schiller
Unterschiede
Hier werden die Unterschiede zwischen zwei Versionen angezeigt.
Beide Seiten der vorigen RevisionVorhergehende ÜberarbeitungNächste Überarbeitung | Vorhergehende Überarbeitung | ||
schiller [2023/04/11 07:50] – [Aussehen, Vorlieben, äußere Besonderheiten] Robert-Christian Knorr | schiller [2024/05/08 19:14] (aktuell) – Robert-Christian Knorr | ||
---|---|---|---|
Zeile 13: | Zeile 13: | ||
- sieben weitere Paten in Marbach, u.a. der Bürgermeister der von Vaihingen und vier wohlangesehene Jungfrauen, kümmerten sich um den Jungen\\ | - sieben weitere Paten in Marbach, u.a. der Bürgermeister der von Vaihingen und vier wohlangesehene Jungfrauen, kümmerten sich um den Jungen\\ | ||
- die beiden erstgenannten wichtigsten Paten waren so gut wie nie in Marbach anwesend\\ | - die beiden erstgenannten wichtigsten Paten waren so gut wie nie in Marbach anwesend\\ | ||
- | - ab 1773 auf der [[Solitude]] | + | - seit 1773 auf der [[Solitude]]\\ |
- | - der Herzog befahl keineswegs die Eleven in seine Pflanzanstalt, | + | |
- | - die höchste Klasse zu Tisch sind in der Akademie diejenigen mit den meisten Auszeichnungen (man benötigte übers Jahr verteilt acht Belobigungen für einen ständig zu tragenden Orden), dann kamen in der Hackordnung erst die Söhne der Adligen, deren Eltern sich einen Sondertisch bei den Essen beim Herzog erwirkt hatten\\ | + | |
- | - zwar herrschte Zucht, aber kein Drill; es gab Freiräume, u.a. besaß jeder, der wollte, ein eigenes kleines Beet, wo er Pflanzen seiner Wahl anbauen durfte: die einzelnen Betten in den Schlafsälen waren umgittert; jeder besaß seinen eigenen Nachtschrank und ein eigenes Licht, das er nicht um neun (Nachtruhe) auslöschen mußte; es bestand kein Uniformzwang in den nichtöffentlichen Zeiten, derer es jeden Tag mehrere Stunden gab\\ | + | |
- | - mittags gab es Landwein für die Knaben, abends nichts Alkoholisches; | + | |
- | - Adlige und Bürgerliche wurden gemeinsam unterrichtet\\ | + | |
- erste Dramenerfahrung über das Lesen und Vorführen einzelner Textpassagen aus dem [[http:// | - erste Dramenerfahrung über das Lesen und Vorführen einzelner Textpassagen aus dem [[http:// | ||
- [[Erziehung]] durch [[Bengel]] im [[Sinn# | - [[Erziehung]] durch [[Bengel]] im [[Sinn# | ||
Zeile 26: | Zeile 21: | ||
- verließ Stuttgart bei einem Schuldenstand von etwa 700 Gulden (15000 €), die sein Vater (Jahresgehalt 400 Gulden) nach und nach abzahlte und dabei auch das Mitgiftgeld von Schillers Schwester angreifen mußte → Schiller verdiente mit seinen ersten drei Stücken etwa 1000 Gulden und erklärte, daß das Leben in Mannheim teuer sei, zahlte also nichts zurück\\ | - verließ Stuttgart bei einem Schuldenstand von etwa 700 Gulden (15000 €), die sein Vater (Jahresgehalt 400 Gulden) nach und nach abzahlte und dabei auch das Mitgiftgeld von Schillers Schwester angreifen mußte → Schiller verdiente mit seinen ersten drei Stücken etwa 1000 Gulden und erklärte, daß das Leben in Mannheim teuer sei, zahlte also nichts zurück\\ | ||
- seine Zeit in Bauerbach, 1783, wurde durch zahlreiche persönliche Bekanntschaften mit patriarchalisch-protestantischen Pfarrern aus Südthüringen geprägt: Sauerteig in Walldorf, Scharfenberg in Ritschenhausen, | - seine Zeit in Bauerbach, 1783, wurde durch zahlreiche persönliche Bekanntschaften mit patriarchalisch-protestantischen Pfarrern aus Südthüringen geprägt: Sauerteig in Walldorf, Scharfenberg in Ritschenhausen, | ||
- | - fünf Frauen waberten in Schillers sexuellen Hoffnungen jener Tage, alle unglücklich: | + | - fünf Frauen waberten in Schillers sexuellen Hoffnungen jener Tage, alle unglücklich: |
- trug zu Weihnachten 1784 in Darmstadt am [[Hof# | - trug zu Weihnachten 1784 in Darmstadt am [[Hof# | ||
