NIETZSCHE
Friedrich Nietzsche

Lehre
Nietzsches Grundproblem: er überträgt diesen Skeptizismus auf periphere Wissensgebiete
Nietzsches Entdeckung ist der Zusammenhang zwischen Philosophie und Lebenspraxis: es gibt schöne und häßliche Bilder, aber keine wahren und falschen. Kultur innerhalb des Pessimismus, Trotz, und Elitarismusimmanenz führten in den ersten Jahren der Selbständigkeit zu Enthusiasmus. Aber die Antike ist nicht zu fordern und aus dieser sich auftuenden Diskrepanz ist Nietzsche nie herausgekommen.
Sein Einfluß auf v.a. deutsche Dichter und Denker kann nicht überschätzt werden, so war Nietzsche beispielsweise für Musil derjenige, der „um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden“ und der „dem Fragen nach dem Fortschritt ein ‚noch nicht’ entgegensetzen“ wollte. Im Geiste Nietzsches glaubte Musil auch seinen Helden ausgestattet zu haben, indem er ihn ein Leben mit Interimsgrundsätzen führen ließ. – Nietzsche fungiert bei Musil als Pendant zum symbolistischen Zeitgeist und seinem intellektuellen Rädelsführer, Maeterlinck.
drei Perioden in Nietzsches Werk
- Jugendperiode: hohe Begabung, klassische Philologie
- Positivist: Menschliches-Allzumenschliches
- Spätperiode: Zarathustra
Aspekte seiner Lehre
- Geniekult;
- Kult des Prinzips der Autonomie, der Abweichung;
- hybrider Protestantismus;
- Pathos der Distanz;
stilistisches Selbstverständnis 1866
Erkenntnistheorie
Ethik
Verbindungspunkt zur Aufklärung ist die Sicht des Egoismus, der allerdings aufgehoben werden soll in einer Gemeinschaft Gleichgesonnener: Ich träume eine Genossenschaft von Menschen, welche unbedingt sind, keine Schonung kennen und "Vernichter" heißen wollen: Sie halten an alles den Maßstab ihrer Kritik und opfern sich der Wahrheit. Das Schlimme und Falsche soll ans Licht.Der Antichrist
1888Kerngedanken
: Das Wort schon "Christentum" ist ein Mißverständnis - im Grunde gab es nur einen Christen, und der starb am Kreuz. Es ist falsch bis zum Unsinn, wenn man in einem "Glauben", etwa im Glauben an die Erlösung durch Christus das Abzeichen des Christen sieht: bloß die christliche Praktik, ein Leben so wie der, der am Kreuze starb, es lebte, ist christlich. Nicht ein Glauben, sondern ein Tun, ein Vieles-nicht-tun vor allem, ein anderes Sein. Die gewöhnlichste Lüge ist die, mit der man sich selber belügt; das Belügen anderer ist relativ der Ausnahmefall. Nun ist dies Nicht-sehen-wollen, was man sieht, dies Nicht-so-sehen-wollen, wie man es sieht, beinahe die erste Bedingung für alle, die Partei sind in irgend welchem Sinn: der Parteimensch wird mit Nothwendigkeit Lügner.
Die fröhliche Wissenschaft
Nietzsche leugnet nicht Wahrheit und Vernunft, er verschiebt sie in die Semantik. Dadurch werden diese Begriffe subjektiv, denn Interpretation ist subjektiv. Der Begriff der „kritischen Vernunft“ wandelt sich in den der interpretatorischen Vernunft. Vernunft ist aber weiterhin der Interpretation bedürftig, wie auch umgekehrt.
Der Philosoph der Zukunft, der freie Geist, reduziert Wahrheit auf ihr menschliches Maß, Wahrheit ist Sinnwahrheit, auf Wahrhaftigkeit und intellektuelle Redlichkeit. Er ist frei gegenüber dem absoluten Begriff von Wahrheit. Die „fröhliche Wissenschaft“ ist eine wertsetzende und gesetzgebende, sie ist in einer Zeit geschrieben und gilt für eine Zeit. Der freie Geist achtet den Andersdenkenden höher als den Gleichdenkenden; man soll den Freunden reichlich Raum für Mißverständnisse geben, denn mißverstehen kann nur anders verstehen bedeuten.
Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik
Ergebnis
Jenseits von Gut und Böse
1888Er will nichts anderes, als er selbst es ist. Er fühlt sich vollkommen. → der immoralische Standpunkt ist ganz auf Provokation gerichtet
KANZELRABE GEGEN ALTARKRÄHE
Vier unzeitgemäße Schriften
siehe unzeitgemäß
Also sprach Zarathustra

Zur Genealogie der Moral
1887Streitschrift als Ergänzung zum letztveröffentlichten Jenseits von Gut und Böse
Prämisse
: Wir Erkennenden sind uns unbekannt, da wir nie nach uns gesucht haben.Item
: Wo kommen die moralischen Vorurteile her? Unter welchen Bedingungen erfand sich der Mensch jene Werturteile gut und böse?
Rezeption
ABER: Nietzsche betont, daß die moderne Demokratie eine historische Form vom Verfall des Staates ist, nach deren Zeit eine noch zweckmäßigere Erfindung als der Staat es war zum Siege über den Staat kommen wird, denn die Klugheit und der Eigennutz der Menschen sind von allen ihren Eigenschaften am besten ausgebildet und somit ist die Aussicht, die sich nach dem Verfall ergibt, nicht eine unglückselige
Nietzsches Anziehungskraft
Nietzsche und das Problem des Immoralisten
- Nietzsche bringt die in der bürgerlichen Gesellschaft herrschende Klasse nicht mit den allgemein anerkannten Normen der christlichen Moral in Verbindung, die Nietzsche als moralischen Regulator für die Mehrheit versteht;
- Nietzsche erkennt keine objektiven Kriterien an, weder für die moralischen Bewertungen noch für die Moral im allgemeinen; er geht an sie rein relativistisch und pragmatisch oder, um seine Terminologie zu benutzen, unter dem Gesichtspunkt des Lebens der Gattung heran (Oduew)
Essay "Nietzsche und die Ethik der Gegenwart"
Erkennen ist eine Voraussetzung zum Handeln. Andere Präliminarien fürs Handeln, das hier als humanistisches begriffen werden will, bilden Willen, physische Möglichkeit, Lizenz und auch das Sollen. Aus dem Handeln selbst ergeben sich neue Aspekte fürs Erkennen. Es besteht also ein Wirkzusammenhang. Wir wollen keine blutleere theoretische Angegriffenheit des Seins: Sein dient der Bewußtwerdung des Ich und wird gestaltet, ist also selbst Patiens, wobei hier eine Wechselbeziehung vorliegt. Keiner sägt zeitlebens am Ast, auf dem er sitzt; aber jeder macht es sich auf ebendiesem Ast bequem, so er denn dort sitzen muß. Und wir müssen!Das menschliche Dasein ist durch jene Spannung zwischen Leben (Natur, Zwang, Gesetz, Recht, Verstand) und Geist (Metaphysik , Glauben, Seele, Wille) bestimmt.
Nunmehr muß der Begriff der Metaphysik veranschaulicht werden, bevor wir uns dann Folgerungen für die Ethik zuwenden können. Erkenntnistheorie, Metaphysik und Ethik gehen hier eine Symbiose ein, keine implizite Beziehung.
Metaphysik entstand nach Dilthey aus folgenden Motiven:
- ästhetisch-wissenschaftliche Kontemplation, die zu einer Darstellung der harmonischen Ordnung (Kosmos) führt (die Griechen);
- Willensverhalten des Menschen, das seinen Platz im Staat und Recht, in der Natur sucht (die Römer);
- religiöses Gemütsverhalten sucht eine Basis der Verständigung des Individuums zu Gott und verlangt eine Rückkehr in den Willen Gottes.
1. und 3. wird zusammengedacht. 2. dagegen abgesetzt. ♥ Die Griechen sind älter als die Römer. Der Anfang des Menschengeschlechts liegt vor den Paraphrasierungen des Gesetzes auf Tafeln. Manches wiederholt sich zudem, ist bei allen Völkern gleich, so auch religiöses Gemütsverhalten.
