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hoelderlin

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hoelderlin [2023/10/18 11:14] – [Hölderlins Orient] Robert-Christian Knorrhoelderlin [2024/03/24 12:29] (aktuell) – [literaturhistorische Einordnung] Robert-Christian Knorr
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 [[Dichter]]\\ [[Dichter]]\\
 20.3.1770 Lauffen bis 7.6.1843 Tübingen\\ 20.3.1770 Lauffen bis 7.6.1843 Tübingen\\
 +- entstammte einer schwäbisch-thüringischen Pfarrerfamilie, die in einer Klosterhofmeierei lebte und ein Familienwappen besaß\\
 - in ihm glühte das [[Feuer]] der unentreißbaren [[Menschenrechte]]: das religiöse und politische Freiheitsgefühl koinzidierten\\ - in ihm glühte das [[Feuer]] der unentreißbaren [[Menschenrechte]]: das religiöse und politische Freiheitsgefühl koinzidierten\\
 +- betrachtete sich selber, was er in Augenblicken, in denen ihm seine Freiheit wichtiger war als eine Bindung, immer gut zu formulieren wußte, als //mürrisches, mißmutiges, kränkelndes Wesen mit unüberwindlichem Trübsinn//\\
 +- nach seiner Flucht aus Jena 1795 schrieb er eine Rechtfertigungsschrift an Schiller, was aber unbeantwortet blieb\\
 - frühe Bekanntschaft mit [[Spinoza]]\\ - frühe Bekanntschaft mit [[Spinoza]]\\
-trägt die [[Natur]] als [[Gottheit#Gottheiten]] in sich, die unwandelbar im [[Sein]] wohnen, und sie regieren und bestimmen die [[konkret#konkrete]] Natur, die ihn jeweils umgibt\\+in Frankfurt/Main lernte er Susette Gontard kennen, unterrichtete ihren Sohn und gestand ihr im Sommer 1796 seine Liebe, die erwidert wurde, verbrachte mit Heinse und ihr einen schönen Sommer 1797 in Westfallen und wurde 1798 von Herrn Gontard mit Schlägen aus dem Hause geworfen, woraufhin er sich wieder zu seiner Mutter bewegte\\ 
 +- trug die [[Natur]] als [[Gottheit#Gottheiten]] in sich, die unwandelbar im [[Sein]] wohnen, und sie regierten und bestimmten die [[konkret#konkrete]] Natur, die ihn jeweils umgab\\
 - im [[Gegensatz]] zu seinen Kumpeln [[Hegel]] und [[Schelling]] blieb Hölderlin in der weichen [[Sehnsucht]]\\ - im [[Gegensatz]] zu seinen Kumpeln [[Hegel]] und [[Schelling]] blieb Hölderlin in der weichen [[Sehnsucht]]\\
 - die Versenkung in die [[Antike]] läßt ihn die ersehnte Einheit von [[Mensch]] und [[Umwelt]] als ein Lebendiges finden, raubt ihm aber zugleich die [[Kraft]] für die [[Realität]] und macht ihm das [[Dasein]] zur [[Qual]] → die Gräkomanie (Griechenfreund) wird ihm zur tödlichen [[Krankheit]] \\ - die Versenkung in die [[Antike]] läßt ihn die ersehnte Einheit von [[Mensch]] und [[Umwelt]] als ein Lebendiges finden, raubt ihm aber zugleich die [[Kraft]] für die [[Realität]] und macht ihm das [[Dasein]] zur [[Qual]] → die Gräkomanie (Griechenfreund) wird ihm zur tödlichen [[Krankheit]] \\
-glaubt an das staatenbewegende Tun großer Menschen+glaubte an das staatenbewegende Tun großer Menschen
  
 ==== Lehre ==== ==== Lehre ====
-- eine Alleinheitslehre ([[Pantheismus]]), deren Stellung zu [[Shaftesbury]], [[Hemsterhuis]], [[Goethe]], [[Herder]] und [[Schiller]], gegen [[Kant]] und [[Fichte]] und zwischen Hegel und Schelling fixierbar ist: von Schelling scheidet ihn die Wärme des religiösen Gefühls, von Goethe die metaphysische Note seines Humanismus\\ +- eine Alleinheitslehre ([[Pantheismus]]), deren Stellung zu [[Shaftesbury]], [[Hemsterhuis]], [[Goethe]], [[Herder]] und [[Schiller]], gegen [[Kant]] und [[Fichte]] und zwischen Hegel und Schelling fixierbar ist: von Schelling scheidet ihn die Wärme des religiösen Gefühls - Hölderlin war kein praktisch denkender Politiker, sondern eher ein Sucher nach einer Möglichkeit, Gottes Reich hieunten zu verwirklichen -, von Goethe die metaphysische Note seines Humanismus\\ 
