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strauss [2022/06/07 06:33] – [Botho Strauß] Robert-Christian Knorrstrauss [2023/10/31 07:54] Robert-Christian Knorr
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 [[Schriftsteller]] und Dramatiker\\ [[Schriftsteller]] und Dramatiker\\
  
-[[https://forum.vonwolkenstein.de/hermes/Nr.%20105%20Dezember%202014.pdf|"Hermes"]] zum 70. Geburtstag+[[https://forum.vonwolkenstein.de/hermes/nr.%20105%20Dezember%202014.pdf|"Hermes"]] zum 70. Geburtstag
  
 ==== Straußrezeption nach 1990 ==== ==== Straußrezeption nach 1990 ====
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 Es gibt mindestens zwei verschiedene deutsche Literaturen und Literaturrezeptionen; die staatliche Einheit hat bisher kaum etwas daran geändert. Die Sprachlosigkeit der Schriftsteller aus Ostdeutschland bezüglich dieses Themas wird nur selten unterbrochen, z.B. wenn Stefan Heym seine verlorene [[Rolle]] als Dissident, „als er im eigenen Land nicht publizieren durfte“ beklagt oder Christa Wolf die lesende Öffentlichkeit „Was bleibt?“ fragt. Einer der wichtigsten und bedeutendsten Dramatiker Deutschlands, [[Müller#Heiner Müller]], verlor durch die Einheit gar sein [[Thema]], das des [[Sozialismus]]. Für viele westdeutsche Autoren und [[Kritiker]] wird die DDR-Literatur aufgrund der enormen Verflechtung vieler Autoren mit dem MfS generell abgelehnt, das heißt ignoriert.\\ Es gibt mindestens zwei verschiedene deutsche Literaturen und Literaturrezeptionen; die staatliche Einheit hat bisher kaum etwas daran geändert. Die Sprachlosigkeit der Schriftsteller aus Ostdeutschland bezüglich dieses Themas wird nur selten unterbrochen, z.B. wenn Stefan Heym seine verlorene [[Rolle]] als Dissident, „als er im eigenen Land nicht publizieren durfte“ beklagt oder Christa Wolf die lesende Öffentlichkeit „Was bleibt?“ fragt. Einer der wichtigsten und bedeutendsten Dramatiker Deutschlands, [[Müller#Heiner Müller]], verlor durch die Einheit gar sein [[Thema]], das des [[Sozialismus]]. Für viele westdeutsche Autoren und [[Kritiker]] wird die DDR-Literatur aufgrund der enormen Verflechtung vieler Autoren mit dem MfS generell abgelehnt, das heißt ignoriert.\\
-Da meiner [[Meinung]] nach die Ursachen der unterschiedlichen Rezeption in den verschiedenen Gesellschaftsordnungen, den unterschiedlichen Geschichtsauffassungen, den verschiedenen Biographien, ja, der gesamten unterschiedlichen politischen Kultur der [[Deutsche]]in Ost und West u.v.m. liegen, komme der Autor der Arbeit nicht umhin, dazu historisch - normative Ausführungen zu machen, wobei er sich für die Nachkriegszeit als determinierend für die „Ostrezeption“ vor allem auf SBZ und DDR konzentriert; sich dagegen der Zeit um 1968, da sie kulturpolitisch und soziokulturell für die westdeutsche Literatur prägend war, der westdeutschen [[Geschichte]] widmet.  +Da meiner [[Meinung]] nach die Ursachen der unterschiedlichen Rezeption in den verschiedenen Gesellschaftsordnungen, den unterschiedlichen Geschichtsauffassungen, den verschiedenen Biographien, ja, der gesamten unterschiedlichen politischen Kultur der [[Deutsche|Deutschen]] in Ost und West u.v.m. liegen, komme der Autor der Arbeit nicht umhin, dazu historisch - normative Ausführungen zu machen, wobei er sich für die Nachkriegszeit als determinierend für die „Ostrezeption“ vor allem auf SBZ und DDR konzentriert; sich dagegen der Zeit um 1968, da sie kulturpolitisch und soziokulturell für die westdeutsche Literatur prägend war, der westdeutschen [[Geschichte]] widmet.  
  
 Eine gesamtdeutsche Literatur, und sie ging vom Osten Deutschlands aus, ist nur bis Anfang der 50er auszumachen; doch gab es schon kurz nach Kriegsende erste politisch motivierte Auseinandersetzungen: Während des „I. gesamtdeutschen Schriftstellerkongreß“ im Herbst 1947 in Berlin kam es zum ersten Konflikt, als ein amerikanischer Journalist auf Bitten einiger in Westdeutschland lebender Schriftsteller „seine unverblümte Solidarisierung mit den unterdrückten Schriftstellern in der Sowjetunion und die gedankliche Linie, die er von der kulturellen Barbarei des [[Hitler]]-Regimes zu [[Stalin]] zog“, zum [[Ausdruck]] brachte. Die Schriftsteller spalteten sich bald in zwei Lager, ein freiheitlich-westlich und ein kommunistisch-sowjetisch orientiertes. Zum Kalten Krieg im literarischen Sektor kam eine interne Polarisierung der Autoren der „inneren“ und der „äußeren“ [[Emigration]] hinzu.\\  Eine gesamtdeutsche Literatur, und sie ging vom Osten Deutschlands aus, ist nur bis Anfang der 50er auszumachen; doch gab es schon kurz nach Kriegsende erste politisch motivierte Auseinandersetzungen: Während des „I. gesamtdeutschen Schriftstellerkongreß“ im Herbst 1947 in Berlin kam es zum ersten Konflikt, als ein amerikanischer Journalist auf Bitten einiger in Westdeutschland lebender Schriftsteller „seine unverblümte Solidarisierung mit den unterdrückten Schriftstellern in der Sowjetunion und die gedankliche Linie, die er von der kulturellen Barbarei des [[Hitler]]-Regimes zu [[Stalin]] zog“, zum [[Ausdruck]] brachte. Die Schriftsteller spalteten sich bald in zwei Lager, ein freiheitlich-westlich und ein kommunistisch-sowjetisch orientiertes. Zum Kalten Krieg im literarischen Sektor kam eine interne Polarisierung der Autoren der „inneren“ und der „äußeren“ [[Emigration]] hinzu.\\ 
 Am „II. Schriftstellerkongreß“ sechs Monate später in Frankfurt am Main nahmen viele eingeladene Autoren aus der Ostzone nicht mehr teil. Die Politisierung des Literaturbetriebes im Sinne des Antikommunismus und Antiamerikanismus begann; die Truman-Doktrin und Stalins „Zwei - Lager - Theorie“ schlugen auf den gesamtdeutschen Literaturbetrieb voll durch.\\ Am „II. Schriftstellerkongreß“ sechs Monate später in Frankfurt am Main nahmen viele eingeladene Autoren aus der Ostzone nicht mehr teil. Die Politisierung des Literaturbetriebes im Sinne des Antikommunismus und Antiamerikanismus begann; die Truman-Doktrin und Stalins „Zwei - Lager - Theorie“ schlugen auf den gesamtdeutschen Literaturbetrieb voll durch.\\
-Es sei  hier nur an die westdeutsche Kritik an Thomas [[Mann]] anläßlich seiner Weimar-Reisen im [[Goethe]]jahr 1949 und im [[Schiller]]jahr 1955 erinnert, oder an den westdeutschen Boykott [[Brecht]]scher Stücke nach dem 17. Juni 1953, als er sich öffentlich politisch linientreu gab. 24 Im Juni 1945 war auf Johannes R. Bechers Anregung der „Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands“ gegründet worden, „der gesamtdeutsch gedacht war.“ Dieser Kulturbund wurde im Westen schon im [[Herbst]] 1947 von den dortigen Besatzern verboten, meiner Meinung nach wegen unterschiedlicher politischer Auffassungen der Ost- und der Westbesatzer. Dabei sind dem Gründer Becher zu diesem Zeitpunkt keine politisch-oktroyierenden Ambitionen zu unterstellen, da die kommunistischen [[Intellektuell]]en im Vergleich zu bürgerlichen eine Minderheit darstellten, und der Weg, den Deutschland in den darauffolgenden Jahren nahm, so [[klar]] vorgezeichnet damals nicht war. So sucht Becher am 4. Juli 1945 in seiner ersten [[Rede]] zur [[Gründung]] des Kulturbundes dann auch Parallelen zum humanistischen [[Erbe]] der Deutschen und beginnt [[Klassik]] und Arbeiterbewegung rhetorisch zu verbinden:\\+Es sei  hier nur an die westdeutsche Kritik an Thomas [[Mann]] anläßlich seiner Weimar-Reisen im [[Goethe]]jahr 1949 und im [[Schiller]]jahr 1955 erinnert, oder an den westdeutschen Boykott [[Brecht]]scher Stücke nach dem 17. Juni 1953, als er sich öffentlich politisch linientreu gab. 24 Im Juni 1945 war auf Johannes R. Bechers Anregung der „Kulturbund zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands“ gegründet worden, „der gesamtdeutsch gedacht war.“ Dieser Kulturbund wurde im Westen schon im [[Herbst]] 1947 von den dortigen Besatzern verboten, meiner Meinung nach wegen unterschiedlicher politischer Auffassungen der Ost- und der Westbesatzer. Dabei sind dem Gründer Becher zu diesem Zeitpunkt keine politisch-oktroyierenden Ambitionen zu unterstellen, da die kommunistischen [[Intellektuell]]en im Vergleich zu bürgerlichen eine Minderheit darstellten, und der Weg, den Deutschland in den darauffolgenden Jahren nahm, so [[klar]] vorgezeichnet damals nicht war. So sucht Becher am 4. Juli 1945 in seiner ersten [[Rede]] zur Gründung des Kulturbundes dann auch Parallelen zum humanistischen [[Erbe]] der Deutschen und beginnt [[Klassik]] und Arbeiterbewegung rhetorisch zu verbinden:\\
 „Dieses reiche Erbe des [[Humanismus]], [], das reiche Erbe der Arbeiterbewegung müssen wir nunmehr in der politisch [[moralisch]] Haltung unseres [[Volk]]es eindeutig, kraftvoll, überzeugend, leuchtend zum Ausdruck bringen. Unserer Klassik ist niemals eine klassische [[Politik]] gefolgt. Im Gegenteil... Im Sinne einer Geistesverwandtschaft mit unseren Besten, im Sinne einer volksmäßigen Verbundenheit - in diesem Sinne muß Deutschland - Deutschland werden!“ (zitiert aus: Manfred Jäger: Kultur und Politik in der DDR, Köln 1982, S. 11.) „Dieses reiche Erbe des [[Humanismus]], [], das reiche Erbe der Arbeiterbewegung müssen wir nunmehr in der politisch [[moralisch]] Haltung unseres [[Volk]]es eindeutig, kraftvoll, überzeugend, leuchtend zum Ausdruck bringen. Unserer Klassik ist niemals eine klassische [[Politik]] gefolgt. Im Gegenteil... Im Sinne einer Geistesverwandtschaft mit unseren Besten, im Sinne einer volksmäßigen Verbundenheit - in diesem Sinne muß Deutschland - Deutschland werden!“ (zitiert aus: Manfred Jäger: Kultur und Politik in der DDR, Köln 1982, S. 11.)