Metaphysik ist der entscheidende Beweggrund alles Philosophierens und erwuchs aus dem religiösen Gefühl des Menschen, aus dem Wagnis zwischen Verbundenheit und Verlassenheit (verlassen sein und sich verlassen können), wobei das eine Grund des anderen wurde, allmählicher Ritualisierungszwang Verstandestätigkeit einforderte, diese wuchs und rückwirkend Gott befragte, kritischer wurde, aber der Grund, der Grund blieb im Gefühl. Und so erwuchs aus dem Ritual eine Rechtsform, juristische Faßbarkeit der Annäherung an Gott. Einen Faden aufzutrendeln, eine Hinwendung zu Gott durch Begriffssymbolik erreichen, dieser Sinn liegt in der Folgung der religiösen Gemütlichkeit. Gott auf Samtpfoten erreichen. Das System der Religiosität wuchs, mit ihm der Drang zur Lehre, zur Theologie. Theologie erfordert wenigstens ein Dogma. Und hier vollzog sich im griechischen Denken als dem uns Deutschen am ehesten voranleuchtenden jene verhängnisvolle Kehre, die für die Philosophie des Abendlandes entscheidend wurde:
Mit dem Konzept eines Welterschaffungsdogmas aus dem Nichts verließen die Griechen ihr archaisches Ahnen zugunsten des scheinbar logisch-zwangsläufigen Konstruierens von Welt.
Die Griechen verließen die reine Naturphilosophie , die immer alles als gegeben betrachtete, eben Pantheismus war, und konstruierten fortan einen ersten Beweger, einen Demiourgos, sie konstruierten wie die Juden und Babylonier vor ihnen die Erschaffung der Welt als einen Willensvorgang gegen die Natur. (Die Darstellungen schwanken hier zwischen einem durch Gott eingesetzten Erschaffer der Welt und Gott selbst, wobei die Logik eher für einen eingesetzten Weltenerschaffer spricht, denn über dessen Nichtgottgleichheit ergo Unvollkommenheit läßt sich auch das Böse auf der Welt erklären: Wie sollte etwas Unvollkommenes etwas Vollkommenes erschaffen können? ) Erstaunlicherweise vollzog sich dieser Wandel der Weltwahrnehmung mit dem Aufkommen der Demokratie. Die Demokratie der Griechen wollte vor allem eines: Sie wollte ins Geistige vordringen, scheinbar die Menschen an der Macht und am Geschehen partizipieren - den Bruchteil jedwedes Staatstaates, der überhaupt dafür in Frage kam -, letztlich aber war die griechische Demokratie sintemalen schon das, was Demokratie nothgedrungen sein muß: Herrschaft des Pöbels in kleineren Poleis oder (auch) Herrschaft des Geldes in den meisten größeren. tertium non datur! Der archaische Wettkampfcharakter schwand zugunsten einer Nivellierung des Menschen in einem Ganzen, aus dem selbstbewußten Ich wurde eine ängstlich nach anderen schauende Kreatur des dumpfen Mittelmaßes, mit dieser Eintaktung des einzelnen in die Geschicke des Ganzen schwand das, was Weltwahrnehmung urgründet: Sich als Eins in Allem zu fühlen, sich selbst ins Zentrum des All-Einen zu stellen. Die höchste Weltvernunft, im archaischen Zeitalter noch als unmittelbar wahrgenommenes und den Menschen dahingehend auch strukturierendes Band zwischen seinem Mikrokosmus und der als harmonisch empfundenen Ordnung, wird zugunsten einer auf Vernunftgründen und Verstandestätigkeit sich gerierenden und immanent zweckmäßigen Ordnung definiert. Die demokratische Idiosynkrasie richtet sich gegen alle Autonomen, gegen alle, die über sich selbst herrschen wollen, weil sie doch dann eventuell die Verstandesordnung gefährden könnten... Ein demokratischer Misarchismus, wie Nietzsche das nannte, will bis ins Geistige vordringen und den Verstand gefügig machen, dem Gleichheitspostulat unterjochen, den einzelnen somit seiner Freiheit berauben, ja, sicher, ihm schon eine neue gebend, die aber nur, um ihn einzutakten, damit er funktioniert und die Geldbesitzenden weiter ihren Geschäften nachgehen können. Moralisch handelt, wer nützt! Das ist der Tod der Griechen gewesen, von nun an standen sie neben sich und mußten als ihrem Wesen Mißliebige von sich Wesensgleichen - Afrikanern, Juden, Kelten, Persern, Römern, Skythen - früher oder später gefressen werden.
Das sind Vorgänge, die sich in der Weltgeschichte wiederholen. Oberflächliche Naturen wollen daraus ein Entwicklungsgesetz ableiten können, demagogische Dummköpfe mutmaßeln Fortschritt. Und die größten Dummköpfe sprechen von Stadien jeder Kultur, die immer im Zerfall enden müßten. Dieselben Dummköpfe verkennen die Nachwirkung jedes Gedankens, der einmal von den Menschen aufgenommen wurde, verkennen das Fortwirken des empfangenen Wortes in jeder neuen Produktion menschlicher Schöpfungskraft. Doch dazu später. Verfolgen wir die Entwicklungsgeschichte der Metaphysik als dem grundlegenden Baustein jeder Philosophie und, in diesem speziellen Falle, die Bedeutung der Metaphysik für die Ethik weiter.
