Inhaltsverzeichnis
HOMER
um 660 v.Chr.
kilikischer DICHTER, wahrscheinlich aus Assyrien eingewandert
- seine Bedeutung liegt v.a. darin, daß er seine Leser mit der Frage konfrontiert, ob sie für ihr Handeln selber verantwortlich seien oder ob ihr SCHICKSAL die Götter bestimmten
Leben
- Gesinnung ist vom WISSEN abhängig: Ein gnädiger und gerechter KÖNIG weiß Gnädiges und Billiges; eine sittsame FRAU weiß Züchtiges; ein menschenfressender ZYKLOPEN weiß Frevelhaftes und ein GREIS von reicher Lebenserfahrung weiß Unzähliges.
- bete, als ob kein arbeiten hülfe und arbeite, als ob kein beten hülfe
Ilias
- die Verschiedenheit der QUALITÄT läßt den SCHLUß zu, daß mehrere Autoren daran gearbeitet haben
- beschreibt die Kunstfertigkeiten der Sidonier (die UREINWOHNER Karthagos), deren feine Gewänder und konkurrenzlos schöne Metallwaren
ihren Kunstsinn zeigen
- immerwährende UMARMUNG von LEBEN und Tod → Leugnung der ästhetischen GRENZE des Todes, er wird nie negiert, denn die SONNE, der ewige Tag des Lebens, scheint weiter (BAEUMLER)
- Das ganze LEBEN mit allem seinem WERT, mit allen seinen Schwächen ist vor die Augen gestellt. Das ist es, was das GEDICHT vor allen anderen auszeichnet und daran fesselt. Die FARBE der Erdichtung verschwindet vor der Gegenständlichkeit der Darstellung SELBST. (RANKE)
Goldene Kette
CATENA aurea Homeri in der Ilias VIII, 18-27 beschrieben : entstand um 660 v.Chr. und befaßt sich mit dem Fall der kilikischen STADT Karatepe von 694 v.Chr. → ein BILD für die Allmacht ZEUS', der alle GÖTTER daran emporzöge, sofern ihm danach sei, der ERDE und HIMMEL durcheinanderwirbeln könnte etc.
- das Bildnis für die HIERARCHIE der WELTORDNUNG
- Beispiel für die VERWANDLUNG eines MYTHOS' in eine METAPHER
- in neuplatonischer Auslegung stellt sie die EMANATION des Einen im einzelnen dar, für die WIRKUNG des LOGOS in die bei aller Abgestuftheit einheitliche WELT
- SINNBILD für Auf- und Abstieg in der Welt → die Götter sind am anderen Ende daran befestigt und können sich empören, doch nichts bewirken; dennoch sind sie und nicht die Menschen ein Gegner, also mit MACHT ausgestattet (Ohly)
Rachethematik
- Menelaos will sich für den Raub seiner Gattin Helena rächen;
- der Apollo-Priester CHRYSES will den Raub seiner Tochter Chryseis durch Agamemnon rächen, betet zu Apollon, der daraufhin eine Seuche ins Feldlager der Griechen schickt;
- Achilles schwört RACHE, daß ihm Agamemnon seine Sklavin Briseis nahm, nachdem dieser seine Beute Chryseis an Chryses hatte zurückgeben müssen;
- Achilles schwört Rache für seinen erschlagenen Freund Patroklos;
- THETIS bat Zeus, Rache an den Griechen zu nehmen, bis die Schmach, die ihr Sohn Achilles von den Griechen erlitten hatte, getilgt sei
Odysseus
- in bezug auf die Ilias tiefgreifender literarischer Unterschied nicht nur in SPRACHE und STIL, sondern v.a. in der Auffassung von Mensch und Welt
- hierin wird eine breitere Auswahl seelischer Regungen beschrieben als in der Ilias
- differenziert zwischen den Sidoniern, die schöne Waren herstellen, und den Phöniziern, die mit fremdländischer Tücke affiziert werden, die als raffgierig, grausam und herrschsüchtig dargestellt werden → diese Darstellung prägte das BILD Karthagos für alle Zeiten
