Inhaltsverzeichnis
GOETHE
Eosander von Göthe
schwedischer Architekt
- setzte Schlüters WERK nach 1706 fort
Johann Wolfgang von Goethe
1749-1832
DICHTER und POLITIKER
- war ein schlechter Gärtner, haßte Hunde und liebte Kinder
- HERDER befreite Goethe, einen MANN von EITELKEIT und sordidem EGOISMUS, der anderen schwerlich verzeiht, von den Fesseln der französierenden BILDUNG → Goethe fand den Weg zu echter Volkspoesie
1782: Tuchfühlung zum Illuminatenorden - Codename ABARIS -, doch sind keine besonderen Aktivitäten bekannt
- fand sich in ITALIEN und kehrte von dort zurück, weil er sehen wollte, wie weit wir's im Wollen bringen können (späterer BRIEF an SCHILLER)
1814: WANDEL in Goethes Schaffen, der NAIV-lyrische Zug schwindet, die Gestalten werden zu Mittlern milderen Fühlens
- soll 38000 Kilometer gereist sein, meist mit Postkutschen
Interpretationsansatz zu Goethes Werk
Wer Goethes Werk interpretieren möchte, sollte darauf achten, die vier in ihm liegenden Grundwidersprüche zu finden:
- Beschränkung aufs Maß vs. Erfassung eines Ganzen
- Wissen ist Mittel, nicht ZWECK: wer viel weiß (WISSEN muß sich stets erneuern), ist noch lange nicht weise (das alte Wahre) → der Dichter ist stets bemüht, dem ewig Gültigen eine moderne Form zu geben, in dem das alte Wahre wieder auflebt
- Herstellung von Zusammenhängen des Denkens, Beziehungen von einem Teil zum anderen und von allen Teilen zum Ganzen; alles Dichten dient der Erweiterung des Herzens (Diastole), so ist die dem Dichten zugrundeliegende IDEE ein Geistesorgan zur Erweiterung des Herzens
- der Meister des Dichtens beschränkt sich aufs Wesentliche, Symbolische, in dem die Wirklichkeit sich vollkommen darstellen läßt
- Einsetzung einer KRAFT, die fähig ist, LEBEN zu erzeugen: das Maß, die einzige Kraft, die fähig ist, dem CHAOS eine Richtung zu geben
- Unterscheiden vs. Verbinden
- bezieht sich auf das Verhältnis des Menschen zu seiner nichtmenschlichen Umwelt und nur mittelbar auf das Verhältnis des Menschen als ERSCHEINUNG unter anderen
- Monade (PERSÖNLICHKEIT) vs. Gemeinsamkeit
- betrifft das ausschließlich Zwischenmenschliche, die Ich-Du-Beziehung: die moralische, praktische und intellektuelle Förderung des Verhältnis, keine metaphysische Spekulation
- Natur vs. Gott
- kein Bekenntnis Goethes zu Spinozas deus sive natura (Allgott oder Allnatur): Spinoza läßt das eine (auch als das Eine zu verstehen) im anderen (auch als das Andere zu verstehen) aufgehen; Goethe dagegen setzt ein polares Bedingungsverhältnis, in welchem das eine (das Eine als Gott) das andere (das Andere als Natur) fordert
Goethes Weltanschauung
Nach seiner Selbstauskunft: Ich für mich kann nicht an einer Denkweise genug haben; als DICHTER und KÜNSTLER bin ich Polytheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und eins so entschieden als das andere. Bedarf ich eines Gottes für meine PERSÖNLICHKEIT als sittlicher MENSCH, so ist dafür auch schon gesorgt. (BRIEF an JACOBI)
- Vor-Weimar
- mystisch-pantheistisch und vitalistisch → Verbindung zu Freimaurern dokumentiert in „Dichtung und Wahrheit“, II, 8:
Der Arzt [Johann Friedrich Metz], ein unerklärlicher, schlaublickender, freundlich sprechender, übrigens abstruser Mann, der sich in dem frommen Kreise ein ganz besonderes Zutrauen erworben hatte. Tätig und aufmerksam, war er den Kranken tröstlich; mehr aber als durch alles erweiterte er seine Kundschaft durch die Gabe, einige geheimnisvolle selbstbereitete Arzneien im Hintergrunde zu zeigen, von denen niemand sprechen durfte, weil bei uns den Ärzten die eigene Dispensation streng verboten war. Mit gewissen Pulvern, die irgend ein Digestiv sein mochten, tat er nicht so geheim; aber von jenem wichtigen Salze, das nur in den größten Gefahren angewendet werden durfte, war nur unter den Gläubigen die Rede, ob es gleich noch niemand gesehen, oder die Wirkung davon gespürt hatte. Um den Glauben an die Möglichkeit eines solchen Universalmittels zu erregen und zu stärken, hatte der Arzt seinen Patienten, wo er nur einige Empfänglichkeit fand, gewisse mystische chemisch-alchimische Bücher empfohlen und zu verstehen gegeben, daß man durch eignes Studium derselben gar wohl dahin gelangen könne, jenes Kleinod sich selbst zu erwerben; welches um so notwendiger sei, als die Bereitung sich sowohl aus physischen als besonders aus moralischen Gründen nicht wohl überliefern lasse, ja daß man, um jenes große Werk einzusehen, hervorzubringen und zu benutzen, die Geheimnisse der Natur im Zusammenhang kennen müsse, weil es nichts Einzelnes, sondern etwas Universelles sei und auch wohl gar unter verschiedenen Formen und Gestalten hervorgebracht werden könne. Meine Freundin hatte auf diese lockenden Worte gehorcht. Das Heil des Körpers war zu nahe mit dem Heil der Seele verwandt; und könnte je eine größere Wohltat, eine größere Barmherzigkeit auch an andern ausgeübt werden, als wenn man sich ein Mittel zu eigen machte, wodurch so manches Leiden gestillt, so manche Gefahr abgelehnt werden könnte? Sie hatte schon insgeheim Wellings »Opus mago-cabbalisticum« studiert, wobei sie jedoch, weil der Autor das Licht, was er mitteilt, sogleich wieder selbst verfinstert und aufhebt, sich nach einem Freunde umsah, der ihr in diesem Wechsel von Licht und Finsternis Gesellschaft leistete. Es bedurfte nur einer geringen Anregung, um auch mir diese Krankheit zu inokulieren. Ich schaffte das Werk an, das, wie alle Schriften dieser Art, seinen Stammbaum in gerader Linie bis zur neuplatonischen Schule verfolgen konnte. Meine vorzüglichste Bemühung an diesem Buche war, die dunklen Hinweisungen, wo der Verfasser von einer Stelle auf die andere deutet und dadurch das, was er verbirgt, zu enthüllen verspricht, aufs genauste zu bemerken und am Rande die Seitenzahlen solcher sich einander aufklären sollenden Stellen zu bezeichnen. Aber auch so blieb das Buch noch dunkel und unverständlich genug; außer daß man sich zuletzt in eine gewisse Terminologie hineinstudierte und, indem man mit derselben nach eignem Belieben gebarte, etwas, wo nicht zu verstehen, doch wenigstens zu sagen glaubte. Gedachtes Werk erwähnt seiner Vorgänger mit vielen Ehren, und wir wurden daher angeregt, jene Quellen selbst aufzusuchen. Wir wendeten uns nun an die Werke des Theophrastus Paracelsus und Basilius Valentinus; nicht weniger an Helmont, Starckey und andere, deren mehr oder weniger auf Natur und Einbildung beruhende Lehren und Vorschriften wir einzusehen und zu befolgen suchten. Mir wollte besonders die »Aurea Catena Homeri« gefallen, wodurch die Natur, wenn auch vielleicht auf phantastische Weise, in einer schönen Verknüpfung dargestellt wird; und so verwendeten wir, teils einzeln, teils zusammen, viele Zeit an diese Seltsamkeiten und brachten die Abende eines langen Winters, während dessen ich die Stube hüten mußte, sehr vergnügt zu, indem wir zu dreien, meine Mutter mit eingeschlossen, uns an diesen Geheimnissen mehr ergötzten, als die Offenbarung derselben hätte tun können.
