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wezel

WEZEL

Johann Karl Wezel

1747-1819
SCHRIFTSTELLER, radikaler Spätaufklärer
- am Wezel-Platner-STREIT 1781/2 maßgeblich beteiligt → kritisiert Ernst Platners philosophische Medizin, die sich noch auf metaphysische Auffassungen der SEELE beruft und tritt für ein neues, empirisch-psychologisches VERSTÄNDNIS der Seele ein
- löste mit seinem aufklärungskritischen Buch Belphegor bei HÖLDERLIN, SCHELLING und HEGEL in Tübingen große Begeisterung aus

Wezel-Platner-Debatte

1781/82

  • Wezel schreibt in seinem BUCH Über Sprache, WISSENSCHAFT und Geschmack der Deutschen 1781, daß LEIBNIZ' THEODICEE ein Buch sei, das niemand lesen könne, ein Meer von GELEHRSAMKEIT, worauf das Raisonnement wie ein kleines Kähnchen schwimme
  • Platner nannte Wezel von der Kanzel in seinem Hörsaal in Leipzig einen Schöngeist, dessen Urteile über erhabene Gegenstände wie das Leibnizsche DENKEN er nur für Denkschwäche halten könne, für unverbindliches Kaffeehausgeschwätz
  • Wezel schreibt Platner einen BRIEF und verlangt Genugtuung, droht im Falle der Verweigerung mit Veröffentlichung dieser Forderung in Zeitungen; außerdem bezeichnet Wezel Platner als getreuen Leibniz-Schüler, der nie ein eigenes WORT geschrieben, sondern bloß kompiliert habe, außerdem beschuldigte Wezel Platner, den Kirchenrat als ZENSOR zu Hilfe gerufen zu haben

- der dritte genannte VORWURF war bösartig, da Platner seinerseits 1777 wegen religionskritischer Bemerkungen von orthodoxen Kreisen in Leipzig angegriffen worden war → Aphorismen-Streit
- der Streit ging in die nächste Runde, bis 26 Streitschriften Für und Wider publiziert worden waren
- der Streit zeigt viel von der FREIHEIT, die es im REICH um 1780 gab: hier freie Schriftsteller, die durch diesen Streit GELD verdienen konnten, dort fest besoldete ANGESTELLTE, die sich an mancherlei Regel halten mußten, die sie insgeheim bekämpften → am Ende machte die ZENSUR dem Treiben ein Ende, doch die Platnerianer hatten das bessere Ende für sich, sie waren bösartiger

tieferer Inhalt

- ein Streit unter Aufklärern über die ZUKUNFT der AUFKLÄRUNG im Reich
- Kernvorwurf an Wezel: Haben Leibniz' Ideen, selbst wenn sie nicht mehr dem neusten Denken entsprechen, das harte Urteil Wezels verdient?
- die Antwort im Sinne Wezels schrieb ein göttinger STUDENT, der meinte, daß Leibniz veraltet sei, denn man verstünde ihn nicht, außerdem kann ein ZEITALTER nicht aufgeklärt heißen, das den GEIST des ersten Aufklärers nicht verstünde (!)
- die Grenzen der VERNUNFT werden gesucht, ob der MENSCH an der göttlichen Vernunft teilhat oder teilhaben kann: produktive göttliche Vernunft und reproduktive menschliche Vernunft → prästabilierte HARMONIE?
- aber die Erfahrungen mit der Dynamisierung der WIRKLICHKEIT fußten in der Kritik der Vernunft, worin KANT die Methodologie der Leibnizschen Vernunft unterzog, indem er die Selbstbezüglichkeit der reinen Verstandesbegriffe, der Kategorien beziehungsweise Denkbegriffe in diesem SYSTEM monierte
- Kant kritisierte das ontologische Defizit der Erscheinungswelt, der sinnlichen Erfahrungen bei Leibniz, denn das sei Intellektualismus, den Platner bestreite
- mit Wezel wird die ERKENNTNIS formuliert, daß seit Kant Denken und Erkennen zwei verschiedene Fähigkeiten sind

  1. zum Erkennen gehört gegenüber dem Denken nicht bloß die Möglichkeit der Aktivierung der reinen Verstandesbegriffe, sondern eine Synthese von Verstandesbegriffen und von durch die Sinne aufgenommenen Wirklichkeitselementen erforderlich → Gott kann also nicht erkannt werden
  2. Leibniz und Platner wollen die absolute Vernunft und die RELIGION zusammendenken, meint Wezel, und glaubt, daß dabei die konkrete Vernunft, das Hier und Heute auf der Strecke blieben, deshalb der Vorwurf der Unzeitgemäßheit

- Wezel ging es um die Öffnung der Gelehrtenrepublik gegenüber einer wie auch immer sich gerierenden Öffentlichkeit, die für einen freien Schriftsteller von größter BEDEUTUNG ist

wezel.txt · Zuletzt geändert: 2024/03/15 18:45 von Robert-Christian Knorr