====== AUGUSTIN ====== ===== Augustin von Hippo ===== auch Augustinus\\ 354-430\\ - die [[Philosophie]] ist ihm, die [[Basis]] für alle pädagogischen Aufstellungen, aber auch selbst Zielpunkt der [[Erziehung]], letztlich Erziehung zur Philosophie → die neuplatonisch-mystische Richtung der augustinischen Philosophie folgt diesem Ansatz zur Philosophie: **die [[Führung]] der Menschenseele zur Einigung mit dem Göttlichen**\\ - in Augustin laufen die Komponenten, die unsere [[Zivilisation]] möglich machten, zusammen: die griechische (u.a. ionische Naturphilosophie), die jüdische (Monotheismus) und die lateinische ([[Gebser]]) - es gilt, zwei Fragen zu stellen - die Frage nach [[Gott]] - die Frage nach der [[Seele]] → die Antwort(en) führt zur [[Weisheit]] und Lösung der Philosophie\\ ==== Leben ==== {{:augustinus.jpg?400 |}} Kirchenvater aus der [[Zeit]] [[Julian#Julian Apostatas]]\\ - Bischof von Hippo\\ - die erste deutlich erschienene [[Faust]]- und Wissensseele - Itinerarien zu Gott (Bloch)\\ - bestimmte die [[Theologie]] der [[Kirche]] bis zur [[Reformation]]\\ - war zuerst [[Mani#Manichäer]]\\ - Birnensünde der Jugend beschäftigte Augustinus zeitlebens - er nahm sie aus purer Bosheit, nicht weil er sie gebraucht hätte → das [[Gefühl]] der Sündhaftigkeit führt zur [[Frömmigkeit]] und bewahrt den eigenen [[Wert]] bei allen widrigen äußeren Umständen - die [[Sünde]] verliert ihren politischen [[Charakter]] und tritt in die [[Verantwortlichkeit]] des einzelnen\\ - entwickelte die [[Idee]] von den guten Taten, die um ihrer selbst willen aus [[Liebe]] geschehen: //non faciunt bonus mores boni amores.// → Ist das die [[Neigung]] zur [[Pflicht]], die [[Kant]] ablehnte/beim Menschen nicht glauben konnte? - siehe [[Neigung vs. Pflicht]]\\ → bei Augustinus stehen Kirche und [[einzelner]] gleichberechtigt nebeneinander - [[Verantwortung]] gegenüber der Sünde -, weswegen die Jansenisten später als Wiederaufnehmer Augustinischer [[Gedanke]]n verteufelt wurden\\ - der größte Entdecker der objektiven Zeitfunktion bis [[Leibniz]]: * //corruptio defectus// der Fall ins [[vergänglich#Vergängliche]] * //augmentatio, profectus// der Fortgang des Rettenden ==== Erkenntnistheorie ==== - das [[Heil]] ist [[Sein]] ohne Zeit → Beachte die Änderungen der Dinge, so findest du //erit// und //fuit//; denke Gott, so findest du //est//, worin //fuit// und //erit// nicht sein kann - [[Gegensatz]] zum [[Pantheismus]] -, d.i. das //[[nunc stans]] aeternitas//: das ewige Ruhekristall, die transzendente Tiefe, das Urlicht, das nach vollendeter geschichtlich-historischer [[Erhellung]] durchbricht\\ - will gegenüber der akademischen [[Skepsis]] die [[Möglichkeit]] eines Philosophierens sichern, d.h.: Was ist immer gewiß? Woran kann nicht gezweifelt werden? → das [[Wissen]] um die Existenz des Ich, das zweifelt\\ → davon ausgehend findet der suchende Geist weitere Sicherheiten: * ewige Grundsätze des [[Denken#Denkens]] * [[Prinzip|Prinzipien]] moralischen Handelns **ABER**: der [[Mensch]] kann nicht der [[Schöpfer]] moralischer Gesetze sein, er kann nicht die Gesetze der [[Logik]], [[Mathematik]], [[Ethik]] etc. nicht schöpfen → d.i. der Verweis auf Gott\\ ==== Metaphysik ==== - unmittelbares Wissen gründet auf innerer [[Erfahrung]] → Sein, Wissen und Wille bilden in unlöslicher [[Einheit]] die [[Substanz]] der