- Nach-ITALIEN
- von der Botanik kommend, in den Naturwissenschaften Struktur suchend, überträgt er die Methodik der Naturwissenschaften auf die übrigen Interessengebiete
- Schiller-Zeit
- Veranlassung zu prinzipieller Besinnung auf Grundsätze, Voraussetzungen und Grenzen des Denkens
- gipfelt in der Anerkennung der höchsten Liebesoffenbarung und der MÖGLICHKEIT allgemeinen Verstehens → PHILOSOPHIE des Verstehens trotz Farbenlehre-Fiasko (Leisegang)
Erkenntnistheorie
- die IDEE tritt als RESULTAT aller ERSCHEINUNGen in den Erscheinungen zutage → sie ist erfahrbar durch die innere WESENsschau → Problem PROTEUS': Wie ist die festbenamte Idee zu erhaschen?
Eckpunkte des Erkennens
- Entwicklung
- Freiheit
- PERSÖNLICHKEIT → die Gefahr künstlicher Harmonisierungen
- manche SEHEN in Goethe einen Vorgänger Schopenhauers, der sie Frage nach der Erkennbarkeit der NATUR und des Menschen an den Willen band → Goethe fragte: Ob nicht Natur zuletzt sich doch ergründe?
Ästhetik
- fußt auf WINCKELMANN und dessen ÄSTHETIK der FORM, die KUNST als Geschaffenes, nicht Nachgeahmtes betrachtet → der ZWANG zur Form führt den KÜNSTLER zu objektivierbaren und allgemeinen Formulierungen seiner subjektiven Abgeschlossenheit
- Kunst wird somit zu einem Schöpfungsprodukt innerer Kräfte und wird durch SELBSTÄNDIGKEIT kreiert, eine EINHEIT der hervorbringenden KRAFT, die HISTORISCH nicht verortbar ist, sondern ans SUBJEKT gebunden bleibt → die KUNSTPHILOSOPHIE ist somit eine Metamorphosenlehre und diese gibt stets den Naturspiegel seiner eigenen und lebenslang währenden und selbst gegen den TOD ungläubigen Herausproduzierung wider (Bloch)
- allerdings ist ein Wechselspiel von Schaffen und Zerstören festzustellen
- objektiver Gehalt liegt in der Fähigkeit der Kunst, dem INDIVIDUUM HALT zu geben
- sucht Idee und Erscheinung zu assoziieren, doch ist er durch seine Urerlebnisse dazu bestimmt, die Idee als präfigurativ anzusehen → die Form genügt der Idee nie, sie drängt
- der All-Eine verschwindet, wobei die Ur-Pflanze eine Lösung widerspiegelt, so wird der MYTHOS ins Symbolische gehoben: Das ist die wahre SYMBOLIK, wo das Besondere das Allgemeine repräsentiert, nicht als TRAUM und SCHATTEN, sondern als LEBENDIG augenblickliche OFFENBARUNG des Unerforschlichen.
- Goethe ist ein Vertreter der Theorie von der Keimkraft des Kunstwerkes → dieses muß aus der eigenen individuellen Keimkraft heraustreten
Goethe als Politiker
Goethe stand in der neuen Welt nach der Französischen Revolution wie ein FREMDer. Seit wann ist es ein VERBRECHEN, seinen alten Waffenkameraden die Treue zu halten? - Karl August war ein FEIND Napoleons
Goethe ist Gegner der VOLKSRECHTE. Er ist als ein Anhänger des aufgeklärten Absolutismus gegen ein Beteiligen des drängenden Volkes an der politischen Macht.
- wichtig ist die innere Gelegenheit zur Entwicklung des Individuums nach der ihm zuträglichen Richtung, und diese wird durch sozialökonomische Verhältnisse gegeben → dagegen wirken die Lehren der politischen Freiheit und das Parteiwesen
- Goethe will lieber von einem einzelnen regiert werden, dessen BERUF es ist zu regieren und dessen Interesse an Bestand und Folge gebunden ist, denn die Einmischung einzelner ins Regiment mit löblichen Anfängen führt unweigerlich zu unglücklichen Folgen
- nichts ist widerwärtiger als die Majorität, denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich akkomodieren (anpassen), aus Schwachen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachtrollt, ohne nur im mindesten zu wissen, was sie will
Goethe als Theaterdirektor
- zerhackte Stücke mißliebiger Konkurrenz, beispielsweise Kleists „Der zerbrochene Krug“
- konnte den Publikumsgeschmack in Weimar nicht maßgeblich verändern udn trat zurück, als er sich gegen den Wunsch (auch des Herzogs), den „Hund des Aubry“ (mit einem Pudel als Hauptfigur) zu spielen, nicht behaupten konnte
Goethe über Schiller
- eine besondere ROLLE spielte hierbei die Auseinandersetzung mit KANT, dessen Philosophie der FREIHEIT ihm anfangs zusagte, doch über den platonischen HUMANISMUS SHAFTESBURYs und die Nähe zu HUMBOLDT und Winckelmann überwand er den trockenen und blutarmen Moralismus, der im ästhetischen Sinne aus Kants striktem IMPERATIV folgen mußte
- besonders sei hier die Stelle aus Anmut und Würde genannt
- er versöhnte synthetisch den ÄSTHETIZISMUS mit der strikten Observanz eines Kant (bleibt jedoch nur zwiespältig, so daß Goethe ihm diese Distinktion gegenüber abstrakten Systemen immer als DICHTER vorwarf)
Schiller über Goethe
Charakter: Ich glaube in der Tat, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade; er besitzt das TALENT, die Menschen zu fesseln.