-- die Götterwelt Griechenlands, die alles vom tiefsten Schoß bis zum höchsten [[Äther]] in sich faßt, mit dem [[Christentum]], das nun einmal das [[Schicksal]] der neueren [[Menschheit]] geworden, zu versöhnen, also in ihren Zusammenhängen dichterisch zu durchdringen\\+- er wendet sich vom subjektiven Idealismus Fichtes in Jena 1794 ab und dem Pantheismus Spinozas zu, zugleich wendet er sich gegen die Frömmelei, ohne das [[Christentum]] selber aufzugeben\\ 
 +- die Götterwelt Griechenlands, die alles vom tiefsten Schoß bis zum höchsten [[Äther]] in sich faßt, mit dem Christentum, das nun einmal das [[Schicksal]] der neueren [[Menschheit]] geworden, zu versöhnen, also in ihren Zusammenhängen dichterisch zu durchdringen\\
 - man muß die Spuren der entflohenen [[Götter]] suchen und sehen\\ - man muß die Spuren der entflohenen [[Götter]] suchen und sehen\\
 - der volle Reichtum des Lebens ist nur in einer Seligkeit zu finden, welche Schmerz und Leiden in sich aufnahm - der volle Reichtum des Lebens ist nur in einer Seligkeit zu finden, welche Schmerz und Leiden in sich aufnahm
 === literaturhistorische Einordnung === === literaturhistorische Einordnung ===
 +- findet Begeisterung an den Stürmern, insbesondere Schiller, Hölty, Thill, Stolberg, Bürger, [[Schubart]], keine an der Lyrik [[Klopstock|Klopstocks]], die ihm veraltet vorkömmt\\
 +- daß Dichtung sich nur, Goethe!, aus Gegenständlichem speist, wäre ihm nie in den Sinn gekommen (Hultenreich)\\
 - Hölderlins dichterische [[Individualität]], die Spezifik seiner [[Weltanschauung]] und Poesie prägt sich ganz entschieden in jenem Zeitraum aus, der sich durch die Zäsuren 1792/3 und 1796/7 begrenzen läßt. In historischem Betracht sind es die Jahre des 1.Revolutions- bzw. Koalitionskrieges; für das politische [[Denken]] beinhalten sie einen entscheidenden Differenzierungsprozeß; philosophiegeschichtlich vollzieht sich zu dieser Zeit die Entwicklung von Kants Kritizismus über Fichtes "Wissenschaftslehre" zu Schellings [[Naturphilosophie]]; und für die deutsche [[Literaturgeschichte]] bezeichnet dieser Zeitraum die erste Phase frühromantischen Denkens und Dichtens, die entscheidenden Jahre revolutionär-demokratischer [[Literatur]] und die ästhetische Formierung der Weimarer [[Klassik]]. (Mieth) - Hölderlins dichterische [[Individualität]], die Spezifik seiner [[Weltanschauung]] und Poesie prägt sich ganz entschieden in jenem Zeitraum aus, der sich durch die Zäsuren 1792/3 und 1796/7 begrenzen läßt. In historischem Betracht sind es die Jahre des 1.Revolutions- bzw. Koalitionskrieges; für das politische [[Denken]] beinhalten sie einen entscheidenden Differenzierungsprozeß; philosophiegeschichtlich vollzieht sich zu dieser Zeit die Entwicklung von Kants Kritizismus über Fichtes "Wissenschaftslehre" zu Schellings [[Naturphilosophie]]; und für die deutsche [[Literaturgeschichte]] bezeichnet dieser Zeitraum die erste Phase frühromantischen Denkens und Dichtens, die entscheidenden Jahre revolutionär-demokratischer [[Literatur]] und die ästhetische Formierung der Weimarer [[Klassik]]. (Mieth)
  
 +=== Staatsbegriff ===
  
 +- //Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk. Die Idee der Menschheit voran - will ich zeigen, daß es keine Idee vom Staat gibt, weil der Staat etwas Mechanisches ist, so wenig, als es eine Idee von der Maschine gibt. Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus!//
 ==== Andenken ==== ==== Andenken ====