  
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   - Der [[Formalismus]] muß bekämpft werden, und   - Der [[Formalismus]] muß bekämpft werden, und
   - Kampf um [[Realismus]] - mit Hauptorientierung am Beispiel der Sowjetunion. Nach der kurzen Pause der politischen Enthaltsamkeit in der Literatur, die ja eigentlich auch politisch motiviert war, wird die Literatur von nun an unter allen Umständen politisch angepaßt.   - Kampf um [[Realismus]] - mit Hauptorientierung am Beispiel der Sowjetunion. Nach der kurzen Pause der politischen Enthaltsamkeit in der Literatur, die ja eigentlich auch politisch motiviert war, wird die Literatur von nun an unter allen Umständen politisch angepaßt.
- Die deutsche //Akademie der Künste// und der Kulturbund der DDR nutzten den [[Schwäche]]- und Verunsicherungsmoment der DDR-Regierung kurz nach dem 17. Juni, um mit einem Forderungskatalog an die Öffentlichkeit zu treten, mit der Hauptforderung, daß staatliche Organe „sich administrativer Maßnahmen in Fragen der künstlerischen Produktion und des Stils zu enthalten“ haben. Außerdem, so ein [[Argument]], vertiefe die SED durch ihre Kulturpolitik die Spaltung Deutschlands, der sie laut Parteiprogramm entgegenwirken wollte. Ergebnis der darauffolgenden Diskussion war die Schaffung eines Kulturministeriums mit Becher als Minister, der garantiere, so /weseneues Deutschland// vom 8. 1. 1954, „daß das Gesicht des Ministeriums auch sofort und aufgeschlossen nach dem Westen unseres Vaterlandes gerichtet ist.“ Allerdings hatte Becher keine wirkliche [[Macht]] und stellte bald nur noch eine Repräsentationsfigur dar.+ Die deutsche //Akademie der Künste// und der Kulturbund der DDR nutzten den [[Schwäche]]- und Verunsicherungsmoment der DDR-Regierung kurz nach dem 17. Juni, um mit einem Forderungskatalog an die Öffentlichkeit zu treten, mit der Hauptforderung, daß staatliche Organe „sich administrativer Maßnahmen in Fragen der künstlerischen Produktion und des Stils zu enthalten“ haben. Außerdem, so ein [[Argument]], vertiefe die SED durch ihre Kulturpolitik die Spaltung Deutschlands, der sie laut Parteiprogramm entgegenwirken wollte. Ergebnis der darauffolgenden Diskussion war die Schaffung eines Kulturministeriums mit Becher als Minister, der garantiere, so //Neues Deutschland// vom 8. 1. 1954, „daß das Gesicht des Ministeriums auch sofort und aufgeschlossen nach dem Westen unseres Vaterlandes gerichtet ist.“ Allerdings hatte Becher keine wirkliche [[Macht]] und stellte bald nur noch eine Repräsentationsfigur dar.
  
 Im Januar 1956 wurde die Frage, ob es zwei verschiedene Literaturen in Deutschland gibt, auf dem „IV. Schriftstellerkongreß der DDR“ gestellt und  damit beantwortet, daß man allein „die deutsche Literatur wieder zu einer geistigen Großmacht“ machen wollte. Außerdem, mittlerweile waren die Machtverhältnisse fast vollständig zugunsten der Kommunisten geklärt, wurde von Ulbricht eine „sozialistischen Nationalliteratur der DDR“ gefordert, die die These der zwei deutschen Literaturen postuliert.  Im Januar 1956 wurde die Frage, ob es zwei verschiedene Literaturen in Deutschland gibt, auf dem „IV. Schriftstellerkongreß der DDR“ gestellt und  damit beantwortet, daß man allein „die deutsche Literatur wieder zu einer geistigen Großmacht“ machen wollte. Außerdem, mittlerweile waren die Machtverhältnisse fast vollständig zugunsten der Kommunisten geklärt, wurde von Ulbricht eine „sozialistischen Nationalliteratur der DDR“ gefordert, die die These der zwei deutschen Literaturen postuliert. 
