====== TRAGÖDIE ====== __Grundfrage__: Wer ist der [[Mensch]]?\\ - seit [[Shakespeare]] wird der geschichtlich handelnde Mensch durch die im Inneren wütenden [[Macht#Mächte]] zerstört\\ - soll unsere [[Leidenschaft#Leidenschaften]] durch das [[Mitleid#Mitleiden]] reinigen ([[Aristoteles]]) – [[Gegensatz]] zu [[Lessing]] \\ - ihr [[Ursprung]] lag in dem [[Verlangen]] eines Arztes, der [[Ordnung]] für die wilde dionysische Selbstentäußerung forderte ([[Bahr]])\\ - kein Gesang, sondern vor dem Altar des [[Dionysos]] sich ereignender Vorgang: eine heilige [[Handlung]], die sich auf dem [[Boden]] der [[Wirklichkeit]] vollzieht \\ - Wirklichkeit und [[Kult]]: Geschichtliches\\ - das Ende der dämonischen [[Existenz]] des Heros ([[Bäumler]])\\ - [[Gnade]] ist das Herzstück jeder Tragödie (Clarke)\\ - Lied aus dem Anlaß des Bockes, der Dionysos leidend bei der Opferung vertrat\\ - Bestandteil ist das verinnerlichte Freiheitsgefühl, der innere [[Zusammenhang]] im [[Untergang]] ([[Herder]])\\ - ist immer im Recht, immer ins Künftige gewendet und wer Tragödien nicht vorwegnimmt, verfehlt die [[Wirklichkeit]] ([[Hölderlin]])\\ - Nachahmung von Handlung von würdig bedeutendem Inhalt, die vermittels Mitleid und [[Furcht]] die Reinigung derartiger Leidenschaften hervorbringt und zu einer freien [[Bewegung]] großer Leidenschaften befähigt, d.i. das [[Prinzip]] der [[Poesie]], das Prinzip der großen [[Seele]] \\ - Streben nach moralischer [[Wirkung]] und Bürgerlichkeit (Lessing)\\ - Nachahmung einer zum Mitleiden führenden Handlung\\ - allein die Erregung des Mitleids ist [[Zweck]] der Tragödie → Gegensatz zu Aristoteles, der das Mitleid als Bedingung für die [[Katharsis]] begriff\\ - Vernunftfreiheit des sittlichen [[Geist#Geistes]] gebend (Lust) - die kühnste und tiefste [[Anschauung]] dessen, was es im menschlichen Leben an Dunkelstem und Verhängnisvollstem gibt ([[Mereschkowski]])\\ - in der Tragödie ist ein starker Gegensatz von [[Natur]]- und Gesetzesregel\\ - Unsere Tragödie hat mit der Ohnmacht, der Schlaffheit, der Charakterlosigkeit des [[zeitgeist|Zeitgeistes]] und mit einer gemeinen Denkart zu kämpfen, sie muß also [[Kraft]] und [[Charakter]] zeigen, sie muß das [[Gemüt]] zu erschüttern, zu erheben, aber nicht aufzulösen suchen. ([[Schiller]]) \\ - beim späten Schiller wird das Tragische im [[Akt]] des [[Glauben#Glaubens]] und der Tat überwunden ===== griechische Tragödie ===== - es gibt keinen Wertekonflikt → der ist Kennzeichen der modernen Tragödie\\ - es gilt das - obgleich rätselhafte - [[Verhältnis]] zwischen [[Gott]] und dem Menschen, das den Menschen in den [[Abgrund]] führt → Selbstentzweiung mit Gott\\ - der Mensch ist mythisch leidend, denn die [[Macht#Mächte]] zerstören von außen; - es gibt keine Tageszeit, keine Jahreszeit, keine Witterung, keine [[Landschaft]], überhaupt kein Hier: das ist die berühmte Einheit des Orts\\ - die Einheit der Zeit besteht darin, daß das seelische Leben keine Entwicklung, keine Akte und Zwischenakte hat\\ - der Grieche brauchte keinen Beleuchtungswechsel, denn im griechischen Drama herrscht die ewig gleiche Sonne [[Homer#Homers]] (Friedell)\\ - ihre Quelle ist der Kampf zwischen altadeliger Ethik und plutokratischem Gewinnsuchtstreben der städtischen Händler und Unternehmer\\ - sie verdankt ihren Ursprung der Konfrontierung des Chorführers mit dem Chor und der Umwandlung der kollektiven Form des Chorgesanges in die dialogische Form des Dramas - also wesentlich individualistischen Motiven; ihre Wirkung setzt aber andererseits ein starkes Gemeinschaftsgefühl, eine weitgehende Nivellierung verhältnismäßig breiter Schichten voraus und kann in ihrer wahren Gestalt nur als Massenerlebnis zustandekommen (Hauser)\\ - stand jenseits des [[Dilemma#Dilemmas]] von Lebensnähe oder Abstraktion, weil für sie die Fülle keine Frage der Annäherung an das Leben beziehungsweise Unmittelbarkeit war ([[Lukacs]])\\ - zentrales [[Problem]] der [[Weltgeschichte]], weil an den [[Mythos]] gebunden ([[Nietzsche]])\\ - ihre höchste [[Sittlichkeit]] liegt in der Anerkennung der Schranken und der Begrenzung des Menschseins ([[Schelling]])\\ - demütigend und kränkend für [[frei#freie]] Menschen, wenn der Mensch dem [[Schicksal]] blind ausgeliefert erscheint; der freie Mensch aber muß den einzelnen Mißlaut in der großen [[Harmonie]] aufzulösen sich bemühen (Schiller) ===== Lust der Tragödie ===== - Vernunftfreiheit des sittlichen Geistes gebend\\ - scharfer Gegensatz von Natur und moralischer Gesetzesregel → das sittliche [[Urteilen]] weiß nichts von [[Zeit]] und [[Raum]], das wirklich Tragische auch nicht ===== Paradoxon ===== - wenn der [[Held]] als unvergleichlicher Gott sehen will und das All-Eine widerlegt/zerlegt ins [[Nichts]], dem er plötzlich gegenübersteht ===== moderne deutsche Tragödie ===== - setzt die Säkularisation religiöser Werte voraus, weil im Mittelpunkt die sittliche Entwicklung des im Leben stehenden Menschen steht → ironischerweise wird diese [[Existenz]] ins Fragliche hineingerissen, um dann doch aus einer [[Innerlichkeit]] heraus am christlichen [[Gedanke#Gedanken]] einer [[Theodizee]] festzuhalten, d.i. eine übertragene sittliche [[Idee]], die das Irdische überschreiten soll\\ - die Geschichte gefährdet den Menschen, so daß der einzelne seine Existenz nur noch scheiternd wahrnimmt/ergreift → führt mitunter zu pathologischen Exzessen