 - benutzt den [[Imperativ]] als [[Leitmotiv]] - z.B. //geh//\\ - benutzt den [[Imperativ]] als [[Leitmotiv]] - z.B. //geh//\\
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 |Mythosbegriff|- [[Palingenesia#Palingenesie]] des [[Mythos]] (z.B. Tithon und [[Aurora]]) im revolutionären [[Zeitalter]]|- ästhetisch und pädagogisch; bildungsbürgerlich| |Mythosbegriff|- [[Palingenesia#Palingenesie]] des [[Mythos]] (z.B. Tithon und [[Aurora]]) im revolutionären [[Zeitalter]]|- ästhetisch und pädagogisch; bildungsbürgerlich|
  
-Buch über [[https://vonwolkenstein.de/produkt/hoelder-in-jena-robert-christian-knorr-und-tino-strempel/|Hölderlins Zeit in Jena]], seine Begegnungen mit Schiller, [[Goethe]] und [[Fichte]]+Buch über Hölderlins Zeit in Jena, seine Begegnungen mit Schiller, [[Goethe]] und [[Fichte]] kann man [[buecherei@vonwolkenstein.de|hier]] bestellen: 6 € plus Versand
  
 ==== Hyperion ==== ==== Hyperion ====
 - vom Affekt zur [[Vernunft]] → die Verinnerlichung führt vom äußeren Affekt zur [[Hoffnung]]\\ - vom Affekt zur [[Vernunft]] → die Verinnerlichung führt vom äußeren Affekt zur [[Hoffnung]]\\
-- ist zu wenig heroisch und zu wenig skrupellos, was zur [[Katastrophe]] führt;\\ +- ist zu wenig heroisch und zu wenig skrupellos, was zur [[Katastrophe]] führt; 
-- macht den finsteren Zug, der dem [[Antlitz]] des Lebens so tief eingegraben ist, sichtbar und deutet das Leben aus diesem [[selbst]] ([[Dilthey]]) + 
 +- macht den finsteren Zug, der dem [[Antlitz]] des Lebens so tief eingegraben ist, sichtbar und deutet das Leben aus diesem [[selbst]] ([[Dilthey]]) \\ 
 +- Damit er sich im Sinne von ὑπέρ dauerhaft über alle Zustände erheben und Eremit werden kann, muß er unseliges Auf und Nieder überwinden //wie ein Saitenspiel, wo der Meister alle Töne durchläuft, und Streit und Einklang mit verborgener Ordnung durcheinanderwirft//. (Hultenreich)
  
 ==== Hölderlins Orient ==== ==== Hölderlins Orient ====
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 Christian Friedrich Schnurrer lehrte „Orientalistik“, d. h. [[Philologie]] und [[Hermeneutik]] der biblischen Texte, ganz aus dem Geiste der aufklärerischen Moderne. Der kritische Geist des Lehrers ermöglichte Hölderlin, sowohl ideengeschichtlich als auch poetologisch Parallelen zwischen einem Text der [[Bibel]] und [[Hesiod#Hesiods]] Bauernethik zu ziehen.\\ Christian Friedrich Schnurrer lehrte „Orientalistik“, d. h. [[Philologie]] und [[Hermeneutik]] der biblischen Texte, ganz aus dem Geiste der aufklärerischen Moderne. Der kritische Geist des Lehrers ermöglichte Hölderlin, sowohl ideengeschichtlich als auch poetologisch Parallelen zwischen einem Text der [[Bibel]] und [[Hesiod#Hesiods]] Bauernethik zu ziehen.\\
 Die Zeit von [[Salomo]] und Hesiod galten für Hölderlin als Epoche „unkultivierter“ Gesellschaften, die durch „ungebildete Philosophie“ gekennzeichnet sind. Die orientalische, d. h. jüdische und griechische Antike werden also noch als eng zueinander gehörige Kulturen behandelt, die mit „unsern Moralsystemen“ im [[Kontrast]] stehen. Den [[Grund]] des Vergleichs bilden die vermittelten Wertvorstellungen. Sowohl Salomo als auch Hesiod ermahnen den Adressaten, [[Gut]] durch Arbeitsamkeit ([[Fleiß]]) und durch rechtliches Betragen ([[Rechtschaffenheit]]) zu gewinnen. Die archaischen Gesellschaften scheinen nämlich zwei Grundwerte zu haben: [[Reichtum]] und [[Ehre]], beide sind als solche [[Güter]] des Lebens betrachtet, in denen die wahre (moralische) [[Qualität]] des Menschen zum Vorschein kommt. Es ist also ganz klar, von welcher moralischen Kollision Hölderlin redet: Er stellt der falschen [[Transzendenz]] verlogener christlicher [[Moralität]] seiner [[Epoche]] die immanente, weltliche Wertvorstellung des [[Testament#Alten Testaments]] und der griechischen Archaik entgegen. Die Charaktermerkmale „Reichtum und Ehre“ werden von nun an zum festen Bestandteil der Hölderlinschen Antike und somit des Orients, und die dichterische [[Orientierung]] nach ihnen hält am Grundwert der Weltlichkeit fest: //„Die Dichter müssen auch / Die Geistigen weltlich seyn.