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 Botho Strauß gilt seit Mitte der siebziger Jahre als einer der am meisten beachteten, beachtenswertesten und auch umstrittensten Autoren des westdeutschen Literaturbetriebes. Da er sich der Öffentlichkeit verweigert, nur wenige Interviews gestattet, Privates nicht an die Öffentlichkeit gelangen läßt, wird jede Äußerung von ihm von seinen Jüngern und Feinden gleichermaßen aufgesogen, unterschiedlich analysiert, öffentlich diskutiert und neuerdings zum Politikum gemacht. Den Höhepunkt in der Rezeption bildete bis jetzt dabei jedoch nicht seine Dichtung, sondern sein Essay „Anschwellender Bocksgesang“, das selbst drei Jahre nach erstmaliger Veröffentlichung noch einige Gemüter erregt, ja, dessen Überschrift heute zum geflügelten Wort avanciert.\\  Botho Strauß gilt seit Mitte der siebziger Jahre als einer der am meisten beachteten, beachtenswertesten und auch umstrittensten Autoren des westdeutschen Literaturbetriebes. Da er sich der Öffentlichkeit verweigert, nur wenige Interviews gestattet, Privates nicht an die Öffentlichkeit gelangen läßt, wird jede Äußerung von ihm von seinen Jüngern und Feinden gleichermaßen aufgesogen, unterschiedlich analysiert, öffentlich diskutiert und neuerdings zum Politikum gemacht. Den Höhepunkt in der Rezeption bildete bis jetzt dabei jedoch nicht seine Dichtung, sondern sein Essay „Anschwellender Bocksgesang“, das selbst drei Jahre nach erstmaliger Veröffentlichung noch einige Gemüter erregt, ja, dessen Überschrift heute zum geflügelten Wort avanciert.\\ 
 In der Rezeption ist  „eine z.T. starke Divergenz auffallend zwischen dem, was als zentrale Themen in den Texten erkannt wird, und den Gegenständen der Rezeption selbst.“ Rügert meint damit, daß in der Rezeption zwar die Trennungserfahrung bis „Paare Passanten“ „als das Hauptthema schlechthin gilt“,  aber daß sich mit dem Thema als solches beschäftigt wurde, „ist bisher jedoch völlig unterblieben.“\\ In der Rezeption ist  „eine z.T. starke Divergenz auffallend zwischen dem, was als zentrale Themen in den Texten erkannt wird, und den Gegenständen der Rezeption selbst.“ Rügert meint damit, daß in der Rezeption zwar die Trennungserfahrung bis „Paare Passanten“ „als das Hauptthema schlechthin gilt“,  aber daß sich mit dem Thema als solches beschäftigt wurde, „ist bisher jedoch völlig unterblieben.“\\
-Die Analyse der Straußschen Literatur wird von vielen Interpreten subjektiv und ideologisch betrieben. [[Kritiker]] und Rezipienten nahmen und nehmen oft „wörtlich [] wie den Leitartikel der [[FAZ]]“ was Strauß schreibt, und achten oft nicht darauf, ob Äußerungen nun von Strauß selbst kommen oder von einer seiner Figuren. Strauß' Figuren in Prosa und Dramatik sind aber Produkte der Handlung. Das klingt strukturalistisch, ist aber beispielsweise bei der psychologisch- und charakterzentrierten Prosa „Widmung“ und „Rumor“ der Fall. Strauß' Handlungen stellen eine Manifestation der Persönlichkeit dar. Er konstruiert, ganz Dramatiker, die Handlung um den Charakter. \\+Die Analyse der Straußschen Literatur wird von vielen Interpreten subjektiv und ideologisch betrieben. [[Kritiker]] und Rezipienten nahmen und nehmen oft „wörtlich wie den Leitartikel der FAZ“ was Strauß schreibt, und achten oft nicht darauf, ob Äußerungen nun von Strauß selbst kommen oder von einer seiner Figuren. Strauß' Figuren in Prosa und Dramatik sind aber Produkte der Handlung. Das klingt strukturalistisch, ist aber beispielsweise bei der psychologisch- und charakterzentrierten Prosa „Widmung“ und „Rumor“ der Fall. Strauß' Handlungen stellen eine [[Manifestation]] der Persönlichkeit dar. Er konstruiert, ganz Dramatiker, die Handlung um den Charakter. \\
 Strauß als Dichter soll der „Held“ Bekker im „Rumor“ und der „Held“ Schroubek in der „Widmung“ sein? Tatsächlich gibt es in der „Widmung“ Momente, die autobiographische Züge zu Strauß aufweisen. Er antwortet im Gespräch: „Ich kann nur sagen, es ist genauso [[phantastisch]] wie die vorhergehenden [[Erzählung]]en: Eine [[Konstruktion]], die überhaupt keinen Autobiographismus in sich birgt. Es klingt nur so.“ \\ Strauß als Dichter soll der „Held“ Bekker im „Rumor“ und der „Held“ Schroubek in der „Widmung“ sein? Tatsächlich gibt es in der „Widmung“ Momente, die autobiographische Züge zu Strauß aufweisen. Er antwortet im Gespräch: „Ich kann nur sagen, es ist genauso [[phantastisch]] wie die vorhergehenden [[Erzählung]]en: Eine [[Konstruktion]], die überhaupt keinen Autobiographismus in sich birgt. Es klingt nur so.“ \\
 Er antwortet im Text, als die Frage nach [[Identifikation]] des Helden mit dem Autor aufgeworfen wird: „Das muß nicht sein, sagte Bekker beflissen, so einfach ist es meistens nicht. Wäre es so, dann könnte Malomy ja einfach Ich sagen. Aber selbst wenn er Ich sagte, wäre es deshalb noch keineswegs sicher, daß er, Malomy, der Autor, auch der Held des [[Roman#Romans]] ist. So ist es bei vielen Romanen.“\\ Er antwortet im Text, als die Frage nach [[Identifikation]] des Helden mit dem Autor aufgeworfen wird: „Das muß nicht sein, sagte Bekker beflissen, so einfach ist es meistens nicht. Wäre es so, dann könnte Malomy ja einfach Ich sagen. Aber selbst wenn er Ich sagte, wäre es deshalb noch keineswegs sicher, daß er, Malomy, der Autor, auch der Held des [[Roman#Romans]] ist. So ist es bei vielen Romanen.“\\
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 Die Autorin kommt zu einer Schlußfolgerung, die im westdeutschen Feuilleton nicht zu entdecken ist, auch nicht vom „gegen den Strich lesenden“ Schneider: „Der Autor konstatiert ein [[Paradoxon]]: das Rückbesinnen auf die Subjektivität - notwendiger Schritt gegen ihr Auslöschen durch die Gesellschaft - zieht die Zerstörung nach sich.“\\ Die Autorin kommt zu einer Schlußfolgerung, die im westdeutschen Feuilleton nicht zu entdecken ist, auch nicht vom „gegen den Strich lesenden“ Schneider: „Der Autor konstatiert ein [[Paradoxon]]: das Rückbesinnen auf die Subjektivität - notwendiger Schritt gegen ihr Auslöschen durch die Gesellschaft - zieht die Zerstörung nach sich.“\\
-Rezensiert wurde Rumor in der DDR in drei überregionalen Zeitungen: /weseneue Zeit// (CDU), /wesenationalzeitung// (NDPD) und in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift des Kulturbundes, //Sonntag//.\\+Rezensiert wurde Rumor in der DDR in drei überregionalen Zeitungen: //Neue Zeit// (CDU), //Nationalzeitung// (NDPD) und in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift des Kulturbundes, //Sonntag//.\\
 Die erste Wortmeldung zu //Rumor// erfolgt erst Ende 1986, obwohl der Aufbau-Verlag die Lizenz, wie dem Einband zu entnehmen, schon Mitte 1985 hatte. Das [[Buch]] kam also erst ein [[Jahr]] später in den Vertrieb.\\ Die erste Wortmeldung zu //Rumor// erfolgt erst Ende 1986, obwohl der Aufbau-Verlag die Lizenz, wie dem Einband zu entnehmen, schon Mitte 1985 hatte. Das [[Buch]] kam also erst ein [[Jahr]] später in den Vertrieb.\\