Verhältnis zu Goethe: Das Ganze stellt sich dem Ganzen gegenüber.
Goethes POESIE: Verbindung von modernem REALISMUS mit einer Portion griechischen Geistes
Achilleus
- verkünsteltes Alexandrinertum
- Wetteifer mit HOMER; keine Wurzeldichtung
- GENUß der TRAGIK
Auf dem See
1775
- nach einer Schweizreise entstanden
- Liebe zu Marianne Schönbrunn, einer Bankierstochter, aber Unlauterkeit der schnöden Frankfurter Verhältnisse; Flucht vor Aussichten in Gesellschaft - DEKADENZ
- mehrere Fassungen, symmetrischer Aufbau: drei Teile von Naturbeschreibung in mehreren Ebenen
- Teil: jambischer RHYTHMUS, Beschreibung
Hier auch lieb und leben ist trochäisch, ohne Auftakt
Inhalt: VERDRÄNGUNG, keine Abfindung mit Zustand
- Teil: Achse des Gedichts
- Teil: SYNTHESE von 1.+2. → freier Rhythmus - Trochäus und Daktylus
- das begreifende Lösen - der Blick des tobenden ICH auf die Ruhe des Äußeren
- die Natur ist die Mutter
- Rückkehr ist Ausgangspunkt für Späteres, aber BEWUßTSEIN des Verlustes der Natur ist immanent
Clavigo
- zurückgehen zu LESSING, aber auch überschreiten
- echt dramatische Einheit der HANDLUNG
- der Begriff der tragischen SCHULD a la SHAKESPEARE
Aristotelisches Gesetz: keine der dargestellten Personen darf niedrig SCHLECHT sein, d.i. der Kampf gleichberechtigter Gegensätze
Egmont
- eigentliche Darstellung der Charaktereigentümlichkeit Egmonts, nicht des niederländischen Freiheitskampfes → Goethe lag das PATHOS des niederländischen Freiheitskampfes fern, er zeichnet keine historische, sondern eine Charaktertragödie
- Egmont ist der ritterliche MENSCH: „Ich sterbe für die Freiheit, für die ich lebte und focht, und der ich mich jetzt leidend opfere.“\\;
Salto mortale in die Wunderwelt der OPER, denn wo bleibt die AUSSAGE?
- Egmont ist Familienvater: Er wird nicht mehr das OPFER einer blinden törichten Zuversicht, sondern der übertrieben zärtlichen Ängstlichkeit für die Seinigen. (Schiller)
Erlkönig
- hinter der GEWALT des Erlkönigs ist die der ELEMENTe, der STYX, an dem die alten Weiden stehen, ist das SCHWEIGEN der Steine
Farbenlehre
1810
Inhalt
Das AUGE, höchstes Resultat des Lichts auf den LEIB, vollendet die Totalität des Innern und Äußern, hier ist die Nahtstelle zwischen Mikro- und Makrokosmos.
- Gegen die Physikermeinung, aber die Anregung für die Physiologie des Sehens, die feine Beobachtung der sinnlich-sittlichen Wirkung der FARBE. Doch die falschen Tendenzen entzünden im Menschen oftmals leidenschaften: Der lebhafte Mensch fühlt sich um sein SELBST willen und ist nicht fürs PUBLIKUM da.
- Was sich als ein Getrenntes im Gemälde zeigt, wird durch die Übereinstimmung der Farben in eine höhere Einheit aufgenommen, und was eins zu sein scheint, tritt, durch schnellen WECHSEL, reizende Übergänge der Farben, in ein zartes LEBEN sich spielend entgegen.
Mit der SPRACHE keimt VERWIRRUNG. Die Sprachen trennen sich selbst unter sich und in sich; Begriffe treten streitend gegen Begriffe auf, und wechselseitige Zerstörung und WIDERSPRUCH scheinen dem Blicke die höhere Einheit des Lebens zu verbergen. Die Farben dagegen bekämpfen und zerstören sich nicht, sie treten scherzend im Gewande des leichten-lebendigen Farbenspiels als Grablied des Untergangs hervor.
Faust
- Verbindung der Gelehrten- mit der Geliebtentragödie, dazu ein Kindsmörderinmotiv
- Sammlung loser Verse: Knittel-, Madrigalverse, ALEXANDRINER
- FAUST ist mehr als sich anmaßende Genialität, ihn trägt die UNZUFRIEDENHEIT mit dem Abzufindenden
- er wendet sich vom gängigen GOTTESBEGRIFF ab und wendet sich dem Verbotenen zu, das interessant wird
- Faust will die Verbindung mit dem TEUFEL, aber nicht, um reich und berühmt zu werden, sondern das WESEN hinter den Dingen zu schauen
Interpretationsthesen
von Prof. Hense, Hannover, Sept. 1990
- 1. Goethes Faust ist ein Werk
- 2. Goethes Faust ist keine Tragödie
Die TRAGÖDIE muß Elemente der KOMÖDIE enthalten. Hohe KUNST muß ERNST enthalten. Es ist ein VORURTEIL zu sagen: LACHEN passe nicht.
Das Gesamturteil über die Welt und die Menschen ist bejahend.
- 3. Goethes Faust ist episches Theater
- Selbständigkeit der Szenen
- Reihung als Bauprinzip
- Fülle und Totalität
- 4. Goethes Faust ist eine ambivalente Figur
- er ist abschreckend und zu bewundern
- Faust und Goethe sind verschieden voneinander; keine Vorbildwirkung
Faust ist eine Möglichkeit, der anderes entgegengesetzt werden muß. Es ist nichts unschöner anzusehen als der Versuch, das Unbedingte in diese bedingte Welt setzen zu wollen.
Die AMBIVALENZ besteht nunmehr darin: Nichts wird so, wie der eine oder andere es haben will.
