====== BENN ====== ===== Gottfried Benn ===== 1886–1956\\ in Mansfeld (Nordbrandenburg) geboren\\ 1903: [[Theologie]]- und [[Philosophie]]studium\\ 1905: Medizinstudium\\ 1911: Unterarzt (Prenzlauer Infanterie)\\ 1912: Pathologe in Berlin\\ 1914-1917: Oberarzt im besetzten Brüssel\\ - wurde als Mediziner dem Nihilismus in die Arme geworfen\\ - teilte nicht die metaphysisch gewendete Anthropozentrismuskritik, wie sie [[Jünger]] nach dem zweiten Krieg vertrat, sondern strebte aus den Trümmern der Lebenswirklichkeit zu einem neuen Formverständnis: Artistik, die NICHT lebensfremd ist\\ - der [[Künstler]] Benn lebt von seiner Umwelt, vom Zustand seiner ihn umgebenden [[Wirklichkeit]], in der er badet und die er in artistischen Formen wieder erhält (Röcke) ==== Essay zur Ehrenrettung Gottfried Benns ==== Was ist ein Intellektualist?\\ Wenn im [[Text]] ein [[Kapitel]] //ZÜCHTUNG II// heißt, dann sucht der Leser die Auseinandersetzung mit //ZÜCHTUNG I//. Die fehlt.\\ Warum wird erst im vierten Kapitel Benns Bezug zu Weimar thematisiert? Überhaupt: die Schichtung der [[Zeit]]. Im [[Essay]] ist es [[möglich]], [[diskursiv]] und auch diachron ein [[Thema]] zu behandeln, aber in erster Linie muß vor dem Leser ein Ablauf erkennbar sein, nicht eine Schichtung von Abläufen, deren [[Zusammenhang]] bestenfalls dialogisch erfaßt werden kann. Doch ein Dialog über die Zeiten?\\ Wichtigster psychologischer und philosophischer Aspekt der Selbstbestimmung des Wichtigen: Die politische Tätigkeit ist eine Folge des Denkens. __Der andere Ansatz__: Das Denken ist eine Folge der politischen [[Tätigkeit]] - Bedeutung des Mitläufertums.\\ Dem Text fehlt ein Eingehen auf die Bennsche Essayistik zwischen 1920 und 1931. Einzelne Texte werden zwar genannt, aber hinsichtlich ihres weltanschaulichen Wirkens und in ihrem Reflex in der Bennschen [[Lyrik]], seinem eigentlichen künstlerischen Schaffensschwerpunkt, nicht erfaßt.\\ __Aspekt des Bleibens__: Die Feigheit der Emigranten. Man stellt sich selbstvergessen und zieht nicht selbstverliebt den Schwanz ein. Was es bedeutet, sich einer Sache auszusetzen, die man nicht mehr hat. Wer glaubt an was? Wer setzt welche [[Mittel]] ein? Welchen [[Zweck]] hat das [[Leben]]? Wie [[ernst]] wird einer genommen, der aus der sicheren Entfernung [[moralisch]] parliert? All das sind Ansatzpunkte, die sich um die [[Existenz]] des emigrierten Schriftstellers drehen.\\ In diesem Zusammenhang muß deutlich werden, was die liberalen Intellektuellen, gegen die Benn zeitlebens argumentierte, antreibt. Eine Gleichsetzung links-[[liberal]] = marxistisch wird es bei Benn nicht gegeben haben. Ansatzpunkt sollte sein: Der liberale [[Intellektuelle]] und der [[Staat]], der die Substanz des Machtgedankens inne hat/ausspricht - die Frage nach der Substanz der Macht, der Substanz der [[Qualität]] der Macht. Und hier die Angelfrage Bennschen Denkens: Dient die Macht oder ist sie Selbstzweck? Wenn sie dient, dann muß sie anfangs beiseite räumen. Anderes wäre gegen die [[Natur]] ihrer selbst. Aber wie sie es tut... Das sind so Fragen für eine mögliche Auseinandersetzung, die einer haben kann, der mächtig ist - und Benn war 1933/34 mächtig.