 Georg Antosch von Neue Zeit stellt in seiner Rezension zuerst Strauß vor: „In seinen Stücken hat [] Botho Strauß ein Psychogramm der bundesdeutschen Gesellschaft in den siebziger Jahren zu zeichnen versucht mit ihren Hypochondrien und Hysterien, ihren Ängsten und auch Sehnsüchten, mit Identitätsverlusten und auch Sehnsüchten und Erkenntniszweifeln [].“ Nach einer kurzen Inhaltsangabe wird bilanziert: „,Rumor‘ ist eine Metapher auf das Befinden des Individuums im Milieu der BRD. [] ,Rumor‘ ist Aussage über die  Deformation der zeitgenössische BRD-Gesellschaft, mit der es keine [[Identifikation]] geben kann []. Dennoch gehen von dem Roman Signalwirkungen aus, die für einen Wandel im Verhältnis zur [[Umwelt]] plädieren.“\\ Georg Antosch von Neue Zeit stellt in seiner Rezension zuerst Strauß vor: „In seinen Stücken hat [] Botho Strauß ein Psychogramm der bundesdeutschen Gesellschaft in den siebziger Jahren zu zeichnen versucht mit ihren Hypochondrien und Hysterien, ihren Ängsten und auch Sehnsüchten, mit Identitätsverlusten und auch Sehnsüchten und Erkenntniszweifeln [].“ Nach einer kurzen Inhaltsangabe wird bilanziert: „,Rumor‘ ist eine Metapher auf das Befinden des Individuums im Milieu der BRD. [] ,Rumor‘ ist Aussage über die  Deformation der zeitgenössische BRD-Gesellschaft, mit der es keine [[Identifikation]] geben kann []. Dennoch gehen von dem Roman Signalwirkungen aus, die für einen Wandel im Verhältnis zur [[Umwelt]] plädieren.“\\
 Strauß wird hier als gesellschaftskritischer Dichter, der für einen Wandel „plädiert“, vorgestellt. Das entspricht in keiner Weise der damaligen  gesamt-westdeutschen Sicht, so vielschichtig sie auch war. Als Beweis dafür, daß Strauß „wandeln“ will, wird eine Passage aus der in der DDR unerhältlichen Widmung zitiert: „,Das Reale erspähen blieb unbefriedigend. Um so größer meine Neugierde, als es einige Jahre hieß: das Reale demaskieren.‘ Und aus Demaskierung erwächst die Alternative tiefer Beunruhigung, Anstand wenigstens durch ,Rumor‘.“\\ Strauß wird hier als gesellschaftskritischer Dichter, der für einen Wandel „plädiert“, vorgestellt. Das entspricht in keiner Weise der damaligen  gesamt-westdeutschen Sicht, so vielschichtig sie auch war. Als Beweis dafür, daß Strauß „wandeln“ will, wird eine Passage aus der in der DDR unerhältlichen Widmung zitiert: „,Das Reale erspähen blieb unbefriedigend. Um so größer meine Neugierde, als es einige Jahre hieß: das Reale demaskieren.‘ Und aus Demaskierung erwächst die Alternative tiefer Beunruhigung, Anstand wenigstens durch ,Rumor‘.“\\
-In der /wesenationalzeitung// findet sich eine Rezension von Erich Fetter, der das Buch nur überflogen haben muß, so viele inhaltliche [[Fehler]] sind darin auszumachen. Fetter schreibt nach einer kurzen Vorstellung der Person Strauß: „Als empfindsamer Chronist seiner kapitalistischen Umwelt nimmt der genau Beobachtende zugleich unter der Glitzerfassade der Konsumordnung mannigfache Zeugnisse des Zerfalls wahr. Er vermerkt: Die Zersetzung der bürgerlichen Gesellschaft ist gekoppelt mit dem Verfall der [[Humanität]]. Von solchen Einsichten her übt Botho Strauß Zustandsbeschreibungen mit vielerlei Woher, doch ohne jedes Wohin [bei H. Müller in der BZ heißt es zu ,Groß und klein‘: ,Zustandsbeschreibungen ohne woher und wohin‘.], sofern man an positive Möglichkeiten denkt. [] Ein Menschenuntergang, bestimmt vom Verfall der [[Persönlichkeit]] und mitbewirkt durch menschenfeindliche Bedingtheiten im bundesrepublikanischen Jetzt.“ Die Inhaltsangabe zum Buch in dieser Rezension ist teilweise nicht korrekt: Bekker fragt seinen Ex-Chef nicht nach [[Arbeit]], die Tochter lädt ihren Vater nicht im Hotel ab, und sie ist auch nicht genesend, weil sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht [[krank]] ist. Bekkers Stiefvater hatte auch keine „schlimme SS-Vergangenheit“, über die Bekker nicht „hinwegkommt“, weil der Stiefvater gar nicht in der SS war. Letzterer Punkt wurde von der gesamten Kritik in Ost und West vernachlässigt.\\ +In der //Nationalzeitung// findet sich eine Rezension von Erich Fetter, der das Buch nur überflogen haben muß, so viele inhaltliche [[Fehler]] sind darin auszumachen. Fetter schreibt nach einer kurzen Vorstellung der Person Strauß: „Als empfindsamer Chronist seiner kapitalistischen Umwelt nimmt der genau Beobachtende zugleich unter der Glitzerfassade der Konsumordnung mannigfache Zeugnisse des Zerfalls wahr. Er vermerkt: Die Zersetzung der bürgerlichen Gesellschaft ist gekoppelt mit dem Verfall der [[Humanität]]. Von solchen Einsichten her übt Botho Strauß Zustandsbeschreibungen mit vielerlei Woher, doch ohne jedes Wohin [bei H. Müller in der BZ heißt es zu ,Groß und klein‘: ,Zustandsbeschreibungen ohne woher und wohin‘.], sofern man an positive Möglichkeiten denkt. [] Ein Menschenuntergang, bestimmt vom Verfall der [[Persönlichkeit]] und mitbewirkt durch menschenfeindliche Bedingtheiten im bundesrepublikanischen Jetzt.“ Die Inhaltsangabe zum Buch in dieser Rezension ist teilweise nicht korrekt: Bekker fragt seinen Ex-Chef nicht nach [[Arbeit]], die Tochter lädt ihren Vater nicht im Hotel ab, und sie ist auch nicht genesend, weil sie zu dem Zeitpunkt noch gar nicht [[krank]] ist. Bekkers Stiefvater hatte auch keine „schlimme SS-Vergangenheit“, über die Bekker nicht „hinwegkommt“, weil der Stiefvater gar nicht in der SS war. Letzterer Punkt wurde von der gesamten Kritik in Ost und West vernachlässigt.\\ 
 „Gleichviel, aufs Ganze gesehen, gleicht der Verfasser einem Seismographen, der den Gefühlstod im [[Labyrinth]] eines falschen [[Leben]]s registriert. Die geschilderte Wirklichkeit nimmt beklemmend alptraumhafte Züge an, wenn hinter dieser [[Geschichte]] einer Verfallenheit die Züge des Verfalls einer Gesellschaft aufblenden, die immer wieder das Falsche als das [[Richtige]] propagiert.“ (Erich Fetter: Ein falsches Leben, Rumor - Kurzroman von Botho Strauß. In: Nationalzeitung, 2.2.1987, S. 7.)\\ „Gleichviel, aufs Ganze gesehen, gleicht der Verfasser einem Seismographen, der den Gefühlstod im [[Labyrinth]] eines falschen [[Leben]]s registriert. Die geschilderte Wirklichkeit nimmt beklemmend alptraumhafte Züge an, wenn hinter dieser [[Geschichte]] einer Verfallenheit die Züge des Verfalls einer Gesellschaft aufblenden, die immer wieder das Falsche als das [[Richtige]] propagiert.“ (Erich Fetter: Ein falsches Leben, Rumor - Kurzroman von Botho Strauß. In: Nationalzeitung, 2.2.1987, S. 7.)\\
 In //Sonntag// wird zuerst die Person Strauß „als einer der sprachmächtigsten Dramatiker und Prosaisten ,Neuer Innerlichkeit‘ in der BRD“ vorgestellt, der wie Peter Handke und Thomas Bernhard „jeglichen politischen Veränderungswillen aufgegeben“ hat. „Strauß' Literatur“, so der Befund, „bewegt sich zwischen stilisierter Hoffnung auf [[Zukunft]] und dem [[Postulat]] unabänderlicher [[Negativität]]“.\\ In //Sonntag// wird zuerst die Person Strauß „als einer der sprachmächtigsten Dramatiker und Prosaisten ,Neuer Innerlichkeit‘ in der BRD“ vorgestellt, der wie Peter Handke und Thomas Bernhard „jeglichen politischen Veränderungswillen aufgegeben“ hat. „Strauß' Literatur“, so der Befund, „bewegt sich zwischen stilisierter Hoffnung auf [[Zukunft]] und dem [[Postulat]] unabänderlicher [[Negativität]]“.\\
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 Strauß' negative Weltsicht wird als negative Gesellschaftssicht interpretiert; die hoffnungslos machende Stimmung in Westdeutschland soll die [[Neugier]] der DDR-Bewohner, die sie auf alle von außen kommenden Informationen hat, befriedigen. Der Rezensent preist im letzten Abschnitt seiner Rezension das Buch mit der selben Attitüde an, die die meisten Leser betreffs neuester ost- und westdeutscher Literatur ohnehin schon haben: als Auskunftsinstrument - und nichts weiter. Strauß' negative Weltsicht wird als negative Gesellschaftssicht interpretiert; die hoffnungslos machende Stimmung in Westdeutschland soll die [[Neugier]] der DDR-Bewohner, die sie auf alle von außen kommenden Informationen hat, befriedigen. Der Rezensent preist im letzten Abschnitt seiner Rezension das Buch mit der selben Attitüde an, die die meisten Leser betreffs neuester ost- und westdeutscher Literatur ohnehin schon haben: als Auskunftsinstrument - und nichts weiter.
