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verantwortung

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 Diese Entschuldigungen würden die Zurechnungsfähigkeit (Imputabilität) des [[einzelne#einzelnen]] beeinträchtigen; eine solche Beeinträchtigung des einzelnen war den Frühgriechen jedoch [[fremd]], denn jeder stand mehr oder weniger in einem Wirkgewebe ihn lenkender [[Götter]], des Schicksals, so daß die Tat als solche in keinem Falle einem eigenen [[Wille]]n entstammte, andererseits jede seiner taten nur dem Eigenwillen entstammten, durch den die Götter straften oder lobten, auch spielten. Letztlich zählte allein die Tat, und diese wurde dann auch streng kanonisch beurteilt.  Diese Entschuldigungen würden die Zurechnungsfähigkeit (Imputabilität) des [[einzelne#einzelnen]] beeinträchtigen; eine solche Beeinträchtigung des einzelnen war den Frühgriechen jedoch [[fremd]], denn jeder stand mehr oder weniger in einem Wirkgewebe ihn lenkender [[Götter]], des Schicksals, so daß die Tat als solche in keinem Falle einem eigenen [[Wille]]n entstammte, andererseits jede seiner taten nur dem Eigenwillen entstammten, durch den die Götter straften oder lobten, auch spielten. Letztlich zählte allein die Tat, und diese wurde dann auch streng kanonisch beurteilt. 
  
-Der erste [[Philosoph]], der den Begriff der Verantwortung zu fassen suchte, war [[Anaximander]]. Er setzte das [[Apeiron]], jenes unbestimmte, [[ewig]] quellende Unendliche. Dieses unbestimmte, qualitätslose Apeiron scheidet zunächst die vier Anaximandrischen Grundelemente ([[Feuer]], Wasser, [[Erde]] und Luft) aus sich aus, und zwar als durchaus gleichberechtigte, freie, für ihr Tun verantwortliche persönliche [[Wesen]]. Er erläutert näher: Würden sich diese nun auf ihr [[Dasein]] in der jedem von ihnen zugewiesenen (!) [[Sphäre]] beschränken, so geschähe kein [[Unrecht]] in der Welt. So aber verwandelt jedes der [[Element]]e Teile der anderen in sich, indem es in deren [[Form]] erscheint (z.B. Wasser im Meeresschlamm) und tut dieser dadurch Abbruch; schafft somit Unrecht. +Der erste [[Philosoph]], der den Begriff der Verantwortung zu fassen suchte, war [[Anaximander]]. Er setzte das [[Apeiron]], jenes unbestimmte, [[ewig]] quellende Unendliche. Dieses unbestimmte, qualitätslose Apeiron scheidet zunächst die vier Anaximandrischen Grundelemente ([[Feuer]], Wasser, [[Erde]] und Luft) aus sich aus, und zwar als durchaus gleichberechtigte, freie, für ihr Tun verantwortliche persönliche Wesen. Er erläutert näher: Würden sich diese nun auf ihr [[Dasein]] in der jedem von ihnen zugewiesenen (!) [[Sphäre]] beschränken, so geschähe kein [[Unrecht]] in der Welt. So aber verwandelt jedes der [[Element]]e Teile der anderen in sich, indem es in deren [[Form]] erscheint (z.B. Wasser im Meeresschlamm) und tut dieser dadurch Abbruch; schafft somit Unrecht. 
  
-Eine eindeutige Ausrichtung der Verantwortlichkeit auf die [[Glückseligkeit]] nimmt [[Pythagoras]]. Verantwortung zu haben beziehungsweise zu fühlen ist Pythagoras notwendige Voraussetzung zur Erlangung des [[Glück]]s (Eudaimonie): „Den Pfad der [[Wahrheit]] [aus [[Pindar]]Pythagoras 3, 103] zu beschreiben, der zum Ziele führt mit Maß in allen Dingen, aber doch so, daß man sich die Lust am [[Leben]] nicht verkümmern läßt und froh die Gaben der Götter genießt, ist allein Sache des für sein Tun Verantwortlichen und sich [[selbst]] die [[Vollendung]] schuldenden Menschen.“+Eine eindeutige Ausrichtung der Verantwortlichkeit auf die [[Glückseligkeit]] nimmt [[Pythagoras]]. Verantwortung zu haben beziehungsweise zu fühlen ist Pythagoras notwendige Voraussetzung zur Erlangung des Glücks (Eudaimonie): „Den Pfad der [[Wahrheit]] [aus [[Pindar|Pindars]] Pythagoras 3, 103] zu beschreiben, der zum Ziele führt mit Maß in allen Dingen, aber doch so, daß man sich die Lust am [[Leben]] nicht verkümmern läßt und froh die Gaben der Götter genießt, ist allein Sache des für sein Tun Verantwortlichen und sich [[selbst]] die [[Vollendung]] schuldenden Menschen.“
  
 [[Gorgias]], ein [[Sophist]], stellte sich die Frage nach der [[Motivation]] des Handelns.  [[Gorgias]], ein [[Sophist]], stellte sich die Frage nach der [[Motivation]] des Handelns. 