- ab [[April]] 1785 [[Freundschaft]] zu [[Körner]]: | - ab [[April]] 1785 [[Freundschaft]] zu [[Körner]]: | ||
Zeile 36: | Zeile 31: | ||
- Gedicke berichtet 1789 über Schiller, daß er "im Umgange recht sehr angenehm, obgleich sein Äußeres zurückschreckend scheinen kann" sei\\ | - Gedicke berichtet 1789 über Schiller, daß er "im Umgange recht sehr angenehm, obgleich sein Äußeres zurückschreckend scheinen kann" sei\\ | ||
- [[Humboldt]] schreibt 1791 an Caroline von Dacheröden, | - [[Humboldt]] schreibt 1791 an Caroline von Dacheröden, | ||
- | - heiratete Charlotte von Lengefeld am 22.Februar 1790 in Wenigenjena, | + | - heiratete Charlotte von Lengefeld am 22.Februar 1790 in Wenigenjena, |
- Ernennung zum Mitglied der Kurmainzischen Akademie am 3.Januar 1791: abends bei der Feierstunde, | - Ernennung zum Mitglied der Kurmainzischen Akademie am 3.Januar 1791: abends bei der Feierstunde, | ||
- Carl August setzte ihm eine Pension über 200 Taler (16500 €) aus, da Schiller in diesem Jahr kaum arbeiten konnte, Schiller allerdings führte einen aktiven Hausstand mit ca. 1200 Talern p.a. (100000 €)\\ | - Carl August setzte ihm eine Pension über 200 Taler (16500 €) aus, da Schiller in diesem Jahr kaum arbeiten konnte, Schiller allerdings führte einen aktiven Hausstand mit ca. 1200 Talern p.a. (100000 €)\\ | ||
Zeile 278: | Zeile 273: | ||
=== Aufbau === | === Aufbau === | ||
- Parallelität der Akte I und III\\ | - Parallelität der Akte I und III\\ | ||
- | - die Kehre im Drama ist der [[Moment]], wenn die Privatheit und Mächtigkeit neue Verbindungen eingeht, die Helden in ihrer Verletzlichkeit gezeigt werden und daraus handeln\\ | + | - die Kehre im Drama ist der [[Moment]], wenn die Privatheit und [[Mächtigkeit]] neue Verbindungen eingeht, die Helden in ihrer Verletzlichkeit gezeigt werden und daraus handeln\\ |
- Schillers Hauptproblem war das Entzünden der [[Katharsis]], | - Schillers Hauptproblem war das Entzünden der [[Katharsis]], | ||
Zeile 368: | Zeile 363: | ||
**Gianettino**: | **Gianettino**: | ||
**Verrina**: | **Verrina**: | ||
- | **Fiesko**: widerspruchsvoller Charakter; er tritt würdevoll auf und –los ab; effektgeladen → die Verschränkung von Erhabenheit und verbrecherischer Verstrickung; | + | **Fiesko**: widerspruchsvoller Charakter; er tritt würdevoll auf und –los ab; effektgeladen → die Verschränkung von Erhabenheit und verbrecherischer Verstrickung; |
=== Aufnahme des Stückes === | === Aufnahme des Stückes === | ||
Zeile 419: | Zeile 414: | ||
Schiller empfand die Dichtungsart [[Trauerspiel]] als eine ihm nicht gemäße; dennoch stand ihm der Versuch im Sinn → Die Rechtfertigung des Stückes als Tragödie resultiert aus der Verletzung des gesellschaftlichen [[Kodex]]: ein Adliger darf ein Bürgermädchen nicht [[heiraten]]! und dem vergeblichen Kampf der Liebenden gegen die die Gralshüter gesellschaftlicher Richtlinien um 1780: Miller, Walther. Der Feudalabsolutismus als Gesellschaftsform entlarvt sich in dem Maße, als daß er die Liebe dieser beiden Menschen zerstört. \\ | Schiller empfand die Dichtungsart [[Trauerspiel]] als eine ihm nicht gemäße; dennoch stand ihm der Versuch im Sinn → Die Rechtfertigung des Stückes als Tragödie resultiert aus der Verletzung des gesellschaftlichen [[Kodex]]: ein Adliger darf ein Bürgermädchen nicht [[heiraten]]! und dem vergeblichen Kampf der Liebenden gegen die die Gralshüter gesellschaftlicher Richtlinien um 1780: Miller, Walther. Der Feudalabsolutismus als Gesellschaftsform entlarvt sich in dem Maße, als daß er die Liebe dieser beiden Menschen zerstört. \\ | ||
Luise Millerin, so der Arbeitstitel des Werkes, sollte eine Synthese aus [[Shakespeare# | Luise Millerin, so der Arbeitstitel des Werkes, sollte eine Synthese aus [[Shakespeare# | ||
