====== BARRES ====== ===== Maurice Barres ===== ==== Leben ==== 1862-1923\\ - großer Einfluß auf deutsche [[Moderne]]\\ - führt geheimnisvoll zur [[Kultur]] des [[Ich]], denn nur das Ich ist verläßlich und verdient die [[Liebe]]\\ - kandidierte als Boulangist – siehe [[Boulanger]] - und wurde Abgeordneter in Nancy, weil er das [[Seiende]] nach inneren Kämpfen akzeptiert, //acceptation// → dieses [[Wort]] wird zum Grund[[begriff]] seiner [[Weltanschauung]], das Ich wird in einer [[Schicksal]]sgemeinschaft verortet, der ganze [[Kosmos]] ist eingebettet in die [[Seele]], die den heimatlichen Boden benötigt, um eine Verbindung zur [[Vergangenheit]] herzustellen, imgleichen eine zur [[Zukunft]] aufbauen zu können\\ - der Stachel des Leidens ist Lebensantrieb\\ - gilt nach salto mortale um 1900 als ideologischer Vorbereiter des Ersten Weltkrieges: //Stellt euch auf die feste Erde eurer [[Provinz]], Europäer!//\\ - um 1900 wird Barres [[Politiker]] und spricht von [[Recht]], [[Pflicht]] und [[Vaterland]]\\ ==== Thema ==== - travestiert die evangelischen Geschichten nach der Pariser Tagesmode, d.h., er spielt mit religiösen [[Ding#Dingen]], kokettiert mit der [[Mystik]] und bringt beliebige synthetische Begriffe mit Gott in [[Zusammenhang]] → Einfluß [[Renan#Renans]] bezieht sich auch auf die Thematisierung des Unbewußten, letztendlich einem oberflächlichen [[Liberalismus]], der irgendwann Schiffbruch erleiden mußte \\ - das [[Individuum]] auf der [[Suche]] nach [[Halt]] und [[Orientierung]] in einer als [[fremd]] und feindlich erlebten Welt\\ - die Väter bestimmen unser Handeln und wirken aus den Gräbern heraus auf [[Handeln]] der Söhne\\ - hebt mit seinen Armen unsere Stimmungen aus\\ - zeigt Erzählprobleme: das [[einzelne]] wird dem [[Subjekt]] weggenommen und durch ein [[Abstrakt#Abstraktes]] ersetzt, weil der [[Mensch]] unfähig ist, sich in die [[Welt]] einzubringen\\ ==== geistige Väter ==== [[Hugo]], [[Lisle]], Renan, [[Taine]], [[Menard]] → ihnen begegnet Barres in seiner Jugend, und sie begeistern ihn\\ ==== philosophische Grundierung ==== - er wendet sich an den modernen Menschen, aber sein Tun hat das Erbauliche des [[Jesuit]]en [[Loyola]] → Loyola dient Barres dazu, den [[Ich-Kultus]] zu vertiefen\\ - Beziehung zum [[Symbolismus]], denn die [[Neigung]] zum Gebrauch vieldeutiger [[Symbol]]e kennzeichnet seine ideologischen [[Roman]]e und fußt auf dem [[Mangel]] herkömmlicher sprachlicher [[Mittel]] → hier findet er Bezug zur deutscher [[Metaphysik]] und zur [[Kunst]] R. [[Wagner]]s\\ - Auseinandersetzung mit [[Mach]]s unrettbarem Ich → Barres leugnete seines nicht, doch will er den Menschen leben machen: „Ihm ist es darum zu tun, seltene, widerspenstige und wichtige Gedanken [[klar]] und verständlich auszudrücken, wo andere mit Wortmusik und Wortmalerei Stimmungen suggerieren wollen...