====== SPINOZA ====== ===== Baruch Spinoza ===== jüdischer Philosoph und Linsenschleifer ==== Leben ==== 1632 bis 1677\\ - in Holland geboren als Sohn armer portugiesisch-jüdischer Einwanderer \\ - gute Ausbildung durch den berühmten Talmudlehrer Morteira\\ - wurde 1656 aus der jüdischen [[Gemeinde]] ausgestoßen\\ - verdiente seinen Lebensunterhalt mit Glasschleifen, schlug aber Stellenangebote als festbesoldeter Philosoph aus → Ludwig Fabritius aus der Pfalz unterbreitete ihm 1673 im Namen des [[Fürst#Fürsten]] Karl Ludwig eine Stelle an der Heidelberger [[Universität]] → Spinoza wurde [[Freiheit]] in der philosophischen [[Forschung]] zugesichert, aber „bitte keine Störung der öffentlichen Religionsformen“ → wegen dieser letzten Bemerkung lehnte Spinoza ab: //...die Grenzen einer Denkfreiheit, die Schonung des Bestehenden geloben soll, sind vieldeutiger, je ausschließlicher Religionsstreitigkeiten nicht vom Herzen, sondern aus üblem Willen geführt seien...// \\ - war politisch verdächtig, es mit den De Witts gegen die Oranier zu halten\\ - starb an der Schwindsucht - durch [[Descartes]] löste er sich vom traditionellen jüdischen [[Denken]] und wandte sich den Naturwissenschaften und der christlichen [[Philosophie]] zu, wobei er sich gegen die [[Scholastik#Scholastiker]] zu artikulieren suchte \\ - er überwand den Dualismus Descartes', indem er die in diesem durch ein unbegreifliches [[Wunder]] zusammengehaltenen [[Begriff#Begriffe]] [[Natur]] und [[Geist]] in seiner EINEN unendlichen [[Substanz]] verband, an deren [[Erkenntnis]] für den Menschen die [[Liebe]] zu [[Gott]] als die sittlich höchste Eigenschaft gebunden ist, die selbst Ausfluß Gottes ist → ein //circulus// ==== Erkenntnistheorie ==== - die einzige, unendliche Substanz bedarf keines außerweltlichen Schöpfers, sondern ist [[Ursache]] ihrer selbst: //per causam sui intelligo id, cuius essentia involvit existentiam sive id, cuius natura non potest concipi nisi existens//\\ - Spinoza unternimmt den Versuch, die Zusammenhänge, die er von seinen Zeitgenossen als materialistische und deterministische [[Physik]] übernahm, durch einen antidogmatischen Grundgedanken - die Gottesverehrung und ein auf dem [[gute#Guten]] aufbauenden [[Leben]] - positiv aufzulösen: Es gibt nur eine Substanz, //Deus est omnium rerum causa immanens, non vero transiens... in Deo est, et nihil sine Deo esse neque coincipi potest//, die zwei Attribute - Zustände der Substanz und Parallelismus unterworfen; unendlich in ihrer Anzahl - besitzt, die Ausdehnung und das Denken → [[Pantheismus]] → aber die [[Zeit]] hat hier keine [[Realität]]\\ - zwischen Geist und Körper sind identische [[Ding#Dinge]], nur einmal als bewußtes Denken und ein ander mal als ausgedehntes [[Sein]]\\ - Gott ist das [[ewig]] [[schöpferische]] [[Moment]]. Da es nur eine Substanz gibt, benötigt man - noch wie bei den [[Okkasionalismus#Okkasionalisten]] - keinen gelegentlichen Einsprecher, sondern eine Veränderung in dem einen ist eine [[Veränderung]] in dem anderen.