  
-Der Prosaband //Paare Passanten// erschien im Herbst 1981 und wurde insgesamt sehr zustimmend aufgenommen. Hellmut Olles in /weseneue Deutsche Hefte//: „Die Zustimmung war größer, eindeutiger als bei seinen Erzählungen und bei seinem Roman //Rumor//, uneingeschränkter auch als bei seinen Stücken.“ Das Straußsche Grundthema, das „vereinsamte, beziehungslose [[Individuum]] [] beherrscht nun auch diesen Band.“\\+Der Prosaband //Paare Passanten// erschien im Herbst 1981 und wurde insgesamt sehr zustimmend aufgenommen. Hellmut Olles in //Neue Deutsche Hefte//: „Die Zustimmung war größer, eindeutiger als bei seinen Erzählungen und bei seinem Roman //Rumor//, uneingeschränkter auch als bei seinen Stücken.“ Das Straußsche Grundthema, das „vereinsamte, beziehungslose [[Individuum]] [] beherrscht nun auch diesen Band.“\\
 In der FAZ wird Strauß in höchsten Tönen gelobt: „er [] ist [] ein Pointillist von hohen [[Gnade]]n.“ Es gibt nur ein paar kritische Worte: „Sieht man von gelegentlichen surrealistischen Einsprengseln ab, von einigen Traumpassagen und parabelähnlichen Etüden, die ein wenig kunstgewerblich geraten, zu den deutlich schwächeren Stücken des Bandes gehören []“, doch sind die „kritische[n] Formeln für den derzeitigen [[Menschheit]]szustand [] in ihrer [[Genauigkeit]] und bitteren Wahrhaftigkeit kaum zu übertreffen.“ Der Kritiker weiter: „Dieses schmale Buch ist in Wahrheit ein Schwergewicht. Botho Strauß ist mit ihm auch als [[Erzähler]] zu einem allerersten Autor geworden. Er verfügt über einen Ton der Reinheit und dringlichen Aufrichtigkeit, der in der gegenwärtigen deutschen Literatur ohne Vergleich ist. Man denkt an Albert [[Camus]], der ja auch sein Bestes mit dem gegeben hat, was man törichterweise ,kleine Prosa‘ nennt. Wir haben uns lange nach einem deutschen Camus gesehnt [] . Hier haben wir ihn.“\\  In der FAZ wird Strauß in höchsten Tönen gelobt: „er [] ist [] ein Pointillist von hohen [[Gnade]]n.“ Es gibt nur ein paar kritische Worte: „Sieht man von gelegentlichen surrealistischen Einsprengseln ab, von einigen Traumpassagen und parabelähnlichen Etüden, die ein wenig kunstgewerblich geraten, zu den deutlich schwächeren Stücken des Bandes gehören []“, doch sind die „kritische[n] Formeln für den derzeitigen [[Menschheit]]szustand [] in ihrer [[Genauigkeit]] und bitteren Wahrhaftigkeit kaum zu übertreffen.“ Der Kritiker weiter: „Dieses schmale Buch ist in Wahrheit ein Schwergewicht. Botho Strauß ist mit ihm auch als [[Erzähler]] zu einem allerersten Autor geworden. Er verfügt über einen Ton der Reinheit und dringlichen Aufrichtigkeit, der in der gegenwärtigen deutschen Literatur ohne Vergleich ist. Man denkt an Albert [[Camus]], der ja auch sein Bestes mit dem gegeben hat, was man törichterweise ,kleine Prosa‘ nennt. Wir haben uns lange nach einem deutschen Camus gesehnt [] . Hier haben wir ihn.“\\ 
-In der /weseneuen Zürcher Zeitung// ähnliches: „Liebe und deren Erschöpfung, Verzweiflung, und was sie auslöst - oder eben nicht auszulösen vermag. Der Autor führt damit sein Thema weiter, welches er in früheren Arbeiten - Prosatexten und Theaterstücken - vorgebildet hat.“ „Man hört da eine [[Sprache]], die man in der deutschen Literatur lange vermißt hat.“\\+In der //Neuen Zürcher Zeitung// ähnliches: „Liebe und deren Erschöpfung, Verzweiflung, und was sie auslöst - oder eben nicht auszulösen vermag. Der Autor führt damit sein Thema weiter, welches er in früheren Arbeiten - Prosatexten und Theaterstücken - vorgebildet hat.“ „Man hört da eine [[Sprache]], die man in der deutschen Literatur lange vermißt hat.“\\
 Joachim Kaiser (//Süddeutsche Zeitung//), der schon //Rumor// über alle Maßen lobte, spricht in seinem zweiseitigen Aufsatz von einem „historischen Datum der deutschen Literatur. [] Elitär, nietzschehaft und keineswegs unberechtigt, stellt Strauß Rangordnungen wieder her, über die man eben noch so schön demokratisch gleichberechtigt hinaus zu sein meinte. Gewitzte Kritiker und Anarcho-Essayisten führen, laut Strauß, heute naßforsch das Wort; das starr Dogmatische der Marxisten erledige sich dabei als Dämliches von selbst.“ Er beendet sein Essay mit der Feststellung, daß „der [[Irrationalismus]] des Botho Strauß [] die Linken ärgern und die Liberal-Konservativen provozieren müßte.“\\   Joachim Kaiser (//Süddeutsche Zeitung//), der schon //Rumor// über alle Maßen lobte, spricht in seinem zweiseitigen Aufsatz von einem „historischen Datum der deutschen Literatur. [] Elitär, nietzschehaft und keineswegs unberechtigt, stellt Strauß Rangordnungen wieder her, über die man eben noch so schön demokratisch gleichberechtigt hinaus zu sein meinte. Gewitzte Kritiker und Anarcho-Essayisten führen, laut Strauß, heute naßforsch das Wort; das starr Dogmatische der Marxisten erledige sich dabei als Dämliches von selbst.“ Er beendet sein Essay mit der Feststellung, daß „der [[Irrationalismus]] des Botho Strauß [] die Linken ärgern und die Liberal-Konservativen provozieren müßte.“\\  
 Eine einzige [[Laudatio]] wiederum von Peter Laemmle, der bei der Gelegenheit in seiner Rezension Strauß' bisheriges Œuvre vorstellt: „Er ist der meistgespielte Gegenwartsdramatiker [[Europa]]s, und selbst mit seinen Prosabänden erzielt er Auflagen, die ihresgleichen suchen. [] Als Autor ist er einer der bekanntesten in Deutschland. Was mich [] am meisten beeindruckt, ist seine [[Intelligenz]].[] Mit grimmiger [[Lust]] greift Strauß wieder sein Lieblingsthema auf: Was geht an menschlichen Kontakten, heute, in einer totalen Konsum- und Wegwerfgesellschaft? Wieviel Menschlichkeit ist überhaupt vorhanden? Es sind Tragikkomödien im kleinen, Szenen aus dem gewöhnlichen Leben.“\\ Eine einzige [[Laudatio]] wiederum von Peter Laemmle, der bei der Gelegenheit in seiner Rezension Strauß' bisheriges Œuvre vorstellt: „Er ist der meistgespielte Gegenwartsdramatiker [[Europa]]s, und selbst mit seinen Prosabänden erzielt er Auflagen, die ihresgleichen suchen. [] Als Autor ist er einer der bekanntesten in Deutschland. Was mich [] am meisten beeindruckt, ist seine [[Intelligenz]].[] Mit grimmiger [[Lust]] greift Strauß wieder sein Lieblingsthema auf: Was geht an menschlichen Kontakten, heute, in einer totalen Konsum- und Wegwerfgesellschaft? Wieviel Menschlichkeit ist überhaupt vorhanden? Es sind Tragikkomödien im kleinen, Szenen aus dem gewöhnlichen Leben.“\\
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 Die erste ist am 26.11.1989 in //Sonntag//. Erneut wird Strauß „zu den bekannten bundesdeutschen Autoren“ gezählt. „Seine Theaterstücke, seine Romane und Erzählungen und nicht zuletzt seine lyrischen Versuche haben Kontroversen ausgelöst, die über ihren jeweils konkreten Anlaß weit hinausreichen.“ Pankow spielt damit auf den Roman „Der junge Mann“ und das Langgedicht „Diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag  zu [[Gast]] war“ an, wovon  ersteres noch zu untersuchen sein wird. Die kontroverse Sicht des Dichters Strauß im westdeutschen Feuilleton wird kurz und treffend dargestellt: „Für die einen manifestiert Botho Strauß den Typus des ,deutschen’ [[Postmoderne]]n: Rückzug auf das (behauptete) signifikante Detail, Verdammung nurmehr zynischer Intelligenz und technoider Rationalität, [[Regression]] also in der Literatur, durch die Literatur. Für die anderen ist Strauß der Sprecher einer Generation von Intellektuellen, die nach der 68er [[Euphorie]] eine neue Art von Trauerarbeit begonnen haben: Humanität lebt im Privaten, nur dort wäre sie - unter großen Mühen - täglich neu zu erobern; der starre Blick auf gesellschaftliche Mechanismen, die Utopie übergreifender Veränderung: [[Chimäre]]n, die lediglich kurzzeitige Entlastung brächten.