- 5. der Text ist verstümmelt
VERS 4000: SPRUNG im Gefüge des dramatischen Kunstwerkes
A. Schöne: Aufsatz Verstümmelung - Götterzeichen, Liebeszeichen; 1982.
Kerker-Szene
Gretchens WAHNSINN wird mit einer alten Sage vom Machandelbaum (Wacholder) verbunden:
Meine Mutter: die mich schlachtete,
mein Vater: der mich aß,
meine Schwester: die Marlene,
sucht all meine Gebeene,
bindet sie in ein seiden Tuch,
legt’s unter den Wacholderbaum.
Kywitt, Kywitt,
was für ein schöner Vogel ich bin!
In diesem Märchen geht es um einen Jungen, dem die böse Stiefmutter (Mörderin) den Kopf abschlägt. Sie bindet den abgeschlagenen Kopf mit einem weißen Tüchlein fest auf den Hals, daß es scheine, als lebe der Tote noch (Totenfesselung). Zusätzlich legt sie dem Toten einen Apfel in die Hand. Die Schwester Marlene muß mit ansehen, wie die Stiefmutter den Toten später zu einer Suppe verarbeitet, die dem nach Hause kommenden Vater zum Essen vorgesetzt wird. Die Schwester bleibt still, der Vater ißt von seinem Sohne, ohne es zu wissen und verlangt immer mehr (Liebeskannibalismus, der die Kraft der Toten aufnimmt); die Schwester sammelt die Knochen ihres Bruders auf (Reliquienkult) und bindet sie in ein Seidentuch, das sie unter einem Wacholderbaum begräbt. Kurze Zeit später ist das Bündel mit den Knochen verschwunden und es ist ein schöner Vogel entstanden (Seelenwanderung; Totemismus), der verschiedenen Menschen obenstehendes Lied vorsingt (Einfluß der Toten auf die Lebenden) und dafür Gold, Schuhe und einen Mühlstein erhält. Zu seinem Elternhaus zurückgekehrt, beschenkt er seinen Vater mit dem GOLD, seine Schwester mit den Schuhen und erschlägt seine ängstlich gewordene und eine Bestrafung erwartende Stiefmutter (Zornwille der Toten) mit dem Mühlstein. Als seine Stiefmutter tot ist, verwandelt sich der Vogel in den kleinen Jungen, der fortan mit seiner Schwester und seinem Vater zusammenlebt.
- Gretchen singt das LIED in der HOFFNUNG auf eine Wiederkehr ihrer vom Teufel/Mephistopheles getöteten Lieben
Faust II
1832
- Goethes höchste Visionskraft zum Invisiblen vermochte sein himmlisches LEGENDEnland in Worte zu kleiden → die transparente ANSCHAUUNG dessen im F. II
- das reale WELTBILD mit dem optimistischen SCHLUß, mit der verheißenen ZUKUNFT, d.i. der Faust!
Probleme: Nebenwerk, das allzu sehr wuchert
Ziel: Läuterung durch SCHÖNHEIT - ZUSAMMENLEBEN mit HELENA + die IDENTITÄT des Wir und seiner Welt - SUBJEKT/OBJEKT-Problematik
Ganymed
1774
1. Teil: Aus der Ferne erwächst im FRÜHLING die nach Taten dürstende SEHNSUCHT. Die Schönheit will umworben und ergötzt sein.
2. Teil: Der KONJUNKTIV wird verlassen: Ruf nach Aufnahme.
- Tal, d.i. ein ANTONYM zu den Höhen des OLYMP
- ZWEIFEL am AUFBRUCH → GANYMEDES kommt nicht
3. Teil: HOFFNUNG: er scheint zu kommen
Die Geheimnisse
- sollte ein religiöses EPOS werden, blieb aber FRAGMENT
- Goethes Auseinandersetzung mit den ROSENKREUZERn u.a. → Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt? - Vers 70
- die RELIGIONen geben dem Geheimnisvollen Ausdruck durch symbolische MYTHEN, die ihrerseits den Kern verhüllen → Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch, der sich überwindet.
Geistesepochen
1817
- Aufsatz über die Möglichkeit, Geschichte epochal zu erfassen
- die Urzeit ist wüst und leer und in allen Weltteilen gleich, aber der Geist schwebt schon über allem
- das Genie, ein Begünstigter, schaut in die Dinge hinein und spricht sie ahnungsvoll aus → nun entsteht die Möglichkeit, die Welt zu verstehen: Poesie, Sinnlichkeit
- das reicht dem Menschen nicht, also strebt er ins Unsinnliche zurück; die Theologie erschafft Dämonen, die nach und nach substituiert, ein Böses werden
- am Ende steht Prosa, Nützlichkeitsdenken, das aber wieder zerstreut wird, denn die genügen dem ganzheitlich fühlenden Menschen nicht, ergo sehnt er sich nach dem Tohuwabohu zurück, das ihn einst umgab
Götz von Berlichingen
1771
Selbstdruck
- genialer NATURALISMUS, doch letztlich nur eine dramatisierte BIOGRAPHIE, deren Quellen nicht bekannt sind
- das Shakespearestück Goethes: keine strenge Fabel, aber nach der Shakespearschen HISTORIE gebaut → das historische DRAMA um 1770 will den Zeitgenossen eine Botschaft überbringen!
- der Selbsthelfer in wilder Zeit
einfache Formel: Faustrecht a la MÖSER = NATURRECHT (ROUSSEAU), aber undramatische Komposition, der Schluß ist traurig, nicht TRAGISCH; GRUND: Verfall des Rittertums wird als Verfall der NATURKRAFT betrachtet, nicht als SIEG einer wohlberechtigten ORDNUNG
- Quellpunkt fehlt
- Goethe war mit seinem in sechs Wochen entstandenen Stück selbst unzufrieden; ihm fehlte die innere Einheit
Rezeption
- in diesem Drama unterliegen bodenentstammte Volksart, heimisches Recht, der neuen, auf sklavische Unterwürfigkeit gegründeten volksfremden Ordnung mit dem artfremden römischen Rechte (Lindens)
Harzreise
1777
Was passiert, wenn man mit dediziertem biographischem Interesse an einen solchen TEXT herangeht?