“ Hier verschwieg Hölderlin seine kritische Distanz zum deutschen [[Protestantismus]] auch nicht, als er bemerkte, daß Reichtum und Ehre „in ihrem sittlichen [[Wert]]“// damals „noch nicht so gesunken“ waren wie sie „bei den kultivierten Völkern“ sind. \\ Die Zeit von [[Salomo]] und Hesiod galten für Hölderlin als Epoche „unkultivierter“ Gesellschaften, die durch „ungebildete Philosophie“ gekennzeichnet sind. Die orientalische, d. h. jüdische und griechische Antike werden also noch als eng zueinander gehörige Kulturen behandelt, die mit „unsern Moralsystemen“ im [[Kontrast]] stehen. Den [[Grund]] des Vergleichs bilden die vermittelten Wertvorstellungen. Sowohl Salomo als auch Hesiod ermahnen den Adressaten, [[Gut]] durch Arbeitsamkeit ([[Fleiß]]) und durch rechtliches Betragen ([[Rechtschaffenheit]]) zu gewinnen. Die archaischen Gesellschaften scheinen nämlich zwei Grundwerte zu haben: [[Reichtum]] und [[Ehre]], beide sind als solche [[Güter]] des Lebens betrachtet, in denen die wahre (moralische) [[Qualität]] des Menschen zum Vorschein kommt. Es ist also ganz klar, von welcher moralischen Kollision Hölderlin redet: Er stellt der falschen [[Transzendenz]] verlogener christlicher [[Moralität]] seiner [[Epoche]] die immanente, weltliche Wertvorstellung des [[Testament#Alten Testaments]] und der griechischen Archaik entgegen. Die Charaktermerkmale „Reichtum und Ehre“ werden von nun an zum festen Bestandteil der Hölderlinschen Antike und somit des Orients, und die dichterische [[Orientierung]] nach ihnen hält am Grundwert der Weltlichkeit fest: //„Die Dichter müssen auch / Die Geistigen weltlich seyn.“ Hier verschwieg Hölderlin seine kritische Distanz zum deutschen [[Protestantismus]] auch nicht, als er bemerkte, daß Reichtum und Ehre „in ihrem sittlichen [[Wert]]“// damals „noch nicht so gesunken“ waren wie sie „bei den kultivierten Völkern“ sind. \\
-Der zweite Aufsatz, die //Geschichte der schönen Künste unter den [[Griechen]]// (1790), reflektiert auf Winckelmanns //Geschichte der Kunst des Altertums//. Hölderlin folgt Winckelmanns [[Kritik]] an der ägyptischen Kunst: //„Der Orient war nicht für die Kunst, am wenigsten für die bildende. (...) Der Orientalismus neigt sich mehr zum wunderbaren und abentheurlichen: der griechische [[Genius]] verschönert, versinnlicht.“// Den Grund, weshalb die Ägypter keine schöne Kunst hatten, erklären „das feurige Klima“, „das schauerlicherhabne Religionssystem“ mit den „fürchterlichen Dämonen des Orients“ und die „überhaupt strenge [[Monarchie]]“. In //[[Hyperion]]// wird die Frage nach dem [[Wesen]] orientalischer Kunsttätigkeit wiederholt gestellt. Auf dem Weg zu den majestätischen Ruinen [[Athen]]bemerkt Hyperion über die „Ägypter“, die er nun überraschend mit den nördlichen Völkern in Parallele stellt: //„Der Aegyptier trägt ohne [[Schmerz]] die Despotie der Willkühr, der [[Sohn]] des Nordens ohne Widerwillen die Gesetzesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform; denn der Aegyptier hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesetzlichen zu hängen.