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nietzsche

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nietzsche [2023/07/21 13:30] – [Essay "Nietzsche und die Ethik der Gegenwart"] Robert-Christian Knorrnietzsche [2024/01/21 09:19] (aktuell) – [Erkenntnistheorie] Robert-Christian Knorr
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   - [[Positivist]]: Menschliches-Allzumenschliches   - [[Positivist]]: Menschliches-Allzumenschliches
   - Spätperiode: [[Zarathustra]]   - Spätperiode: [[Zarathustra]]
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 +=== Aspekte seiner Lehre ===
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 +  * Geniekult;
 +  * Kult des Prinzips der [[Autonomie]], der Abweichung;
 +  * hybrider [[Protestantismus]];
 +  * Pathos der Distanz;
  
 ==== Erkenntnistheorie ==== ==== Erkenntnistheorie ====
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 - philosophische Begriffe und Kategorien werden zu psychologischen Absurditäten - philosophische Begriffe und Kategorien werden zu psychologischen Absurditäten
  
 +==== Ethik ====
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 +Verbindungspunkt zur [[Aufklärung]] ist die Sicht des [[Egoismus]]\\
 +- Agon (Wettkampf) und Eris (Streit) als Agenti des Menschseins - als Grundphänomen des gesellschaftlichen Lebens\\
 +- die bisherige Religion, Philosophie, Moral hatte die Aufgabe, der Befreiung der Instinkte entgegenzuwirken, sie zu verzerren und verkümmern zu lassen\\
 +- der Wegfall der Gottesvorstellung, der Tod Gottes, führt eine moralische [[Renaissance]] mit sich → Weiterführung des Aufklärungsgedankens, daß eine moralisch handelnde [[Gesellschaft]] nicht ans [[Christentum]] gebunden sein muß\\
 +- Verbindung von [[Theorie]] und Praxis → Gegensatz zur seinerzeit vorherrschenden [[Meinung]] der Positivisten und Neukantianer - siehe [[Neukantianismus]] -, die die [[Praxis]] als irrelevant betrachteten → [[Theorie vs. Praxis]]\\
 +- zur „ewigen Wiederkunft”: der entscheidende Ausgleichsbegriff zum Werden, denn ein Neues ist nicht möglich, denn „alles Werden ist innerhalb des Kreislaufs und der Kraftmenge” \\
 +- da er nichts von der Ökonomik des [[Kapitalismus]] verstand, konnte er nur die Symptome des Überbaus beschreiben\\
 +- sein Auftrag besteht darin, den ehrlichen Intellektuellen zu retten, ihm einen Weg zu weisen, der jeden Bruch mit der [[Bourgeoisie]] überflüssig macht, einen Weg, der dem moralischen Rebellen das angenehme [[Gefühl]] beschert, erlöst worden zu sein, ästhetisch\\
 +- steht der ästhetisch-oppositionellen Dekadenz zu nahe, um Rassentheoretiker zu sein (Lukacs)\\
 ==== Die fröhliche Wissenschaft ==== ==== Die fröhliche Wissenschaft ====
  
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 - von Nietzsche Wagner 1870 in Tribschen als "Die Entstehung des tragischen Gedankens" unter den Weihnachtsbaum gelegt, dem sie gefällt und der sie seinem Leipziger Verleger empfiehlt, das [[Buch]] mit einem Vorwort ausstattet und es 1872 unter obigem Titel in Leipzig erscheinen läßt\\ - von Nietzsche Wagner 1870 in Tribschen als "Die Entstehung des tragischen Gedankens" unter den Weihnachtsbaum gelegt, dem sie gefällt und der sie seinem Leipziger Verleger empfiehlt, das [[Buch]] mit einem Vorwort ausstattet und es 1872 unter obigem Titel in Leipzig erscheinen läßt\\
 - das Buch bewirkt eine Reaktion von [[Wilamowitz]], der in Anspielung auf Wagners //Zukunftsmusik// Nietzsches //Zukunftsphilologie// als //Afterphilologie// brandmarkt und Nietzsche der Philologen-[[Zunft]] entfremdet, was den veranlaßt, seine Professur dem Freunde [[Rohde]] anzubieten und als Wanderprediger für Wagner durchs Land zu ziehen → Wagner will das nicht und der Plan wird vorerst verworfen\\ - das Buch bewirkt eine Reaktion von [[Wilamowitz]], der in Anspielung auf Wagners //Zukunftsmusik// Nietzsches //Zukunftsphilologie// als //Afterphilologie// brandmarkt und Nietzsche der Philologen-[[Zunft]] entfremdet, was den veranlaßt, seine Professur dem Freunde [[Rohde]] anzubieten und als Wanderprediger für Wagner durchs Land zu ziehen → Wagner will das nicht und der Plan wird vorerst verworfen\\