Metaphysisch dasein heißt fragen. Fragen zieht Antwortung nach sich. Antwortung will systematisiert sein, sucht nach Anfängen, Prämissen. Im Umkehrschluß für Nachgeborene Analyse. Es existiert dieser enge Zusammenhang zwischen Erfahrungswissenschaft und Metaphysik. Erfahrungswissenschaft will gar nichts, sie ist, ist Methode. Metaphysik ist Gründung und ihrem Wesen nach Willensbeschreibung, ist somit in einem empirischen Sinne gar nichts! Das Wollen aber ist in unserer Ethik entscheidend, denn das Sein ändert sich, das Nichts aber bleibt vage und eigentlich Ahnung. Um die aber geht es letzten Ende immer. Sind es nicht die Ahnungen, die das Tun des Menschen bestimmen? Und sind vollständige Analysen des Daseins, worum es in Erfahrungswissenschaften immer gehen wird, nicht nur Brotkrümelei, verloren, wenn das, was Krümel zusammenhält, nicht wenigstens in der Ahnung mitgedacht wird?
Der verhängnisvolle Paradigmenwechsel in der griechischen Philosophie (von der Naturphilosophie, die alles als gegeben voraussetzte, zur Schaffungstheorie aus dem Nichts) war glücklicherweise kein vollständiger. Etwas blieb. Die Griechen setzten weiterhin auf Anschauung, auf individuelle Lebenswahrnehmung, auf Schönheit. Nur so ist die endlose Zahl von Ethiken zu begreifen, die allesamt auf ästhetische Weltwahrnehmung setzten, immer in gewisser Weise lebensbejahend, ob nun in gegenständlicher Wollust am Dasein oder in strikter Verneinung desselben. Die Griechen wollen immer vereinen, anderes aufnehmen, Denken anschauen in einer Theoria, sie suchen die Auseinandersetzung; ein letzter Rest archaischer Agon schwingt da mit; Selbstbehauptung. Das, was angeschaut werden kann, sind die Konkretationen im Dasein: Pflanzen, Tiere, vorgestellte Atome, Plastiken oder auch Tonnengewölbe. Sie sind manifestierbar vor dem geistigen Auge, welches Ort und Stunde selbständig festlegen kann durch Benennung. Das Benannte kann dem geistigen Auge immer wieder erzeugt werden, die Assoziativität des Begreifens durch den aufgerufenen Begriff.
Die Römer sind da von einer ganz anderen Art: Sie haben keine einzige wirkliche Philosophie hervorgebracht - wie im übrigen die Amerikaner unserer Tage auch keine eigene Philosophie zuwege brachten oder bringen werden. Es war ihr Lebens- und Herrschwille, der ihre Größe und Bedeutung bis in unsre Zeit ausmacht. Der Römer diente dem Ganzen, stellte sich ins Glied und focht die Kämpfe um Machterweiterung. Macht bleibt nie bei sich, als Prinzip gesehen, muß sie wachsen, sich erweitern und andere durchdringen . Kapitalismus. Die Römer durchdrangen die ihnen bekannte Welt mit dem Willen, diese unter ihrem Willen zu strukturieren.
Alle Straßen führen nach Rom.
Die Kraft Roms zeigt sich in Plastiken, im Brücken- und Straßenbau (was die Griechen niemals für sehr nothwendig hielten), in der Statuierung von Regeln und Gesetzen, in der Paraphrasierung dessen, was Eigentum, Macht, Staat, Gewalt, Recht und Ordnung ausmachen. Das war ihre Idee. Es ist die Idee von Zweckmäßigkeit und Utilität, von Dienst und Rechtsformen, die den Alltag anordnen und jedem Menschen einen Platz zuweisen, der bestenfalls seinen Fähigkeiten, schlimmstenfalls nur seinen Fertigkeiten entspricht. Neigungen soll der Mensch in seiner Freizeit nachgehen. Das Individuum steht im Verband, ist Teil, muß sich in eine Ordnung fügen, der es ganz gehört. In diesem Kontext darf es Freiheiten reklamieren.