“// So setzt Hyperion fort: //„Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt hat, muß er knien, eh er [[sprechen]] gelernt hat, muß er beten. (...) Der Aegyptier ist hingegeben, eh’ er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen, nichts von Schönheit, und das [[Höchste]], was er nennt, ist eine verschleierte Macht...“//\\ Die Eigenart des Orientalischen – Religionszwang, Demütigung (knien und einen zum [[Gebet]] zwingen), Herrschaftssystem – verrät eindeutig, daß der Begriff des „Ägyptischen“ auf das [[Hebräisch]]e und somit auf die hebräisch-christliche [[Überlieferung]] zu übertragen ist. Aus dieser Perspektive ist der Vergleich des Orientalischen mit dem Nordischen durchaus transparent.\\+Der zweite Aufsatz, die //Geschichte der schönen Künste unter den [[Griechen]]// (1790), reflektiert auf Winckelmanns //Geschichte der Kunst des Altertums//. Hölderlin folgt Winckelmanns [[Kritik]] an der ägyptischen Kunst: //„Der Orient war nicht für die Kunst, am wenigsten für die bildende. (...) Der Orientalismus neigt sich mehr zum wunderbaren und abentheurlichen: der griechische [[Genius]] verschönert, versinnlicht.“// Den Grund, weshalb die [[Ägypter]] keine schöne Kunst hatten, erklären „das feurige Klima“, „das schauerlicherhabne Religionssystem“ mit den „fürchterlichen Dämonen des Orients“ und die „überhaupt strenge [[Monarchie]]“. In //[[Hyperion]]// wird die Frage nach dem [[Wesen]] orientalischer Kunsttätigkeit wiederholt gestellt. Auf dem Weg zu den majestätischen Ruinen [[Athen|Athens]] bemerkt Hyperion über die „Ägypter“, die er nun überraschend mit den nördlichen Völkern in Parallele stellt: //„Der Aegyptier trägt ohne [[Schmerz]] die Despotie der Willkühr, der [[Sohn]] des Nordens ohne Widerwillen die Gesetzesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform; denn der Aegyptier hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesetzlichen zu hängen.“// So setzt Hyperion fort: //„Wie ein prächtiger Despot, wirft seine Bewohner der orientalische Himmelstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden, und, ehe der Mensch noch gehen gelernt hat, muß er knien, eh er [[sprechen]] gelernt hat, muß er beten. (...) Der Aegyptier ist hingegeben, eh’ er ein Ganzes ist, und darum weiß er nichts vom Ganzen, nichts von Schönheit, und das [[Höchste]], was er nennt, ist eine verschleierte Macht...“//\\ Die Eigenart des Orientalischen – Religionszwang, Demütigung (knien und einen zum [[Gebet]] zwingen), Herrschaftssystem – verrät eindeutig, daß der Begriff des „Ägyptischen“ auf das [[Hebräisch]]e und somit auf die hebräisch-christliche [[Überlieferung]] zu übertragen ist. Aus dieser Perspektive ist der Vergleich des Orientalischen mit dem Nordischen durchaus transparent.\\
 __Kurzum__: Die frühen Aufsätze sowie die Athenerrede des Hyperion schildern einen Orient der [[Despotie]], dämonischer [[Religion]], von [[aberglaube|Aberglauben]] und Verknechtung, den die [[Verachtung]] der schönen Künste bzw. ein abenteuerlicher, verdorbener [[Geschmack]] charakterisieren. Diese Abneigung vom Ägyptisch-Hebräisch-Orientalischem entspricht in manchen Zügen der gängigen Auffassung zu Hölderlins Zeit, es ist aber überraschend, daß das Ägyptische analogisch auf den christlichen Norden übertragen wird. Es ist auch bei Hölderlin nicht zu leugnen, daß sein brennendes [[Interesse]] für Griechenland von seiner Kritik am [[Christentum]] sowie von seinen politischen Ansichten abhängt. Der zweite Aufsatz, die Geschichte der schönen Künste unter den Griechen bietet aber bereits eine differenziertere Vorstellung über Hellas und den Orient. Hölderlin nimmt den am Beispiel des Salomo einmal schon aufgegriffenen positiven