Benutzer-Werkzeuge

Webseiten-Werkzeuge


zukunftsprozess

ZUKUNFTSPROZEß

Vorbereitung für prognostizierte Tage

Zukunftsprozeß der EKD

EKD = Evangelische Kirche Deutschlands

  1. der persönliche Gesichtspunkt
  2. der kirchenpolitische Gesichtspunkt
  3. der theologische Gesichtspunkt
  4. der juristische Gesichtspunkt
  5. Ausblick und Schluß

1. Betroffenheit kennzeichnet die psychische Situation vieler Domgemeindemitglieder. Sie fühlen sich verraten und an die Politik von oben aus DDR-Zeiten erinnert. Manche sind wütend, die meisten traurig. Eine gewisse Hilfslosigkeit macht sich breit, denn der Lutheraner ist eine POLITIK von oben nicht nur gewöhnt, sondern ist hier schlichtweg diszipliniert, gehorcht also. Er ist lieb. Aber er ist als BÜRGER zweier Welten auch frei in seiner Meinungsäußerung und möchte als mündiger Christ mitbestimmen.
Auch ich habe zween meiner Kinder in den Dom zu Herrn Quast gebracht, sie wurden von ihm konfirmiert. Ich wollte es so, denn ich konnte mir sicher sein, daß sie bei Herrn Quast die theologische Grundierung erhalten würden, die ihnen zusätzlich zu meiner eigenen Erziehungstätigkeit die Lebenssicherheit geben würde, die sie selbstsicher und fest gegenüber auftretenden Problemen werden lassen mußte. Wenn eine Gemeinde einen Mann, der diese Lebenssicherheit vermitteln kann, in ihrem Dienst hat, wäre sie schön dumm, den wegzuschicken. Es scheint so, als ob die Gemeinde nicht so dumm ist, wohl aber ihre Vorstände. GKR (Gemeindekirchenrat) und Kirchenleitung wollen den Pfarrer nicht mehr im Amt; zumindest ist das die Botschaft, wie sie bei vielen Gemeindemitgliedern ankam. Die Gemeinde will ihn schon. Das ist ein Konflikt. Das Wort der „Ungedeihlichkeit“ macht die Runde. Ein Todesurteil für jeden Pfarrer im Amt. Wer hier nun wen bezichtigt, ist dabei nebensächlich, letztlich fällt ein solches Wort immer auf den Pfarrer im Amt zurück.
Einfache Christen interessieren bürokratische oder kirchenpolitische Aspekte wenig, wenn es um Grundsatzentscheidungen geht. Ungedeihlichkeit wird inzwischen zwar von allen Seiten dementiert, aber wenn es niemals eine gab, warum streiten dann zur Zeit zwei Parteien vor dem Arbeitsgericht? Es gab sie und es gibt sie, die Ungedeihlichkeit, und diese wird von prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten erzeugt, die nicht durch eine Neu- bzw. Zweitbesetzung der Dompredigerstelle(n) gelöst werden können.
Für den Domprediger ist das Lebenswerk bedroht. Er fühlt sich als ein Dame-Opfer im ausgerufenen Zukunftsprozeß seiner Landeskirche, die diesen Prozeß mit einer Theologie untermalt, die bedenklich ist und vom Domprediger nicht unterstützt werden kann, will er nicht seine lange Arbeit am Dom konterkarieren. Er soll einen PROZEß theologisch führen, den er im Inneren ablehnt: die RATIONALISIERUNG des Körpers Gottes, der Kirche, speziell den des magdeburger Domes. Man läßt ihm nicht seine Wirkungsstätte, die er erfolgreich beackert seit Jahr und Tag und will ihm ein paar wenige Jahre vor seiner Pensionierung letztlich auch zu verstehen geben, daß man seine Arbeit nicht mehr schätzt, daß er antiquiert sei, daß er sich zu sehr eingerichtet habe in seinem Dom und darüber vergäße, wer sein Herr sei. Er solle sich nicht als ein besonderer Diener der Kirche fühlen, der Vorrechte genieße, HERR der Bischofskirche sei, sondern nunmehr die HIERARCHIE erkennen. - Der Dom ist nicht sein Haus, also soll er hinaus!

