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MONTAIGNE
Michel Eyquem de Montaigne
1533-92
französischer SCHRIFTSTELLER und PHILOSOPH
- nach sanfter Frühbildung unter dem deutschen Meister Horstanus kam er mit sieben Jahren in ein Lateinpauklehrinstitut, wo er sechs Jahre unter Knütteln pauken mußte → über spätere Lernerfahrungen schwieg er sich zeitlebens aus
- vertrat v.a. in Essais 1588 gegen die SCHOLASTIK gerichteten SKEPTIZISMUS → sein Skeptizismus läßt ihn die Frage stellen: Was weiß ich? Dieses WISSEN legt er auf die eine Seite der Waage, auf die andere Seite legt er seinen Lebenswunsch, sich im Kreise der Gleichen harmonisch einzufinden, sich so FREIHEIT zu bewahren
- verwies in der Kleinen Eiszeit und der damit verbundenen Trostlosigkeit auf die NATUR als Lehrmeisterin → Trostliteratur
- forderte TOLERANZ in Glaubensfragen
Weltanschauung
- extrema homini scientia ut res sunt bene consulere, caetera securum. (Höchstes Geschick des menschen ist es, die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, das übrige findet sich.)
- cognoscendi studium homini dedit Deus eius torquendi gratia (Solche unselige Mühe hat Gott den Menschenkindern gegeben, daß sie sich darin quälen müssen.)
- omnium quae sub sole sunt fortuna ex lex par est (Das ist eine böse Sache, die da unter der Sonne geschieht, daß es einem so ergeht wie den andern.)
- omnis magni vel parvi earum rerum quas Deus tam multas fecit notitia in nobis est (In uns ist alle Kenntnis dessen, was groß und klein ist an den Dingen, die Gott so mannigfaltig hat erschaffen.)
- O miseras hominum mentes! O pectora caeca! Qualibus in tenebris vitae, quantisque pericles degitur hoc aevi quod cumque est! (Ach, unselige Geister, verblendete Herzen der Menschen! In welch' finsterer Nacht und unter welchen Gefahren wird dies Leben verbracht, der Moment!)
- omnia cum coelo terraque marique sunt nihil ad summam summai totius (Was ist HIMMEL und Erd' und Meer mit allem dem Umfang gegen die Summe der Summen des nie zu ermessenden Ganzen?)
- vidisti hominem sapientem sibi videri? magis illo spem habebit insipiens (Wenn du einen siehest, der sich weise dünket, da ist an einem Narren mehr HOFFNUNG denn an ihm.)
- quare ignoras quomodo anima coniungitur corpori, nescis opera Dei (Gleich wie du nicht weißt, wie die Gebeine im Mutterleibe bereitet werden, also kannst du auch Gottes Werk nicht wissen.)
- nolite esse prudentes apud vos metipsos (Wollet nicht klug sein in euren eigenen Augen!)
- summum nec metuas diem nec optes (Den letzten Tag sollst du nicht fürchten und nicht ersehnen.)
- homo sum, humani me nihil alienum puto (Mensch bin ich, und nichts Menschliches acht' ich mir fremd.)
- ne plus sapias, quam necesse est, ne obstupescas (Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht verderbest.)
- si quis existimat se aliquid scire, nondum cognovit quomodo oportet illud scire (Wenn sich jemand einbildet, etwas zu wissen, hat er noch nicht die Einsicht, wie man wissen soll.)
- ne plus sapite quam oporteat, sed sapite ad sobrieatem (Seid nicht weiser, als nötig ist, aber freilich mit Maß.)
- res omnes sunt difficiliores ut eas possit homo consequi (Es ist alles so voller Mühe, daß niemand ausreden kann.)
- humanum genus est avidum nimis auricularum (Allzusehr ist das Menschengeschlecht auf Fabeln erpicht.)
- quantum est in rebus inane (Wie leer ist doch alles!)
- per omnia vanitas (Alles ist eitel.)
- servare modum, finemquem tenere, naturamque sequi (Maß bewahren, Grenzen einhalten, der Natur folgen.)
- quid superbis, terra et cinis? (Staub und Asche, was überhebst du dich?)
- vae qui sapientes estis in oculis vestris (Wehe denen, die bei sich selbst weise sind und sich für klug halten.)
- fruere iucunde praesentibus, caetera extra te (Drum sehe ich nichts Beßres, als daß ein Mensch fröhlich ist bei seiner Arbeit, denn das ist sein Teil.)
- nostra vagatur in tenebris, nec caeca potest mens cernere verum (Im Dunkeln irrt unser Geist, und blind vermag er die Wahrheit nicht zu unterscheiden.)
- fecit Deus hominem similem umbrae de qua post solis occasum quis iudicabis? (Gott hat den Menschen gleich einem Schatten geschaffen; wer soll diesen richten, wenn die Sonne untergegangen?)
- solum certum nihil esse certi et homini nihil miserius aut superbius (Nichts ist gewiß als allein das Ungewisse und nichts elender und aufgeblasener als der Mensch.)
- ex tot Dei operibus nihilum magis cuiquam homini incognitum quam venti vestigium (Von allen Werken Gottes ist dem Menschen nichts unbekannter als die Spur des Windes.)
- quid aeternis minorem consiliis animum fatigas? (Was plagst du mit ewigen Plänen deinen unmündigen Geist?)
- iudicia domini abyssus multa (Die Urteile des Herrn sind unergründlich.)
- more duce et sensu (geleitet von den Sitten und den Sinnen)
- iudicio alternante (abwechselnd urteilen)
Lebenskunst
- nur der eigene, nicht der geborgte REICHTUM macht das LEBEN reich → möglichst leicht, ehrlich und einfach leben, naturgemäß
- das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit von der Natur muß uns BEWUßTSEIN sein, aber wir dürfen deswegen nicht in Trübsinn verfallen, sondern müssen es lernen, uns mit den Gegebenheiten unseres Wesens abzufinden, auch wenn sie schlecht sind
- Feingefühl ist wichtiger (zur Entscheidung von Lebensfragen) als LOGIK, die nur zur Härte erzieht
Rezeption
- im 17. Jahrhundert bildeten sich die Antimontanisten, die Montaignes LEBENSKUNST als hedonistisch begriffen und von einem gegenreformatorischen Starrsinn aus bekämpften → VERSTAND und WILLEN auf der Basis des aufgeklärten Christentums waren ihnen wichtiger als eine präbarocke Lebensliebe;
- besaß eine Zwischenstellung zwischen dem Philosophen und dem DICHTER (BURCKHARDT)
- unschätzbar heitere Wendung (GOETHE)