Suche]] nach dem Dahinterliegenden, d.i. die [[Analyse]] des Lebendigen selbst in seine Bewegungsurgründe\\ - das metaphysische [[Denken]] setzt beim Einzelding an, aber dieses Einzelding interessiert nicht wirklich, nur das Dahinterliegende: die [[Substanz]] ist das Wesen der Dinge, denn Erkenntnis geht auf das Wesen der Dinge\\ - will die Phänomene als Wesensmerkmale des Seienden retten: das Wesen liegt in den Dingen selbst, es gibt KEINE Ideenwelt: Aristoteles sucht den platonischen [[Dualismus]] zwischen Sinnen- und übersinnlicher Welt zu überwinden\\ - das [[Wesen]] ist nicht statisch, da die Welt bewegt ist\\ - findet das intelligible [[Reich]] in der [[Seele]]\\ __[[Paradoxie]]__: die Welt besteht [[ewig]], mußte aber durch den unbewegten Beweger in Bewegung gesetzt werden\\ ==== Seelenlehre ==== - Seele wird als Lebensseele verstanden mit der Akzentuierung Lebenskraft, allerdings betont Aristoteles auch das αυτοκινετόν (selbstbewegend), das er bekämpft, aber weiß, daß das keine Lösung des Problems ist → "Über die Seele", I. Buch, 3. Kapitel, 406a\\ - Bedenken gegen die Bewegnis der Seele, aber die Seele muß durch vier Vermögen beschrieben werden: - Vermögen der Erinnerung; - kann wahrnehmen; - kann denken und - ist im Fluß, ist in Bewegung (413b) ===== Poetik ===== Alle Menschen unterscheiden sich, was ihren [[Charakter]] betrifft, durch Schlechtigkeit und [[Güte]]. Aufgrund dieses Unterschiedesweicht die [[Tragödie]] von der [[Komödie]] ab: die Komödie sucht schlechtere, die Tragödie bessere Menschen nachzuahmen, als sie in der [[Wirklichkeit]] vorkommen. Die Tragödie ist dramatisch, d.h. eine Nachahmung sich Betätigender ist aufgeschrieben. Die Komödie ahmt schlechtere Menschen nach, insofern das [[Häßlich#Häßliche]] Anteil am Lächerlichen hat: das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener [[Fehler]].\\ Die Tragödie enthält sechs Teile: - [[Mythos]] – Zusammenfügung von Geschehnissen - Charaktere - [[Sprache]] – [[Verständigung]] durch Worte → gliedert sich in die Elemente [[Buchstabe]], Silbe, Konjunktion, Artikel, [[Nomen]], [[Verb]], [[Kasus]], [[Satz]] - [[Erkenntnisfähigkeit]] – Vermögen, das Sachgemäße und Angemessene auszusprechen (Stimmigkeit des Charakters) - Inszenierung - Melodik – ein Teil der [[Katharsis]] Die [[Epik]] und die Tragödie verhalten sich folgendermaßen zueinander: Die Tragödie ist Nachahmung einer guten, in sich geschlossenen Handlung. Was die Epik (Handlungsvielheit) enthält, das ist auch in der [[Tragik]] enthalten, nicht dergleichen umgekehrt. Man darf kein episches Handlungsgefüge zu einer Tragödie machen. In der Tragödie kann man nicht mehrere Teile der Handlung, die gleichzeitig stattfinden, nachahmen, sondern nur den Teil, der auf der [[Bühne]] stattfindet. Im [[Epos]] ist das möglich; zum Epos paßt das Ungereimte, die Hauptquelle des Wunderbaren, besser, weil man die Handelnden in ihrer eventuellen [[Lächerlichkeit]] nicht vor Augen hat.\\ Die [[Schönheit]] der Tragödie beruht auf der [[Größe]] und Anordnung. Der Erwartungshaltung des Zuschauers wird im Epos Rechnung getragen. Im [[Drama]] ist der Ausgang jedoch oftmals der [[Erwartung]]shaltung entgegengesetzt. Es ist im dramatischen [[Sinn]] sehr wahrscheinlich, daß sich vieles gegen die [[Wahrscheinlichkeit]] abspielt.\\ Der [[Dichter]] hält sich zumeist an bereits gelebte Personen. Jede Tragödie besteht aus Verknüpfung und Lösung. Die Verknüpfung umfaßt die Vorgeschichte und einen Teil der Bühnenhandlung bis zu dem Augenblick, da die [[Wende]] geschieht; die Lösung beinhaltet den [[Rest]]. Die Tragödie besteht formal aus: * [[Prolog]]: Teil der Tragödie vor dem Einzug des Chores * [[Episode]]: Teile zwischen den Chorliedern * Exodus: Teil nach dem letzten Chorlied. Die [[Nachahmung]] des Reellen ist der Mythos.\\ Die [[Fabel]] des Stücks hat mit der Einheitlichkeit der Handlungsweise des Haupthelden nichts zu tun. Die Fabel benötigt eine einheitliche [[Handlung]], einen Faden. Die Lösung der Handlung, das Ergebnis der Peripetie (Wendepunkt des Dramas) muß daraus selbst herausgehen. \\ Dabei gibt es eine einfache und eine komplizierte Handlung. Eine Handlung ist einfach, deren Wende sich ohne Wendepunkt oder Wiedererkennung vollzieht; andernfalls ist sie kompliziert. Die Katharsis bewirkt die Rettung, auch beim Zuschauer, denn sie soll die reinigende [[Wirkung]] abgeben, die der [[Zuschauer]] erfährt, wenn er dem Faden folgen kann. ===== Staatslehre ===== __Prämisse__: die Frage nach der Bedeutung der Vernunft (der auf Tugend aufgebauten [[Klugheit]]) für die [[Ordnung]] der [[Gesellschaft]] → es ist also diejenige Gesellschaftsordnung die beste, in der die [[Vernunft]] am meisten wirkt bzw. sich am besten entwickeln kann\\ stellt drei Syteme gegenüber * [[Demokratie]] – Politie * [[Tyrannis]] – [[Monarchie]] * [[Oligarchie]] – [[Aristokratie]] - bei allem Für und Wider scheint er die Politie zu befürworten\\ ===== Rezeption ===== - mit ihm verbindet [[Lessing]] den Grundgedanken, daß nur eine mittlere [[Person]], also eine mit Fehlern behaftete, den Zuschauer zu [[Leidenschaft]]en bewegt, doch verwirft Lessing Aristoteles' Gedanken, über die [[Furcht]] zur Besserung beizutragen\\ - sein berühmtes [[Porträt]] ist eine Kopie eines römischen Bildhauers nach einer zeitgenössischen Arbeit des griechischen Bildhauers Lysippos