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 Gorgias differenzierte zwischen aus dem Menschen resultierendem und von außen motiviertem [[Handeln]]. Somit verschiebt sich der Bewertungsblickwinkel.\\ Gorgias differenzierte zwischen aus dem Menschen resultierendem und von außen motiviertem [[Handeln]]. Somit verschiebt sich der Bewertungsblickwinkel.\\
 Zum Vergleich: In der Frühzeit war alleiniges Kriterium nicht ein zufälliger individueller Anlaß, sondern einzig und allein die Tat.\\ Zum Vergleich: In der Frühzeit war alleiniges Kriterium nicht ein zufälliger individueller Anlaß, sondern einzig und allein die Tat.\\
-Aber eines bleibt bestehen: Die göttliche [[Weltordnung]] impliziert das Unrecht; das [[Recht]] entsteht mühsam als ein Ausgleichsmoment. Dike verbringt als Garantin der Ordnung die [[Zeit]] vor dem Vaterstuhl, um die Durchsetzung der geschaffenen Ordnung flehend. Die Verantwortung des Menschen verschließt sich angesichts des [[Bewußtsein#Bewußtseins]] eines Vornehereingestraftseins: /wesenicht geboren zu sein wäre das beste; das zweitbeste, früh zu [[sterben]]//. - Dike geht weinend durch die Straßen.\\+Aber eines bleibt bestehen: Die göttliche [[Weltordnung]] impliziert das Unrecht; das [[Recht]] entsteht mühsam als ein Ausgleichsmoment. Dike verbringt als Garantin der Ordnung die [[Zeit]] vor dem Vaterstuhl, um die Durchsetzung der geschaffenen Ordnung flehend. Die Verantwortung des Menschen verschließt sich angesichts des [[Bewußtsein#Bewußtseins]] eines Vornehereingestraftseins: //nicht geboren zu sein wäre das beste; das zweitbeste, früh zu [[sterben]]//. - Dike geht weinend durch die Straßen.\\
 Dieses [[Hesiod#Hesiodsche]] Bild nahm der Rechtsgelehrte [[Solon]] auf. Dikes Auftrag gemäß will er die gerechte Polis-Ordnung herstellen. Das ist ein eindeutig ethisch begründetes und damit bewußt verantwortliches Verhältnis von [[Individuum]] und [[Gemeinschaft]]. Solon steht auf dem [[Fundament]] der archaischen Frühzeit, d.h., die gerechte Verteilung findet mechanisch statt. Das bedeutet folgendes:\\ Dieses [[Hesiod#Hesiodsche]] Bild nahm der Rechtsgelehrte [[Solon]] auf. Dikes Auftrag gemäß will er die gerechte Polis-Ordnung herstellen. Das ist ein eindeutig ethisch begründetes und damit bewußt verantwortliches Verhältnis von [[Individuum]] und [[Gemeinschaft]]. Solon steht auf dem [[Fundament]] der archaischen Frühzeit, d.h., die gerechte Verteilung findet mechanisch statt. Das bedeutet folgendes:\\
 Die [[Strafe]] am Störer der Rechtsordnung haftet nicht allein am Täter, sie wird in (!) der Welt eingefordert. Die Strafe haftet somit nicht persönlich; es ist eine [[Sühne#Sühneleistung]] für die gestörte Rechtsordnung. Es wird nicht die [[Person]], sondern die Tat zur Verantwortung gezogen. Solons Ansatzpunkt lautet: Die Ordnung ist Bedingung für die Verantwortung, nicht die [[Freiheit]] der Person. \\ Die [[Strafe]] am Störer der Rechtsordnung haftet nicht allein am Täter, sie wird in (!) der Welt eingefordert. Die Strafe haftet somit nicht persönlich; es ist eine [[Sühne#Sühneleistung]] für die gestörte Rechtsordnung. Es wird nicht die [[Person]], sondern die Tat zur Verantwortung gezogen. Solons Ansatzpunkt lautet: Die Ordnung ist Bedingung für die Verantwortung, nicht die [[Freiheit]] der Person. \\
