====== EXPRESSIONISMUS ====== * prägt das [[Gefühl]] der [[Veränderung]] der bürgerlichen [[Welt]] aus * benutzt Bilder des Testaments als [[Kleidung]] → es folge das neue [[Reich]] der Harmonie - neue Bergpredigt von Paul Zech * [[Heil]] der [[Gesellschaft]] durch Wandlung im [[Mensch]]en * Ablehnung von Aktionismus: man geht in sich → politisches Defensivdenken und Zurückweisung des Politischen * [[Erziehung]] zur [[Güte]] - Fortsetzung des deutschen [[Idealismus]] - bestand in dem programmatischen [[Gebot]], [[Genie]] zu haben, doch blieb das programmatische Genie aus ([[Bahr]])\\ - die Unnatur einer künstlerischen Spiegelfechterei und eines zugegebenen Betruges, der Schwindel aufsehenlüsterner Literaten oder sonstiger [[Charlatan|Kunstscharlatane]], dem gewisse Erlebnischaraktere einer biologischen Anpassungsstufe zugrunde lagen, weshalb etliche Expressionisten ein [[Pathos]] zur Schau trugen, das für sie nicht unehrlich gewesen zu sein braucht\\ - Mit einem natürlichen [[Recht]] konnte sich der Expressionismus als die künstlerische Auslegung der Entwicklungsgeschichte geben, die innerhalb jedes [[Volk#Volkes]] besteht und immer bestanden hat: als die Kunstform einer rückständigen Kindlichkeit nach der Geschlechtsreife (postpubescente Infantilität). \\ - reiner Schwindel aufsehenlüsterner Literaten oder sonstiger Kunstscharlatane ([[Kolbenheyer]])\\ - Hinauspressung von vielleicht konstruktiven Visionen ([[Musil]])\\ - überwindet die Farbenkleckserei des Impressionismus, schafft aber nur die Absolutierung der leeren Form ([[Steding]])\\ - Man nennt dieses Stück (//Die Wandlung// von 1917) expressionistisch. Szenen der Wirklichkeit und Traumszenen wechseln miteinander ab. Heute lächeln viele über den Expressionismus, damals war er eine notwendige künstlerische Form. Er wandte sich gegen jene Kunstrichtung, der es genügte, Eindrücke nebeneinander zu reihen, ohne die Frage nach dem Wesen, nach der [[Verantwortung]], nach der Idee zu stellen. Der Expressionist wollte mehr als die Bilder photographieren; aus der [[Erkenntnis]], daß die Umwelt gleichsam in den [[Künstler]] hineinsinkt, in seinen seelischen Spiegel facettiert wird, wollte er diese Umwelt vom [[Wesen]] her neu [[gestalten]]. Die [[Realität]] sollte vom Strahl der Idee erfaßt werden. ([[Toller]]) ===== Begriff ===== - von lat. expressio = [[Ausdruck]]; Sammelbezeichnung für die gegen den seinerzeit vorherrschenden [[Naturalismus]] und [[Impressionismus]] gewandten Stiltendenzen, was sich zuerst in der Malerei durch Überzeichnung der [[Wirklichkeit]] ausdrückte, expressionierte. Das Aufbegehren gegen die Mächtigen entsteht zuerst bei den Benachteiligten, hier denen, die nicht zum Establishment gehören, also die jungen und armen, aber gut ausgebildeten, künstlerisch Aktiven.\\ - Was VOR dem Ersten [[Weltkrieg]] nur geahnt wurde, daß nämlich die [[Welt]] aus den [[Fuge#Fugen]] ist, wurde durch die Erlebnisse im Ersten Weltkrieg Gewißheit: Unordnung, Irrsinn und Seelenlosigkeit, Pragmatismus (Zweckdenken). Der [[Mensch]] ist Teil des Weltgetriebes und wird davon zermahlen. Es folgt die in der deutschen [[Literaturgeschichte]] so oft vollzogene Rückkehr ins innere Erleben, die durch drastisch-eigentümliche [[Sprache]] beschrieben wird. ===== Formen und Techniken ===== - Statt klassischer Formenmuster wird der Reihungsstil in der [[Lyrik]] bevorzugt: Gleichzeitigkeit (Simultaneität) von Geschehnissen, die eigentlich nicht zusammenpassen, aber in der [[Vorstellung]] des Künstlers zusammengehören. Die Bildersprache geht auf das Verschiedene ein, das [[rosenkranz#aesthetik_des_haesslichen|Häßliche]] gewinnt an [[Bedeutung]], obgleich das bereits schon vor dem Naturalismus thematisiert wurde. Die Autoren wollen schockieren, provozieren und [[Grauen]] erwecken.\\ - Andererseits aber gehört zu diesem Schockieren auch die Verwendung parodistischer [[Mittel]], Eklektizismus: man vermengt, was nicht zusammengehört: eine [[Blume]] auf dem Schlachtfeld, die selber blutet und von einem [[Mädchen]] mit durchbohrter Brust geküßt wird. [[Pathos]] wird karikiert, [[Ekstase]] steht neben [[Angst]].\\ - Montage, [[Synästhesie]] (das Klavier klingt blau), Wirklichkeitsverzerrung, Antithetik, Groteskes. ===== These ===== Wohl jeder [[Künstler]] hat eine expressionistische Phase, aber die meisten überwinden sie und definieren sich über [[Form]] oder [[Weltanschauung]]. Der Expressionist bleibt bei der Darstellung und Verzerrung der ihn berührenden Wirklichkeit. [[Kafka]] suchte die präzise Darstellung des Absonderlichen und die Gefahren, die daraus folgen, daher ist er kein Expressionist. [[Brecht]] hatte in seiner Frühzeit (Baal) eine expressionistische Phase, gewann aber durch das Studium des Marxismus seine Weltanschauung, die ihn aus dem Kreis der Expressionisten heraushebt. ===== Textbeispiele ===== [[Benn]]: **Krebsbaracke** (Auszug) Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.\\ Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?\\ Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.\\   Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.\\ Kein Mensch hat soviel Blut.\\ Hier dieser schnitt man\\ erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß. **Versöhnung** (Else Lasker-Schüler)\\ Es wird ein großer Stern in meinen Schoß fallen...\\ Wir wollen wachen die Nacht, \\ In den Sprachen beten,\\ Die wie Harfen eingeschnitten sind.\\   Wir wollen uns versöhnen die Nacht -\\ So viel [[Gott]] strömt über. \\ Kinder sind unsere Herzen,\\ Die möchten ruhen müdesüß. \\ Und unsere Lippen wollen sich [[küssen]],\\ Was zagst du? \\ Grenzt nicht mein [[Herz]] an deins -\\ Immer färbt dein Blut meine Wangen rot. \\ Wir wollen uns versöhnen die [[Nacht]],\\ Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht. \\ Es wird ein großer [[Stern]] in meinen Schoß fallen. ===== Expressionismus nach 1945 ===== August Stramm\\ Herwarth Walden\\ Martin Walser