 +- spätere Angriffe auf Wagner sind zugleich Angriffe auf die Reichsdeutschen, der Kampf eines Zerrissenen gegen sein anderes Ich\\
 - die ästhetisch-psychologische Frage wird aufgelöst als ein künstlerisch-literarisches Problem\\ - die ästhetisch-psychologische Frage wird aufgelöst als ein künstlerisch-literarisches Problem\\
 Ziel der Abhandlung: [[Verständnis]] erreichen für die zwei Phänomene, aus denen alles erwächst → Vernunft (Sokrates) und Instinkt (Dionysos) Ziel der Abhandlung: [[Verständnis]] erreichen für die zwei Phänomene, aus denen alles erwächst → Vernunft (Sokrates) und Instinkt (Dionysos)
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 weiter: er fordert für das [[Heil]] der Kultur - ihr galt seine prinzipielle [[Sorge]] - die entschlossene Privilegisierung einer Minderheit, deren [[Muße]] auf der harten physischen [[Arbeit]] der Mehrzahl, der [[Masse]] beruht\\ weiter: er fordert für das [[Heil]] der Kultur - ihr galt seine prinzipielle [[Sorge]] - die entschlossene Privilegisierung einer Minderheit, deren [[Muße]] auf der harten physischen [[Arbeit]] der Mehrzahl, der [[Masse]] beruht\\
 ABER: Nietzsche betont, daß die moderne Demokratie eine historische Form vom Verfall des Staates ist, nach deren Zeit eine noch zweckmäßigere [[Erfindung]] als der Staat es war zum Siege über den Staat kommen wird, denn die Klugheit und der [[Eigennutz]] der Menschen sind von allen ihren Eigenschaften am besten ausgebildet und somit ist die Aussicht, die sich nach dem Verfall ergibt, nicht eine unglückselige\\ ABER: Nietzsche betont, daß die moderne Demokratie eine historische Form vom Verfall des Staates ist, nach deren Zeit eine noch zweckmäßigere [[Erfindung]] als der Staat es war zum Siege über den Staat kommen wird, denn die Klugheit und der [[Eigennutz]] der Menschen sind von allen ihren Eigenschaften am besten ausgebildet und somit ist die Aussicht, die sich nach dem Verfall ergibt, nicht eine unglückselige\\
-- [[Wagner]] ist ihm der größte [[Ausdruck]] der künstlerischen [[Dekadenz]], [[Bismarck]] der politische Ausdruck dafür: beide bekämpft er in seiner Spätphase\\ +- [[Wagner]] ist ihm der größte [[Ausdruck]] der künstlerischen [[Dekadenz]], [[Bismarck]] der politische Ausdruck dafür: beide bekämpft er in seiner Spätphase (Lukacz)\\
-__Ethik__: \\ +
-Verbindungspunkt zur [[Aufklärung]] ist die Sicht des [[Egoismus]]\\ +
-- Agon (Wettkampf) und Eris (Streit) als Agenti des Menschseins - als Grundphänomen des gesellschaftlichen Lebens\\ +
-- die bisherige Religion, Philosophie, Moral hatte die Aufgabe, der Befreiung der Instinkte entgegenzuwirken, sie zu verzerren und verkümmern zu lassen\\ +
-- der Wegfall der Gottesvorstellung, der Tod Gottes, führt eine moralische [[Renaissance]] mit sich → Weiterführung des Aufklärungsgedankens, daß eine moralisch handelnde [[Gesellschaft]] nicht ans [[Christentum]] gebunden sein muß\\ +
-- Verbindung von [[Theorie]] und Praxis → Gegensatz zur seinerzeit vorherrschenden [[Meinung]] der Positivisten und Neukantianer - siehe [[Neukantianismus]] -, die die [[Praxis]] als irrelevant betrachteten → [[Theorie vs. Praxis]]\\ +
-- zur „ewigen Wiederkunft”: der entscheidende Ausgleichsbegriff zum Werden, denn ein Neues ist nicht möglich, denn „alles Werden ist innerhalb des Kreislaufs und der Kraftmenge” \\ +
-- da er nichts von der Ökonomik des [[Kapitalismus]] verstand, konnte er nur die Symptome des Überbaus beschreiben\\ +