“\\  Die erste ist am 26.11.1989 in //Sonntag//. Erneut wird Strauß „zu den bekannten bundesdeutschen Autoren“ gezählt. „Seine Theaterstücke, seine Romane und Erzählungen und nicht zuletzt seine lyrischen Versuche haben Kontroversen ausgelöst, die über ihren jeweils konkreten Anlaß weit hinausreichen.“ Pankow spielt damit auf den Roman „Der junge Mann“ und das Langgedicht „Diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag  zu [[Gast]] war“ an, wovon  ersteres noch zu untersuchen sein wird. Die kontroverse Sicht des Dichters Strauß im westdeutschen Feuilleton wird kurz und treffend dargestellt: „Für die einen manifestiert Botho Strauß den Typus des ,deutschen’ [[Postmoderne]]n: Rückzug auf das (behauptete) signifikante Detail, Verdammung nurmehr zynischer Intelligenz und technoider Rationalität, [[Regression]] also in der Literatur, durch die Literatur. Für die anderen ist Strauß der Sprecher einer Generation von Intellektuellen, die nach der 68er [[Euphorie]] eine neue Art von Trauerarbeit begonnen haben: Humanität lebt im Privaten, nur dort wäre sie - unter großen Mühen - täglich neu zu erobern; der starre Blick auf gesellschaftliche Mechanismen, die Utopie übergreifender Veränderung: [[Chimäre]]n, die lediglich kurzzeitige Entlastung brächten.“\\ 
 Die Spannbreite der Kritik des westdeutschen Feuilletons mit ihren oft end- und zahllosen Beiträgen zu Strauß' Dichtungen  (Ernst Wendt: „selbstbewußtestes Sprachkunstwerk“ bis zu Hilde Rubinstein: „sowas wie auslüften möchte man öfters“) wird hier kurz und prägnant geschildert: „Dabei erscheint die Gratwanderung, die Strauß in seiner Literatur unternimmt, gefährlich. Wer bewußt den Versuch wagt, hinter die Sprachexperimente des 20. Jahrhunderts zurückzugehen und Elemente spätromantischen Sehens, Denkens und Schreibens zu reaktivieren, begibt sich heutzutage auf ungeschütztes Terrain. [] Botho Strauß' Lehre ist ja wahrlich nicht falsch, der ,hohe Ton des Künders‘ allerdings macht manches zunichte. Doch ist dies kein Grund zur [[Traurigkeit]] [].“ Zu „Paare Passanten“ selbst kommen nur wenige Sätze: „,Paare Passanten‘ reflektiert in sechs Kapiteln Alltägliches aus dem Restauratorium Bundesrepublik. [] Strauß beobachtet in Gaststätten, Supermärkten, Büros, auf den Straßen, und er erzählt Geschichten.“\\  Die Spannbreite der Kritik des westdeutschen Feuilletons mit ihren oft end- und zahllosen Beiträgen zu Strauß' Dichtungen  (Ernst Wendt: „selbstbewußtestes Sprachkunstwerk“ bis zu Hilde Rubinstein: „sowas wie auslüften möchte man öfters“) wird hier kurz und prägnant geschildert: „Dabei erscheint die Gratwanderung, die Strauß in seiner Literatur unternimmt, gefährlich. Wer bewußt den Versuch wagt, hinter die Sprachexperimente des 20. Jahrhunderts zurückzugehen und Elemente spätromantischen Sehens, Denkens und Schreibens zu reaktivieren, begibt sich heutzutage auf ungeschütztes Terrain. [] Botho Strauß' Lehre ist ja wahrlich nicht falsch, der ,hohe Ton des Künders‘ allerdings macht manches zunichte. Doch ist dies kein Grund zur [[Traurigkeit]] [].“ Zu „Paare Passanten“ selbst kommen nur wenige Sätze: „,Paare Passanten‘ reflektiert in sechs Kapiteln Alltägliches aus dem Restauratorium Bundesrepublik. [] Strauß beobachtet in Gaststätten, Supermärkten, Büros, auf den Straßen, und er erzählt Geschichten.“\\ 
-In /weseneues Deutschland// am 23.12.1989 die zweite Kurzrezension über das Buch. Nach Daten zu Strauß selbst (Benennung seiner bedeutendsten Werke), wird festgestellt, daß sich sein Werk „abseits von großen politischen Bewegungen und Aktionen [hält] und dennoch haben seine Bücher Dimension, Gewicht und Gesicht. Was ,Paare Passanten‘ [] besonders auszeichnet, ist eine moderne [[Erkenntnis]]. ,Ohne Dialektik denken wir auf Anhieb dümmer.‘“ Der entscheidende Satz, das Strauß offensichtlich schwerfallende Freimachen vom linksaufklärerischen [[Denken]]: „Aber es muß sein: ohne sie!“ wird (wissentlich?) weggelassen und somit der gesamte [[Sinn]] entstellt. Strauß' Beobachtungen erinnern den Rezensenten an [[Tschechow]], „unaufdringlich in ihrer künstlerischen Lauterkeit und ihrem Bekenntnis zur Humanität, perfekt in der [[Technik]] des Erzählens. [] Daß es [das Buch, Anm. d. Verf.] intensiv über menschliche Schicksale und gesellschaftliche Bedingungen nachdenken läßt, paßt gut in die gegenwärtige DDR-[[Landschaft]].“\\+In //Neues Deutschland// am 23.12.1989 die zweite Kurzrezension über das Buch. Nach Daten zu Strauß selbst (Benennung seiner bedeutendsten Werke), wird festgestellt, daß sich sein Werk „abseits von großen politischen Bewegungen und Aktionen [hält] und dennoch haben seine Bücher Dimension, Gewicht und Gesicht. Was ,Paare Passanten‘ [] besonders auszeichnet, ist eine moderne [[Erkenntnis]]. ,Ohne Dialektik denken wir auf Anhieb dümmer.‘“ Der entscheidende Satz, das Strauß offensichtlich schwerfallende Freimachen vom linksaufklärerischen [[Denken]]: „Aber es muß sein: ohne sie!“ wird (wissentlich?) weggelassen und somit der gesamte [[Sinn]] entstellt. Strauß' Beobachtungen erinnern den Rezensenten an [[Tschechow]], „unaufdringlich in ihrer künstlerischen Lauterkeit und ihrem Bekenntnis zur Humanität, perfekt in der [[Technik]] des Erzählens. [] Daß es [das Buch, Anm. d. Verf.] intensiv über menschliche Schicksale und gesellschaftliche Bedingungen nachdenken läßt, paßt gut in die gegenwärtige DDR-[[Landschaft]].“\\
 Mit dieser Besprechung endet die offizielle DDR-Rezeption Strauß'. „Der junge Mann“ erschien zwar schon 1987, wurde im Feuilleton aber nicht besprochen.  Mit dieser Besprechung endet die offizielle DDR-Rezeption Strauß'. „Der junge Mann“ erschien zwar schon 1987, wurde im Feuilleton aber nicht besprochen. 
  
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 In der //Frankfurter Rundschau// wird von Peter Iden kurz auf die „gute Aufführung anläßlich des Gastspiels im Ost-Berliner ,Deutschen Theater‘“ eingegangen: „Es war im Parkett sogar zu Äußerungen offener Ablehnung gekommen. Kulturpolitisch-taktisch schien es angesichts der angespannten Theatersituation in Berlin wenig klug, das Stück noch einmal zu riskieren. Aber Bondy und das Ensemble waren davon nicht abzubringen. [] jemand fordert sie (das Paar aus dem Osten) zudringlich auf, doch zu sagen, was sie in diesem Moment empfinden. Aber als der Mann aus dem Osten anfängt, tatsächlich von sich zu reden, wenden sich die übrigen bald ab, wieder dem Fernsehen und ihren eigenen Gesprächen zu. Das ist ein glänzendes Detail. Man ist hier mitten in gegenwärtiger deutscher Wirklichkeit, Bondy hat die Erfahrungen der vergangenen Monate schon aufgenommen: Was nach dem Mauerfall kam, war es etwa nicht - viel aufdringliche [[Rhetorik]] und wenig wirklich aufmerksame Hinwendung? Und nimmt das Gefühl der Nähe, im Westen wie im Osten, inzwischen nicht eher ab als zu? [] Aufeinander zu - und aneinander vorbei. Was heißt da ,Vereinigung‘?“\\ In der //Frankfurter Rundschau// wird von Peter Iden kurz auf die „gute Aufführung anläßlich des Gastspiels im Ost-Berliner ,Deutschen Theater‘“ eingegangen: „Es war im Parkett sogar zu Äußerungen offener Ablehnung gekommen. Kulturpolitisch-taktisch schien es angesichts der angespannten Theatersituation in Berlin wenig klug, das Stück noch einmal zu riskieren. Aber Bondy und das Ensemble waren davon nicht abzubringen. [] jemand fordert sie (das Paar aus dem Osten) zudringlich auf, doch zu sagen, was sie in diesem Moment empfinden. Aber als der Mann aus dem Osten anfängt, tatsächlich von sich zu reden, wenden sich die übrigen bald ab, wieder dem Fernsehen und ihren eigenen Gesprächen zu. Das ist ein glänzendes Detail. Man ist hier mitten in gegenwärtiger deutscher Wirklichkeit, Bondy hat die Erfahrungen der vergangenen Monate schon aufgenommen: Was nach dem Mauerfall kam, war es etwa nicht - viel aufdringliche [[Rhetorik]] und wenig wirklich aufmerksame Hinwendung? Und nimmt das Gefühl der Nähe, im Westen wie im Osten, inzwischen nicht eher ab als zu? [] Aufeinander zu - und aneinander vorbei. Was heißt da ,Vereinigung‘?“\\