- | Es gibt kaum eine Figur, die von Schiller nicht mit einem gesellschaftskritischen Aspekt ausgestattet wurde. Der Impetus der Anprangerung zieht sich durch das ganze Stück und gipfelt in der Kammerdienerszene. \\ | + | {{ : |
Luise denkt realistischer als der trunkene Ferdinand. Der Konflikt Luises ist nicht der Ferdinands. Luise steht für die christlich-theologische Sicht, die mit dem Gefühl der paradiesischen Liebe kollidiert und so irdische Begrenztheit nur durch den [[Tod]] zu überwinden glaubt. | Luise denkt realistischer als der trunkene Ferdinand. Der Konflikt Luises ist nicht der Ferdinands. Luise steht für die christlich-theologische Sicht, die mit dem Gefühl der paradiesischen Liebe kollidiert und so irdische Begrenztheit nur durch den [[Tod]] zu überwinden glaubt. | ||
Ferdinand ist nichts mehr als ein Liebesbaron. \\ | Ferdinand ist nichts mehr als ein Liebesbaron. \\ | ||
Zeile 425: | Zeile 420: | ||
Die große [[Leistung]] des Stückes ist das Geltendmachen von dem Anspruch eines irdischen Glückes.\\ | Die große [[Leistung]] des Stückes ist das Geltendmachen von dem Anspruch eines irdischen Glückes.\\ | ||
- | < | + | |
- | <img src = " | + | |
- | </ | + | |
[[https:// | [[https:// | ||
+ | === Rezeption === | ||
+ | - das Stück führt nicht aus der politischen Realität heraus, sondern gerade mitten hinein (Nast) | ||
==== Die Künstler ==== | ==== Die Künstler ==== | ||
- Schiller unterscheidet sittliches Leben als das Leben der freien Gesetzmäßigkeit des Geistigen von dem sinnlichen, unfreien Leben → Reich der Freiheit von dem der Sinnlichkeit\\ | - Schiller unterscheidet sittliches Leben als das Leben der freien Gesetzmäßigkeit des Geistigen von dem sinnlichen, unfreien Leben → Reich der Freiheit von dem der Sinnlichkeit\\ | ||
Zeile 521: | Zeile 516: | ||
- der Wanderer betritt in scheinbar zufälliger Reihe Orte, die auch geschichtlich aufeinanderfolgen\\ | - der Wanderer betritt in scheinbar zufälliger Reihe Orte, die auch geschichtlich aufeinanderfolgen\\ | ||
- das [[Subjekt]] wird gleichsam austapeziert mit den Elementen der Wiese, des [[Wald# | - das [[Subjekt]] wird gleichsam austapeziert mit den Elementen der Wiese, des [[Wald# | ||
- | - [[Wechsel]] zwischen dem Almanach der Weisen und dem reinen Altar der Natur | + | - [[Wechsel]] zwischen dem [[Almanach]] der Weisen und dem reinen Altar der Natur |
Zeile 623: | Zeile 618: | ||
==== Wilhelm Tell ==== | ==== Wilhelm Tell ==== | ||
| | ||
+ | - Rebell und Mörder ([[Bismarck]])\\ | ||
+ | - die //magna charta// des politischen Dramas (Hochhuth)\\ | ||
+ | - Die konservativen Schweizer bezeugen noch heute dem Terroristen Wilhelm Tell ihr offizielles Lob. ([[Trotzki]]) | ||
=== Thema === | === Thema === | ||
- Schiller beantwortet in diesem Stück die Frage nach der Relation von [[Historie]] und Poesie. Er stellt dichterisch die patriarchalisch strukturierte nationale Gemeinschaft auf die eine Seite und die politische Modellhaftigkeit einer aufgeklärten Gesellschaft auf die andere Seite und versucht so zu einer Bewertung aktueller Entscheidungen zu kommen. Schillers politischer Realitätssinn zeigt sich in der aufgeworfenen Frage, ob denn der erste politische Sieg auch schon der Sicherung der revolutionären Errungenschaft gleichkommt → Figur des Walter Fürst - prompte Erfüllung zu übernehmender Verpflichtungen. | - Schiller beantwortet in diesem Stück die Frage nach der Relation von [[Historie]] und Poesie. Er stellt dichterisch die patriarchalisch strukturierte nationale Gemeinschaft auf die eine Seite und die politische Modellhaftigkeit einer aufgeklärten Gesellschaft auf die andere Seite und versucht so zu einer Bewertung aktueller Entscheidungen zu kommen. Schillers politischer Realitätssinn zeigt sich in der aufgeworfenen Frage, ob denn der erste politische Sieg auch schon der Sicherung der revolutionären Errungenschaft gleichkommt → Figur des Walter Fürst - prompte Erfüllung zu übernehmender Verpflichtungen. | ||