Erklärungen
Geyer = Lied: verbunden miteinander durch den Optativ schwebe → ZWECK des Schwebens: Beginn der Beizjagd mit dem Falken
- bedenkenloses Schweben über der ERDE, weil sowieso alles prädestiniert ist
Heteronymie: weder der Glückliche noch der Unglückliche sind für ihren Zustand verantwortlich, denn: man braucht nur zu warten, die Beute fällt irgendwann in den Schoß, aber: das Ergebnis ist zunächst negativ - das Pelztier schützt sich
(das BILD) der Geyer - und die Sache (das Lied) sind differenziert, aber bedeutungsidentisch
Verwirrung: die Reichen - ein Bild
- die Wiedervereinigung von DICHTER und Lied im Text ist problematisch; der Text als für sich Seiender läßt sich nicht in das biographische Ich integrieren
Herbstgefühl
1775
- das erste GEFÜHL beim Lesen des GEDICHTes ist ein Zwiespalt zwischen Form und Inhalt - Ausrufe ohne Satzzeichen!?
konkrete SITUATION: Standort FENSTER - Goethe sitzt und säuft
- der HERBST ist das Symbol des Scheidens, auch der Einbringung der Jahresfrucht; Zeit zum besinnen
heut löst sich aus den Zweigen → LENAU: das negative Grunderlebnis des Vergehens; PUSCHKIN: der positive Agens Herbst
→ Goethe: ein sowohl als auch
KLIMAX: grünen – quellen - reifen; Reihenfolge als Interjektionen
- SONNE, brüten – HIMMEL, umsäuseln – MOND, kühlen: die Einheit des Reifeprozesses
1. Teil: im Wechsel betont-unbetont
- das REGULATIV ist euch; es bestimmt den Text, ist Aufhänger und Aufnahmewort
Auch im Herbst setzt sich Goethe in eins mit der Natur und trauert ein wenig der verlorenen Lilly hinterher, um sich doch am Weine zu laben. Goethe ist nicht der Sänger des Volkes, er setzt seine EMANZIPATION in den Mittelpunkt seiner Intentionen. Das Persönlich-Erfahrene, die Gelegenheit, ist für ihn Ausgangsposition, das Verhältnis Mensch - Natur, Subjekt - Objekt darzustellen. Der Mensch selbst wird als Natur begriffen.
Hermann und Dorothea
- Gespräche mit dem Tod
- der Tod steht nicht als SCHRECKEN dem Weisen und nicht als Ende dem FROMMEN
Iphigenie
1786
- kein trotziges Titanentum, sondern heitere Entfaltung einer reinen Menschennatur
Schiller: „Wirkung eigentlich dichterischer als tragisch. Das Eigentliche geschehe hinter den Kulissen.“
- seelenvolle Darstellung sittlicher HARMONIE und Hoheit → der rächende Gott gehört nicht mehr ins 18.Jahrhundert
- IPHIGENEIA durchbricht die Kette des Tantalidenmordens
- Übereinstimmung von Inhalt und Form
Goethe nennt sein Werk selbst „verteufelt human“, weil ein abstraktes Ideal höchster CHARAKTER- und Seelenbildung die scharfen individuellen Züge verwischen half.;
- Es war HERDER, dem Goethe bei der Drucklegung seiner Iphigenie vollkommen freie Hand zu jeder Versänderung ließ. Herder hat ihm zu Verwandlung des stockenden Silbenmaßes in fortgehende Harmonie (Blankvers) mit wunderbarer Geduld die Ohren geräumt. (CHAMBERLAIN)
Inhaltliches
- ARTEMIS, Apollons Schwester, soll durch ein OPFER versöhnt werden → Artemis entrückt Iphigenie, die nunmehr als Priesterin im Skythenreich DIENST tut
- ORESTES will seine Schwester befreien, aber der skythische KÖNIG THOAS will Iphigenie ehelichen
- weil Thoas nach inneren Kämpfen schließlich einwilligt, wird das Stück zum klassischen Drama → die GRIECHEN ziehen friedlich ab
PUNCTUM SALIENS: die Untreue Klytämnestras, ihr Mord am Gatten, Agamemnon, der seinerseits Fluch auf seinem Hause trug als Nachfahre PELOPS', führten zum FREVEL des Muttermordes → Orest war gezwungen, den Tod seines Vaters zu rächen und tötete die Mutter, was Apollon als Rachegott auf den Plan rief
Die Leiden des jungen Werthers
Leidensgeschichte eines ungebändigten, empfindsamen Herzens
- Dokument des Überschusses an erotischer PHANTASIE (Bloch)
- Werther krankt an der Lähmung, welche die übergroße Erweiterung des Sinnes mit sich bringt
- wird inmitten der Menschen allmählich stumm und stumpf; sobald er dagegen in sich SELBST zurückkehrt, findet er eine Welt (Chamberlain)
- entfaltet das zentrale Motiv des Bürgertums im 18. Jahrhundert, den Konflikt zwischen ihren Illusionen und dem praktisch-banalen, bürgerlichen Leben
- Werther steht steht keinen individuellen Gegnern gegenüber, sondern Notwendigkeiten, die er nicht als vollkommen seelenlos und jeder Sinnhaftigkeit entkleidet ansieht, die er aber keineswegs über sich erhebt wie der tragische Held des Schicksals, das ihn vernichtet (Hauser)
- wird mit seiner abstrakten MORALITÄT dem Realismus der tragischen Konfliktlösung nicht gerecht (LICHTENBERG)
Inhalt
Das Wichtigste ist das Gefühl des behandelten Wesens. Werther ist kein Intellektueller wie sein wahrscheinliches Ebenbild, der JURIST Karl Wilhelm Jeruslaem. Er will nach seinem Herzen leben und nicht die Welt durch Erklärung verständlicher machen. Er hat keine karrieristischen Ambitionen.
Der Held verliebt sich. Es zieht ihn zu den Arbeitenden. Prompt ist er einer Krise ausgesetzt, die er nur lösen kann, indem er zu den Nicht-Arbeitenden zurückkehrt. Dies lehnt er jedoch ab. Motto: Lieber der kalten und harten Welt verachtend den Rücken zugekehrt, als das Recht seines Gefühlslebens kleinlaut verleugnet!
Das Grundmotiv ist krankhaft, doch unzerstörbar in der Wirkung.
- Werther will nach dem Herzen leben, benutzt aber ständig Vergleiche von Büchern der Weltliteratur, die ihm ganz spezielle Lebenshilfe bieten.
- Werthers Tod: liest Galotti und Ossian; er will den Tod für sich. Werther muß wahnsinnig sein.
Werther: der wahre IDEALIST - ein PHANTAST
LIEBE: MÖGLICHKEIT an der EXISTENZ erfahren! Sammlung von Perversionen.