2. Die Kirchen in Deutschland klagen über Mitgliederschwund. Sie wollen diese Entwicklung umkehren, indem sie die Kirche modernisieren. Zahlreiche Synoden bekräftigen diese Grundabsicht und verlangen von den einzelnen Gemeinden, daß sie sich den gesellschaftlichen Problemen stärker öffnen und v.a. die seelsorgerische Tätigkeit als Dienstleistung begreifen sollen, die Kirche selbst zweckmäßiger und die Gottesdienste jugendgemäßer gestalten… Die Liste ist lang. Modern ist ein dehnbarer Begriff. Es ist zu befürchten, daß viele Berufs-Christen die Kirche nunmehr wie einen Betrieb geführt sehen wollen, ein Unternehmen, das Gewinn abwerfen soll, hier in Form von Missionierten und Spenden. An sich nichts Schlechtes. Die christliche Kirche ist immer auch an einen Missionierungsauftrag gebunden. Geld kann sehr positiv eingesetzt werden, um zahlreiche Notleidende zu unterstützen. Wo also ist der Denkfehler?
Die Lutherkirche neigt von jeher dazu, Hierarchie über DEMOKRATIE zu stellen. Das hat ihr Gründer so manifestiert – und dieses PRINZIP der Lutherkirche ist auch nicht anzutasten, denn sie verschafft jedem Arbeitenden in ihrem Verband die notwendige Sicherheit, sich als Teil eines funktionierenden Ganzen zu fühlen und keine ANGST vor den wechselnden Mehrheiten in der Meinungsbildung haben zu müssen. Andererseits hat LUTHER auch die FREIHEIT des Christenmenschen in bezug auf seine SEELE und Seelsorge zugestanden. Christliche Kirche ist immer in dem Spannungsfeld von Amt (Hierarchie) und Gläubigem zu verstehen, beides soll einander ergänzen, zusammenarbeiten. Die Kirche nimmt das neue JERUSALEM vorweg, den Staat Gottes, der durch seine Hirten geführt wird, aber der Hirte führt keine Herde willenloser Schafe, sondern selbstgewisse, mündige Christen, die ihren Platz im Leib Christi einnehmen und nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten für die Gemeinschaft selbst bestimmen. Die Kirche hat sich offen zu halten, darf nicht das Vergangene, die Tradition, in den Vordergrund stellen, sonst wird sie zum Pfaffentum, aber sie muß immer ihre Grundlagen behalten, sonst wird sie überflüssig und kann durch Dienstleister ersetzt werden. Im Unterschied zu Dienstleistern hat die Kirche eine heilsgeschichtliche Funktion, sie begleitet die Gläubigen auf ihrem Wege zu GOTT.
Was die Lutherkirche nicht darf: sie darf sich nicht die Welt in das Haus holen und den Gesetzen der WELT untertan machen. Sie darf sich nicht öffnen, um darin aufgelöst zu werden. Das Getriebe nun bedrängt seinerseits die Kirche: ganz besonders tut es das, weil es nur den ehernen Gesetzen der Natur oder dem pragmatischen Naturell des Menschen gehorcht, was bestenfalls kurzfristige Lösungen abgibt, aber keinen Zukunftsentwurf leisten kann. Das Getriebe der Welt benötigt die Kirche als Beutetier, um das eigene Handeln zu legitimieren, und es lockt die Lutherkirche mit falschen Heilsversprechungen in die Falle, verspricht GELD und MACHT und Bedeutung durch Gewinnmargen. Wenn die Lutherkirche den Zukunftsprozeß abgeschlossen haben wird, wird sie keine Lutherkirche mehr sein, sondern sich nur im Namen von Kalvinisten oder Scientology oder ähnlichem Bockmist unterscheiden.
Die gegenwärtige Kirchenleitung der Lutherkirche in OSTFALEN (EKM) hat offenbar, immer unter der Voraussetzung argumentiert, daß die erneuerte Kirche ihren Dienstleistungsaspekt erhöhen soll, nur unzureichend begriffen, daß die Welt mit ihrer säkularisierten Wirkungslosigkeit, ihrer Unfähigkeit, hinter das Wesen der Dinge zu schauen, ihrem bloß rationalen CHARAKTER, der alles mißt, wägt, wertet und nicht in der Lage ist, Zusammenhänge zu erkennen, fühlbar zu machen und Erschrecken zu zeigen über die Macht des Bösen und Pragmatischen; sie hat nicht begriffen, daß diese Welt die Kirche braucht und sie nur einen Fehler machen kann, nämlich sich den unzureichenden Mechanismen der Welt an¬zubiedern, diese in den Leib Christi zu holen und so die heilsgeschichtliche Funktion der Kirche selber auszuhebeln.
Genau das soll jetzt in MAGDEBURG geschehen – und es nennt sich Zukunftsprozeß. Der Domprediger hat das durchschaut und sich gewehrt, weil es seinem der Schrift gemäßen Verantwortungsbegriff von CHRISTENTUM entspricht, sich aber nun gegen das Gewinnstreben etlicher in der Kirchenleitung wenden muß, die die Kirche nicht als Leib Christi begreifen, sondern als eine Kuh, die gemolken werden kann. Er stellt sich quer gegen die säkularisierte Erneuerung, die nur Verlust an Heil bedeuten kann, die aus dem Dom einen Trödelmarkt und Freizeitpark machen soll, die unter Missionierung Anbiederung versteht und die als Fortschritt nur das verstehen will, was Gewinn abwirft oder abwerfen kann. Der Domprediger führt einen Kulturkampf und muß unterstützt werden.