 Georg Hensel rezensiert am gleichen Tag in der FAZ. Erstmals beschäftigt sich überhaupt ein Rezensent (mit Stimme) mit dem Inhalt des dritten Aktes betreffs der Reaktion derjenigen, die es auch betrifft: „Dieter Dorns Uraufführungs-Inszenierung in den //Münchner Kammerspielen// war ein [[Triumph]] in München und eine Pleite in Berlin. Beim Gastspiel im //Deutschen Theater// im ehemaligen Ost-Berlin fielen Stück und Aufführung krachend durch. Man mag dort ein Stück über den Fall der Mauer und die Freude der Menschen erwartet haben und tief enttäuscht gewesen sein, daß sich Botho Strauß beschränkt auf ein bißchen Stimmung, halbfroh, eher peinlich und gequält, am uninteressierten Rand des politischen Ereignisses. Man mag gedacht haben: Was sollen uns - angesichts der harten Realität - dieses belanglose Herumspielen, dieses läppische Party-Geschwätz und dieser luxuriöse Flirt mit den Mythen? [] Niemand war so schnell wie Botho Strauß: Kaum war die Vereinigung vollzogen, schon war sein ,Schlußchor‘ da. Das Thema freilich ist zu groß für seine kleinen Spiele. Sein feinfingriger Zugriff kann den Menschen den Puls fühlen, nicht der Politik. [] Noch immer ist bei Botho Strauß der Small Talk das Beste und warum auch nicht, er kann das besser als jeder andere.“\\ Georg Hensel rezensiert am gleichen Tag in der FAZ. Erstmals beschäftigt sich überhaupt ein Rezensent (mit Stimme) mit dem Inhalt des dritten Aktes betreffs der Reaktion derjenigen, die es auch betrifft: „Dieter Dorns Uraufführungs-Inszenierung in den //Münchner Kammerspielen// war ein [[Triumph]] in München und eine Pleite in Berlin. Beim Gastspiel im //Deutschen Theater// im ehemaligen Ost-Berlin fielen Stück und Aufführung krachend durch. Man mag dort ein Stück über den Fall der Mauer und die Freude der Menschen erwartet haben und tief enttäuscht gewesen sein, daß sich Botho Strauß beschränkt auf ein bißchen Stimmung, halbfroh, eher peinlich und gequält, am uninteressierten Rand des politischen Ereignisses. Man mag gedacht haben: Was sollen uns - angesichts der harten Realität - dieses belanglose Herumspielen, dieses läppische Party-Geschwätz und dieser luxuriöse Flirt mit den Mythen? [] Niemand war so schnell wie Botho Strauß: Kaum war die Vereinigung vollzogen, schon war sein ,Schlußchor‘ da. Das Thema freilich ist zu groß für seine kleinen Spiele. Sein feinfingriger Zugriff kann den Menschen den Puls fühlen, nicht der Politik. [] Noch immer ist bei Botho Strauß der Small Talk das Beste und warum auch nicht, er kann das besser als jeder andere.“\\
-In  /weseneue Zürcher Zeitung// wird das Stück verrissen, die Inszenierung gelobt: „Einem schwächeren Stück hat die Inszenierung auf die Beine geholfen.“\\+In  //Neue Zürcher Zeitung// wird das Stück verrissen, die Inszenierung gelobt: „Einem schwächeren Stück hat die Inszenierung auf die Beine geholfen.“\\
 In der //Stuttgarter Zeitung// eine andere Meinung zum dritten Akt: „Botho Strauß, der vielgefragte und fast konkurrenzlose deutsche Dramatiker dieser Jahre, läßt im ,Schlußchor‘ ein schüchternes Ossi-Pärchen, gerade eben durch ein [[Loch]] der Mauer geschlüpft, unterm [[Krach]] der Böller am Brandenburger Tor in einem Westberliner Bistro erscheinen, wo es von den Wessis vorm TV-Gerät angestaunt und mit Sekt und Zigaretten und dummen Fragen traktiert wird. Dies war schon in München bei der Dornschen Aufführung eine sehr gelungene, wahre, fast politische Szene. Jetzt bei der Berliner ,[[Wiederholung]]‘ ist sie geschrumpft in ihrer Bedeutung und durch Stasi-Debatte, Mauerschützenprozesse und Arbeitslosennot in den Ostländern völlig überholt von der Wirklichkeit, der auch kein Theaterautor gewachsen ist.“\\ In der //Stuttgarter Zeitung// eine andere Meinung zum dritten Akt: „Botho Strauß, der vielgefragte und fast konkurrenzlose deutsche Dramatiker dieser Jahre, läßt im ,Schlußchor‘ ein schüchternes Ossi-Pärchen, gerade eben durch ein [[Loch]] der Mauer geschlüpft, unterm [[Krach]] der Böller am Brandenburger Tor in einem Westberliner Bistro erscheinen, wo es von den Wessis vorm TV-Gerät angestaunt und mit Sekt und Zigaretten und dummen Fragen traktiert wird. Dies war schon in München bei der Dornschen Aufführung eine sehr gelungene, wahre, fast politische Szene. Jetzt bei der Berliner ,[[Wiederholung]]‘ ist sie geschrumpft in ihrer Bedeutung und durch Stasi-Debatte, Mauerschützenprozesse und Arbeitslosennot in den Ostländern völlig überholt von der Wirklichkeit, der auch kein Theaterautor gewachsen ist.“\\
 In der //taz// eine Laudatio auf Strauß: „Botho Strauß kann sich sehen lassen: Er konjugiert sich durch die Phänomenologie der Wahrnehmung. Ein Dichterphilosoph.“ Der dritte Akt wird nur kurz beschrieben: „Eine Bar im gediegenen Stil der 20er Jahre []. Der Fernseher läuft, irgendwann knallen die ersten Sektkorken, als die ersten zwei DDRler eintrudeln, die immerhin den denkwürdigen Satz sagen dürfen: ,Wir haben nichts geglaubt, waren  aber überzeugt, daß uns der Betrug vor Schlimmeren bewahrt.“\\ In der //taz// eine Laudatio auf Strauß: „Botho Strauß kann sich sehen lassen: Er konjugiert sich durch die Phänomenologie der Wahrnehmung. Ein Dichterphilosoph.“ Der dritte Akt wird nur kurz beschrieben: „Eine Bar im gediegenen Stil der 20er Jahre []. Der Fernseher läuft, irgendwann knallen die ersten Sektkorken, als die ersten zwei DDRler eintrudeln, die immerhin den denkwürdigen Satz sagen dürfen: ,Wir haben nichts geglaubt, waren  aber überzeugt, daß uns der Betrug vor Schlimmeren bewahrt.“\\
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 Der Polemik im letzten Absatz will sich der Autor dieser Arbeit verschließen. Der Polemik im letzten Absatz will sich der Autor dieser Arbeit verschließen.
  
-Es gab einige Meldungen in ostdeutschen Blättern, doch dort zumeist nur von Westdeutschen. Insgesamt sind nur wenige Wortmeldungen festzustellen. Einige in früheren ostdeutsche Blättern wie der //Wochenpost// oder der //Weltbühne//; andere in //Freitag//, eines Zusammenschlusses von //Sonntag// und //Volkszeitung// mit Ost-West Redaktion. Rein ostdeutsche Wortmeldungen, die hier auszugsweise wiedergegeben werden, sind nur die aus der //Weltbühne// und aus /weseneues Deutschland//. \\+Es gab einige Meldungen in ostdeutschen Blättern, doch dort zumeist nur von Westdeutschen. Insgesamt sind nur wenige Wortmeldungen festzustellen. Einige in früheren ostdeutsche Blättern wie der //Wochenpost// oder der //Weltbühne//; andere in //Freitag//, eines Zusammenschlusses von //Sonntag// und //Volkszeitung// mit Ost-West Redaktion. Rein ostdeutsche Wortmeldungen, die hier auszugsweise wiedergegeben werden, sind nur die aus der //Weltbühne// und aus //Neues Deutschland//. \\