KRISE: Erfassung der REALITÄT, um neue Wege gehen zu können
Lotte: das Ebenbild von dem, was Werther mangelt - Lebensrealitätssinn → die grenzenlose Liebe zu Lotte erscheint selber als das Grenzenlose in Lotte, im GLÜCK, mit ihr nach ferneren, verhüllteren Seligkeiten der Welt zu ahnden
Werthermode: gelbe Weste, blauer Frack, Messingknöpfe, STIEFEL
BIBLIOTHEK: Garten der WEISHEIT, TOPOS der WELTLITERATUR
Rezeption
- der Selbstmord Werthers löste erstmals aufgrund einer hohen IDENTIFIKATION mit der literarischen FIGUR den heute so genannten Werther-Effekt aus, einen kurzzeitigen Anstieg der Selbstmordrate in einem Bezugsgebiet um 10%;
- wenn du ausgeweinet hast, so hebe den Kopf fröhlich auf und stemme die Hand in die Seite (Matthias Claudius)
- die Gefahr liegt in der Wirkung auf biedere Seelen, die man vor diesem Buch schützen muß: Da macht eine Herde von euch [ausgeklärte junge Menschen] einen großen Spektakel von Toleranz und Bruderliebe, - als wenn die christliche Religion, die der hunderste unter euch gar nicht einmal kennt und sie doch verachtet, was anderes lehrte! Habt ihr uns da etwan etwas Neues gesagt? Ich weiß es wohl, daß es sogar Narren aus eurer Schule gegeben hat - und noch gibt -, die einen ganzen Staat von Atheisten für möglich halten. (GOECHHAUSEN)
- kontemplativ-egoistischer Individualismus, das selbstzerstörerisch und unnütz ist und positiven Auswirkungen aufs Gemeinwohl entgegensteht (NICOLAI)
Mahomet
- Produkt des 18. Jahrhunderts mit einer dato typischen Fragestellung: Wie entstanden die kirchlichen Einrichtungen und Lehren?
- der URSPRUNG dieser Frage ist die ausschließliche SUCHE des Rationalisten nach der Übereinstimmung des Christentums mit der VERNUNFT, nach Goethe einer Naturreligion
- die Frage nach dem Ewigen JUDEN, dem SINNBILD für VERRAT, lautet auch: Wie konnte Verderben der KIRCHE entstehen?
Pandora
- hochsymbolischer Inhalt, eine niemand erwärmende ALLEGORIE
- aller Unfrieden wird durch göttliche Gaben der Kunst gestillt
PANDORA: die Schönheit selbst
Epimetheus: der Dichter
Prometheus: Vertreter des fähigen, auf ARBEIT und SICHERHEIT bedachten Mannes; fürderhin der Widersacher der GÖTTER, der Kulturbringer der MENSCHHEIT und die Existenz aus eigener KRAFT lebend
Torquato Tasso
1779
- thematisiert den TRAUM des Dichters von einem Goldenen ZEITALTER, in dem die Dichter mit den Königen gehen;
- bejaht ganz das RECHT und die Überlegenheit seines traumerfüllten, wenn auch libertinistischen Helden
- Tasso ist ganz ungebärdig, vom Drang des Inneren überfüllt, blind überströmend, er nennt sich selbst WELLE, aber Antonio, den Weltmann, nennt er zuletzt den festen, stillen Fels (Bloch)
- die SEELE wird unwiderstehlich in eine unwiderrufliche VERBANNUNG gezogen (Grüning)
Thema
- das innere mit dem äußeren Leben ausgleichen
- Standesbewußtsein → es ist der STAND der Prinzessin, den Torquato Tasso liebt (BAHR)
- die erzieherische Macht edler und reiner Weiblichkeit
Charaktere
- Tasso
- leidet an störender Zwiespältigkeit der Motive
- MANGEL an zwingender Einheit und Folgerichtigkeit und innerer WAHRHEIT des Grundgedankens → es bleibt bei der „Hohlheit ästhetischen Scheins“ (Bloch)
1. + 2. Akt: Verherrlichung der Rechte des GENIUS gegenüber anmaßender, vornehmer Beschränktheit, Antonio
- Antonio
- nicht der verständnislose FEIND, er spricht Tasso als älterer FREUND besondere MENSCHENRECHTE und höchsten Rang ab
- in der ersten Fassung trug er alle Züge seiner verhaßten HERKUNFT aus der Gegenwelt des STURM & DRANG - Mischung aus Emporkömmling und PHILISTERTUM: schroff, hämisch, hochmütig und neidisch
- Prinzessin
- wird geliebt, weil sie eine Prinzessin ist
- das Soziale bestimmt unsere SEXUALITÄT (Bahr)
- soll langweilig sein? → es wird zwar nur deklamiert, aber wunderschön und der VERSTAND wird angeregt
- ein Mensch in seinem hysterischen Zustand
- Goethe will die Grenzen seiner Natur hüten, d.i. eher RENAISSANCE, BEETHOVEN sich seinem DÄMON opfern → die Griechen ertrugen beides
- wer das Stück inszenieren will, muß Goethe aufbrechen, denn weder nur das Problem - Standesbewußtsein und Anspruch - noch nur Goethe interessieren allein → man muß zuspitzen und vermitteln
- es bleibt das Formproblem des Verses → eventuell den ZUSCHAUER an die Entstehung des Verses zurückführen! (Bahr)
- inwendig lernt kein Mensch sein Innerstes erkennen → ERKENNTNIS nur über den Mitmenschen (Reimann)
Von deutscher Bauart
1771 in Straßburg geschrieben - der Münster und Goethe
- Differenzierung von KULTUR (d.i. deutsch) und ZIVILISATION (FRANKREICH): das ist deutsche Baukunst, unsere Baukunst, da sich der Italiener keiner eigenen rühmen darf, vielweniger der Franzos
- Hinwendung zum Gotischen, Barbarischen, im GEGENSATZ zum Ungeheuren der humanisierten Waldwelt, das lyrisch Furchtbare in den Oden der Altvorderen aus Griechenland: Wenigen ward es gegeben, einen Babelgedanken in der SEELE zu zeugen, ganz, groß und bis in den kleinsten Teil NOTWENDIG schön, wie Bäume Gottes; wenigern, auf tausend bietende Hände zu treffen, Felsengrund zu graben, steile Höhen drauf zu zaubern, und dann sterbend ihren Söhnen zu sagen: Ich bleibe bei euch, in den Werken meines Geistes; vollendet das Begonnene in den Wolken!