Metaphysik hat hier keinen Platz. Nur für die Kehrseite des Lebens, für das Totenreich, hat Unmaßgebliches Funktion: Aberglaube, Spukgemär, Haus- und Flurgeister, Familienflüche... Doch das hat mit Metaphysik ungefähr so viel zu tun wie der Hahn mit dem Eierlegen.
Die Römer begriffen den Menschen als Staatsbürger, dem Anlagen eingeboren seien (natura homini ingenuit), die dem Staat zur Nutzung brach lägen. Diese Anlagen befähigen den Menschen, sich einen Kosmos zu bauen, sie sind sein Fundament, auf dem er Welten erbaut. In diesem Imperium gelten Gesetze, an die sich jeder halten muß, somit existiert die Begrifflichkeit der Verantwortung. Und diese Verantwortlichkeit wird bei den Römern ans Recht gebunden, das selbst wieder einem Willensvorgang aus den eingeborenen Anlagen des Menschen entstammt, also gegen Naturzwang steht, jedoch dem eingeborenen Willenszwang (ein ähnliches Oxymoron wie Westorientierung) folgen muß. Ein unerschütterliches Wissen um Allgemeinbegriffe schafft Ordnung auf der Welt und garantiert Gottvertrauen.
Und das ist seither die Bedeutung der Metaphysik: Sie befaßt sich mit den Grundlagen des Denkens, mit Eingeborenem und Vorgefundenem, will das erforschen und anschauen, schließlich in Worte und ein System fassen.
Leben kann für sich bestehen, bleibt aber (ethisch) leer. Der Mensch hat dieses darüber hinausreichende Vermögen, in das Leben hinein wollen (wichtig, dies hier getrennt, per se, zu betrachten) zu können.
Der Wille des Menschen muß sich in der Natur verwirklichen. Für sich genommen ist der Geist ebenso (ethisch) leer - in meiner lebenstoten Phantasie kann ich mir ausmalen, wie es sich lebendig leben läßt, doch einmal herausgelassen aus der Brust, gehört mein Wollen jenen tückschen Mächten an, die stets nur töten und vernichten wollen, um ihren Stärksten zu erweisen, der lebenslang drauf rechnen muß, von einem Stärkren noch herausgefordert zu werden; die Kraft ist das Prinzip, nicht ein Wollen -, aber er ist dem Leben vorbedeutend (propädeutet), er kann es bilden und prägen. Nur schwachen Geistern geschieht das Leben, weshalb diese auch als böse Geister gelten. Sie können es nicht selbst bilden, also lassen sie sich prägen. Das Leben (Natur) selbst ist in diesem Sinne böse, weil ungerichtet, immer den kleinsten Widerstand suchend, immer gegen den Willen des Wollenden aufbegehrend.
Genau dies war und ist das Problem: Wie läßt sich Natur zwingen?
Mittelbegriffe ständen das Recht und der Verstand. Aber sie können nicht dem Geist genügen. Der Geist sucht seinen Willen, sucht sich in den Artikulationen des Seins, in der Natur. Der Mensch steht allein, in allen Artikulationen dieses allgewaltigen Lebens, steht allein allem Sein und Dasein gegenüber, ist selbst Kosmos und allein im Kosmos.
Alles Leben ist beseelt. Es gibt keine Ausnahmen. Keine Stufen. Keine Ränge des Menschseins. Mensch ist Mensch. Keine Ausnahme! Menschsein kann nicht verwirkt werden. (Wohl aber erachten wir die Todesstrafe - verwirktes Leben - für Mörder und dergleichen als sinnvoll an.)
Alles Lebendige strebt, drängt sich in die Welt, will sich behaupten. Es ist ein Gefühl, hier allerdings existieren Stufen, nach Rasse und Art, innerhalb der Rasse etc., Stufungen. Hin zum Licht! Hin zum Wasser! Hin zu Gott! Der Grund ist zumeist unbewußt, aber hier ist das besonders wichtig, damit der Wille selbst rein bleibt und seine größtmögliche Kraft in Raum und Zeit entfalten kann. Dieser Wille durchzieht die gesamte Natur bis hin zum Menschen. Es ist eine Spielfläche mit Hin- und Rückmeldung. Die Natur gibt ungewollte - denn sie kann nicht wollen, sie folgt -, streng ihren Gesetzen folgende Zeichen an das wollende Ich zurück, das diese aufnimmt und das eigene Handeln modifiziert. Wer dies am besten vermag, wird sich in dem Stoff NATUR am besten zurechtfinden und weiterentwickeln, will hier heißen seinem eigenen Wollen den bestmöglichen Lebensrahmen schaffen können. Geben und nehmen.