\\ - Gott ist ein ruhendes, metaphysisches Absolutes; alle Welt- und Lebenswirklichkeit ergibt sich aus ihm, so wie sich mathematische Lehrsätze auseinander ergeben. Aufgehoben ist hier alle Freiheit, aller [[Wille]], alle [[Persönlichkeit]]. \\ - die Erkenntnis selbst entwickelt sich in folgenden Stufen - sinnliche [[Vorstellung]] - [[Vernunft]] - unmittelbare [[Anschauung]], //sub species aeternitatis// - Spinozas [[Metaphysik]] ist „logischer [[Monismus]]“ ([[Russell]]), die Welt als Ganzes ist eine Substanz, deren einzelne Teile logisch nicht allein existieren können. === Pantheismus-Vorwurf === Geist und Natur sind keineswegs Teile Gottes, sondern Perspektiven des menschlichen Bewußtseins, die diesem unabdingbar notwendig sind, weil sie in der //substantia infinita// gründen. → damit wird die Natur entgöttlicht und zu einer Projektion des menschlichen Bewußtseins, mithin auch Forschungsgegenstand ==== Ethik ==== __Prämisse__: die Menschen sind aus Selbsterhaltungstrieb von der [[Hoffnung]] getragen, ihr Los zum Besseren wenden zu können, aber: es gibt keine [[Willensfreiheit]] → Das menschliche [[Subjekt]] ist so unpersönlich gedacht, wie das göttliche ist, denn es ist nur eine Daseinsart (Modus) in einer göttlichen Grundsubstanz. Aufgehoben ist deshalb aller [[Imperativ]]!\\ - Gutes, was uns nützt, und [[böse#Böses]] sind nur relative Begriffe, die nicht wirklich in den Dingen selbst ausgemacht werden können, aber durch Vergleich entstehen\\ - das Leben ist Daseinssteigerung durch Erkenntnis, v.a. aber Daseinserhaltung: der [[Mensch]] ist in der Lage, seine Vernunft zu benutzen und zu verbessern, sich zu entwickeln\\ - die [[Affekt#Affekte]] [[Begierde]], [[Lust]], Unlust bilden alle anderen [[Leidenschaft#Leidenschaften]]\\ - das wahre Sein des Menschen ist Erkenntnis → das höchste [[Ziel]] ist die Erkenntnis Gottes und dessen Liebe, d.h. nach seinem Willen zu wandeln, //amor Dei intellectus// ==== Politik ==== - niemand darf etwas gegen die [[Obrigkeit]] tun\\ - im Naturzustand gibt es kein [[Recht]] und [[Unrecht]] → der [[Staat]] setzt fest, was Recht...\\ - die Tatsächlichkeit der [[Selbsterhaltung]] fordert die Einsetzung der Vernunft als Regulativ bei der Gestaltung der [[Ordnung]] → man braucht einen starken Staat, der allmählich zu einer [[Demokratie]] führen wird\\ - der Vorrang der Demokratie gegenübver den anderen Staatsformen wird dadurch relativiert, daß bei der Mitwirkung des Volkes an der Staatsführung eine Mischung des gehörigen Vernunftgebrauchs mit der vehementen, oftmals unqualifizierten [[Äußerung]] von Leidenschaften einhergeht, was schädlich ist\\ - auch muß der [[einzelne]] selbständig bleiben, darf also nicht seine Eigeninteressen im [[Gemeinwille|Gemeinwillen]] auflösen/sich identifizieren (wie [[Rousseau]] das dann forderte): der Staat muß die individuelle Unabhängigkeit schützen\\ - der Staat darf kein Einspruchsrecht in [[Wissenschaft]] und Religion haben, sonst wird er den Widerstand seiner [[Bürger]] früher oder später herausbeschwören ==== Tractatus Politicus ==== - politische Theorie a la [[Hobbes]]\\ Ethik: behandelt drei verschiedene Materien - Metaphysik (Cartesius) - Psychologie der Affekte und des Willens (Hobbes) - Ethik auf der Grundlage des vorigen ==== Tractatus Theologico-Politicus ==== Kombination von Bibelkritik und politischer Theorie \\ - Gott ist ein ruhendes, metaphysisches Absolutes; alle