- Geistesprodukt der deutschen Gesellschaft zu Straßburg, mitsamt WAGNER, SALZMANN und LENZ;
- der Straßburger Münster ist der materielle Abdruck der Seele Erwin von Steinbachs (EMERSON)
Auseinandersetzung mit Lenz
- ERBSÜNDE und körperliche Liebe: Lenz sieht im geschlechtlichen TRIEB das Hauptagens menschlichen Handelns
- Lenz schafft den Anti-Helden, der nicht den Dingen schwebt - Prä-BÜCHNER
- Catharina von Siena fragt den Leser, warum es auf der Welt keine wahre Liebe gäbe! Sie gibt sich JESUS CHRISTUS hin, statt dem Maler, der nur seine Kunst liebt
Die Wahlverwandtschaften
1808
- eigentlich ein Oxymoron, da man entweder verwandt ist oder nicht, allerdings verweist Goethe in diesem ROMAN auf das Problem der freien Valenzen, die die Elemente auch in ihrer Verbindung noch haben
Der STOFF ist für ein dramatisches Motiv zu zart und lyrisch, zu innerlich. Goethe fragt sich nach dem Grundsätzlichen allen Daseins. Er terminiert diese Frage als das Verhältnis von Vernunftsfreiheit und unauflöslicher Naturabhängigkeit. Aufzulösen versucht er dieses VERHÄLTNIS durch die Einwirkung des Allerpersönlichsten.
- 1. Teil: Schürzung des Knotens
- 2. Teil: KATASTROPHE bringend
THEMA ist weder die unbedingte Unauflöslichkeit der Ehe noch die prädestinierte fatalistische Naturverzauberung: beide können nicht ewiglich SCHICKSAL spielen → daraus entspringt der Begriff des Dämonischen;
- Die Anziehungskräfte zwischen Menschen wirken nach Goethe auf der Basis naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit; der Mensch wird zum Sklaven seiner Gefühle und kann diese weder unterdrücken noch auslöschen. (Greta Richter)
- wirkte auf die Romantiker in Bärlin wie ein bonapartistisches Werk
Wanderers Sturmlied
- ganz dicht am Ursprung der Goetheschen Produktion
- erregt Betroffenheit, sowohl, indem der Sturm entführt, wie dadurch, daß er sich um einen fortschaffenden Mittelpunkt, dem helleuchtend umwärmenden FEUER, legt
Westöstlicher Diwan
Ich bin nun einmal einer dieser ephesischen Goldschmiede, der sein ganzes Leben im Anschauen und Anstaunen und Verehren des wunderwürdigen Tempels der Göttin und in Nachbildung ihrer geheimnisvollen Gestalten zugebracht hat, und dem es unmöglich eine angenehme Empfindung erregen kann, wenn irgendein Apostel seinen Mitbürgern einen anderen und noch dazu formlosen GOTT aufdrängen will.
Rezeption
- Diese Prosa ist so durchsichtig wie das grüne Meer, wenn heller Sommernachmittag und Windstille und man ganz klar hinabschauen kann in die Tiefe, wo die versunkenen Städte mit ihren verschollenen Herrlichkeiten sichtbar werden; - manchmal aber auch ist jene Prosa so magisch, so ahnungsvoll wie der Himmel, wenn die Abenddämmerung heraufgezogen, und die großen Goetheschen Gedanken treten danan hervor, rein und golden, wie die Sterne. (HEINE)
Wilhelm Meisters Lehrjahre
- zwischen 1777/86 entstanden, 1795/6 überarbeitet veröffentlicht, während das ursprüngliche Manuskript erst 1911 gefunden wurde
- durch STERNE und DIDEROT beeinflußt
- Diderot fragt in „Jacques der Fatalist und sein Herr“, wer wann was entscheidet → so ist Goethes Buch eine REISE ins UNBEKANNTE, wovon der Autor selbst keine Auskunft zu geben weiß, eben ein Entwicklungsroman in der Konzeption
Darstellung im 2.-6. Buch: gleißende PHANTASTIK bloßlegen
- Wilhelm Meister
- sucht Glück zu verwirklichen mit junger und schöner Schauspielerin, Marianne
- flieht die Wirklichkeit, anfangs
- er lebt nicht selbst, sondern wird von der Turmgesellschaft gelenkt, obwohl er selbst von sich glaubt, FREI zu handeln
- die große Täuschung darüber, was notwendig und was ZUFÄLLIG geschieht
- Mignon
- entlegenste und heimatloseste seiner Gestalten → das Subjekt einsamer, unerfüllter Sehnsucht, das auf keinem BODEN steht, also nicht einmal sexuell ist: nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide
- das KONZEPT idealen Weibtums
- der Mignonraum: Italien, der Saal der VERGANGENHEIT → Goethe wurde in Italien an HAMANN erinnert (LUKACS)
Wertung
- Goethe gab jene Charakteristik „Hamlets“, die wie ein Schlüssel zu allen Werken des Dichters [Shakespeares] ist: hier ist aller Teil und getrennte Schönheit verschmäht und das Ganze erklärt aus dem Ganzen, die Seele der äußern Glieder und ihr lebendiger Hauch ist nachgewiesen, der das unsterbliche Werk erschuf und organisierte (GERVINUS)
- Wilhelm Meisters Lehrjahre sind die Bildungsgeschichte eines Menschen, der von einem leeren, unbestimmten Ideal in ein bestimmtes, werktätiges Leben tritt, ohne die idealistischen Kräfte dabei einzubüßen. (Schiller)
Wilhelm Meisters Wanderjahre
1796
Anregung von Schiller
Der Wilhelm Meister ist Goethes geliebtes dichterisches Ebenbild, ein KIND der Ruhe.
Goethe ist durch seine ästhetische REIFE REALIST genug, um der Philosophie nicht zu bedürfen.
Wilhelms KRANKHEIT ist die Feindschaft gegen alles Feste, Wirkliche. Doch er überwindet die falsche Idealistik der Jugend. Er lernt mit der unüberspringbaren Realität umzugehen.