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 Verschieden von bislang herkömmlichen Auffassungen ist die [[Verschiebung]] der Freiheit unter die Fuchtel des Handelns. Freiheit wird dem Handeln nicht mehr vorangestellt, sondern tritt als [[Charakter]] des Handelns auf. Aristoteles fragt sich: „In welchen Fällen darf man nun von [[Gewalt]] [[sprechen]]? In undifferenzierter Weise doch wohl dann, wenn die [[Ursache]] in den äußeren Umständen liegt und die handelnde Person in keiner Weise mitwirkt. Wie eine [[Handlung]] gegen die andere abzuwägen ist, das ist schwer anzugeben, denn innerhalb der Einzelfälle zeigen sich große Unterschiede.“ (NE 1110 b 1 f. )\\ Verschieden von bislang herkömmlichen Auffassungen ist die [[Verschiebung]] der Freiheit unter die Fuchtel des Handelns. Freiheit wird dem Handeln nicht mehr vorangestellt, sondern tritt als [[Charakter]] des Handelns auf. Aristoteles fragt sich: „In welchen Fällen darf man nun von [[Gewalt]] [[sprechen]]? In undifferenzierter Weise doch wohl dann, wenn die [[Ursache]] in den äußeren Umständen liegt und die handelnde Person in keiner Weise mitwirkt. Wie eine [[Handlung]] gegen die andere abzuwägen ist, das ist schwer anzugeben, denn innerhalb der Einzelfälle zeigen sich große Unterschiede.“ (NE 1110 b 1 f. )\\
-Dieses schwer ist problematisch. Im Original schreibt Aristoteles , d.h.  nicht leicht.  Nicht leicht und schwer scheinen [[Synonym]]e zu sein. Nun ist es aber so, daß die [[Aussage]] über die Schwere eines aufzuzeigenden Sachverhalts Kenntnis beinhaltet: man weiß, wovon man spricht - zwangsläufig. Die Aussage über eine Nichtleichtigkeit der Darstellung eines Sachverhalts zeigt aber lediglich dessen Unkenntnis an: Man weiß nicht zwangsläufig, wovon man spricht. Das ist vielleicht nicht so wesentlich, wesentlich sind jedoch die weiteren Erklärungen, die Aristoteles gibt: In der Nutzanwendung des Unfreiwilligen auf die Unwissenheit gilt als Entscheidungsmoment, ob die Handlung wirklich unfreiwillig gewesen war, das [[Gefühl]] des Unbehagens und Bedauerns, das sich nach erfolgtem Tun einstellen kann. Sittliche Tüchtigkeit entfaltet sich im Bereich der irrationalen Regungen (NE 1109 b 30) und so unterscheidet er: Wer die erfolgte Handlung im nachhinein bedauert, gilt als unfreiwillig Fehlender, sofern es sich um eine Handlung aus Unwissenheit handelt; wer dies nicht tut, wird als nicht freiwillig Fehlender bezeichnet. „Der [[Vollzug]] einer Handlung, die auf [[Grund]] von Unwissenheitsformen als unfreiwillig bezeichnet wird, muß Mißbehagen und nachträgliches [[Bedauern]] mit sich bringen... Als unfreiwillig gilt also, was unter Zwang und auf Grund von Unwissenheit geschieht. Dementsprechend darf als freiwillig das angesehen werden, dessen bewegendes Prinzip in dem Handelnden selbst liegt, wobei er ein volles Wissen von den Einzelumständen der Handlung hat.“ (NE 1111 a 22 ff.)\\+Dieses schwer ist problematisch. Im Original schreibt Aristoteles , d.h.  nicht leicht.  