====== AUFKLÄRUNG ====== - Das [[Wesen]] der Aufklärung ist die Alternative, deren Unausweichlichkeit die der Herrschaft ist. ([[Adorno]]) ===== Vorgeschichte ===== Die Ausländerei wurde in Zeiten innerer [[Unfreiheit]] als [[Zeichen]] der Rettung betrachtet. Die [[Deutsche]]n fühlten sich unfrei, der [[Poesie]] fehlte es an [[Ausdruck]] und Empfinden. So suchte man nachzuahmen beziehungsweise alte Zeiten heraufzubeschwören, so daß die deutsche Aufklärung immer eine stärkere Verbindung zum Traditionellen erhielt als andere Aufklärungsversuche. [[Lessing]] einigte [[Kunst]]- und Volksdichtung, so daß die Deutschen ein Identifikationsmuster erhielten. Es ist wichtig für die Bewertung der Aufklärung, daß sie sich im Grundtenor gegen gewaltsame Staatsverbesserungen ausgesprochen hat, d. h. gegen Staatsverbesserungen, die über moralische Mittel hinausgehen. ===== Bücherproduktion ===== - Zahlen entstammen dem Meßkatalog Leipzig für die entsprechenden Jahre |Art der Literatur|1740|1770|1800| |religiös-theologische Literatur|38,5%|24,5%|13,5%| |schöne Künste und Wissenschaften|5,8%|16,5%|21,5%| zusätzlich gibt es eine innere Verschiebung; bei der schöngeistigen Literatur verschiebt sich der Akzent folgendermaßen: |Formen der schöngeistigen Literatur|1740|1770|1800| |geistliche Erbauungsliteratur|76,6%|40%|21,3%| |weltliche schöngeistige Literatur|23,4%|60%|78,7%| ===== englische Einflüsse ===== * Brocke - setzte religiöse und philosophische Fragen der [[Engländer]] in der deutschen [[Dichtung]] um * [[Haller]] - führte die ernste englische Dichtung - [[Lyrik]] als schulmeisterliches Pendant - ein\\ - Versuch einer [[Synthese]] aus leibnizscher [[Theodizee]] und [[Pope]]s //Versuch vom Menschen//; seine Beispiele machen die englische [[Philosophie]] volkstümlich * Hagedorn - hegte keine metaphysischen, sondern moralische Absichten \\ - Für Hagedorn war Kunst die Nachahmung der [[Natur]], da sieht er seinen moralischen Impetus. Er fragt nach den philosophischen Gründen künstlerischen Schaffens, weiß jedoch keine Antwort zu geben. Sein Kunstverständnis orientiert sich an dem [[Winckelmann]]s: Die [[Form]] ist Kunst allein! Er nimmt sich der liebenswürdigen ([[Shaftesbury]]) Absichten der Engländer an, diese nahmen, wenn auch indirekt, am Kampf zwischen der: „Volkstümlichkeit in die Dichtung!“ propagierenden Schweizer Versammlung und der Klassizismus predigenden sächsischen Richtung teil. ^britische Aufklärung^europäische Aufklärung^ |- wenn sie irgend ein allgemeines [[Prinzip]] anerkennt, dann muß sie es erst induktiv beweisen, indem sie verschiedene Anwendungsmöglichkeiten prüft, zum Beispiel [[Hume]]: es gibt keine [[Idee]] ohne vorherige Impression|- deduktive Europäer; ein Deduktionsgebäude aufgebaut auf der [[Logik]]: es ist alles in [[Ordnung]], wenn das Prinzip richtig ist| |- Ablehnung der Methodik, denn durch die [[Vernunft]] lasse sich nichts über Dinge feststellen, mit denen die Methodik zu tun hat|- Rückführung auf feste Sätze; jeder [[Satz]] müsse ein [[Subjekt]] und ein [[Prädikat]] haben| |- [[Lust]] ist das höchste [[Gut]] → aufgeklärter [[Eigennutz]]|- Lust ist unedel; es gelten höhere Prinzipien, antiutilitaristische| |- die Literatur spricht zum Volke, soweit es lesen kann: die in den Texten vermittelten Ideen gewannen mehr eine zweckmäßige, aufs Handeln hinweisende Gestaltung| - die Literatur spricht zum (deutschen) Volke, das weitgehend lesen kann: die in den Texten vermittelten Ideen greifen auch aufs Praktikable, aufs Zweckmäßige und Nützliche, mehr noch aber wollen sie den ganzen Menschen ergreifen und wirken damit ästhetisch-künstlerisch über das Praktische hinaus| ===== Formen ===== - [[Epigramm]]\\ - [[Epos]]\\ - Lehrgedicht\\ - [[Fabel]]\\ - Bildungsroman\\ - Staatsroman\\ - [[Satire]]\\ - [[Trauerspiel]] ===== leitende Ideen ===== - Solidarität der [[Gesellschaft]]\\ - [[Fortschritt]] zum Weltbesten durch Herrschaft über die