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mann [2019/07/28 16:16] – Externe Bearbeitung 127.0.0.1mann [2021/08/04 19:38] – [Essay zum Frühwerk] Robert-Christian Knorr
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 - musikalischer [[Pessimismus]] [[Schopenhauer]]s, dazu die Verfallspsychologie Nietzsches → bilden Allgemeingut der [[Zeit]] und sind für Lübeck nicht spezifisch (Hamburger)\\ - musikalischer [[Pessimismus]] [[Schopenhauer]]s, dazu die Verfallspsychologie Nietzsches → bilden Allgemeingut der [[Zeit]] und sind für Lübeck nicht spezifisch (Hamburger)\\
 - geistig-seelische Selbstbewältigung \\ - geistig-seelische Selbstbewältigung \\
-- der Verfall als Leitmotiv wird schließlich zum Schicksalsthema \\+- der Verfall als [[Leitmotiv]] wird schließlich zum Schicksalsthema \\
 - der [[Tod]] wird als [[Möglichkeit]] begriffen, zum Gegenteil der Möglichkeiten, dem [[Leben]], zu gelangen \\ - der [[Tod]] wird als [[Möglichkeit]] begriffen, zum Gegenteil der Möglichkeiten, dem [[Leben]], zu gelangen \\
 - Dekuvrierung der die Humanität zerstörenden Tendenzen der bürgerlichen Gesellschaft (Hermsdorf) - Dekuvrierung der die Humanität zerstörenden Tendenzen der bürgerlichen Gesellschaft (Hermsdorf)
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 Aber ist das nicht Ästhetizismus? Ja, doch. Man muß gestorben sein, um ein Schaffender sein zu können, muß ganz im Geiste aufgegangen sein und die Fähigkeit besitzen, den [[Frühling]] zu verdammen; man muß die Urwüchsigkeit des Lebendigen verachten können. Daß dann erst der Schaffende geboren ward, liegt nicht nur im Bereich des Möglichen. Es sind dies ästhetische Kontemplationen im Geiste Schopenhauers: Adalbert und Lisaweta leben eigentlich nicht, sie vertreten Positionen. Sie stehen still bei Schopenhauer; Thomas Mann alias Tonio Kröger ist den Schritt weiter zu Nietzsche gegangen. Er versucht, diese ästhetisierenden Ansichten an das gute und lebendige Leben zu binden, eine [[Interaktion]] aufzubauen, die aber keine Wertung schafft, sondern die zugespitzten Gegensätze beibehält. Zwar stellt sich der Titelheld dadurch in die Isolation der Einsamkeit, aber es ist eine hoffnungsvolle zugleich, denn diese Einsamkeit zielt auf den Ausgleich von Gegensätzen und Widersprüchen in ein harmonisches Ganzes und verschließt sich nichts Neuem. Das geht über den Ästhetizismus der Litteraten Adalbert und Lisaweta hinaus und könnte eine Kernaussage der Novelle sein. Aber ist das nicht Ästhetizismus? Ja, doch. Man muß gestorben sein, um ein Schaffender sein zu können, muß ganz im Geiste aufgegangen sein und die Fähigkeit besitzen, den [[Frühling]] zu verdammen; man muß die Urwüchsigkeit des Lebendigen verachten können. Daß dann erst der Schaffende geboren ward, liegt nicht nur im Bereich des Möglichen. Es sind dies ästhetische Kontemplationen im Geiste Schopenhauers: Adalbert und Lisaweta leben eigentlich nicht, sie vertreten Positionen. Sie stehen still bei Schopenhauer; Thomas Mann alias Tonio Kröger ist den Schritt weiter zu Nietzsche gegangen. Er versucht, diese ästhetisierenden Ansichten an das gute und lebendige Leben zu binden, eine [[Interaktion]] aufzubauen, die aber keine Wertung schafft, sondern die zugespitzten Gegensätze beibehält. Zwar stellt sich der Titelheld dadurch in die Isolation der Einsamkeit, aber es ist eine hoffnungsvolle zugleich, denn diese Einsamkeit zielt auf den Ausgleich von Gegensätzen und Widersprüchen in ein harmonisches Ganzes und verschließt sich nichts Neuem. Das geht über den Ästhetizismus der Litteraten Adalbert und Lisaweta hinaus und könnte eine Kernaussage der Novelle sein.