Zeile 637: | Zeile 635: | ||
- Spannungsverhältnis zwischen persönlichem [[Wunsch]] nach [[Rache]] und objektivem nach [[Veränderung]]: | - Spannungsverhältnis zwischen persönlichem [[Wunsch]] nach [[Rache]] und objektivem nach [[Veränderung]]: | ||
- anarchistische Untiefen → Tells Mordtat wird durch ihn allein moralisch und poetisch aufgelöst. Neben dem ruchlosen Mord aus [[Impietät]] und Ehrsucht (Parricida) steht nunmehr Tells notgedrungene Tat, sie erscheint schuldlos in der Zusammenstellung mit einem ihr so ganz unähnlichen Gegenstück, | - anarchistische Untiefen → Tells Mordtat wird durch ihn allein moralisch und poetisch aufgelöst. Neben dem ruchlosen Mord aus [[Impietät]] und Ehrsucht (Parricida) steht nunmehr Tells notgedrungene Tat, sie erscheint schuldlos in der Zusammenstellung mit einem ihr so ganz unähnlichen Gegenstück, | ||
- | - Das eigentliche [[Argument]] Tells für seine Tat: die Übereinstimmung der bürgerlichen Emanzipation um 1291! mit dem Naturgesetz, | + | - Das eigentliche [[Argument]] Tells für seine Tat: die Übereinstimmung der bürgerlichen Emanzipation um 1291! mit dem Naturgesetz, |
- Letzlich bleibt Tell ein schnöder Meuchelmörder.\\ | - Letzlich bleibt Tell ein schnöder Meuchelmörder.\\ | ||
**Rütliszene**: | **Rütliszene**: | ||
Zeile 674: | Zeile 672: | ||
=== Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? | === Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte? | ||
- | < | + | {{ : |
Antrittsrede zur Professur an der Uni Jena am 26.Mai 1789\\ | Antrittsrede zur Professur an der Uni Jena am 26.Mai 1789\\ | ||
- Schiller entwickelt den Charakter und die Aufgaben des philosophischen Kopfes im Gegensatz zu den Eigenschaften des bloßen Brotgelehrten\\ | - Schiller entwickelt den Charakter und die Aufgaben des philosophischen Kopfes im Gegensatz zu den Eigenschaften des bloßen Brotgelehrten\\ | ||
Zeile 726: | Zeile 724: | ||
==== Schiller als Politiker ==== | ==== Schiller als Politiker ==== | ||
+ | __Paradigma__: | ||
- hielt politische Veränderungen in [[Deutschland]] für nicht wünschenswert, | - hielt politische Veränderungen in [[Deutschland]] für nicht wünschenswert, | ||
- lehnt Revolution ab, denn bei der bestünde die Gefahr, daß die Ideale, die eine Revolution benötigte, in der [[Realität]] verlorengingen - statt dessen spricht Schiller vom Vernunftsstaat, | - lehnt Revolution ab, denn bei der bestünde die Gefahr, daß die Ideale, die eine Revolution benötigte, in der [[Realität]] verlorengingen - statt dessen spricht Schiller vom Vernunftsstaat, | ||
Zeile 774: | Zeile 773: | ||
- sein Pathos dient dabei der Initiierung der Phantasie und setzt diese gleichzeitig, | - sein Pathos dient dabei der Initiierung der Phantasie und setzt diese gleichzeitig, | ||
- die Antinomien dienen dabei einer Prämisse, die durchschritten werden muß, um sich Freiheit zu erringen \\ | - die Antinomien dienen dabei einer Prämisse, die durchschritten werden muß, um sich Freiheit zu erringen \\ | ||
- | - diese Erhabenheit durchbricht die Immanenz der Geschichte und erweist den Menschen als einen freiwillig Handelnden, der über den Tod hinaus wirkt, in diesem Sinne zerreißt Schiller auch die [[Teleologie]] | + | - diese Erhabenheit durchbricht die Immanenz der Geschichte und erweist den Menschen als einen freiwillig Handelnden, der über den Tod hinaus wirkt, in diesem Sinne zerreißt Schiller auch die [[Teleologie]]; |
+ | |||
+ | - erreicht in seinen Dramen die würdige Selbstbehauptung aller Gestalten (Hegel) | ||
== Schillers Jugenddramen == | == Schillers Jugenddramen == |
schiller.1681192230.txt.gz · Zuletzt geändert: 2023/04/11 07:50 von Robert-Christian Knorr