Natur mit der Methode [[Wissenschaftlichkeit]], da in ihr Vernunft obwaltet\\ - Regelung von [[Staat]] und [[Recht]]\\ - Überwindung jedes staatlichen und kirchlichen Drucks, d.h. die Unterordnung der [[Religiosität]] unter das vernünftige [[Denken]] und das moralische [[Handeln]] ([[Dilthey]])\\ - Zweckmäßigkeit, Nützlichkeit und Glückseligkeit (Erich Franz) ==== Gegensätze ==== * Mündigkeit (Freiheit) vs. Autoritätsglauben; * Verstand vs. Gefühl und * natürliche und übernatürliche Weltauffassung. - Jacobi, Lavater und Hamann kämpfen zugleich für das Recht des Gefühls und das einer übernatürlichen Ordnung/Offenbarung\\ - Hamann ist starr auf die Bibel fixiert (Biblizismus), zugleich tritt er vehement für die Macht des lebendigen Gefühls ein ===== entscheidende Neuerungen des Aufklärungszeitalters ===== - man brach mit dem geltenden Politikbegriff des [[Mittelalter]]s, der sich an Aristoteles zu orientieren glaubte → der [[einzelne]] ist für die Aufklärer nicht mehr Teil einer im [[Kosmos]] verankerten Seinspyramide; - der Staat wird als ein Konsens betrachtet, der sich der säkularisierten Vernunft ursprünglich Gleicher und Freier verdankt und dient dem Fortbestand der [[Gemeinschaft]]; - es gilt eine neue Wissenschaftlichkeit, denn fortan sind alle Lebewesen nicht mehr einem Zweckgedanken unterworfen, sondern kausalen Gesetzmäßigkeiten unterworfen; - die [[Geschichte]] vollzieht sich immer weiter hin zum Beßren, der [[Telos]]-Gedanke aus der Natur wird auf die Geschichte übertragen, d.i. der Fortschrittsgedanke (Saage) ===== Prinzipien ===== - maß die Vergangenheit an der Gegenwart oder einer Zukunft, die eine idealisierte Gegenwart war (Friedell) * [[Hamann]] - stellt das Errungene als fragwürdig dar\\ - antithetische [[Technik]] zwecks Erringung der Tatsächlichkeit * Lessing - Wahrheitssuche statt bloßer [[ratio]]\\ - der Gedanke der Theodizee kann einen Menschen [[verzweifeln]] lassen, wenn man nicht mehr glaubt * Kant - Kritik an der Überschätzung von Vernunft und [[Nützlichkeit]] → Grenzen setzen!\\ - attackiert sowohl den aristokratischen [im Sinne [[burke#Burkes]] the spirit of the gentlemen] als auch den christlichen Geist, um sie durch neue, moderne Ideen zu ersetzen (Kinneging) ===== moralische Wochenzeitschriften ===== Verkündigung neuer moralischer Verhaltensmuster: nicht mehr durch die [[Religion]] begründet, sondern durch die Vernunft - [[Erziehung]] macht sich tendenziell von der [[Kirche]] selbständig\\ - der bürgerliche Alltag wird zum Gegenstand der Betrachtungen\\ __Vorbild__: [[England]] (R. Steel, Eddison) mit seinen Zeitschriften: //the tatter//, //the spectator//, //the guardian// \\ - [[Thema]] „Mensch“\\ - Literatur wird so zum Diener der Vernunft\\ - jeder Mensch wird als vernunftbegabt auf eine neue Stufe gestellt\\ - Vernunft ist keine esoterische Kenntnis ===== Probleme ===== - das harmonische [[Weltbild]] der Aufklärung mit seiner Übereinstimmung von Vernunft, [[Sittlichkeit]] und Lebensordnung ist durch die [[tragisch#tragische]] Gewaltpotentialität der im Menschen bereits irrational und gefährlich erlebten Selbstbestimmung gesprengt → die Forderung nach [[Freiheit]] des Gewissens wird nach außen dringen wollen und nach politischer [[Macht]] schreien, so daß unvorbereitete Menschen auf unflexible Systeme treffen, was zu [[Gewalt]] und [[Tod]] führen könnte\\ - die Aufklärung war nicht in der Lage, eine neue politische Philosophie zu entwickeln → im [[Gegensatz]] zur [[Romantik]] jedoch betrachteten sie die [[Vergangenheit]], um eine bessere, um die hehren Ziele der Menschheit aufgeklärte [[Zukunft]] haben zu können\\ - die Forderung nach einem Recht, das für alle Völker und alle Zeiten gleiche Brauchbarkeit haben sollte, ist der Irrtum des 18. Jahrhunderts ===== Zeitungen ===== * Die Matrone * Der Patriot - Juristen aus [[Hamburg]] 1724 bis 1726 rufen zur Selbstbesinnung auf\\ - eine [[Reaktion]] auf die sozialen und wirtschaftlichen Ereignisse in Hamburg * Der Aufseher - grundcharakterbestimmend\\ - die Titel sind fiktiv und verraten bereits Absicht ===== Rezeption ===== - soll geistiges, kulturelles und gesellschaftliches Klima schaffen, das [[Auschwitz]] nicht noch einmal zuläßt → Bewußtwerdung des Grauens erzeugen!