Kulturzusammenhang wieder auf und stellt die unterschiedlichen Etappen des griechischen Bildungswegs nicht einheitlich, ideell, wie man das gewöhnlich meint, sondern nach geographischen Gebieten dar, von Ionien über den dorischen [[Peloponnes]] bis nach Athen. Die erste Dichtergestalt, den Hölderlin emphatisch hervorhebt, ist [[Orpheus]], dessen kleinasiatische [[Muse]] mit dem „Orientalismus“ verbunden wird: //„Seine Hymnen, wie der auf die [[Sonne]], scheinen noch das Gepräge des Orientalismus zu haben, wenigstens eine entfernte Würkung des Sonnendienstes“.// Nach dem Trojanischen Krieg folgte ihm [[Homer]], dessen //„Empfänglichkeit für das [[Schöne]] und Erhabene, seine [[Phantasie]], sein Scharfsinn“// nur selten, oder kaum von der Natur wiederholt wurde. Die Eigenart seiner [[Genialität]] wird mit der kleinasiatischen Heimat, mit Ionien, erklärt: //„Empfänglichkeit für das Schöne und [[Erhabene]] bot sich das paradiesische Ionien dar“//.\\  __Kurzum__: Die frühen Aufsätze sowie die Athenerrede des Hyperion schildern einen Orient der [[Despotie]], dämonischer [[Religion]], von [[aberglaube|Aberglauben]] und Verknechtung, den die [[Verachtung]] der schönen Künste bzw. ein abenteuerlicher, verdorbener [[Geschmack]] charakterisieren. Diese Abneigung vom Ägyptisch-Hebräisch-Orientalischem entspricht in manchen Zügen der gängigen Auffassung zu Hölderlins Zeit, es ist aber überraschend, daß das Ägyptische analogisch auf den christlichen Norden übertragen wird. Es ist auch bei Hölderlin nicht zu leugnen, daß sein brennendes [[Interesse]] für Griechenland von seiner Kritik am [[Christentum]] sowie von seinen politischen Ansichten abhängt. Der zweite Aufsatz, die Geschichte der schönen Künste unter den Griechen bietet aber bereits eine differenziertere Vorstellung über Hellas und den Orient. Hölderlin nimmt den am Beispiel des Salomo einmal schon aufgegriffenen positiven Kulturzusammenhang wieder auf und stellt die unterschiedlichen Etappen des griechischen Bildungswegs nicht einheitlich, ideell, wie man das gewöhnlich meint, sondern nach geographischen Gebieten dar, von Ionien über den dorischen [[Peloponnes]] bis nach Athen. Die erste Dichtergestalt, den Hölderlin emphatisch hervorhebt, ist [[Orpheus]], dessen kleinasiatische [[Muse]] mit dem „Orientalismus“ verbunden wird: //„Seine Hymnen, wie der auf die [[Sonne]], scheinen noch das Gepräge des Orientalismus zu haben, wenigstens eine entfernte Würkung des Sonnendienstes“.// Nach dem Trojanischen Krieg folgte ihm [[Homer]], dessen //„Empfänglichkeit für das [[Schöne]] und Erhabene, seine [[Phantasie]], sein Scharfsinn“// nur selten, oder kaum von der Natur wiederholt wurde. Die Eigenart seiner [[Genialität]] wird mit der kleinasiatischen Heimat, mit Ionien, erklärt: //„Empfänglichkeit für das Schöne und [[Erhabene]] bot sich das paradiesische Ionien dar“//.\\ 
 Trotz des prägenden Einflusses Winckelmanns zeigt Hölderlins Bewunderung für den ionischen poetischen [[Geist]] des Homer von Anfang an stark antiklassische Züge. Hölderlin betrachtet Chios als Homers Vaterstadt, er soll aber in der altanatolischen [[Stadt]] [[Smyrna]] gelebt haben, dessen [[Schönheit]] und orientalische Atmosphäre Hölderlin enthusiastisch schildert. Trotz des prägenden Einflusses Winckelmanns zeigt Hölderlins Bewunderung für den ionischen poetischen [[Geist]] des Homer von Anfang an stark antiklassische Züge. Hölderlin betrachtet Chios als Homers Vaterstadt, er soll aber in der altanatolischen [[Stadt]] [[Smyrna]] gelebt haben, dessen [[Schönheit]] und orientalische Atmosphäre Hölderlin enthusiastisch schildert.
