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hoffmann [2014/06/21 14:58] – Robert-Christian Knorr | hoffmann [2025/02/13 16:52] (aktuell) – [Ernst Theodor Amadeus Hoffmann] Robert-Christian Knorr |
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[[Dichter]]\\ | [[Dichter]]\\ |
- entwirft den titanischen Bohemien als Ja zur Freude und Nein zum [[Philistertum]]\\ | - entwirft den titanischen Bohemien als Ja zur Freude und Nein zum [[Philistertum]]\\ |
- besitzt eine [[Neugier]] am Grenzverlust des Spießers, doch bleibt die [[Suche]] nach [[Gott]] ziemlich hoffnungslos und bloß rezeptionsästhetisch, psychologisierend → Hoffmann besaß ein erkenntnistheoretisches [[Interesse]] an der Nachtseite des [[Mensch#Menschen]], der er mit Artistik im modernen [[Sinn#Sinne]] begegnen wollte: er schlug mit seiner [[Literatur]] eine Kerbe in das damalige Überzeugungsgefüge des Menschen\\ | - besitzt eine [[Neugier]] am Grenzverlust des Spießers, doch bleibt die [[Suche]] nach [[Gott]] ziemlich hoffnungslos und bloß rezeptionsästhetisch, psychologisierend → Hoffmann besaß ein erkenntnistheoretisches [[Interesse]] an der Nachtseite des [[Mensch#Menschen]], der er mit [[Artistik]] im modernen [[Sinn#Sinne]] begegnen wollte: er schlug mit seiner [[Literatur]] eine Kerbe in das damalige Überzeugungsgefüge des Menschen\\ |
- eine starke antiklassische [[Tendenz]] durch den Gebrauch verschiedener Gattungen in einem [[Werk]]: Gattungsunreinheit beziehungsweise Verwendung verschiedener Sujets\\ | - eine starke antiklassische [[Tendenz]] durch den Gebrauch verschiedener Gattungen in einem [[Werk]]: Gattungsunreinheit beziehungsweise Verwendung verschiedener Sujets\\ |
- mied die großbürgerlichen Teegesellschaften, z.B. die der [[Varnhagen]], und zog die [[Gesellschaft]] in Kneipen vor → sein einstiger Freund [[Hitzig]] aus Warschauer Zeiten zieh Hoffmann deswegen des [[Antisemitismus]]\\ | - mied die großbürgerlichen Teegesellschaften, z.B. die der [[Varnhagen]], und zog die [[Gesellschaft]] in Kneipen vor → sein einstiger Freund [[Hitzig]] aus Warschauer Zeiten zieh Hoffmann deswegen des [[Antisemitismus]]\\ |
| - bildete seinen eigenen Kosmos in einer [[https://www.l-w-berlin.de|Kneipe]] am Gendarmenmarkt aus\\ |
- starke [[Kritik]] von Varnhagen, „wie scheußlich“ und [[Börne]], „Humoralpathologie“\\ | - starke [[Kritik]] von Varnhagen, „wie scheußlich“ und [[Börne]], „Humoralpathologie“\\ |
- auch von den Ästhetikern des 19.Jahrhunderts, [[Vischer]] und [[Hegel]], wird Hoffmann abgelehnt, weil die Verschränkung mit der Lebendigkeit des [[Dasein#Daseins]] sich nicht in [[Freiheit]] löst, sondern spielerisch bleibt → das Dasein verschwiemelt im Dunklen\\ | - auch von den Ästhetikern des 19.Jahrhunderts, [[Vischer]] und [[Hegel]], wird Hoffmann abgelehnt, weil die Verschränkung mit der Lebendigkeit des [[Dasein#Daseins]] sich nicht in [[Freiheit]] löst, sondern spielerisch bleibt → das Dasein verschwiemelt im Dunklen\\ |
- [[Moral]] wird von Hoffmann als Kritik an bestehenden Rechtsverhältnissen angesprochen;\\ | - [[Moral]] wird von Hoffmann als Kritik an bestehenden Rechtsverhältnissen angesprochen; |
- der innere Zwiespalt, die Einsicht in sein [[Wesen]], die [[Sehnsucht]], sich über ihn zu erheben, die [[Kraft]], es zu tun, daraus ging sein [[Humor]] hervor, der seinen Werken die Weihe gibt ([[Huch]]) | - der innere Zwiespalt, die Einsicht in sein [[Wesen]], die [[Sehnsucht]], sich über ihn zu erheben, die [[Kraft]], es zu tun, daraus ging sein [[Humor]] hervor, der seinen Werken die Weihe gibt ([[Huch]]) |
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==== Hoffmann als Beamter ==== | ==== Hoffmann als Beamter ==== |