\\ - das Abbrechen der parabolischen Intention und die Verdunkelung sind Konsequenzen der Aufklärung → das Objektive wird auf den Menschen reduziert, weshalb er das [[Seiende]] als trostloser empfindet\\ - will man den Menschen retten, so muß man ihm das Mythologische zurechnen und zurückgeben\\ - verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen\\ - schneidet das Inkommensurable weg; zersetzt das Unrecht der alten Ungleichheit, das unvermittelte Herrentum, verewigt es aber auch zugleich in der universellen Vermittlung, dem Beziehen jeglichen Seienden auf jegliches ([[Adorno]])\\ - der Versuch des Nachweises, daß Gottesglauben keine moralische Förderung für die [[Menschheit]] bedeutet → daß in einer Gesellschaft von Atheisten die moralischen Gebote ebenso funktionieren würden wie in einer [[religiös]] patronierten ([[Bayle]])\\ - nach der [[Emanzipation]] von allen vorgegebenen Bindungen, Autoritäten und Traditionen steht die subjektive Freiheit des Individuums nunmehr ganz bei sich selbst, ohne [[Orientierung]] an objektiven Gehalten → der normative Absolutheitsanspruch der Vernunft schlägt schnell in absolute Herrschaft um: Vernunfttotalitarismus ([[Böckenförde]])\\ - bewirkte Vertändnisverlust der mythologischen Ausdrucksweise der vorigen Zeitalter und erklärte diese für verrückt (Campbell)\\ - setzte auf Kräfte des nur sinnlich berechnenden Verstandes, welcher die Verbindung eines künftigen Lebens mit dem gegenwärtigen aufhob → die Religion wurde rationalisiert\\ - begreift Ergänzungs- und stellvertretende Mittel der sittlichen Denkart - Liebe, [[Ruhm]], Vaterlandsehre - als täuschende Trugbilder ([[Fichte]])\\ - brachte den Deutschen, die keine das ganze [[Volk]] durchziehende Identifikation besaßen, statt des angestrebten politischen das künstlerische Ideal\\ - eine [[rational]]-skeptische Geistesbewegung, die die [[Welt]] durch [[Erkenntnis]] und Nutzanwendung der Vernunft zu bewältigen trachtete\\ - Gegenströmung zum herrschenden [[Pietismus]] und zur Empfindsamkeit, die aus dem [[Westen]] kam (Hettner)\\ - zur ihr ist nichts erforderlich, als die Freiheit, in allen Dingen Gebrauch seines Verstandes zu machen\\ - Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit\\ - Unterscheidung in aufklärendes und aufgeklärtes [[Zeitalter]] \\ - Kant war über die Aufklärungspostulate begeistert; er sann über die Verbreitung im Menschengeschlechte nach\\ - ist eine historische [[Kategorie]], sozusagen eine Etappe auf dem Wege zur Glückseligkeit → diese Auffassung führte zum [[Streit]] mit [[Moses Mendelsohn#Mendelsohn]], der sah sie als ewige Aufgabe\\ - eine Reihe von Schranken ist [[notwendig]], um den in der Aufklärung entfesselten Kritizismus zu bremsen und damit der Gefahr zu entgehen, daß aus ihr ein Werkzeug der Zerstörung werde (Kant)\\ - es fehlt die moralische [[Möglichkeit]] zur Erringung seiner unverlierbaren Rechte\\ - keine Veredlung der Gesinnungenentfesselung der rohen Triebe der niederen Klassen\\ - keine Totalität des Charakters\\ - materialistische Sittenlehre ABER notwendige Entwicklungsstufe, da der Mensch mannigfaltig entwickelt werden muß → //lebe mit deinem Jahrhundert, aber sey nicht sein Geschöpf; leiste deinen Zeitgenossen, aber was sie bedürfen, nicht was sie geloben//\\ - ist bloß theoretische Kultur und zeigt so wenig einen veredelnden Einfluß auf die Gesinnung, daß sie vielmehr bloß dazu hilft, die Verderbnis in eine [[System]] zu bringen und unheilbarer zu machen ([[Schiller]])\\ - hat den Menschen unzureichend vereinfacht, der aufgeklärte [[Mensch]] hat keine Ahndung ([[Schubert#Gotthilf Schubert]])