Nicht leicht und schwer scheinen Synonyme zu sein. Nun ist es aber so, daß die [[Aussage]] über die Schwere eines aufzuzeigenden Sachverhalts Kenntnis beinhaltet: man weiß, wovon man spricht - zwangsläufig. Die Aussage über eine Nichtleichtigkeit der Darstellung eines Sachverhalts zeigt aber lediglich dessen Unkenntnis an: Man weiß nicht zwangsläufig, wovon man spricht. Das ist vielleicht nicht so wesentlich, wesentlich sind jedoch die weiteren Erklärungen, die Aristoteles gibt: In der Nutzanwendung des Unfreiwilligen auf die Unwissenheit gilt als Entscheidungsmoment, ob die Handlung wirklich unfreiwillig gewesen war, das [[Gefühl]] des Unbehagens und Bedauerns, das sich nach erfolgtem Tun einstellen kann. Sittliche Tüchtigkeit entfaltet sich im Bereich der irrationalen Regungen (NE 1109 b 30) und so unterscheidet er: Wer die erfolgte Handlung im nachhinein bedauert, gilt als unfreiwillig Fehlender, sofern es sich um eine Handlung aus Unwissenheit handelt; wer dies nicht tut, wird als nicht freiwillig Fehlender bezeichnet. „Der [[Vollzug]] einer Handlung, die auf [[Grund]] von Unwissenheitsformen als unfreiwillig bezeichnet wird, muß Mißbehagen und nachträgliches [[Bedauern]] mit sich bringen... Als unfreiwillig gilt also, was unter Zwang und auf Grund von Unwissenheit geschieht. Dementsprechend darf als freiwillig das angesehen werden, dessen bewegendes Prinzip in dem Handelnden selbst liegt, wobei er ein volles Wissen von den Einzelumständen der Handlung hat.“ (NE 1111 a 22 ff.)\\
 Wer sich selbst mächtig ist, wer um sich und sein [[Wollen]] weiß, trägt das bewegende Prinzip erkannt in sich und weiß um sein Handeln, ist also frei. Der wichtigste Begriff der Zusammenfassung voriger Seiten ist Einzelumstände. Sie führen zur Entscheidung, und mit nämlicher befaßt sich Aristoteles auf den folgenden Seiten.\\ Wer sich selbst mächtig ist, wer um sich und sein [[Wollen]] weiß, trägt das bewegende Prinzip erkannt in sich und weiß um sein Handeln, ist also frei. Der wichtigste Begriff der Zusammenfassung voriger Seiten ist Einzelumstände. Sie führen zur Entscheidung, und mit nämlicher befaßt sich Aristoteles auf den folgenden Seiten.\\
 Die sittliche Grundentscheidung steht in ganz besonders engem Verhältnis zur sittlichen Tüchtigkeit und gilt für einen noch besseren Prüfstein der Charaktere als die Taten. (NE 1111 b6 f.) Mit diesem Gedanken verabschiedet sich Aristoteles endgültig von den Verantwortung betreffenden Grundintentionen seiner philosophiegeschichtlichen Vorgänger. Die Entscheidung muß grundsätzlich wirken. Das ist neu in Griechenland. Für die Altvorderen war die Tat entscheidend; das Befähigtsein zu dieser Tat beziehungsweise die Motivation spielten keine [[Rolle]]. Aristoteles aber weist dem Begriff der Entscheidung Eliminierungen zu, die die Freiwilligkeit einer Handlung beschränken: \\ Die sittliche Grundentscheidung steht in ganz besonders engem Verhältnis zur sittlichen Tüchtigkeit und gilt für einen noch besseren Prüfstein der Charaktere als die Taten. (NE 1111 b6 f.) Mit diesem Gedanken verabschiedet sich Aristoteles endgültig von den Verantwortung betreffenden Grundintentionen seiner philosophiegeschichtlichen Vorgänger. Die Entscheidung muß grundsätzlich wirken. Das ist neu in Griechenland. Für die Altvorderen war die Tat entscheidend; das Befähigtsein zu dieser Tat beziehungsweise die Motivation spielten keine [[Rolle]]. Aristoteles aber weist dem Begriff der Entscheidung Eliminierungen zu, die die Freiwilligkeit einer Handlung beschränken: \\
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