Welt- und Lebenswirklichkeit ergibt sich aus ihm, so wie sich mathematische Lehrsätze auseinander ergeben. Aufgehoben ist hier alle Freiheit, aller Wille, alle Persönlichkeit. Das menschliche Subjekt ist so unpersönlich gedacht wie das göttliche; ist es doch nicht mehr als eine Daseinsart in einer göttlichen Grundsubstanz. Aufgehoben ist vor allem aller Imperativ. ==== Über die Verbesserung des Verstandes ==== - ein erkenntnistheoretischer Versuch\\ - will den [[Verstand]] vom Getöse der ihn schwächenden - alles, was auf vergängliche [[Güter]] hinlockt - und trübenden Affekte reinigen\\ - Definition des wahrhaften Lebens: Gewißheit des echt Einleuchtenden, des Unvergänglichen ==== Rezeption ==== - meint als guter [[Machiavelli#Machiavellist]], daß [[Demut]] und [[Reue]] wie [[Furcht]] und [[Hoffnung]] trotz aller Vernunftwidrigkeit recht nützlich seien ([[Adorno]])\\ - Die Ethik scheint uns nichts besseres bieten zu können als die Erhaltung dieses Daseins... Vermehrung des Daseins bedeutet Steigerung der [[Vollkommenheit]]; Annäherung an den göttlichen Inbegriff des Daseins, die in sich selbst genügsame, ewige, unveränderliche Substanz. \\ - seine Philosophie ist kein [[Atheismus]], sondern vertritt einen Akosmos, d.h. er leugnet die [[Existenz]] der Welt, da alles in Gott aufginge → die Realität der Natur verflüchtigt sich im Denken Spinozas beziehungsweise wird quasi von der abstrakten Einheit Gottes aufgesogen (Barth)\\ - überschritt im [[Gegensatz]] zur kritischen Philosophie [[kant|Kants]] die Grenze des Ich-Bewußtseins ([[Fichte]])\\ - [[Prüfung]] und Verneinung der sogenannten [[Offenbarung]] ([[Goethe]])\\ - Synthese zwischen [[Epikur#Epikureertum]] und [[Stoizismus]] ([[Guyau]])\\ - an diesem Punkt setzt die eigentliche [[Kritik]] Hegels ein, denn durch die Fleischwerdung Gottes in [[Jesus Christus]] wird Zeit eingeschnitten, ereignishaft, und bewirkt einen neuen Anfang im [[Schicksal]] der [[Menschheit]] und wird essentiell, nicht akzidentiell \\ - deshalb ist Spinozas Philosophie noch längst keine kritische ([[Hegel]])\\ Wieviel Schüchternheit und Verwundbarkeit verrät diese Maskerade eines kranken Einsiedlers? \\ finde mich wieder in: * Leugnung der Willensfreiheit * das [[Böse]] * Leugnung einer [[sittlich#sittlichen]] [[Weltordnung]] * Abwendung des einzelnen vom Ganzen: die Einzelheit des [[Genie#Genies]] * Unfähigkeit der vollkommenen Erkenntnisfähigkeit ([[Nietzsche]]) - der Begriff der Freiheit ist mit dem des Systems unverträglich → jede auf [[Ganzheit]] und Einheit Anspruch machende Philosophie läuft auf Leugnung der Freiheit hinaus, denn Freiheit verklärt sich zum potenzierende Akt des Willens\\ - erkennt außer der Substanz nichts anderes an als die bloßen Affektionen derselben → Dinge werden negativ bestimmt ([[Schelling]])\\ - Almarich von Chartres und David von Dinant waren seine Vorgänger (Starck) ==== Spinozabewegung ==== - basiert auf Lessings Versuch einer Weiterentwicklung der metaphysischen Haltung, die ihn wesentlich von Kant scheidet: statt kritik an der Überlieferung wählt Lessing die Möglichkeit einer Weiterentwicklung derselben\\ - dieser Ansatz wirkte auf Herder, Goethe, Fichte, Schleiermacher, Schelling und Hegel