  
-Der moderne Künstler kennt die Schwäche des Geistes vor dem Leben, der reinen [[Natürlichkeit]] und schämt sich dessen. Die neue Dichtung erfordere den reinen Geist, wird behauptet, um beim [[Publikum]] erwecken zu können, was verlorenging: warmes, unmittelbares Empfinden. Von Schopenhauer zu Nietzsche. Der neue Künstler ist [[Schauspieler]], ein großer Täuscher, er kalkuliert mit Effekten, um [[Ganzheit]] wiederherzustellen. Das Geschöpfte wird ein Konstrukt, wenn der Schaffende das Menschliche darzustellen wünscht, ohne am Menschlichen teilzuhaben. Der moderne Künstler schafft im [[Abgrund]] von Ironie, Unglaube - Bewußtsein einer verlorenen Totalität im Gewande des umfassenden Zweifels, der jedoch im Gegensatz zu Descartes vor dem eigenen Wirken nicht haltmacht - und Opposition - richtet sich gegen die vorhandene [[Ordnung]], doch alles Handeln ist Sünde in den Augen des Geistes. Dort ist sein Zuhaus; [[Genie]], [[Inspiration]] oder [[Irrationalität]] sind willkommene Dinge, zeichnen ihn jedoch nicht aus. Worauf zielt dieses Reüssieren? Auf die wohlbekannte Dichotomie: Zwischen Geist und Leben besteht jene Distanz, die durch Ironie überbrückbar scheint, doch tritt die geniale Reflexion hinter das Irrationale und der inspirierte Geist zerstört die [[Sinnlichkeit]]. Wohlgemerkt: die [[Rede]] war soeben vom Künstler, der in der Gesellschaft sein täglich Brot erwerben muß. Sein eigentliches Seyn ist damit längst nicht erfaßt. Das habe ich bereits weiter oben versucht.+Der moderne Künstler kennt die Schwäche des Geistes vor dem Leben, der reinen [[Natürlichkeit]] und schämt sich dessen. Die neue Dichtung erfordere den reinen Geist, wird behauptet, um beim [[Publikum]] erwecken zu können, was verlorenging: warmes, unmittelbares Empfinden. Von Schopenhauer zu Nietzsche. Der neue Künstler ist [[Schauspieler]], ein großer Täuscher, er kalkuliert mit Effekten, um [[Ganzheit]] wiederherzustellen. Das Geschöpfte wird ein Konstrukt, wenn der Schaffende das Menschliche darzustellen wünscht, ohne am Menschlichen teilzuhaben. Der moderne Künstler schafft im [[Abgrund]] von Ironie, Unglaube - Bewußtsein einer verlorenen Totalität im Gewande des umfassenden Zweifels, der jedoch im Gegensatz zu Descartes vor dem eigenen Wirken nicht haltmacht - und Opposition - richtet sich gegen die vorhandene [[Ordnung]], doch alles Handeln ist Sünde in den Augen des Geistes. Dort ist sein Zuhaus; [[Genie]], [[Inspiration]] oder [[Irrationalität]] sind willkommene Dinge, zeichnen ihn jedoch nicht aus. Worauf zielt dieses Reüssieren? Auf die wohlbekannte [[Dichotomie]]: Zwischen Geist und Leben besteht jene Distanz, die durch Ironie überbrückbar scheint, doch tritt die geniale Reflexion hinter das Irrationale und der inspirierte Geist zerstört die [[Sinnlichkeit]]. Wohlgemerkt: die [[Rede]] war soeben vom Künstler, der in der Gesellschaft sein täglich Brot erwerben muß. Sein eigentliches Seyn ist damit längst nicht erfaßt. Das habe ich bereits weiter oben versucht.
  
 Die gegensätzliche Parteiung gegenüber Lisaweta und Adalbert, Hans und Ingeborg, steht mit beiden Beinen fest im Leben. Tonio Krögers Liebe zu beiden ist eine ferne, die in der Welt des Ordentlichen und Gewöhnlichen ebensowenig Erfolg haben kann wie seine Distinguierung der [[Zigeuner]]. Was er den einen zuviel, hat er den anderen zuwenig. Er ist die [[Mitte]] von allem, ein Ausgestoßener und doch Inniggeliebter; jeder erkennt in ihm ein Stück seiner selbst und verstößt den fremden Teil, das andere, handelt mithin ganz [[menschlich]], denn diese [[Prüfung]] hat der durchschnittliche Mensch noch nie überwinden mögen: das Fremde als kommendes Eigenes zu begrüßen. Vielleicht ist Tonio Kröger so ein gut Stück [[Deutschtum]], die Mitte, das Artistische des Ausgleichens, das Ungewollt-[[Geliebte]], das Unausgewogene und Zugebende jeglicher Position, die Verbindung aller Gegensätze in einem harmonischen Ganzen? Daß diese Möglichkeiten an Einsamkeit gebunden scheinen, betrübt, ist jedoch im weiteren [[Kontext]] der Mannschen Entwicklung - v.a. die „Betrachtungen“ - In diesem Buch beschreibt Mann das Deutschsein als das Pathos der Mitte! - plausibel.  Die gegensätzliche Parteiung gegenüber Lisaweta und Adalbert, Hans und Ingeborg, steht mit beiden Beinen fest im Leben. Tonio Krögers Liebe zu beiden ist eine ferne, die in der Welt des Ordentlichen und Gewöhnlichen ebensowenig Erfolg haben kann wie seine Distinguierung der [[Zigeuner]]. Was er den einen zuviel, hat er den anderen zuwenig. Er ist die [[Mitte]] von allem, ein Ausgestoßener und doch Inniggeliebter; jeder erkennt in ihm ein Stück seiner selbst und verstößt den fremden Teil, das andere, handelt mithin ganz [[menschlich]], denn diese [[Prüfung]] hat der durchschnittliche Mensch noch nie überwinden mögen: das Fremde als kommendes Eigenes zu begrüßen. Vielleicht ist Tonio Kröger so ein gut Stück [[Deutschtum]], die Mitte, das Artistische des Ausgleichens, das Ungewollt-[[Geliebte]], das Unausgewogene und Zugebende jeglicher Position, die Verbindung aller Gegensätze in einem harmonischen Ganzen? Daß diese Möglichkeiten an Einsamkeit gebunden scheinen, betrübt, ist jedoch im weiteren [[Kontext]] der Mannschen Entwicklung - v.a. die „Betrachtungen“ - In diesem Buch beschreibt Mann das Deutschsein als das Pathos der Mitte! - plausibel. 
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   * Bohl, Franz M. Th.: Das Zeitalter Abrahams, in: Der Alte Orient XXIX, 1930, H. 1, 5 ff.   * Bohl, Franz M. Th.: Das Zeitalter Abrahams, in: Der Alte Orient XXIX, 1930, H. 1, 5 ff.
   * Boll, Franz/Bezold, Carl: Sternglaube und Sterndeutung - Die Geschichte und das Wesen der [[Astrologie]], Leipzig/Berlin 41931   * Boll, Franz/Bezold, Carl: Sternglaube und Sterndeutung - Die Geschichte und das Wesen der [[Astrologie]], Leipzig/Berlin 41931
-  * Brandes, Georg: Die Jesus Sage, Berlin 1925+  * [[Brandes]], Georg: Die Jesus Sage, Berlin 1925
   * Braun, Julius: Naturgeschichte der [[Sage]] - Rückführung aller religiösen Ideen, Sagen, Systeme auf ihren gemeinsamen Stammbaum und ihre letzte Wurzel, 2 Bde, München 1864/65   * Braun, Julius: Naturgeschichte der [[Sage]] - Rückführung aller religiösen Ideen, Sagen, Systeme auf ihren gemeinsamen Stammbaum und ihre letzte Wurzel, 2 Bde, München 1864/65
   * Dacque, Edgar: Urwelt, Sage und [[Menschheit]] - Eine naturhistorisch-metaphysische Studie, München 1924   * Dacque, Edgar: Urwelt, Sage und [[Menschheit]] - Eine naturhistorisch-metaphysische Studie, München 1924
mann.txt · Zuletzt geändert: 2024/02/09 09:39 von Robert-Christian Knorr