Seele selbst und gewähren eine analogische Vorstellung vom [[Geheimnis]] der [[Trinität]]\\ - die höchste [[Bedeutung]] bei der Gottsuche kommt dem Willen zu, weil er die größte Aktivität entfaltet\\ - der Wille wird jedoch eingeschränkt durch den [[Akt]] der [[Gnade]] Gottes, der erst dem Menschen die Erkenntnis von Vernunftwahrheiten ermöglicht → es gibt also keine [[Freiheit]] des Willens, d.i. die Möglichkeit, sich unbedingt von Bewußtseinsgründen entscheiden zu können\\ - die Willensfreiheit wird ersetzt Augustinus durch die Prädestinationslehre, nach der nur [[Adam]] frei war, diese jedoch verwirkte und nun müssen die Menschen der [[Erlösung]] und der Gnadenmittel der Kirche bedürfen, um wieder frei zu werden, doch da alles [[Gute]] von Gott rührt, kann nur Gott selbst die [[Macht]] der [[Erbsünde]] brechen\\ - [[Geschichte]] hat Ziel, das Eschaton, die [[Endzeit]] mit Jüngstem Gericht, der [[Sieg]] der Kinder des [[Licht#Lichts]] → die Geschichte ist einmalig, denn es gibt ein Ziel\\ - verwirft die antike Vorstellung des Kreislaufes, Zyklus, als gottlos ==== Ethik ==== - in Gott ist die Garantie der Übereinstimmung unseres Denkens mit den Dingen, die nach seinen Gedanken gestaltet sind und das Ziel unseres Lebens ausmachen/geben → //Deum et animam scire cupio. Nihil ne plus? Nihil omni no! (Ich möchte Gott und die Seele kennenlernen. Nichts weiter.)// ==== de civitate Dei ==== entstand 412-17 als Erweiterung einer Streitschrift gegen diejenigen, die im Fall Roms 410 einen Sieg der nichtchristlichen [[Götter]] sahen\\ - die [[Gemeinschaft]] der Auserwählten\\ - eine Arche, dessen [[Offenbarung]] (die Augustin als [[Gleichnis]] versteht) erst am Ende der Geschichte erfolgt → weshalb sogar die Kirche sich nicht deckt mit der //civitas Dei// → //corpus// umfaßt Anzahl der Erwählten, doch ist die Kirche auch ein //corpus permixtum// aus Sündern und Erwählten\\ - Antwort auf das heidnische [[Argument]], [[Rom]] wäre 410 nicht von den [[Goten]] zerstört worden, hätte man nicht das [[Christentum]] zur Staatsreligion gemacht\\ - Augustinus entwickelte ein christliches Geschichtsschema, das [[Vergangenheit]], Gegenwart und [[Zukunft]] darstellte\\ __grundlegender Gegensatz__:\\ [[Staat]] → von dieser Welt; Gottesstaat, d.i. Gemeinschaft der Auserwählten → nicht von dieser Welt\\ * die Goten respektierten die Kirche als Heilstatt, was vielen Römern das Leben sicherte - anders bei heidnischen Plünderungen * die Vergewaltigungen beflecken die Vergewaltigten nicht „Fremde Lust befleckt nicht!“ Keuschheit ist eine [[Tugend]] des Herzens - zu Lukretia: [[Selbstmord]] ist immer eine Sünde * die Auserwählten sind nicht berührt; wir wissen nicht, wer auserwählt sein wird * seit dem Raub der Sabinerinnen war Rom verdorben - Sündhaftigkeit des römischen [[Imperialismus]] * der stoische Begriff des Fatums ist falsch, was das verschiedene [[Schicksal]] von das gleiche Horoskop habenden Zwillingen beweist - [[Engel]] und Menschen haben einen freien Willen * [[Zorn]] und [[Mitleid]] sind [[Leidenschaft#Leidenschaften]], die den Christen auf die Probe stellen, nach seinen Beweggründen - [[Prozeß]] der Menschwerdung === gegen Origenes === - die Körper sind keine [[Strafe#Strafen]] der Seelen, denn nicht die schlechtesten Seelen haben auch die schlechtesten Körper\\ - während [[Origenes]] die [[Willensfreiheit]] damit begründete, daß Wissen seinen Gegenstand nicht von sich abhängig mache, sondern selbst davon abhänge, akzentuiert Augustin, daß [[Freiheit]] nicht mehr die unentschiedene Möglichkeit als [[Gegensatz]] zu jedem Muß zu verstehen sei, sondern nur auf das Gegenteil von dem Muß, das dem handelnden Menschen wider seine Zustimmung und seinen Willen von einem fremden [[Willen]] auferlegt werde, bezogen werden könne === Teleologie === - Die Geschichte wiederholt sich nicht, „denn daß Er gestorben ist, das ist er der Sünde gestorben zu einem Mal.“\\ Platoniker wie Manichäer irren, wenn sie die Sünde als dem Fleische zugehörig betrachten → die [[Menschheit]] für Adams Sünde zu bestrafen war [[gerecht]], denn so wurde der Mensch, der geistig im Fleische hätte sein können, fleischlich im Geiste → deshalb ist die Lust die Strafe für Adams Sünde, ohne sie hätte das Geschlecht von der Lust getrennt werden können, d.i. die sexuelle Aufgabe des Geschlechtslebens! - gab der neuen christlichen Erde als einem [[Jenseits]] auf Erden den kraftvollsten, den freilich auch Kirche bildenden utopischen Ausdruck \\ - die irdischen Wünsche sind die schlechten, denn der Wille, der sie machte, ist [[schlecht]] → also muß er umgekehrt werden: Zielpunkt der Umkehr ist [[Jesus Christus]] - deswegen gibt es keine Heilungsgeschichte, nur [[Heilsgeschichte]] → also sind letztlich alle weltlichen Staaten Feinde Christi, Reiche des [[Teufel#Teufels]]\\ Geschichte ist Heilsgeschichte zum [[Reich]] hin!\\ - die ewige [[Wiederkehr]] des Kreislaufs wird durch die Haßpotenz gesprengt, aber Jesus Christus ist die nicht mehr zerstörbare //lux aeterna// → zu diesem Ende soll die Geschichte gehen\\ - er stellt eine positive Entwicklung fest - keine [[Sehnsucht]] nach dem [[Zeitalter#Goldenen Zeitalter]] -, weswegen der gegenwärtige Staat, das Römische Reich, nicht der schlechteste ist, anarchische sind schlechter\\ grundsätzlich gilt: //remota igitur iustitia// - da sich die [[Gerechtigkeit]] [Rechtfertigung durch Ergebung in Gottes Heilswillen und Einklang mit ihm] zurückzog - //quid sunt regna nisi// - sind die Königreiche nichts anderes als //magna latrocinia//, große Pißhallen, Räuberhöhlen [aus dem IV. Buch]\\ === I. Buch 1-10 === - [[Kritik]] des polytheistischen Heidentums; böse [[Geister]], die die Verdammten beherrschen\\ === II. Buch 11-19 === - der antithetische Heilsprozeß der [[Historie]]\\ - Stufen des Menschseins\\ * von Adam bis Noah - [[Kindheit]] * von Noah bis Abraham - Knabenalter * von Abraham bis David - Jünglingszeit * von David bis zur babylonischen Gefangenschaft - Mannesalter * von der babylonischen Gefangenschaft bis zur Geburt Christi - reifes Mannesalter * von der [[Geburt]] Christi bis zum [[Gericht#Jüngsten Gericht]] - Greisenalter ABER: der siebente Tag werden wir Menschen selber sein, //dies septimus etiam nos ipsi erimus// ==== confessiones ==== - erzählt aus seiner „sündigen“ [[Jugend]] - Nachahmer [[Tolstoi]] und [[Rousseau]]\\ - bemängelte als Jugendlicher das Fehlen ciceronianischer [[Würde]] in der [[Bibel]] → wurde Manichäer\\ - übte später Kritik an Manichäern über die astronomische Schiene: die astronomischen Kenndaten werden von den Manichäern nur geglaubt, sind nicht errechnet - das Falsche ist noch kein Glaubenshindernis, erst wenn es als göttliche [[Inspiration]] bezeichnet wird; [[Ambrosius]] bekehrt ihn in Mailand zum Christentum ca. 385\\ - hielt das [[Böse]] nach wie vor für etwas Substantielles, bis er in Mailand Ambrosius traf, der ihn das Böse in den menschlichen Willen legen half - Verderbtheit des Willens\\ - fand bei den Platonikern die metaphysische Logoslehre: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Alles ist durch dies geschaffen worden, was geschaffen ist. Und das Licht leuchtet in der [[Finsternis]] und die Finsternisse haben's nicht begriffen. Und des Menschen Seele gibt [[Zeugnis]] vom Licht. Und Er kam zu den Seinen, wurde aber nicht erkannt, doch gab er ihnen die [[Kraft]], Gotteskinder zu werden und aufgenommen zu werden.“ Confessiones, Buch 8, Kap. 9, nicht aber die [[Doktrin]] von der Menschwerdung und die daraus folgende Erlösungstheorie → keine [[Orphik]] bei Augustinus!\\ - //tolle, lege//! (Nimm und lies!), VIII, 29 - Die Aufnahme des Gotteswortes ist Lesen mit dem Herzen und führt zur Bekehrung. __Philosophie__: Durchdringung von [[Platonismus]] und Christentum, XI. [[Buch]] der Confessiones\\ [[Problem]]: wenn es eine [[Schöpfung]] gab, dann muß sie so früh wie [[möglich]] erfolgt sein - wenn Platon, [[Aristoteles]] von der Schöpfung [[sprechen]], so denken sie an den Urstoff, dem Gott die [[Form]] gab; die Form entstammt dem Willen Gottes\\ → die Welt ist aus dem [[Nichts]] erschaffen; Gott schuf auch den Urstoff\\ ==== de doctrina christiana ==== 426\\ Lehrbuch, in der die Wiederaufnahme von [[Cicero#Ciceros]] Formel der Verbindung von //sapienta// ([[Weisheit]] im Sinne Apollos als göttlich-schöne [[Gewißheit]]) und //eloquentia// (Beredsamkeit im Sinne [[Hermes]]') im christlichen Kontext gefordert wird\\ - die [[Kraft]] der //persuasio// (Überredungskunst) soll in den Dienst der Wahrheit, d.i. die Verkündigung, treten\\ - der didaktische [[Stil]] dient der //propter caritatem discipulorum// (Liebe der Jünger), d.i. die Verbindung des Formalen mit dem Inhaltlichen: Harmonisierung von //artes//-Wissen und biblischer Offenbarungsgewißheit im [[Glauben]] ==== Enarrationes in psalmos ==== Christologie\\ - Jesus Christus ist als Redner und Angeredeter [[Subjekt]] der Mehrzahl der Psalmen\\ - diente [[Notker#Notker labeo]] als [[Dogmatik]]\\ ==== Wertung ==== - die vorbereitende Aktivierung der feudal-klerikalen [[Gesellschaft]] und viel mehr zugleich (Bloch)\\ - der erste Geschichtsphilosoph; die Entdeckung der Geschichtlichkeit des Menschen\\ - Augustinus steht im Gegensatz zu [[Descartes]], weil Augustinus vermittels Zurückgezogenheit, unbedingte [[Innerlichkeit]], auf Gott als Erkenntnisobjekt hofft\\ - Descartes macht einen ähnlichen Schritt; er geht von der [[Selbstgewißheit]] zu der [[Gewißheit]] von Gott als Daseinsobjekt: Ich habe von den [[Idee#Ideen]] Gewißheit, nicht von den Dingen selbst, so ist rein ideell kein [[Irrtum]] möglich. (Descartes)\\ - es bleibt eine Kluft, die die beiden Formen der [[Zeit]] und der [[Ordnung]] trennt, eine unüberwindbare zwischen Zeit und [[Ewigkeit]] ([[Hegel]])\\ - seine Leistung bestand darin, daß er die großen antiken Ordnungen der Weltkultur mit christlichem Geist erfaßte, aus der Welterklkärung von der Welt her eine Welterklärung von Gott her schuf und somit den Spalt zwischen Gott und den Menschen hinsichtlich der Welterkenntnis schloß (Steffes)