- war der Immediatkommission zugeteilt, welche zur Untersuchung der demagogischen Umtriebe nach 1814 eingesetzt worden war\\ | - war der [[Immediatkommission]] zugeteilt, welche zur Untersuchung der demagogischen Umtriebe nach 1814 eingesetzt worden war\\ |
- stellte sich mutig gegen die restaurative Politik, indem er von einem Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung aller Gesetze und persönlicher Animosität sprach, die die Restaurativen antreibe\\ | - stellte sich mutig gegen die restaurative Politik, den Zeitgeist, indem er von einem Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung aller Gesetze und persönlicher Animosität sprach, die die Restaurativen antreibe\\ |
- erstellte ein Gutachten über Jahn, in dem er bemüht war, [[Jahn]] zu entlasten und statt dessen den Denunzianten als unzuverlässigen und unmoralischen Menschen hinzustellen | - erstellte ein Gutachten über Turnvater Jahn, in dem er bemüht war, [[Jahn]] zu entlasten und statt dessen den Denunzianten als unzuverlässigen und unmoralischen Menschen hinzustellen\\ |
| - verdiente als Kammergerichtsrat 1600 Taler p.a., etwa 52000 € |
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==== Lehre ==== | ==== Lehre ==== |
- die [[Identität]]sphilosophie von [[Fichte]], wie sie [[Romantiker]] geflissentlich vertraten, wird durch den Einfluß Schuberts zurückgenommen → dualistischer Widerruf\\ | - die Identitätsphilosophie von [[Fichte]], wie sie [[Romantiker]] geflissentlich vertraten, wird durch den Einfluß [[Schubert|Schuberts]] zurückgenommen → dualistischer Widerruf\\ |
- der historische [[Optimismus]] eines Hegel wird psychologisch reduziert → Hoffmann hat keine [[Hoffnung]] auf eins in allem\\ | - der historische [[Optimismus]] eines Hegel wird psychologisch reduziert → Hoffmann hat keine [[Hoffnung]] auf eins in allem\\ |
- die [[Philosophie#romantische Philosophie]] ist nicht [[wahr]], aber ästhetisch → ihr Nutzen liegt in der Nutzung, ABER: das [[Zeitalter#Goldene Zeitalter]] wurde durch Reflexion zerstört und wird überwunden; die [[Phantasie]] baut [[uns]] eine Himmelsleiter, die vom [[Boden]] ausgeht, [[Callot]] \\ | - die [[Philosophie#romantische Philosophie]] ist nicht [[wahr]], aber ästhetisch → ihr "[[Nutzen]]" liegt in der Nutzung, ABER: das [[Zeitalter#Goldene Zeitalter]] wurde durch Reflexion zerstört und wird überwunden; die [[Phantasie]] baut [[uns]] eine Himmelsleiter, die vom [[Boden]] ausgeht, [[Callot]] \\ |
- das [[Thema]] des Dichtens ist [[Sehnsucht]]\\ | - das [[Thema]] des Dichtens ist [[Sehnsucht]] → das überträgt sich auch auf die Musik: konkrete Gegebenheiten, ja auch nur bestimmte Empfindungen darzustellen, ist nicht Aufgabe der [[Musik]]\\ |
- der Mensch ist ein gedoppeltes [[Wesen]] und daher chronisch in einem Spannungsfeld der Prinzipien → möglicher [[Zusammenhang]] der Seiten durch: | - der Mensch ist ein gedoppeltes [[Wesen]] und daher chronisch in einem Spannungsfeld der Prinzipien → möglicher [[Zusammenhang]] der Seiten durch: |
* [[Somnambulismus]] | * [[Somnambulismus]] |
- Subjektivierung ist ein Risiko des Selbstverlustes\\ | - Subjektivierung ist ein Risiko des Selbstverlustes\\ |
- das Bloße sind keine bloßen intellektuellen Ergüsse, sondern auch gefühlsduselige, denn [[Kunst]] kommt aus dem Bauch\\ | - das Bloße sind keine bloßen intellektuellen Ergüsse, sondern auch gefühlsduselige, denn [[Kunst]] kommt aus dem Bauch\\ |
- ihm gelten Offenheit, Gemütstiefe, [[Aufmerksamkeit]], Besonnenheit und [[Fleiß]] etwas | - ihm gelten Offenheit, Gemütstiefe, [[Aufmerksamkeit]], Besonnenheit und [[Fleiß]] etwas\\ |