\\ Wichtig ist hier eine [[klar#klare]] Differenzierung zwischen Nazi und Faschist.\\ Auseinandersetzung muß den [[Gegner]] zu [[Wort]] kommen lassen; von Schillings kommt nicht zu Wort!\\ George war nicht in der [[Emigration]], sondern bei seinem letzten Aufenthalt; der Mann war totkrank.\\ Benns großartiger ästhetischer Wurf der dorischen [[Welt]] verdiente mehr [[Aufmerksamkeit]]. Hier der zweite fundamentale Gedanke: [[Klassik]] ist Aufstufung und Erhöhung der [[Erde]]. Das ideelle [[Sein]] manifestiert sich im Material. Daß es nicht die Athener mit ihrer [[Demokratie]] waren, sondern die Spartaner mit ihrer [[Oligarchie]], die im Grunde [[Aristokratie]] ist, das ist der entscheidende politische Gedanke, für den Benn steht.\\ Hier muß Benns [[Verhältnis]] zum NS erfaßt werden: Die Spontangewalten treffen sich im vereinigenden Entwurf des Künftigen. Benns Bezug zum [[Volk]]: Das Volk setzt die [[Dichtung]], nicht die Macht. Aber die Macht, Staat, muß die Dichtung begünstigen, indem er das Volk rein hält. Bildet. Aus dem Sauertopf gewordenes Volk muß ein Volk seiendes Volk werden. \\ Die [[Dynamik]], daß Volk immer nur WIRD, nie ist, daß [[Reinheit]] eines Volkes unsinnig ist, auch nicht über eugenische [[Prinzip#Prinzipien]] erreicht werden kann, daß Volk immer Blutaustausch der vielen ist... Aber ist es das alles wirklich?\\ Wechselbeziehung zwischen Staat und Volk... aber wie?\\ [[Nietzsche]]: Welchen Bezug setzt Benn zu Nietzsche? Warum ist er so wichtig? Welcher Teil Nietzsches ist wichtig? Nietzsches [[Bedeutung]] für die Geistarbeiter der 30er Jahre.\\ Das mit dem Begriff des //Intellektualisten// hat sich geklärt. Bezugswort wird wohl ein Text Benns aus dem Jahre 1934 sein, eine autobiographische.\\ Und hier bin ich auch gleich bei einer fundamentalen [[Kritik]]: Wenn Namen wie Nietzsche oder Mann in einer größeren Arbeit auftauchen, dann muß - MUSZ - deren [[Lehre]], die wichtigsten Bezugspunkte genannt und kritisiert werden, dann muß der unmittelbare Inhalts-Ausdrucksbezug hergestellt werden.\\ Nietzsches Prinzip war nicht das Neinsagen. Seine wichtigsten Fragestellungen lassen den Biologisten vermuten, doch er betrachtet die Rassenfrage rein gesellschaftlich; das ist kein [[Widerspruch]], denn es steht für das Sowohlalsauch der Philosophie Nietzsches.\\ Ist klassische [[Philologie]] ohne die [[Griechen]] zu verstehen? Und hier liegt für den Philologen, der Nietzsche eigentlich war, das Grundproblem: Er überträgt einen [[Skeptizismus]] - der ist nicht gleichzusetzen mit einem strikten Neinsagen! - auf periphere Wissensgebiete. Und der [[Unterschied]] liegt in einem Bezugssystem auf ein Drittes: Nietzsche stellt einen Zusammenhang zwischen Philosophie und Lebenspraxis auf: //Es gibt schöne und häßliche Bilder, aber keine wahren und falschen//. Kultur innerhalb des [[Pessimismus]], [[Trotz]], und Elitarismusimmanenz führten in den ersten Jahren der [[Selbständigkeit]] zu [[Enthusiasmus]]. Aber die Antike ist nicht zu fordern und aus dieser sich auftuenden [[Diskrepanz]] ist Nietzsche nie herausgekommen. \\ Die [[Zwei-Reiche-Lehre#Zwei-Reiche-Theorie]] hat weit zurückreichende Vor-Bilder. Sagen wir [[Augustin]]. Und mit dem wächst auch der Bezug zum [[Böse#Bösen]], zur Macht, zur Zeit, all diesen Dingen, die Benn bedeutsam waren.