====== MAJORITÄTSBESCHLUß ====== - enthält wahrscheinlich noch nicht die volle [[Wahrheit]], da es ihm sonst gelungen sein müßte, die Gesamtheit der Stimmen auf sich zu vereinigen\\ Wo umgekehrt Majoritätsbeschlüsse gelten, kann die Unterordnung der Minorität auf zwei Motive hin geschehen, deren Unterscheidung von äußerster soziologischer [[Bedeutung]] ist. Die [[Vergewaltigung]] der Minorität kann nämlich, erstens, von der Tatsache ausgehen, daß die Vielen mächtiger sind als die Wenigen. Obgleich, oder vielmehr, weil die [[einzelne]]n bei einer Abstimmung als einander gleich gelten, würde die Majorität - mag sie sich durch Urabstimmung oder durch das Medium einer Vertreterschaft als solche herausstellen - die physische [[Macht]] haben, die Minorität zu zwingen. Die Abstimmung dient dem [[Zweck]]e, es zu jenem unmittelbaren Messen der Kräfte nicht kommen zu lassen, sondern dessen eventuelles [[Resultat]] durch die Stimmzählung zu ermitteln, damit sich die Minorität von der Zwecklosigkeit eines realen Widerstandes überzeuge.\\ Es stehen sich also in der Gruppe zwei Parteien wie zwei Gruppen gegenüber, zwischen denen die Machtverhältnisse, repräsentiert durch die Abstimmung, entscheiden. Die letztere tut hier die gleichen methodischen Dienste wie diplomatische oder sonstige Verhandlungen zwischen Parteien, die die [[http://www.blueprints.de/wortschatz/von-ultima-ratio-bis-zerberus/ultima-ratio.html|ultima ratio]] des Kampfes vermeiden wollen. Schließlich gibt auch hier, Ausnahmen vorbehalten, jeder einzelne nur nach, wenn der Gegner ihm klarmachen kann, daß der Ernstfall für ihn eine mindestens ebenso große Einbuße bringen würde. Die Abstimmung ist, wie jene Verhandlungen, eine Projizierung der realen Kräfte und ihrer Abwägung auf die Ebene der Geistigkeit, eine Antizipation des Ausgangs des konkreten Kämpfens und Zwingens in einem abstrakten Symbole. Immerhin vertritt dieses die tatsächlichen Machtverhältnisse und den Unterordnungszwang, den sie der Minorität antun. Manchmal aber sublimiert sich dieser aus der physischen in die ethische Form.\\ Wenn im späteren [[Mittelalter]] oft das [[Prinzip]] begegnet: Minderheit soll der Mehrheit folgen, so ist damit offenbar nicht nur gemeint, daß die Minderheit [[praktisch]] mittun soll, was die [[Mehrheit]] beschließt; sondern sie soll, wenn auch nachträglich, auch den [[Willen]] der Mehrheit annehmen, soll anerkennen, daß diese das Rechte gewollt hat. Die Einstimmigkeit herrscht hier nicht als [[Tatsache]], sondern als sittliche Forderung, die gegen den Willen der Minorität erfolgte [[Aktion]] soll durch nachträglich hergestellte Willenseinheit legitimiert werden.\\ Die altgermanische Realforderung der Einstimmigkeit ist so zu einer Idealforderung abgeblaßt, in der freilich ein ganz neues [[Motiv]] anklingt: von einem inneren Rechte der Majorität, das über das Übergewicht der Stimmenzahl und über die äußere Übermacht, die durch dieses symbolisiert wird, hinausgeht.\\ Die Majorität erscheint als die natürliche Vertreterin der Gesamtheit und hat teil an jener Bedeutung der Einheit des Ganzen, die, jenseits der bloßen Summe der Individuen stehend, nicht ganz eines überempirischen mystischen Tones entbehrt. Wenn später [[Grotius]] behauptet, die Majorität habe naturaliter //jus integri//, so ist damit jener innerliche Anspruch an die Minorität fixiert; denn ein [[Recht]] muß man nicht nur, sondern man soll es anerkennen. Daß aber die Mehrheit das Recht des Ganzen von [[Natur]], d. h. durch innere, vernunftmäßige [[Notwendigkeit]] habe, dies leitet die jetzt hervorgetretene Nuance des Überstimmungsrechtes zu dessen zweitem, bedeutsamen Hauptmotiv über. Die Stimme der Mehrheit bedeutet jetzt nicht mehr die Stimme der größeren Macht innerhalb der Gruppe, sondern das [[Zeichen]] dafür, daß der einheitliche Gruppenwille sich nach dieser Seite entschieden hat. Das [[Verhältnis]] zwischen Majorität und Minorität erzeugt jetzt nicht mehr den Gruppenwillen, sondern macht ihn nur kenntlich. Die Forderung der Einstimmigkeit ruhte durchaus auf individualistischer [[Basis]]. Das war die ursprüngliche soziologische [[Empfindung]] der [[Germanen]]: Die [[Einheit]] des Gemeinwesens lebte nicht jenseits der einzelnen, sondern ganz und gar in ihnen; daher war der Gruppenwille nicht nur nicht festgestellt, sondern er bestand überhaupt nicht, solange noch ein einziges Mitglied dissentierte. ([[Simmel]]) siehe auch: [[Majoritätsprinzip]]