| - der Mensch ist mit seinen Ahnen verbunden → Gespenster sind nicht tot, denn wir denken über sie an unsere Ahnen oder Menschen, die wir besonders lieben/fürchten |
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=== Hoffmanns Verhältnis zu den Paradigmen des Romans === | === Hoffmanns Verhältnis zu den Paradigmen des Romans === |
=== Kritik Walter Scotts === | === Kritik Walter Scotts === |
- die Aufnahme erfolgte negativ: [[Grund]] war die Gestaltung der unheimlichen Elemente\\ | - die Aufnahme erfolgte negativ: [[Grund]] war die Gestaltung der unheimlichen Elemente\\ |
- Walter Scott bindet in seinem Essay //On the Supernatural in Fictitious Composition// aus dem Jahr 1827 die Darstellung des Übernatürlichen an die Grenzen des Geschmacks und stellt den //Sandmann// als Beispiel einer Erzählung vor, welche diese Grenzen überschreitet. Das Groteske und Phantastische in Hoffmanns Erzählung könne nicht akzeptiert werden, weil es das Schreckliche, das im [[Gegensatz]] zum Schönen nur Überraschung, aber nicht Vergnügen und [[Lust]] bereiten könne, zur ästhetischen Grundlage der Erzählung mache. Hoffmanns Ideen seien keine Visionen eines Dichters, vielmehr seien die unheimlichen Momente im //Sandmann// mit den Fieberträumen eines psychisch Kranken oder den Halluzinationen nach übermäßigem Opiumkonsum zu vergleichen. | - Walter Scott bindet in seinem Essay //On the Supernatural in Fictitious Composition// aus dem Jahr 1827 die Darstellung des Übernatürlichen an die Grenzen des Geschmacks und stellt den //Sandmann// als Beispiel einer Erzählung vor, welche diese Grenzen überschreitet. Das Groteske und Phantastische in Hoffmanns Erzählung könne nicht akzeptiert werden, weil es das [[Schreckliche]], das im [[Gegensatz]] zum Schönen nur Überraschung, aber nicht Vergnügen und [[Lust]] bereiten könne, zur ästhetischen Grundlage der Erzählung mache. Hoffmanns Ideen seien keine Visionen eines Dichters, vielmehr seien die unheimlichen Momente im //Sandmann// mit den Fieberträumen eines psychisch Kranken oder den Halluzinationen nach übermäßigem Opiumkonsum zu vergleichen. |
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==== Rezeption ==== | ==== Rezeption ==== |
- Diejenigen seiner komischen Vorstellungen, die am stärksten übernatürlich, am flüchtigsten sind und die oft den Visionen der Trunkenheit ähneln, haben einen sehr sichtbaren geistigen Gehalt: Man könnte glauben, man hätte es mit einem Physiologen oder mit einem der tiefsinnigsten Irrenärzte zu tun, dem es gefiele, diese tiefe [[Wissenschaft]] in poetische Formen zu kleiden, wie ein gelehrter, der in Fabeln und Gleichnissen spräche.\\ | - Diejenigen seiner komischen Vorstellungen, die am stärksten übernatürlich, am flüchtigsten sind und die oft den Visionen der [[Trunkenheit]] ähneln, haben einen sehr sichtbaren geistigen Gehalt: Man könnte glauben, man hätte es mit einem Physiologen oder mit einem der tiefsinnigsten Irrenärzte zu tun, dem es gefiele, diese tiefe [[Wissenschaft]] in poetische Formen zu kleiden, wie ein gelehrter, der in Fabeln und Gleichnissen spräche.\\ |