Das fällt nicht in den leeren Raum, sondern es sind Erinnerungen vorhanden, die Instinkte, die das sind, weil sie zu Assoziationen fähig sind. Dieses Vermögen besitzt nicht nur der Mensch, sondern alles Leben (Pflanzen und Tiere), der Mensch aber ist als einziges Lebewesen in der Lage, sich darüber bewußt zu werden; sein Handeln kann aus Instinkt erfolgen, kann aber auch ein bewußter Akt sein, der die Instinkte selbst weiterentwickelt, modifiziert. Der Mensch ist hierin Glied einer Kette. Sein Leben ist insofern Pflicht, als daß er Erfahrungen sammeln muß, die er durch Fortpflanzung beziehungsweise Belehrung an die Nächstgeborenen weitergibt.
Zum Streben und zur Assoziativität tritt beim Menschen der Geist. Geist ist Akt. Geist ist gezwungenermaßen aktiv.
Geist und Trieb sind Antipoden, aber nicht antagonistisch. Sie suchen und bedingen einander, bekämpfen und brauchen einander. Der Geist sucht die Herausforderung, der Trieb will sie ebenfalls. Beide können den Kampf nicht gewinnen, aber letztlich ist es der Geist, der den Trieb modelt und sich selbst dadurch seinem Ziel, der Empfindung des Schönen und der Bildung des Schönen zum Zwecke der Freiheitsbewußtwerdung in der Welt, näherbringt. Der Trieb kann unterstützend wirken, Katalysator sein. Den Stoff bietet die Natur.
Geist ist also zweierlei, einmal Wirkung als Akt in Raum und Zeit, diese dadurch erst bildend und zum zweiten Auseinandersetzung mit dem Trieb, diesen hemmen wollend, letztlich aber immer darauf achtend, den Trieb nicht zu einem Handlanger zu machen, also sich selbst den Widerstand, der nothwendig ist, um sich selbst zu bewegen, außer Kraft zu setzen. Geist ist sich seiner bewußt, Trieb nicht. Trieb will schaffen und vernichten, das ist ihm einerlei, er wirkt den Gesetzen der Natur gemäß, unabdingbar, unreflektierend und immerzu, so Geist ihn läßt. Trieb und Geist sind jeweils unzerstörbar, können aber verkümmern. Und, um dies eindeutig zu sagen: Der Geist kann mehr als der Trieb. Der Trieb kann gar nichts, er muß sich selbst folgen, der Geist kann auch neben sich stehen.
Der Geist ist also nur partiell Neinsager zu den Trieben. Der Geist will selbst durchschaut und durchdrungen sein von den Trieben, will sich verbinden im Sinne einer Kraftgewinnung: Vergeistigung der Drangsale.
Jede ernstgemeinte Ethik muß darauf hindeuten, daß darin der Sinn des Lebens liegt!
Es ist hier wichtig zu betonen, daß die sog. Realfaktoren (Blut, Wirtschaft, Macht...) kein Übergewicht über die Idealfaktoren (Geist, Hoffnung, Freiheit...) besitzen. Das Wirkprimat besitzt der Geist, der aber hohl und leer bleibt, wenn er sich keine Aktualität (Raum und Zeit) schaffen kann. Ob die Materie selbst dem Geist vorgebildet ist, wagen wir zu bezweifeln. Materie ist nachgeordnet, trägt aber in sich ein Wirkprinzip. Gegenseitige Bedingnis.
Wie steht der Mensch als Träger des Geistes in der Seinswelt?
Es ist eine Vergrößerung des menschlichen Mikrokosmos. Das gegenseitige Bedingen und Befruchten erhält hier einen größeren Rahmen. Ob der Mensch nun in eine Verantwortung zur Verwaltung des Seins treten muß, wagen wir nicht zu behaupten. Aus seinem Ich heraus muß er, andererseits ist das göttliche Sein in der Lage, den Menschen zu bestrafen, ihm also mit Vernichtung zu drohen, weshalb diese Frage der Seinserhaltung eher in den Bereich des Verstandes gehört, denn ethische Fragen berührt. Eine in diesem Sinne artikulierte Ethik der Verantwortung ist also Humbug. Das ist alles.