 Hier nun eine Zusammenfassung der ostdeutschen Wortmeldungen: Robert Misik kritisiert Strauß stellenweise sehr stark in der traditionell linken //Weltbühne//, räumt aber ein, daß das Essay „inkriminiert“ wird, und stellt fest, daß „Der Anschwellende Bocksgesang“ sich „zu einem unerhörten Dokument (verdichtet) hat“. „Das Büchnersche Diktum, wonach die [[Sünde]] im Gedanken ist, hat der Preisträger ins Gegenwärtige übersetzt. Und tatsächlich, was Strauß da sagt, ist unsäglich.“ Allerdings irrt Misik, wenn er behauptet, daß der Trend, in dem Strauß liegt, „im Trend der nachreformerischen Tendenzwende, die in die zu Beginn der achtziger Jahre verkündete ,geistig-moralische‘ Wende mündete.“ Recht hat Misik mit seiner Schlußbetrachtung: „Die scharfen Geschütze, die jetzt aufgefahren werden, um den seltsamen [[Vogel]] zu erlegen, erklären sich wohl auch aus der Angst westdeutscher Intellektueller, daß die liberalen Grundlagen der BRD durch die ostdeutschen und die osteuropäischen Unwägbarkeiten stärker unterspült werden, als das je die [[Phalanx]] neokonservativer Ideologieplaner geschafft hätte. Daß der Generalangriff gerade von einem angesehenen westdeutschen Literaten kommt, muß da als zusätzliche Perfidie erscheinen. Doch täte, nehmen wir alles in allem, Gelassenheit gut [].“\\ Hier nun eine Zusammenfassung der ostdeutschen Wortmeldungen: Robert Misik kritisiert Strauß stellenweise sehr stark in der traditionell linken //Weltbühne//, räumt aber ein, daß das Essay „inkriminiert“ wird, und stellt fest, daß „Der Anschwellende Bocksgesang“ sich „zu einem unerhörten Dokument (verdichtet) hat“. „Das Büchnersche Diktum, wonach die [[Sünde]] im Gedanken ist, hat der Preisträger ins Gegenwärtige übersetzt. Und tatsächlich, was Strauß da sagt, ist unsäglich.“ Allerdings irrt Misik, wenn er behauptet, daß der Trend, in dem Strauß liegt, „im Trend der nachreformerischen Tendenzwende, die in die zu Beginn der achtziger Jahre verkündete ,geistig-moralische‘ Wende mündete.“ Recht hat Misik mit seiner Schlußbetrachtung: „Die scharfen Geschütze, die jetzt aufgefahren werden, um den seltsamen [[Vogel]] zu erlegen, erklären sich wohl auch aus der Angst westdeutscher Intellektueller, daß die liberalen Grundlagen der BRD durch die ostdeutschen und die osteuropäischen Unwägbarkeiten stärker unterspült werden, als das je die [[Phalanx]] neokonservativer Ideologieplaner geschafft hätte. Daß der Generalangriff gerade von einem angesehenen westdeutschen Literaten kommt, muß da als zusätzliche Perfidie erscheinen. Doch täte, nehmen wir alles in allem, Gelassenheit gut [].“\\
-Charlotte Worgitzky von /weseneues Deutschland// geht auf die Wirkung des Essays und auf dessen Inhalte ein: „Tausende von Artikeln, Hunderte von Essays werden veröffentlicht - warum auf einmal dieser Unisono-Aufschrei? Das Wort ist gefallen: Rechts. Und wer da nicht empört reagiert, macht sich offenbar schon verdächtig. Dabei kommt es mir vor, als hätten die Reagierenden so schnell darüber hinweg gelesen, wie sie gewohnt sind zu lesen, weil sie so viel lesen müssen (um informiert zu sein). Welche Verschwendung von [[Papier]] und Gedanken. Das Reizwort steht da - und schon sträuben sich alle Haare.“ Für sie ist Strauß „Wortspinner“, ein „Introvertierter“. Am Inhalt des Essay hat sie nicht viel auszusetzen, sie findet: „Auch ich bin durchaus nicht mit allem, was der [[Dichter]] Strauß da verkündet, einverstanden, und ich entdecke Widersprüche, die offenbar nicht als solche gemeint sind. Aber ich finde Gedanken darin, die unsere mit hektischer Gier konsumierende (und wegwerfende) Gesellschaft wahrlich tiefer durchleuchten als die, die eilfertig vor ihnen warnen.“ Sie fragt: „Warum hat eigentlich [] in dieser Medienlandschaft nie jemand so empört reagiert, wenn Heiner Müller [] ein kaum weniger blutig-düsteres Bild von der [[Menschheit]] malt? Er hat allerdings keine Verkehrsrichtung angegeben. Doch sagt er beispielsweise: ,Es gibt in den herrschenden Strukturen kein rationales [[Argument]] gegen [[Auschwitz]]. Wenn das nicht gefunden wird, geht diese [[Zivilisation]] unter.‘ (In: ,Jenseits der Nation‘ Rotbuchverlag 1991) Ein [[Gegensatz]] zu Botho Strauß? Ich verstehe es eher so, daß er ihr keine Chance gibt. Botho Strauß setzt immerhin noch Hoffnung in die fortdauernde [[Wiederkehr]] des Wechsels - ist das der grundlegende Unterschied zu Heiner Müller?“\\ +Charlotte Worgitzky von //Neues Deutschland// geht auf die Wirkung des Essays und auf dessen Inhalte ein: „Tausende von Artikeln, Hunderte von Essays werden veröffentlicht - warum auf einmal dieser Unisono-Aufschrei? Das Wort ist gefallen: Rechts. Und wer da nicht empört reagiert, macht sich offenbar schon verdächtig. Dabei kommt es mir vor, als hätten die Reagierenden so schnell darüber hinweg gelesen, wie sie gewohnt sind zu lesen, weil sie so viel lesen müssen (um informiert zu sein). Welche Verschwendung von [[Papier]] und Gedanken. Das Reizwort steht da - und schon sträuben sich alle Haare.“ Für sie ist Strauß „Wortspinner“, ein „Introvertierter“. Am Inhalt des Essay hat sie nicht viel auszusetzen, sie findet: „Auch ich bin durchaus nicht mit allem, was der [[Dichter]] Strauß da verkündet, einverstanden, und ich entdecke Widersprüche, die offenbar nicht als solche gemeint sind. Aber ich finde Gedanken darin, die unsere mit hektischer Gier konsumierende (und wegwerfende) Gesellschaft wahrlich tiefer durchleuchten als die, die eilfertig vor ihnen warnen.“ Sie fragt: „Warum hat eigentlich [] in dieser Medienlandschaft nie jemand so empört reagiert, wenn Heiner Müller [] ein kaum weniger blutig-düsteres Bild von der [[Menschheit]] malt? Er hat allerdings keine Verkehrsrichtung angegeben. Doch sagt er beispielsweise: ,Es gibt in den herrschenden Strukturen kein rationales [[Argument]] gegen [[Auschwitz]]. Wenn das nicht gefunden wird, geht diese [[Zivilisation]] unter.‘ (In: ,Jenseits der Nation‘ Rotbuchverlag 1991) Ein [[Gegensatz]] zu Botho Strauß? Ich verstehe es eher so, daß er ihr keine Chance gibt. Botho Strauß setzt immerhin noch Hoffnung in die fortdauernde [[Wiederkehr]] des Wechsels - ist das der grundlegende Unterschied zu Heiner Müller?“\\ 
 Elke Schmitter schrieb gleich zwei Aufsätze gegen den „Bocksgesang“, für Ost und West, mit Anspielungen, die den meisten ostdeutschen //Wochenpost//-Lesern verschlossen bleiben müssen: „Der von der Aufklärung enttäuschte nicht mehr ganz junge Mann“, so beginnt Schmitter, spricht gleich zwei der Werke Strauß' an; das in dieser Arbeit schon behandelte Notat in „Paare Passanten“, („Ohne Dialektik “) und „Der junge Mann“, zwei Bücher, die im Westen im linksliberalen Feuilleton Furore machten, in der DDR aber kaum besprochen wurden, und einer breiten Leserschaft unbekannt blieben. Was soll das also? Von der „Großen Linken“ wird der durchschnittliche Ostdeutsche kaum wissen, daß die 68er damit gemeint sind, er denkt wohl eher ans ZK der SED. Dann ein ganz mißverständlicher Satz: „Selbst Europa ist eine blasse Vorstellung, verglichen mit der dunkelroten Vergangenheit, die Strauß und andere in ihren Seherdienst nehmen.“\\  Elke Schmitter schrieb gleich zwei Aufsätze gegen den „Bocksgesang“, für Ost und West, mit Anspielungen, die den meisten ostdeutschen //Wochenpost//-Lesern verschlossen bleiben müssen: „Der von der Aufklärung enttäuschte nicht mehr ganz junge Mann“, so beginnt Schmitter, spricht gleich zwei der Werke Strauß' an; das in dieser Arbeit schon behandelte Notat in „Paare Passanten“, („Ohne Dialektik “) und „Der junge Mann“, zwei Bücher, die im Westen im linksliberalen Feuilleton Furore machten, in der DDR aber kaum besprochen wurden, und einer breiten Leserschaft unbekannt blieben. Was soll das also? Von der „Großen Linken“ wird der durchschnittliche Ostdeutsche kaum wissen, daß die 68er damit gemeint sind, er denkt wohl eher ans ZK der SED. Dann ein ganz mißverständlicher Satz: „Selbst Europa ist eine blasse Vorstellung, verglichen mit der dunkelroten Vergangenheit, die Strauß und andere in ihren Seherdienst nehmen.“\\ 
 Peter Glotz, am Randtext als SPD-MdB vorgestellt, bekommt eine //Wochenpost//-Ausgabe später Gelegenheit, den Ostler erneut über Strauß aufzuklären. „Strauß ist ein gefährlicher Wirrkopf. [] Da paaren sich Unkenntnis und Romantizismus.“ Strauß „urteilt schroff und souverän über Prozesse, die er nicht überschaut.“\\ Peter Glotz, am Randtext als SPD-MdB vorgestellt, bekommt eine //Wochenpost//-Ausgabe später Gelegenheit, den Ostler erneut über Strauß aufzuklären. „Strauß ist ein gefährlicher Wirrkopf. [] Da paaren sich Unkenntnis und Romantizismus.“ Strauß „urteilt schroff und souverän über Prozesse, die er nicht überschaut.“\\
strauss.txt · Zuletzt geändert: 2023/11/14 08:39 von Robert-Christian Knorr