“ ([[Hofmannsthal]]) → Barres' [[Erziehung]]sprinzip will den einzelnen durch Stimmungen bestimmter Saiten als Bestimmung bewußt machen \\ - die Kenntnis seiner Toten und seiner [[Erde]] macht den Menschen seiner bewußt\\ - sein politischer [[Wille]] ist vom selben [[Gesetz]] beherrscht wie seine Beziehung zur Kunst\\ - zwischen 1893/7 hörte er [[Soury#J. Soury]], dessen [[Lehre]] von der totalen Determiniertheit des Menschen er übernimmt → d.i. die Lösung vom [[Rationalismus]] Taines und Renans, also soll des Menschen [[Freiheit]] in der [[Einwilligung]] in die [[Notwendigkeit]] bestehen (Stintzing)\\ - Einfluß durch [[Hartmann]], [[Sorel]] und [[Marx]] → betont die unhintergehbaren [[Wahrheit]]en des Unbewußten, des Instinktiven, dem die Gesetzmäßigkeiten des Lebens entspringen\\ - betont, daß seine Akzeptanz die Überlegenheit der vitalen Überlegenheit des Unbewußten über das [[rational]] Reflektierte entspricht\\ ==== Ästhetik ==== - Barres sucht in der Kunst seelische Ausdruckswerte, keine formale Schönheit\\ - sein Gedankengebäude ist Selbststilisierung → ein Prunkbau über dem [[Kultus]] des Ich\\ ==== Politik ==== - übertragen aus dem Kunstverständnis, d.h. die Summe politischen Handelns ergibt sich in einer Summe seelischer Gegebenheiten → Politik ist nationaler Ich-Kultus\\ - gelenkt vom Ausdruckswillen wird sie zur emotionalen [[Energetik]] und expressionistischen Gefühlspolitik\\ - sucht einen [[Ausgleich]] nationaler [[Interesse]]n auf der [[Basis]] des kleinsten gemeinsamen Nenners → [[praktisch]] will Barres die [[Plebiszit|plebiszitäre]] [[Methode]] des [[Empire]] wieder einführen gegen das parlamentarische [[System]] der Dritten Republik\\ - konnte sich in den drei großen politischen Machtgruppen nicht einordnen\\ ==== Grundsätze ==== === 1891 === - mit „hellen, knappen, straffen Sätzen, die unsäglich melancholisch sind“ ([[Bahr]])\\ * Gedankensünden sind die schwersten, denn der Gedanke ist unser wahres Selbst * Gefährlich sind die Sünden des Mundes, denn unsere [[Rede]] wirkt verderblich zurück auf unser [[Denken]]. * Bei leichten Sünden protestieren nur die Gedanken. === 1892 === * die menschlichen Neigungen dürfen nicht gehemmt, sondern müssen durch soziale Formgebung legitimiert werden * für jeden gibt es eine [[Tätigkeit]], die für die [[Gesellschaft]] nützlich ist, während sie ihn selbst [[glücklich]] macht - die Welt kann nur von einem neuen Gefühlszustand gebessert werden, nicht durch eine Idee → in der Liebe und im [[Mitleid]] haben wir Gefühle füreinander/miteinander, d.i. die Hinwendung vom [[Intellektualismus]] zum Sentimentalismus\\ === 1894 === - in sich schauen, selbst entdecken, //ad se ipsum//: ethischer [[Egoismus]] in der Art [[Stirner]]s\\ - Reisen, Kunstgenuß, erotische Abenteuer → der erste [[Dekadent]]\\ === 1899 === __Action francaise__:\\ * Der Einzelmensch hat kein dringenderes Interesse als das, in Gesellschaft zu leben: Jede soziale [[Gefahr]] enthält schwere Gefahren für das Individuum. * Von allen sozialen Formen ist die festeste die [[Nationalität]]..., sie bleibt Bedingung aller [[Menschheit]]. * Unter Franzosen müssen alle strittigen Probleme mit Rücksicht auf die [[Nation]] gelöst werden. * Die Franzosen, die sich dieser Wahrheit bewußt sind, haben heute die Pflicht, sie so öffentlich und häufig wie [[möglich]] zu formulieren, um sie ihren verblendeten fahrlässigen Landsleuten wieder