\\ Der psychologische Ansatz, daß eine [[Koinzidenz]] früher oder später [[scheitern]] muß, bleibt unreflektiert, wird nur festgestellt. Gut ist die Aufnahme des Begriffs der [[Heuchelei]], sie hätte einige vergegenwärtigende Aspekte verdient.\\ Gibt es zwischen [[Faschismus]] und NS eine Verschiedenheit? Ich denke, Benn war nie Faschist, wohl aber [[Nationalsozialist]].\\ Der Begriff und die soziale Kompetenz des Gutsherrn äußerte sich in dem der [[Verantwortlichkeit]]. Alter [[Adel]] ist verantwortlich, muß seine Untergebenen beschützen, darin liegt seine Aufgabe, an deren Einhaltung er gemessen wird. Sie schlägt die Brücke zwischen den Klassen, in Friedenszeiten weniger, in Kriegszeiten mehr. Man lese [[Fontane]]s VOR DEM STURM, um diesen Aspekt gerade für die ostelbischen [[Junker]] zu erfassen. Zu den ostelbischen Einheimischen: Es ist ein gut gehütetes [[Geheimnis]], daß die [[Hohenzollern]] im 15., 16. und 17. Jahrhundert vornehmlich Bauern aus dem [[Rheinland]], Flandern und Schwaben in der Neumark ansiedelten...\\ [[Kunst]] und Staat: das alte Lied... Die Brandenburgischen Konzerte oder [[http://www.oppisworld.de/zeit/michelangelo/index.html|Michelangelos Werke]] wären ohne staatliches Mäzenatentum nie möglich gewesen. Gibt es zwei Kunstszenen? - Hat der Staat [[Verantwortung]]? Soll er sich nicht lieber vollends raushalten? - Zwei [[Seele]]n streiten sich in meiner Brust...\\ Was Benn wirklich aufregt, ihm geradezu agens seines Schaffens ist: Die neue [[Republik]] - die keiner so richtig wollte -, sie schafft eine Artistik, die für [[Künstler]] wie H. Mann wesenseigen ist - und selbst von Thomas Mann mehrfach angegriffen ward -, Benn hat hier ein Grundproblem, denn H. Mann schuf ihn, [[Rausch]] und [[Zucht]] müssen eine [[Synthese]] bilden im neuen Heim. Und diese Affinität zum //magister technicus//, //heinricus//, die will er nun überwinden. das schafft ihm Freiraum und Intensität im Forschensdrang. Daraus resultiert auch seine [[Ambivalenz]], der Suchtrieb bleibt.\\ Das ist die eigentlich spannende Frage, die noch heute steht: Kann dieser Raub[[kapitalismus]] der Gegenwart den Menschen überhaupt entwickeln?\\ Zur Schlußbemerkung: Benn soll INHUMAN sein. Da sag ich Möh! Kaum. Wer gegen den [[Liberalismus]], gegen den [[Kommunismus]] und gegen den [[Kapitalismus]] ist, der ist kein inhumaner [[Mensch]], nicht notgedrungen. \\ [[Humanismus]] für [[uns]] Deutsche bedeutet [[Orientierung]] an [[Goethe]], [[Humboldt]], [[Schiller]], [[Novalis]], [[Eichendorff]], Brüder [[Grimm]], [[Curtius]], [[Gadamer]], Thomas Mann, [[Bachmann]], [[Grillparzer]], [[Zweig]], [[Moses Mendelsohn]] und [[Beethoven]]... u.v.a.\\ Gegen die hier Versammelten hat Benn nie polemisiert, nie etwas gesagt. Warum wohl? Und warum findet sich bei ihm kein Anti-Semitismus?\\ Die Schlußfolgerung, Benn sei INHUMAN, halte ich für falsch, ungefähr so falsch wie die: GOETHE war farbenblind.\\