Bei der Wechselwirkung muß gefragt werden, welches vorgelagert ist. Der Geist bedarf zur Entwicklung seiner selbst der Materie. Das ist das ganze Geheimnis. So könnte er, und er kann auch nichts ohne Materie. Die Materie wiederum ist nur Stoff, allerdings wirkt in ihrem Stoff der bereits in ihr gewirkt habende Geist, wodurch die Ideeierung des Stoffes Ziel und Zweck des Weltganges ist. Der Mensch steht im Weltganzen als agens, nimmt an, auf und entwickelt weiter. Er erkennt, schaut sich selbst und andere(s) an, nimmt eine Position ein, muß sich erweisen und weiterentwickeln. Das höchste Seiende steckt im niederen, es wirkt durch die Zeiten, modifiziert sich, muß aber erkannt werden. Das Wirkseiende ist manchmal verborgen, darin liegt ein Dilemma für den Suchenden, gleichzeitig jedoch ist dieses Hemmen nur Stachel im Fleische.
Die Körperwelt ist eine Bilderwelt, Abbilder und Phantasmagorien gleichermaßen. Die Bilder drängen ins Bewußtsein und schaffen sich einen Raum, in dem sie sind. Der Mensch trägt diese Bilder mit sich, sie sind in ihm, überkommen (dagegen kann er nichts machen, ist in diesem Sinne Enkel) und müssen jeweils modifiziert werden (daran kann er und muß er arbeiten, ist in diesem Sinne Ahne), aber sie sind aus seinem tiefsten Grund, idealiter. Der Mensch hat Besitz, muß sich diesen Besitz aber immer wieder neu erarbeiten. Das Erarbeitete wirkt auf die Bilder, die unabhängig vom Menschen weiterexistieren. Des Menschen Abbild seiner Arbeit am Wort- und Bildwerk und die überkommenen Bilder korrespondieren. Der Drang des einzelnen und der Drang des allgemeinen Wollens schaffen existentielles Alleben. Wir Menschen nehmen Anteil, sind interessiert an den Dingen um uns her, weil wir selbst Teil des Ganzen sind, im kleinen. Die Bilder selbst tragen in sich den Auftrag Gottes, zu sich zu finden. Eine vollkommene Bewegung. Der Kreis. Auf dem Wege Fährnisse.
Diese Ethik will keine formelle sein. Sie ist gegenständlich, ans Tun und Ergreifen gleichermaßen gebunden. Der Mensch ist in der Lage, Substanzielles, Ursprüngliches, Urmaterielles, Bilder anzuschauen, teilzuhaben an einer Gesamtschau der Dinge. Der Mensch ist dadurch aufgerufen, in den Drang gesetzt - ja, das Anschauen selbst evoziert Liebe , den Drang, es in sich aufzunehmen, Hingezogenheit zum Schönen! -, Hand anzulegen, sich Zugang zu den Werten zu schaffen, die ihn und andere gestalten.
Der Zugang selbst erfolgt nicht über den Verstand, dem das Reich der Erkenntnis zugeordnet werden muß, sondern über Gefühl und Phantasie. Eine verstandesorientierte Ethik muß sich letztlich selbst zerstören, weil sie dem Menschen einen Zweck unterschieben muß, will sie sich selbst (als Verstand) ernst nehmen. Denn der Verstandesorientierte muß, ja, er muß immer auch nach dem Gegenteil fragen, abwägen, relativieren, das jeweils kontextabhängige Beste wählen, entscheiden, muß sich einfügen und anpassen für ein eventuell Besseres. Diese Ethik lehnen wir rigoros ab, sie ist Teufelswerk und dem Menschen ungemäß, muß ihn früher oder später unglücklich machen. Ein Mensch, der immer erst nach den Umständen fragen muß, kann jederzeit umgestimmt werden, ist nur ein armes Würstchen in der Hand derer, die das Handwerk der Manipulation beherrschen, argumentieren können. Menschen dieser Ethik sind eingetaktet in einen Wirtschaftskreislauf, sind ein jederzeit austauschbares Rädchen im Getriebe dessen, was Welt heißt, funktionieren nur für Wirtschaft, Werbung und alternative Wolkenkuckucksheime. Ein solcher Mensch lebt nicht und ist nicht frei, auch nicht der, der die Macht besitzt und anscheinend anderen sagt, was sie zu tun oder zu lassen haben. Denn auch dieser Mensch der Macht ist dazu verurteilt, die Regeln politischer oder ethischer Korrektheit einzuhalten, er ist dadurch nicht frei, sondern nur ein Handlanger der Regeln, die er selbst nicht setzen darf, nur benutzen.