3. Luther hat sich ganz eindeutig über das Verhältnis des einzelnen Christen zu seiner Obrigkeit geäußert. Die Kirchenleitung ist Obrigkeit. Der Domprediger hat sich ihr zu fügen und den Platz anzunehmen, den sie ihm zuweist. Die Kirchenleitung selber – bzw. ihre einzelnen Glieder – hat sich vor einem höheren Gericht für das zu verantworten, was sie im Namen des Evangeliums, also des Wortes Jesu, beschloß und durchsetzte. Alle Obrigkeit darf sich gemäß Röm. 13,1 als Abglanz der göttlichen Herrschaft begreifen. Widerstand gegen die Obrigkeit entsteht immer dann, wenn zwischen Herrschaft und Beherrschten ein Konflikt auftritt und beide einander als Gegner begreifen. Da die Lutherkirche nicht basisdemokratisch organisiert ist, ist die Kirchenleitung Ob¬rigkeit – und ihr muß gehorcht werden.
Der einzelne Christ besitzt allerdings die Pflicht, die Obrigkeit auf seine Not mit diversen Entscheidungen aufmerksam zu machen und darf von ihr Antwort erhoffen; außerdem besitzt er das Recht und die Pflicht, ihr den Gehorsam zu verweigern, wenn sie sich in den Dienst eines Götzen begibt. Zu Luthers Zeiten war das der Papst, heute wird man sagen dürfen, ist es das Gewinnstreben.
Zur ERINNERUNG seien hier die vier wichtigsten Lehrsätze Luthers wiederholt:

  • Biblizismus, d.i. die strenge Bindung jeder Glaubensaussage an das geoffenbarte Wort Gottes;
  • Rechtfertigungslehre, d.i. die Glaubenssicherheit, die allein (sola fide) zur Erlösung des Menschen führen kann und nicht durch fromme Werke zu erreichen ist;
  • Grundsatz des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen und
  • die Heiligung des weltlichen Lebens, so daß alle Tätigkeiten vor Gott gleichgestellt sind und es keine besseren oder schlechteren Tätigkeiten gibt, solange sie nur mit der KRAFT des Glaubens ausgeführt werden.

4. Daß der weltanschauliche Kampf zunehmend in den Bereich der Rechtsmittel abdriftet, ist bedauerlich. Wer hier welche taktischen Fehler beging, mag dahingestellt sein und wird von diversen Advokaten geregelt werden, die alle einen Haufen Geld kosten, so oder so, und wohl am Ende keinen wirklichen Gewinner werden verkünden dürfen, wohl aber einen Verlierer, die Domgemeinde. Es besteht die Gefahr, daß über die juristischen Klügeleien der wichtigste Fragepunkt – ob nämlich die Lutherkirche verweltlicht werden solle – aus der Wahrnehmung der Quast-Sympathisanten verdrängt und klammheimlich der in den Synoden eingeläutete Zukunftsprozeß mit allen seinen schlimmen theologischen Auswirkungen auf den DOM und die Domgemeinde bewerkstelligt wird.