- zur [[Synästhesie]]: Ich öffne die //Kreisleriana// des göttlichen Hoffmann, und ich lese dort eine sonderbare Empfehlung. Um eine [[Oper#komische Oper]] zu komponieren, soll sich der gewissenhafte Musiker des Champagners bedienen. Dort wird er die schäumende und leichte Fröhlichkeit finden, die die Gattung verlangt. Religiöse [[Musik]] verlangt Rheinwein oder Jurançon... Hoffmann hatte ein seltsames psychologisches Barometer erfunden, das ihm die verschiedenen Temperaturen und atmosphärischen [[Phänomen]]e seiner [[Seele]] anzeigen sollte... Ich glaube, daß zwischen diesem psychischen Barometer und der Erklärung der musikalischen Qualitäten des Weines eine eindeutige Brüderlichkeit besteht. ([[Baudelaire]])\\ | - zur [[Synästhesie]]: Ich öffne die //Kreisleriana// des göttlichen Hoffmann, und ich lese dort eine sonderbare Empfehlung. Um eine [[Oper#komische Oper]] zu komponieren, soll sich der gewissenhafte [[Musiker]] des Champagners bedienen. Dort wird er die schäumende und leichte Fröhlichkeit finden, die die Gattung verlangt. Religiöse [[Musik]] verlangt Rheinwein oder Jurançon... Hoffmann hatte ein seltsames psychologisches Barometer erfunden, das ihm die verschiedenen Temperaturen und atmosphärischen [[Phänomen]]e seiner [[Seele]] anzeigen sollte... Ich glaube, daß zwischen diesem psychischen Barometer und der Erklärung der musikalischen Qualitäten des Weines eine eindeutige Brüderlichkeit besteht. ([[Baudelaire]])\\ |
| - sein einziger Kunstgriff besteht darin, daß sich vermöge einer Doppelgängerei alles in alles verwandeln kann\\ |
| - er gehört nicht zu den unerschütterlichen Wurzelsenkern unserer Dichtung, sondern zur Literatenliteratur (Engel)\\ |
| - Was leistet er? Er liefert Modelle. Wovon? Von Menschheits- und Menschenerfahrung. ([[Fühmann]])\\ |
- auch er war ein krankhaftes [[Wesen]], dem das Maß fehlt, der sich quält und in Fieberphantasien [[moralisch]] fehlurteilt ([[Gervinus]])\\ | - auch er war ein krankhaftes [[Wesen]], dem das Maß fehlt, der sich quält und in Fieberphantasien [[moralisch]] fehlurteilt ([[Gervinus]])\\ |
- war als Dichter viel bedeutender als [[Novalis]], denn letzterer mit seinen idealischen Gebilden, schwebt immer in der blauen Luft, während Hoffmann, mit allen seinen bizarren Fratzen, sich doch immer an der irdischen [[Realität]] festklammert \\ | - war als Dichter viel bedeutender als [[Novalis]], denn letzterer mit seinen idealischen Gebilden, schwebt immer in der blauen Luft, während Hoffmann, mit allen seinen bizarren Fratzen, sich doch immer an der irdischen [[Realität]] festklammert \\ |
- seine [[Poesie]] war [[Krankheit]]; die Purpurglut in Hoffmanns „Phantasiestücken“ ist nicht die Flamme des [[Genie]]s, sondern des Fiebers ([[Heine]])\\ | - seine [[Poesie]] war [[Krankheit]]; die Purpurglut in Hoffmanns „Phantasiestücken“ ist nicht die Flamme des [[Genie]]s, sondern des Fiebers ([[Heine]])\\ |
- Hoffmanns erkenntnistheoretisches Manko: kein Weg, kein Schaffen, keine Komposition führen zu einem [[Ziel]] hin (Hegel)\\ | - Hoffmanns erkenntnistheoretisches Manko: kein Weg, kein Schaffen, keine [[Komposition]] führen zu einem [[Ziel]] hin (Hegel)\\ |
- So eigenartig und reizvoll Hoffmanns Erzählungen auch sind, geriet er doch fast immer in die Gespenstergeschichte und verdarb dadurch ihren künstlerischen [[Wert]]. Er verstieß gegen das [[Gesetz]], daß die Welt des [[unbewußt#Unbewußten]] steigt in dem Maße als die des Bewußtseins versinkt; nur diejenigen [[Gespenster]] haben poetische [[Kraft]], die aus der tiefsten [[Nacht]] des Unbewußten aufsteigen. (Huch)\\ | - So eigenartig und reizvoll Hoffmanns Erzählungen auch sind, geriet er doch fast immer in die Gespenstergeschichte und verdarb dadurch ihren künstlerischen [[Wert]]. Er verstieß gegen das [[Gesetz]], daß die Welt des [[unbewußt#Unbewußten]] steigt in dem Maße als die des Bewußtseins versinkt; nur diejenigen [[Gespenster]] haben poetische [[Kraft]], die aus der tiefsten [[Nacht]] des Unbewußten aufsteigen. (Huch)\\ |
- die [[Wirklichkeit]] wird im [[Märchen]] aufgehoben, sie sind eins (Miller)\\ | - die [[Wirklichkeit]] wird im [[Märchen]] aufgehoben, sie sind eins (Miller)\\ |