Wenn der Mensch bei dieser Art von Ethik, die sich mit englischen und amerikanischen Utilitaristen verbindet, diesen Zweck nicht erfüllt, dann muß sie strafen. In unserer Ethik gibt es keine Strafe, kein Regelwerk, keinen Formalismus. Normen und Imperative finden sich in der Wirklichkeit, die individuell erfaßt wird, die nur im einzelnen selbst erfaßt werden kann. Der Mensch setzt sich Werte durchs Gefühl, nimmt Anteil am Weltwesen der Urphänomene. –
Unsere Ethik steht gegen Kant: Eine Autonomie der sittlichen Person ist unsinnig, wenn sie abstrakt einen Widerspruch (der zwischen der menschlichen Natur in all ihrer Zweigeteiltheit und der Distinktion zur freien Neigung) vorausbildet und deshalb ein Regelwerk fürs praktische Handeln aufstellt, was den Menschen zwängt und zuerst phantasielos machen muß, bevor es ihm dieses Recht zur Phantasie wieder zugestehen will. So stehen wir für die Autonomie des sittlichen Willens, nicht für die Autonomie der sittlichen Person. Die sittliche Person hat bereits ein Regelwerk akzeptiert, das den Willen ausschaltet, nach Kant ausschalten muß, weil er den Menschen als zu Zähmendes einschätzt. Wie wollte der Mensch bei einer vernunftgesteuerten Ethik noch unbescholten anschauen? Anschauung aber ist der Anfangspunkt sittlichen Handelns! Angenehmes und Nützliches als Zielpunkte ethischen Handelns stehen abseits. Unsere Ethik zielt nicht aufs Angenehme, denn das Angenehme selbst ist nicht von lebendigem Interesse in der Welt der Bilder; es ist eine Augenblickserscheinung, die nur oberflächlich bleibt, zuweilen angenehmer Umstand der tieferen Sinnsuche. Unsere Ethik zielt auf Freiheit und Schönheit, auf die Anschauung der Urphänomene und die aktive Erzeugung von Energie in Formen des Raumes, Zeiten überdauernd, auf Akzeptanz des Vergangenen als Teil des Eigenen, auf Forschung nach den Spuren, auf Erzeugung des Künftigen im Gewande des Gegenwärtigen, auf Entwürfe und das Ausleben seiner selbst.
Die Werte sind Teil von beidem, stehen nicht zwischen Wirklichkeit und Bewußtsein, wie Scheler dies meinte: Anschauung bedarf des Wirklichen, um angeschaut zu werden; das Bewußtsein selbst speist sich aus dem Wirklichen, drängt aber auch darauf ein. Die Zwischenglieder zwischen Wirklichkeit und Bewußtsein sind und anderem die ethischen Lebenswerte. Sie bilden die Sphäre dynamischer Drängnis, hier herrschen auch Tod und Verwesungsprunk, gleichermaßen drängen neue Impulse in das Totgeglaubte, und siehe: Es lebt!
In unserer Ethik gibt es Fragen. Sie ist nicht fertig, nur auf dem Weg. So stellt sich die Frage nach dem Primat der Werte. Welche Werte sind die wichtigsten, gibt es Reihungen, Stufen der Werte, wenn ja, welche? Setzt sich der einzelne die Wertstufen selbst? Kann der Mensch das Werten unterlassen (im Sinne des Positivismus und gegen Nietzsche) und sich nur am Anblick des Schönen und Wertvollen erfreuen, wohl wissend, daß Anschauung bereits Quell seiner Freiheit ist? (Und um nichts anderes als die Freisetzung des Ichs geht es in jeder ernstgemeinten Ethik.) Gibt es Grade der Freiheit? Grade des Schönen?
Fragwürdig ist eine nationale Ethik! Der Mensch kann in einem nur nationellen Rahmen nicht dauerhaft ethisch-politisch handeln, denn dies würde ihm von außen einem Zweck subordinieren, der sich nicht mit den Bildern vereinbaren ließe. Der Mensch als Wesen muß also jenseits solcher „Phantasmagorien“ wie Nation oder Rasse stehen. - In dieser Frage aber besteht noch Forschungsbedarf. -