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 Dem Untergang der schönen Antike wird eine säkularisierte hesperische Welt entgegensetzt, die - einer Randnotiz folgend – „orbis ecclesiae“ – genannt werden kann. Die griechische Welt ging zwar an eigener [[Schuld]] zugrunde, war aber doch das Land der Schönheit. Selbst die Griechen, die die größte Schönheit hervorbrachten, konnten nicht mit der Zerbrechlichkeit der von ihnen hervorgebrachten Schönheit umgehen. Sie haben nicht erkannt, wie „apokalyptisch“ sie ist, das heißt wie sehr sie ihren Untergang in sich selbst birgt: //„Das bist Du ganz in deiner Schönheit apocalyptica“// – dieser ohne Kontext dastehende [[Vers]] Hölderlins trifft auf sein Griechenland genau zu. Griechenland hat das Schöne mitsamt seiner apokalyptischer Natur der Welt offenbart: Es zeigte das Schöne in seinem Untergang und eben nicht in der [[Unsterblichkeit]] als ewige [[Norm]] (wie Winckelmann oder Schiller dachten).\\ Dem Untergang der schönen Antike wird eine säkularisierte hesperische Welt entgegensetzt, die - einer Randnotiz folgend – „orbis ecclesiae“ – genannt werden kann. Die griechische Welt ging zwar an eigener [[Schuld]] zugrunde, war aber doch das Land der Schönheit. Selbst die Griechen, die die größte Schönheit hervorbrachten, konnten nicht mit der Zerbrechlichkeit der von ihnen hervorgebrachten Schönheit umgehen. Sie haben nicht erkannt, wie „apokalyptisch“ sie ist, das heißt wie sehr sie ihren Untergang in sich selbst birgt: //„Das bist Du ganz in deiner Schönheit apocalyptica“// – dieser ohne Kontext dastehende [[Vers]] Hölderlins trifft auf sein Griechenland genau zu. Griechenland hat das Schöne mitsamt seiner apokalyptischer Natur der Welt offenbart: Es zeigte das Schöne in seinem Untergang und eben nicht in der [[Unsterblichkeit]] als ewige [[Norm]] (wie Winckelmann oder Schiller dachten).\\
-Der Dichter ist in seinem hesperischen [[Vaterland]] also auf doppelte Weise mit den „Ruinen der Antike“ konfrontiert: Er ist einerseits genötigt, eine [[Lehre]] aus dem [[Untergang]] des Griechischen zu ziehen und die Brechungen, die Verzerrungen des Schönen, seine apokalyptische Natur zu akzeptieren. Diese Akzeptanz der verzerrten, zerteilten, ja sogar kranken Schönheit, die aus den Trümmern der klassisch-griechischen Antike uns noch zugekommen ist, und was Hölderlin selbst noch hervorzubringen fähig war, war ihm anscheinend leichter, als sich mit dem Zerrbild einer einst leidenschaftlichen, feurigen, lebensvollen orientalischen, hebräischen Kultur zu begnügen. Diese gegenwärtige hesperische Kultur hat Hölderlin in seinem Brief an Böhlendorff mit einem Sarg verglichen, der zugleich an die Charakterisierung Ägyptens als leblose Kultur der Demütigung, Tyrannei und Häßlichkeit erinnert. Hier, im zitierten Fragment ist das Vaterländische mit dem Profanieren des Wundervollen mit Dürftigkeit anstatt ursprünglichen Reichtums, mit Eintönigkeit und mit belanglosem Geschwätz gleichgesetzt. Aus dem feurig Orientalischen asiatischen Ursprungs wurde eine despotische, formelhafte „ägyptisch“ starre Kulturwelt. Die Orientalisierung des Sophokles sollte also nicht nur das griechische Kunstwerk von der Rigidität seiner Schönheit befreien, sondern das teils verdrängte, teils „ägyptisch“ verzerrte Erbe des Abendlandes im Orient neu beleben.\\+Der Dichter ist in seinem hesperischen [[Vaterland]] also auf doppelte Weise mit den „Ruinen der Antike“ konfrontiert: Er ist einerseits genötigt, eine [[Lehre]] aus dem [[Untergang]] des Griechischen zu ziehen und die Brechungen, die Verzerrungen des Schönen, seine apokalyptische Natur zu akzeptieren. Diese Akzeptanz der verzerrten, zerteilten, ja sogar kranken Schönheit, die aus den Trümmern der klassisch-griechischen Antike uns noch zugekommen ist, und was Hölderlin selbst noch hervorzubringen fähig war, war ihm anscheinend leichter, als sich mit dem Zerrbild einer einst leidenschaftlichen, feurigen, lebensvollen orientalischen, hebräischen Kultur zu begnügen. Diese gegenwärtige hesperische Kultur hat Hölderlin in seinem Brief an Böhlendorff mit einem Sarg verglichen, der