-- sein Auftrag besteht darin, den ehrlichen Intellektuellen zu retten, ihm einen Weg zu weisen, der jeden Bruch mit der [[Bourgeoisie]] überflüssig macht, einen Weg, der dem moralischen Rebellen das angenehme [[Gefühl]] beschert, erlöst worden zu sein, ästhetisch\\ +
-- steht der ästhetisch-oppositionellen Dekadenz zu nahe, um Rassentheoretiker zu sein (Lukacs)\\+
 - erklärt Schopenhauer, rettet ihn nicht → das ist auch nicht nötig, denn Freiheit ist zu erklären, aber nicht zu retten (Mieth) - erklärt Schopenhauer, rettet ihn nicht → das ist auch nicht nötig, denn Freiheit ist zu erklären, aber nicht zu retten (Mieth)
 === Nietzsches Anziehungskraft === === Nietzsches Anziehungskraft ===
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 Das sind Vorgänge, die sich in der Weltgeschichte wiederholen. Oberflächliche Naturen wollen daraus ein Entwicklungsgesetz ableiten können, demagogische Dummköpfe mutmaßeln Fortschritt. Und die größten Dummköpfe sprechen von Stadien jeder Kultur, die immer im Zerfall enden müßten. Dieselben Dummköpfe verkennen die Nachwirkung jedes Gedankens, der einmal von den Menschen aufgenommen wurde, verkennen das Fortwirken des empfangenen Wortes in jeder neuen Produktion menschlicher Schöpfungskraft. Doch dazu später. Verfolgen wir die Entwicklungsgeschichte der Metaphysik als dem grundlegenden Baustein jeder Philosophie und, in diesem speziellen Falle, die Bedeutung der Metaphysik für die Ethik weiter.\\ Das sind Vorgänge, die sich in der Weltgeschichte wiederholen. Oberflächliche Naturen wollen daraus ein Entwicklungsgesetz ableiten können, demagogische Dummköpfe mutmaßeln Fortschritt. Und die größten Dummköpfe sprechen von Stadien jeder Kultur, die immer im Zerfall enden müßten. Dieselben Dummköpfe verkennen die Nachwirkung jedes Gedankens, der einmal von den Menschen aufgenommen wurde, verkennen das Fortwirken des empfangenen Wortes in jeder neuen Produktion menschlicher Schöpfungskraft. Doch dazu später. Verfolgen wir die Entwicklungsgeschichte der Metaphysik als dem grundlegenden Baustein jeder Philosophie und, in diesem speziellen Falle, die Bedeutung der Metaphysik für die Ethik weiter.\\
 Metaphysisch dasein heißt fragen. Fragen zieht Antwortung nach sich. Antwortung will systematisiert sein, sucht nach Anfängen, Prämissen. Im Umkehrschluß für Nachgeborene Analyse. Es existiert dieser enge Zusammenhang zwischen Erfahrungswissenschaft und Metaphysik. Erfahrungswissenschaft will gar nichts, sie ist, ist Methode. Metaphysik ist Gründung und ihrem Wesen nach Willensbeschreibung, ist somit in einem empirischen Sinne gar nichts! Das Wollen aber ist in unserer Ethik entscheidend, denn das Sein ändert sich, das Nichts aber bleibt vage und eigentlich Ahnung. Um die aber geht es letzten Ende immer. Sind es nicht die Ahnungen, die das Tun des Menschen bestimmen? Und sind vollständige Analysen des Daseins, worum es in Erfahrungswissenschaften immer gehen wird, nicht nur Brotkrümelei, verloren, wenn das, was Krümel zusammenhält, nicht wenigstens in der Ahnung mitgedacht wird?\\ Metaphysisch dasein heißt fragen. Fragen zieht Antwortung nach sich. Antwortung will systematisiert sein, sucht nach Anfängen, Prämissen. Im Umkehrschluß für Nachgeborene Analyse. Es existiert dieser enge Zusammenhang zwischen Erfahrungswissenschaft und Metaphysik. Erfahrungswissenschaft will gar nichts, sie ist, ist Methode. Metaphysik ist Gründung und ihrem Wesen nach Willensbeschreibung, ist somit in einem empirischen Sinne gar nichts! Das Wollen aber ist in unserer Ethik entscheidend, denn das Sein ändert sich, das Nichts aber bleibt vage und eigentlich Ahnung. Um die aber geht es letzten Ende immer. Sind es nicht die Ahnungen, die das Tun des Menschen bestimmen? Und sind vollständige Analysen des Daseins, worum es in Erfahrungswissenschaften immer gehen wird, nicht nur Brotkrümelei, verloren, wenn das, was Krümel zusammenhält, nicht wenigstens in der Ahnung mitgedacht wird?\\