5. Der Gesprächskreis „Zukunft am Dom“ besitzt kein Mandat der Gemeinde, um von Kirchenleitung und GKR ernstgenommen werden zu können. Ein Mandat dürfte eine Gemeindeversammlung (GV) aussprechen, die einmal im Jahr durch den GKR zusammengerufen wird. Der GKR, der nicht mit einer Zunge sprechen kann, weil auch in ihm verschiedene Ansichten über die Zukunft des Domes diskutiert werden, wäre schlecht beraten, jetzt eine solche GV zusammenzurufen, die seine Position in der Quast-Angelegenheit hinterfragen könnte, Ungedeihlichkeit verschärfte und letztlich dazu führen würde, dem Gesprächskreis ein Mandat auszustellen, das zu einer Struktur innerhalb der Kirchenstruktur führen könnte, einer basisdemokratischen Macht, die letztlich den GKR aushebelt. Das ist nicht zu wünschen.
Zu wünschen sind vielmehr Strukturen, die sowohl dem mündigen Christen als auch GKR Sicherheit für ihr Wirken verschaffen, ein Gleichgewicht der Kräfte. Zu wünschen ist weiterhin, wie das letztlich auch Bischof Junkermann anregte, daß GKR und Gesprächskreis Gespräche wiederaufnehmen und miteinander über die Zukunft am Dom sprechen. Das wäre die Lösung: ein Konzept erstellen, das den Wünschen der Gemeinde entspricht.
Keine Lösung dagegen liegt darin, daß gegen die Interessen der Gemeinde, des Dompredigers und des GKR (zumindest einiger Mitglieder des GKR) eine Form der Kapitalisierung und Optimierung bestehender Strukturen für die Domgemeinde vorgenommen werden soll, die die Mitglieder der Domgemeinde mehrheitlich nicht wollen.
Was wird sich durchsetzen? Aller Wahrscheinlichkeit nach die Kirchenleitung mit ihrem Konzept der McKinseyisierung des Domes. Die Kraft und Macht des Gesprächskreises ist seiner Intention nach so orientiert, die bisherigen Strukturen der Kirchenleitung zu hinterfragen, doch verdrängen das die meisten Gesprächskreisteilnehmer oder wollen das nicht wissen. Das führt dazu, daß der Gesprächskreis allmählich an Bedeutung verlieren wird und auf das ursprüngliche Ziel reduziert bleibt: die Rückholaktion von Domprediger Quast in sein Amt. Dieses Ziel scheint jetzt erreicht worden zu sein.
Die mit der Rückholaktion verbundenen Fragen über die künftige theologische und administrative Orientierung der Domgemeinde sind eher spekulativer Natur und stehen nicht im Fokus der meisten Mitglieder des Gesprächskreises. Die wünschen keine Kirche in der Kirche und sind nicht bereit, den angefangenen Weg zu Ende zu gehen. Also werden aus dem Gesprächskreis keine strukturellen Änderungsvorschläge zum Aufbau der künftigen Domgemeinde kommen. Letztlich wird die Erregung abklingen, die Arbeitsgerichte regeln die Angelegenheit auf der arbeitsrechtlichen Ebene. Pfarrer Quast wird bis zum Ende seines Arbeitslebens im Dom bleiben. Die EKM wird die McKinseyisierung des Domes – euphemistisch „Zukunftsprozeß“ genannt - spätestens nach der Ära Quast durchsetzen und damit den Protestantismus der alten Lesart in Magdeburg begraben wollen.

Nachtrag zu einem Vortrag von Herrn Tschiche

- gehalten vor der Domgemeinde am 15. April 2011. Thema „Das Impulspapier der EKD“:

SPRACHE ist verräterisch. Das Impulspapier der EKD benutzt die Sprache der WIRTSCHAFT zur Beschreibung der Zukunftserwartungen der EKD und klammert die heilsgeschichtliche Funktion der Kirche einfach aus. Das mag einer Berufskrankheit aller Institutionen geschuldet sein, die in der Zeit stehen und dementsprechend die Formalien ihrer Gegenwart benutzen müssen. Im Falle der Kirche jedoch handelt es sich nicht um Kunden, nicht um Optimierungsprozesse, nicht um Dienstleistungen, nicht um Effizienz oder Chancen, wenn der institutionelle Körper der Gläubigen thematisiert wird. Die evangelische Botschaft ist kein GEGENSTAND einer Dienstleistung am Kunden. Aber es soll in diesen Zeiten auch Menschen geben, die für die Liebe eine LEBENSZEIT einplanen: sagen wir für den Sonntag zwischen sechs und neun. Daß sie die restlichen 165 Stunden der Woche ohne LIEBE durchs Leben gehen wollen, weil die Liebe ihre Effizienz behindert, ist traurig genug, aber letztlich dem ZEITGEIST geschuldet, der Gefühle nicht duldet bzw. ins Private schickt – wie den Glauben an etwas. Wir leben im Zeitalter des RATIONALISMUS.
Wenn die Kirche sich dem Diktat des Zeitalters beugt, verliert sie ihre heilsgeschichtliche Funktion. Es ist zweierlei, Organisationsformen der Gläubigen zu bilden oder sie zu optimieren; es ist zweierlei, Gottesdienste interessant und lebendig zu GESTALTEN oder sie effizienter zu bewerkstelligen. Es funktioniert eben nicht, die Sprache des Impulspapiers einfach auf die Lebenswelt der Gläubigen, die des Herzens, zu übertragen, Begriffe also einfach auszutauschen, denn der Geist der Wirtschaftssprache ist ein anderer als der des Christen, es sei denn, er ist Kalvinist oder Scientologist. Und da liegt vielleicht das tiefere Übel dieses Papiers: es entbehrt lutherischer und somit dem Kern nach ostfälischer Glaubenstiefe und ist Götzendienst. Darum muß dieses Papier bekämpft werden.

zukunftsprozess.txt · Zuletzt geändert: 2023/10/22 20:07 von Robert-Christian Knorr