zugleich an die Charakterisierung Ägyptens als leblose Kultur der Demütigung, [[Tyrannei]] und Häßlichkeit erinnert. Hier, im zitierten Fragment ist das Vaterländische mit dem Profanieren des Wundervollen mit Dürftigkeit anstatt ursprünglichen Reichtums, mit Eintönigkeit und mit belanglosem Geschwätz gleichgesetzt. Aus dem feurig Orientalischen asiatischen Ursprungs wurde eine despotische, formelhafte „ägyptisch“ starre Kulturwelt. Die Orientalisierung des Sophokles sollte also nicht nur das griechische Kunstwerk von der Rigidität seiner Schönheit befreien, sondern das teils verdrängte, teils „ägyptisch“ verzerrte Erbe des Abendlandes im Orient neu beleben.\\
 Was Hölderlin unter Aufdecken des wahren gemeinsamen orientalischen Fundaments des Griechischen und des Hesperischen meint, würde also in diesem Kontext heißen: Mit dem griechisch verlautbarten aber ursprünglich hebräischen Begriff des „Apokalyptischen“ wird sowohl der griechischen Kultur als auch dem Abendlands jeweils ein neuer Sinn gegeben. Die Erkenntnis von der apokalyptischen Natur der Schönheit kann das Griechentum von ihren falschen modernen Konstrukten befreien, etwa von seiner Wiederbelebung als überzeitlicher Menschlichkeit, die durch die deutsche [[Klassik]] und durch neohumanistische Strömungen immer wieder inszeniert wurde.  Was Hölderlin unter Aufdecken des wahren gemeinsamen orientalischen Fundaments des Griechischen und des Hesperischen meint, würde also in diesem Kontext heißen: Mit dem griechisch verlautbarten aber ursprünglich hebräischen Begriff des „Apokalyptischen“ wird sowohl der griechischen Kultur als auch dem Abendlands jeweils ein neuer Sinn gegeben. Die Erkenntnis von der apokalyptischen Natur der Schönheit kann das Griechentum von ihren falschen modernen Konstrukten befreien, etwa von seiner Wiederbelebung als überzeitlicher Menschlichkeit, die durch die deutsche [[Klassik]] und durch neohumanistische Strömungen immer wieder inszeniert wurde. 
 In bezug auf das Abendland gewinnt das Apokalyptische einen anderen Sinn. In Anbetracht des orientalischen Flammentods, der mit den Städten der ganzen kleinasiatischen Kultur ein Ende setzte, lernt der moderne Dichter eine neue Ernsthaftigkeit. Rauch und Feuer setzten ihm prophetisch ein Zeichen: //„Gott rein und mit Unterscheidung/ Bewahren, das ist uns vertrauet,/ Damit nicht, weil an diesem/ Viel hängt, über der Büßung über einem Fehler/ Des Zeichens/ Gottes Gericht entstehet.“// \\ In bezug auf das Abendland gewinnt das Apokalyptische einen anderen Sinn. In Anbetracht des orientalischen Flammentods, der mit den Städten der ganzen kleinasiatischen Kultur ein Ende setzte, lernt der moderne Dichter eine neue Ernsthaftigkeit. Rauch und Feuer setzten ihm prophetisch ein Zeichen: //„Gott rein und mit Unterscheidung/ Bewahren, das ist uns vertrauet,/ Damit nicht, weil an diesem/ Viel hängt, über der Büßung über einem Fehler/ Des Zeichens/ Gottes Gericht entstehet.“// \\
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 __Frage__: Wie kann der Stoß weitergegeben werden?\\ __Frage__: Wie kann der Stoß weitergegeben werden?\\
 - wenn die Götter die [[Erde]] rufen und im Ruf eine Welt widerhallt und so der Ruf anklingt als Da-sein des Menschen, dann ist [[Sprache]] als Geschichtliches, Geschichte gründendes Wort. (Heidegger)\\ - wenn die Götter die [[Erde]] rufen und im Ruf eine Welt widerhallt und so der Ruf anklingt als Da-sein des Menschen, dann ist [[Sprache]] als Geschichtliches, Geschichte gründendes Wort. (Heidegger)\\
 +- Wer zuerst Hölderlin liest und danach mich, der versteht beides nicht. ([[Heinse]])\\
 - ihm war es wie keinem gelungen, in klassischer [[Form]] die [[Romantik#romantische]] Seele zu binden, ohne daß sie von ihrer Würze verlor ([[Huch]])\\ - ihm war es wie keinem gelungen, in klassischer [[Form]] die [[Romantik#romantische]] Seele zu binden, ohne daß sie von ihrer Würze verlor ([[Huch]])\\
 - Größter der Sehnsucht nach Urbarem\\ - Größter der Sehnsucht nach Urbarem\\
hoelderlin.1697620494.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/10/18 11:14 von Robert-Christian Knorr