einzuprägen. ==== Der Garten der Berenike ==== 1891\\ - der [[Held]], Philippe, sitzt in den Niederungen des tätigen Lebens\\ - er liebt eine Tänzerin, Berenike, durch ein heftiges Bedürfnis nach Süßigkeit und [[Träne#Tränen]]\\ - der Garten hat das [[Erbe]] ihrer [[Rasse]] treu bewahrt, der schwere Boden nahm alles auf, in ihm findet der Held eine [[Heimat]]\\ - der Garten heißt Rosemonde und in ihm leben ein [[Esel]] und eine Ente\\ - der Held zwingt Berenike, gegen ihren [[Instinkt]] zu handeln, eine Heirat, wodurch er sie zerstört → die infinitesimale Schwingung zwischen beiden wird zerstört\\ - die [[Frau]] handelt um der Liebe willen → Paradigmenwechsel in der [[Literatur]]: zurück zum Ewigweiblichen\\ - die Frau als Seele und unschuldige Schönheit\\ - eine Schwester der Najaden und Dryaden, der Loreleien und Melusinen, so ist Berenike die Herrin des Gartens, die projizierte Seele des Landes, die Verkörperung des Unbewußten, Melancholischen und Zarten, was da in der Luft liegt\\ - sie kann des Gartens nicht entbehren wie Melusine der [[Quelle]] und Lorelei des Felsens\\ - sie hat eine unbestimmte und melancholische [[Sehnsucht]] nach der Vergangenheit\\ - sie bewohnt ein kleines [[Haus]] an der Landstraße, ihr Geliebter hat es ihr geschenkt; jetzt, da er tot ist, weint sie um ihn\\ - im Garten grast ein Esel mit wehmütigen Augen, kleine ängstliche Enten um ihn → das vage Leid der [[Landschaft]] ==== Les deracines ==== Die Entwurzelten, 1897\\ - das Ende der Aufgeschlossenheit gegenüber dem Anderen und Fremden\\ - fremd ist alles, was zur Entwurzelung beiträgt, v.a., wenn davon eine [[Faszination]] ausgeht\\ - eine Vermischung der Milieus führe zur Gefährdung der [[Identität]]\\ ==== Die Reise nach Sparta ==== 1906\\ - nach der [[Enttäuschung]] durch das deracinierte [[Athen]] und den fehlenden Prunk Olympias und [[Korinth]]s ist [[Sparta]] Seelengröße, //de la magnanimite//\\ - von Sparta ist nichts mehr übrig als Sumpfgelände und ein breites Kiesbett, in das der Eurotas seine Mündung einzeichnet\\ - die ganze Ebene ist ein Heldengrab, aus Tal und [[Hügel]] steigt der [[Adel]] des dorischen Stammes auf, eine Jugend mit [[Lanze]] und Leier\\ - das [[Buch]] ist ein gequältes Befragen des eigenen Empfindens, um der [[Reise]] einen literarischen Ertrag abzugewinnen\\ - Barres verdirbt [[uns]] Hellas durch Modernismen\\ ==== Barres' Grenzen ==== - Barres hat Mauern um seine Seele gezogen, in denen sein Ich zugrunde gehen muß ABER das Ich benötigt immer wieder ein Übertreten von Grenzen, um sich zu verlieren, um sich zu erneuern und seinen wahren [[Sinn]] zu erfüllen\\ - der rückwärtsgewandte Blick Barres' kann das nicht leisten und kann auch nicht begeistern → er benötigt von außen kommende Reize, um sich anzustacheln, das Unendliche wird auf den Namen einer fixen Idee eingeschränkt → [[Nationalismus]] ist beschränkte [[Hoffnung]]\\ - Barres sammelt, doch grenzt er ab und vereinigt das Aufgenommene nicht mit dem, was es bedeuten könnte, sondern zieht selbst darum Grenzen, die vorgefertigen Wertungen entsprechen → das Ich wird nicht erweitert, sondern aufgeblasen\\