-Der verhängnisvolle Paradigmenwechsel in der griechischen Philosophie (von der Naturphilosophie, die alles als gegeben voraussetzte, zur Schaffungstheorie aus dem Nichts) war glücklicherweise kein vollständiger. Etwas blieb. Die Griechen setzten weiterhin auf Anschauung, auf individuelle Lebenswahrnehmung, auf Schönheit. Nur so ist die endlose Zahl von Ethiken zu begreifen, die allesamt auf ästhetische Weltwahrnehmung setzten, immer in gewisser Weise lebensbejahend, ob nun in gegenständlicher Wollust am Dasein oder in strikter Verneinung desselben. Die Griechen wollen immer vereinen, anderes aufnehmen, Denken  anschauen in einer Theoria, sie suchen die Auseinandersetzung; ein letzter Rest archaischer Agon schwingt da mit; Selbstbehauptung. Das, was angeschaut werden kann, sind die Konkretationen im Dasein: Pflanzen, Tiere, vorgestellte Atome, Plastiken oder auch Tonnengewölbe. Sie sind manifestierbar vor dem geistigen Auge, welches Ort und Stunde selbständig festlegen kann durch Benennung. Das Benannte kann dem geistigen Auge immer wieder erzeugt werden, die Assoziativität des Begreifens durch den aufgerufenen [[Begriff]].\\+Der verhängnisvolle Paradigmenwechsel in der griechischen Philosophie (von der Naturphilosophie, die alles als gegeben voraussetzte, zur Schaffungstheorie aus dem Nichts) war glücklicherweise kein vollständiger. Etwas blieb. Die Griechen setzten weiterhin auf Anschauung, auf individuelle Lebenswahrnehmung, auf Schönheit. Nur so ist die endlose Zahl von Ethiken zu begreifen, die allesamt auf ästhetische Weltwahrnehmung setzten, immer in gewisser Weise lebensbejahend, ob nun in gegenständlicher Wollust am Dasein oder in strikter Verneinung desselben. Die Griechen wollen immer vereinen, anderes aufnehmen, Denken  anschauen in einer Theoria, sie suchen die Auseinandersetzung; ein letzter Rest archaischer Agon schwingt da mit; Selbstbehauptung. Das, was angeschaut werden kann, sind die Konkretationen im Dasein: Pflanzen, Tiere, vorgestellte Atome, [[Plastik|Plastiken]] oder auch Tonnengewölbe. Sie sind manifestierbar vor dem geistigen Auge, welches Ort und Stunde selbständig festlegen kann durch Benennung. Das Benannte kann dem geistigen Auge immer wieder erzeugt werden, die Assoziativität des Begreifens durch den aufgerufenen [[Begriff]].\\
 Die [[Römer]] sind da von einer ganz anderen Art: Sie haben keine einzige wirkliche Philosophie hervorgebracht - wie im übrigen die Amerikaner unserer Tage auch keine eigene Philosophie zuwege brachten oder bringen werden. Es war ihr Lebens- und Herrschwille, der ihre Größe und Bedeutung bis in unsre Zeit ausmacht. Der Römer diente dem Ganzen, stellte sich ins Glied und focht die Kämpfe um Machterweiterung. Macht bleibt nie bei sich, als [[Prinzip]] gesehen, muß sie wachsen, sich erweitern und andere durchdringen . Kapitalismus. Die Römer durchdrangen die ihnen bekannte Welt mit dem Willen, diese unter ihrem Willen zu strukturieren. \\ Die [[Römer]] sind da von einer ganz anderen Art: Sie haben keine einzige wirkliche Philosophie hervorgebracht - wie im übrigen die Amerikaner unserer Tage auch keine eigene Philosophie zuwege brachten oder bringen werden. Es war ihr Lebens- und Herrschwille, der ihre Größe und Bedeutung bis in unsre Zeit ausmacht. Der Römer diente dem Ganzen, stellte sich ins Glied und focht die Kämpfe um Machterweiterung. Macht bleibt nie bei sich, als [[Prinzip]] gesehen, muß sie wachsen, sich erweitern und andere durchdringen . Kapitalismus. Die Römer durchdrangen die ihnen bekannte Welt mit dem Willen, diese unter ihrem Willen zu strukturieren. \\
 Alle Straßen führen nach Rom. \\ Alle Straßen führen nach Rom. \\
nietzsche.1689939018.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/07/21 13:30 von Robert-Christian Knorr