Des Menschen Bestreben muß sich selbst die Grenzen setzen. Die verschidenen Stände zeigen ihm einen Spiegel, seine Befindlichkeit zu lokalisieren. Das SYSTEM ist das Metier, seine Befindlichkeit technisch zu meistern. Der Meister wirkt auf Gegenstände zurück, zeitigt Ergebnisse; d.i. LEISTUNG. In diesem Sinne ist Schaffen mehr als Leistung, Schaffen veredelt das Geschaffene des Bürgers, der keinen WERT, wohl aber GÜTER zu leisten vermag. Das Tun des Edelmannes hat keinen Geldwert, ist aber wesentlich. Das SEIN ist keine WARE, nur Symbol; das Symbol muß scheinen. Der Widerspruch: der Bürger will am Sein teilhaben. [Goethe spielt auf den Königsweg ARISTOTELES' an, MUßE-Sein-SCHEIN! aus der METAPHYSIK Buch I]: primum de vivere deinde philosophiae, siehe: SCHOLASTIK
Wilhelm suchte seine Idealität in der Welt des schönen Scheins und fand sie in der schönen Wirklichkeit. Er sucht seine Träume mit der jungen und schönen Marianne zu verwirklichen. Er flieht mit ihr aus der Enge.
Wilhelm lebt nicht selbst, obwohl er das glaubt, sondern wird von der Turmgesellschaft gelenkt → Goethe gibt den ROMAN heraus! Wilhelms Leben wird von der Turmgesellschaft aufgezeichnet. Er täuscht sich darüber, was notwendig und was zufällig geschieht. siehe JEAN PAUL: Die unsichtbare Loge;
- Antipode zu Werther: Meister verliert den TRIEB zu handeln, denn die Ereignisse sind es, die Bestimmungsgewalt über ihn gewinnen, denn Meister nimmt auf, giert nach Aufnahme (Chamberlain)
- der arme Meister hat in seinem Leben nichts anderes gelernt, als sich von jedem Geschöpf regieren zu lassen (Nicolai)
Novelle in den Wanderjahren: Ein Mann von 50 Jahren
- ANALOGIE zu „Wahlverwandtschaften“
Unterschied: „Wahlverwandtschaften“ gehen tragisch aus, weil der Blick aus der KONSTRUKTION nicht erfolgt
- das Gleichgewicht der Kulturehe zwischen Edmund und Charlotte wird durch den Hauptmann zerstört
aber: Charlotte gestattet dem Hauptmann nicht, sie zu besitzen
Ottilie: wird zum Opfer, denn sie kann ihre NEIGUNG nicht bezähmen → sie läßt sich STERBEN!
Charlotte: die Frauen sehen den ZUSAMMENHANG, die Männer schauen auf einzelnes
Einladung: weil sie sich selbst nicht ausreichen! → Ottilie und der Hauptmann werden eingeladen
- die Frauen stehen im GEGENSATZ zu Edgar, auf eine jeweils andere Weise
Rezeption
- Goethe gab den Deutschen das Gefühl, nie fertig zu werden (Bahr)
- Goethen war die Nachtseite des Ichs und der Natur nicht FREMD, er wußte aber auch, daß nur die SONNE die Früchte reift (GRILLPARZER)
- In Goethe vollendete sich, was der Kern der Kämpfe des 18. Jahrhunderts gewesen. Durch Goethe haben wir Deutsche gelernt, was ein Leben der Weisheit und Schönheit ist, was es heißt, ein reiner und schöner Mensch zu sein. (HETTNER)
- Neigung zum spontanen MATERIALISMUS und zur DIALEKTIK
- in seiner Diderot-Studie gelangt er zu einer kritischen Theorie der mechanischen Widerspiegelung der Wirklichkeit
- steht in der Entwicklungsgeschichte des deutschen IDEALISMUS inmitten der Vermittlung Kants und Hegels, doch geht er über HEGEL hinaus
- stellte sich nicht das Ziel, die Leitsätze der Philosophie zu formulieren
- ist Hegel insofern überlegen, als er bei allen Überlegungen von einer materialistischen BASIS ausging
- er ist kein Empiriker, denn er fragt sich, wie die PHÄNOMENe und Begebenheiten sinnvoll verbunden werden können (Lukacs)
- …sehe ihn am intimsten von allen: aus biedermeierischen Zügen deutscher Lebensbürgerlichkeit wächst Goethe gleichsam empor zu mephistophelischer Dämonie und sehr unbürgerlicher Lebensproblematik
- Goethe steht für die Möglichkeit, wie psychische Spannungen, die problematische kollektive Folgen haben, überwunden und aufgehoben werden können (MANN)
- Goethes Größe ist die Befreiung der Kunst von den Fesseln der Religion. (MARX)
- für das eigentlich TRAGISCHE ist seine Natur zu konziliant gewesen (NIETZSCHE)
- Bei Goethe ist alles TAT, wie bei anderen alles TENDENZ nur ist. (NOVALIS)
- Analogon zu Platon – das Werdende (SPENGLER)
Rede zum Schäkspeare-Tage
- die REDE stammt aus dem JAHRe 1771, wurde aber erst 1854 in Braunschweig gefunden
- der theoretische Auftakt des Sturm und Drang - HERDERs Journal 1769: Goethes Text fußt auf Herders MEINUNG, daß die aristotelische Dichtform ungeeignet für die wahrhaftige Darstellung der Verhältnisse ist → also will er eine ästhetische ANARCHIE: so, wie bisher, so kann nicht länger LITERATUR geschrieben werden
Item: Sind die Stürmer nur Anti-Kantianer?
dagegen: Volksdichtung ist wahr und unverfälscht
Oh, fasse mich, ich bin es selbst
im Herzen reifen schönste Träume
- Loblied auf Shakespeare
- Goethe vergleicht Shakespeare mit den Werken der eigenen Zeit und bewundert diesen: /wesenatur, Natur… nirgends ist so viel Natur, wie in Schäkspeares Charakteren.
- Shakespeare nimmt sich in jedem seiner Stücke einen menschlichen Problemfall vor, um den er dann die Handlung kreisen läßt.
Grundidee: ausgelassenes Sollen wird durch äußeren Anstoß zum Muß. Charaktertheater
- die Subjekt-Objekt-Problematik wird von Goethe als der geheime Punkt - wo das Eigentümliche unseres Ichs mit dem Notwendigen zusammenstößt - bezeichnet, um den Shakespeares Stücke sämtlich kreisen; Konfrontation ist der Angelpunkt von Kunst
Im Sinne einer ästhetischen Erziehung tritt uns Goethe als Erneuerer entgegen.
Den Franzosen ist die griechische Rüstung zu schwer.
→ das Aristotelische Theater wird nicht vollends außer Kraft gesetzt
dagegen: die Welt ist ein KREISLAUF und die Begehrer von heute werden morgen diejenigen sein, von denen morgen begehrt wird
Extrakt: