====== GRABBE ====== ===== Christian Grabbe ===== 1801-36\\ - löst die strenge [[Ordnung]] des klassischen [[Drama]]s zugunsten der lockeren Aneinanderreihung einzelner [[Bild]]er → Abkehr vom Idealismus und der Ganzheitsästhetik der [[Klassik]]\\ - kennt nur die in [[Leid]] und [[Tod]] verschlungene [[Welt]] mit ihrer [[Unvollkommenheit]], d.i. die [[Tragik]] des [[Nihilismus]] → die Tragik besteht in einer insgeheimen [[Sehnsucht]], selbst im [[Nichts]] [[Gott]] wiederzufinden und durch [[Schmerz]] in ihn einzugehen → ist dieser Ansatz auch eine [[Illusion]], so zerstört sie Grabbe durch den selbstironischen [[Held]]en, der sich über sein [[Schicksal]] hinwegsetzt und dennoch untergeht\\ - die [[Geschichte]] verläuft diskontinuierlich\\ - durch die Einbeziehung der anonymen [[Masse]] in seine Geschichtsdramen wird er zum Wegbereiter des modernen Dramas ==== Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung ==== - [[Lustspiel]] – denn der [[Deutsche]] ist zu [[vernünftig]] und zu gebildet, als daß er eine kecke starke Lustigkeit ertrüge, Schulmeister Rattengift, in drei Akten\\ - mit dem Auftritt des [[Autor#Autoren]] im 3. Akt wird die Illusion gebrochen, die die [[Schule#Romantische Schule]] ausmachte\\ === künstlerische Intentionen === - die Figuren konterkarieren klassische Muster → ein Schulmeister [[Pestalozzi]]; der Bauer läßt seine Ochsen Kopfarbeit, Ziehen des Jochs, machen; der [[Teufel]] liest [[Klopstock]]s „Messias“ und lacht dabei; ein Verliebter muß Schneidergesellen ermorden, um seine [[Geliebte]] vom Teufel zu bekommen; ein scheinbar tragischer [[Charakter]], Mollfels, stirbt bereits im 2. Akt\\ - Mollfels' Minderwertigkeitskomplexe werden von ihm überwunden, als er ein [[Mädchen]] aus höheren Kreisen der [[Gesellschaft]] nicht [[unglücklich]] liebt → die Liebesintrige, die zu Mollfels' Tod führt, ist zentrales Handlungselement - wie in der [[Commedia]]\\ - im 3. Akt herrscht [[Chaos]]\\ - Betonung des Phantastischen und [[Groteske#Grotesken]]\\ tiefere Bedeutung: das [[Spiel]] der Liebenden als nihilistisch-verzweifelter [[Ausdruck]] menschlichen Wollens → wird [[Schiller]] konterkariert? == Forderungen an das deutsche Drama == - Das deutsche Volk will möglichste Einfachheit in Wort, Form und Handlung. Es will eine kräftige Sprache und einen guten Versbau. Es verlangt gesunden Menschenverstand, jedesmal blitzartig einschlagenden Witz, poetische und moralische Kraft. ==== Don Juan ==== - [[Karikatur]] [[Goethe#Faust|Fausts]] → //Aus nichts schafft [[Gott]], wir schaffen aus Ruinen!//\\ - Grabbes Faust will denken, was er in Worte fassen kann, d.i. seine menschliche Beschränktheit, die er apostrophiert und somit den klassischen Faust und dessen [[Suche]] nach dem Neuen leugnet, aber //Der [[Riese]], den ich fürchte, der wohnt nur in mir selbst.//\\ - Faust ist ein sich entfremdetes [[Individuum]], nicht unbedingt [[Gelehrter]]\\ - der [[Ritter]] trägt bürgerliche Eigenschaften wie [[Bescheidenheit]]\\ - was Don Juan log, das wird [[Wahrheit]], denn er ist der [[Frevel]] Scherz\\ - [[Faust]] und [[Don Juan]] sind Antipoden menschlichen Strebens\\ - der Teufel ist, so ist keine dort keine [[Liebe]] und kein [[Glauben]] === Grundkonflikt === - das [[Licht]] der [[Aufklärung]] und des [[Idealismus]] ist saft- und kraftlos geworden\\ - die Welt versinkt in einer sich an idealistischen Wertvorstellungen orientierenden Sozietät → es reicht die [[Orientierung]], nicht das [[Streben]] ist mehr Daseinssinn === Fazit === //Das [[Leben]] ist ein [[Nichts]], wenn es nicht allem, was ihm begegnet, die Stirne bietet.//\\ - aufgrund der gesellschaftlichen Erstarrung ist wahre Liebe als [[Form]] der Selbsterfahrung - [[Thema]] //Don Juans// - nicht [[möglich]] → so bleibt nur der Weg der Selbstvernichtung als der pervertierte Weg der Selbsterfahrung\\ - das Drama zeigt die folgenschwere Verhaltensdynamik zweier Menschen auf, die durch Normen in ihrer [[Selbstverwirklichung]] eingeschränkt sind → so verliert sich die Identität mit dem Sein und die Helden suchen in einer pervertierten [[Wirklichkeit]] in perversen Formen Selbsterfahrung ==== Napoleon ==== - Vorläufer des naturalistischen Milieudramas\\ - historische Vorgänge werden so umgesetzt, daß der Gang der Geschichte plastisch erscheint\\ - das Gemeinschaftserlebnis der Schlacht holt die glückvolle [[Vergangenheit]] siegreicher Schlachten ins kollektive [[Bewußtsein]] der [[Gegenwart]] zurück\\ - ein Schneidermeister will mit der [[Revolution]] Gewinn machen und stirbt\\ [[Napoleon]] lebt für sich, ist herrlich und soll die [[Nacht]] als [[Symbol]] mangelhafter Selbsterfahrung aufhellen, doch Napoleon ist ein Reflex seines eigenen [[Mythos]]\\ Friedrich Wilhelm IV. → lebt für alle, ist weniger herrlich\\ - [[Blücher]] belehrt die Übergelaufenen, daß die Deutschen nicht für Ludwig XVIII. kämpfen, sondern für [[Deutschland]]\\ - im 4. Akt siegt Napoleon, aber im 5. Akt verliert ein Untergebener, Bronchy, Napoleons den [[Wald]] von Frichemont gegen die [[Preußen]] und Napoleon verliert die Schlacht → die [[Macht]] einzelner in der [[Weltgeschichte]], die im ganzen genommen nur ein mittelmäßiges Lustspiel ist ==== Rezeption ==== - seit 1910 öfter gespielt → man empfand Grabbe als expressiven Ästhetiker\\ - der von dämonischem [[Witz]] erfüllte [[Nihilist]] wütet und entspricht der Ästhetik des Anarchisten, denn die Welt ist nach Grabbes [[Meinung]] ein Stümperwerk\\ - sein [[Anarchismus]] bleibt formal, wird nicht zur politischen Rebellion, d.i. Grabbes Grenze\\ - [[Brecht]] sieht in Grabbe einen Meilenstein auf dem Wege zum epischen [[Theater]]\\ - die Nazis setzen auf Grabbes Kraftdynamik im [[Gegensatz]] zu den französischen klassizistischen Dramen