Inhaltsverzeichnis
KLEIST
Ewald von Kleist
Heinrich von Kleist
1777-1811
Dichter
- Sohn eines preußischen Hauptmanns aus weitverzweigter Familie
- nach der Lektüre Kants (um 1793) wuchs in ihm der Wunsch, viel zu erkennen und zu wissen und etwas Großes zu schaffen, glaubte, daß man nicht leben könne, wenn man die REALITÄT nicht zu erkennen imstande ist → bei diesem Sichtwinkel aufs Leben muß man scheitern
- besuchte Goethe und SCHILLER 1802 in Weimar und blieb eine Weile bei WIELAND in Oßmannstedt
- geriet 1806/7 in Kriegsgefangenschaft, aus der ihn seine Schwester Ulrike losbat; danach seelisch zerrüttet in Dresden, wo er die Bekanntschaft Schuberts machte und dessen „Vorlesungen über die Nachtseite der Naturwissenschaft“ begierig aufnahm
- seine Projekte in Dresden, Weimar und Wien scheiterten; 1810 ging er nach Bärlin, wo er ein Weihegedicht an die Königin richtete und darauf hoffte, daß seine letzten Stücke (Prinz von Homburg und Käthchen von Heilbronn) am Königlichen Theater aufgenommen werden würden, was beides nicht erfolgte
- er erlebte keine einzige Aufführung eines seiner Stücke, die zwar zuweilen gespielt wurden, aber allesamt beim PUBLIKUM durchfielen, zuweilen sogar ausgezischt wurden (z.B. Der zerbrochene Krug in Weimar)
- zwischen LESSING und IBSEN der schärfste psychologische Naturalist des Theaters (Friedell)
- die nordische Schärfe des Hypochonders und die Gewaltsamkeit der Motive sind mir zuwider
- der moralische Ansatz ist doch auch ein böses ÜBEL
- man schafft und künstelt sich neue Theorien, um Mittelmäßigkeit für bedeutend ausgeben zu können
- unsichtbares THEATER → es findet zu vieles nur in den Figuren statt und nicht auf der Bühne (GOETHE)
pathologische Momente in Kleists Werk
- Prinz von Homburg und Käthchen von Heilbronn: SOMNAMBULISMUS mit der Folge von Halluzinationen
- Sadismus bei Penthesilea und Thusnelda
- geht auf die Verwirrung des Gefühls aus und stellt sich die Aufgabe, von dieser Verwirrung zur Klarheit des Gefühls zu kommen (Engel)
- Neigung zur Gefühlsverirrung (Friedell)
- Kleist geht auf die Verwirrung des Gefühls aus. (Goethe)
Bärliner Abendblätter
Oktober 1810 bis März 1811
- von Kleist herausgegebene patriotische Zeitung, die zwischen Gebrauchstexterzeugung und Literatur waberte und damit die französische Zensur austricksen konnte
- agitierte im Geiste der STEIN-HARDENBERGSCHEN REFORMEN und gegen den märkischen ADEL, auch gegen die liberal affizierten Zuträger resp. Angepaßten gegenüber den Franzosen → damit stand das Blatt relativ verloren da
- Kleist publizierte auch Adam Müller, was die Unterstützung der Reformer beendete, denn die sahen in Müller einen Erzkonservativen → Aufsatz über Kleists verdecktes Schreiben
Familie Schroffenstein
- sein erstes Drama (1801)
- die Wechselmorde hängen von einem (von Kleist konstruierten) ZUFALL ab, von dem kleinen Finger, den die Waldfrau dem ertrunkenen Kinde abschnitt: Absicht der schaurigen Wirkung, die aus einem albernen Versehen heraus entstehen kann
- sehr schöne (keusche) Liebesszene in V/1
Die Hermannsschlacht
1811
- patriotisches Stück, das Empörung (über den politischen Zustand Deutschlands) und Kunst vereint
- die widerliche Gestalt des Aristan entspricht dem König von Württemberg, einem Rheinbundfürsten und Vasallen Napoleons, dessen Treue zu Rom Hermann in der letzten Szene mit Enthauptung löhnt
- ein die Peinlichkeiten seiner Zeit beobachtendes Tendenzstück
Käthchen von Heilbronn
1808
- basiert auf einer von BÜRGER übersetzten altschottischen Ballade
- ein schlafwandelndes Mädchen, das im TRAUM einen Mann sieht, dem es verfällt → eine romantische Liebeskomödie nimmt ihren Lauf, denn am Ende wird das Mädchen zum adeligen Fräulein, das dem von ihm verfolgten und von diesem stets abgelehnten Grafen nun ebenbürtig, bielleicht sogar standesmäßig überlegen ist, der sie nun erhört
- männliche Theaterbesucher empfinden die hündische Ergebenheit Käthchens oft als nervend → Kleist bedauerte dramaturgische Mißgriffe, sah sich aber aufgrund des mangelnden Erfolgs seiner dato mißerfolglichen Stücke dazu veranlaßt, wenigstens ein Stück bühnentauglicher zu machen, also ein für die Zuschauer befriedigendes Ende zu verfassen
Michael Kohlhaas
- thematisiert das Problem des Rechts: Darf jemand, dem UNRECHT geschah, das Recht in die eigenen Hände nehmen? Heiligt der ZWECK die Mittel? Darf jemand, der einen guten Zweck verfolgt, jedes Mittel anwenden?
- in einer heute antiquierten SPRACHE geschrieben: Satzungetüme, verwirrende Erzähltechnik, zahlreiche Ungenauigkeiten im Handlungsablauf
- Wilheit und Weichheit treiben die HANDLUNG an
Penthesilea
1808
- in Frankreich geschrieben; ein Gegenstück zum Ajax des SOPHOKLES
- die Botschaft ist grausam und lautet: Wir zerstören, was wir lieben. → die Amazonenkönigin hat im Wahn ihren geliebten ACHILLES zerfleischt und geht, wieder zu Sinnen gekommen, am Bewußtsein dieser Tat zugrunde
- es sind keine Menschen, sondern Übermenschen, die Kleist schuf und die er dem Publikum vors geistige Auge stellen wollte, daß nämlich jeder tötet, was er liebt - früher oder später
- WUT, Stolz, Liebe und tödliche REUE treiben die Handlung an
Prinz von Homburg
1811
- sein letztes Stück, ein Meisterstück in der Charakterkunst, das die innere Läuterung des Prinzen ins Zentrum stellt, wogegen der CHURFÜRST als ein charakterfester Herrscher steht, der seinem befehlsverweigernden Feldherrn die Selbsterkenntnis weise überläßt: Die Wendung des Churfürsten gehört zum Erhabensten, was, was irgend eine Literatur zeigt. (HEBBEL) → an dieser Stelle setzte die KRITIK an, nämlich die vom Königshaus 1811, daß Befehlsverweigerung im brandenburgisch-preußischen Heere nicht vorgekommen sein soll
- sein Mangel liegt darin, daß der Churfürst dem Prinzen, trotz dessen offensichtlicher Inkompetenz (der Prinz hat schon zwei Schlachten verloren) auch den Befehl übers HEER für die dritte Schlacht überläßt
- verträumte Liebe, Tapferkeit, Todesfurcht und sich ermannende Weltbesiegung treiben die Handlung an
Robert Guiscard
1802
- in einem Anfall von Selbstzweifel durch Kleist vor der Fertigstellung verbrannt, später (1808) aus dem Gedächtnis in Teilen rekonstruiert und im Phoebus publiziert
- ein normannischer Heerführer stirbt bei der Belagerung von Konstantinopel 1085
- großartige Szenenführung und Sprache
Kleists Übersetzungsmethode
- WECHSEL zwischen genauer und wortwörtlicher und sehr freier Übertragung, FREI da, wo sich der TEXT eigenen ERFAHRUNGen und Empfindungen nähert (Brahm)
Der zerbrochene Krug
1803
- das erste deutsche Drama, das Bauern als Helden hat und diese nicht nur als bebändertes Schafvolk zeigt
- etliche vermuten, daß Goethe einen Mißerfolg initiierte, indem er das auf Einaktigkeit ausgelegte Stück in drei Akte teilte (nach dem 5. ein Vorhang, nach 9. Auftritt die Pause) damit den Spannungsbogen zerstörte, außerdem setzte er es bei der Premiere nach einer langweiligen Oper an - wollte Kleist Goethe fordern, rächte sich dann aber literarisch in Epigrammen, Phöbus, 4./5. Ausgabe 1808
- andererseits muß das nicht der Fall gewesen sein, denn Einakter waren seinerzeit unüblich und standen im Verdacht, daß der unsichere Autor verhindern wollte, gelangweilte Zuschauer in der Pause zum Gehen zu veranlassen