Handlungsmotive des Werks
- die unerwartete Heimkehr des Helden von langer Fahrt - PENELOPE wird befreit
- die erste Ausfahrt des jungen Helden Telemachos aus gutem Hause - Bewährungsproben eines künftigen Königs
- die haarsträubenden Abenteuer eines Seefahrers, der bis ans Ende der Welt fahren muß, ja darüber hinaus - die Grenzen der Belastbarkeit werden überdehnt
Odysseus
- trägt wenige Züge eines Heldentypus aus der Ilias
- kluge ANPASSUNG an die SITUATION, die gemeistert wird, indem Einfallsreichtum, Selbstdemütigung und Überlebenswille über die Gegner triumphiert
- sein Ansehen im Achäerheer beruht nicht auf militärischer Tüchtigkeit, sondern auf INTELLIGENZ
- steht in einem vertrauensvollen, beinahe scherzhaften VERHÄLTNIS zu seiner Schutzgöttin ATHENE, wie es in der Ilias unbekannt ist;
- die HADESfahrt ist ursprünglich nicht im Urtext vorhanden → der später durchdringende Sagenbildungstrieb der GRIECHEN schrieb diese EPISODE ein
- die Aufrufung des TEIRESIAS ist ein Vorwand, um die Mutter wiederzusehen (ROHDE)
Seelentheorie
- Thymos: Lebensseele, die dem toten KÖRPER entweicht, um in einen anderen einzugehen
- PSYCHE: TOTENGEIST; SEELE, die umgeht oder ins TOTENREICH abwandert; das nachbleibende Ebenbild der PERSON, eine Art von HOLOGRAMM; entseelter LEIB, schattenhafter Körper, leere Körperform, die durch einen Trunk vom Lebensstoff des Blutes für einen AUGENBLICK wieder beseelt werden kann; diese Psyche muß zwar im Menschen sein, wenn dieser leben soll, aber damit ist seine Aufgabe erfüllt
- der Mensch ist zweimal da, einmal als wahrnehmbare ERSCHEINUNG und zum andermal als unsichtbares Abbild, welches erst im Tode frei wird
Vergleich mit dem Glauben der Primitiven
- im Augenblick des Todes wird erstmals von der Psyche gesprochen, dann beginnt ihr DASEIN
- sie ist nicht vergleichbar mit dem unsichtbaren Wesen, das der Mensch in sich bergen soll, wie viele Völker das glauben, gleichsam wie ein Erhalter seines Lebens und Träger seiner seelischen und geistigen Funktionen (d.i. bei Homer der Thymos), denn sie gehört ausschließlich der Sphäre des Todes an: es ist bei Homer also ganz ähnlich wie bei den Naturvölkern, die meist zwischen einer Lebensseele (Atem, Genosse, Doppelgänger) und einer Totenseele (Greifer, Spuk, Abgeschiedens) unterscheiden, die aber zwei Seiten einer Seele im Menschen sind
- was durch Bluttrunk (Beseelung des schemenhaften Leibes) wieder beseelt werden kann, ist kein ANIMISMUS, wie SPENCER oder Tylor das für Homer beschreiben
- Verbrennung: notwendig, wenn man das Bewußtsein der Psyche töten will, andernfalls hat die Psyche ihr Bewußtsein noch, steht als schemenhafter ERBE und Stellvertreter in geheimnisvoller Verbindung zum Körper
Traumtheorie
- der Mensch bemerkt die nächtliche Erscheinung mit denselben Organen wie jedes DING bei Tag; sind sie doch gleich gegenständlich und gegenwärtig → es gibt keine träumende Psyche (Otto)
Rezeption
- Die Einsicht in den antimythologischen, aufgeklärten CHARAKTER Homers, seinen GEGENSATZ zur chthonischen MYTHOLOGIE, bleibt unwahr und beschränkt. (ADORNO)
- der erste große Historiker (Andreades)
- ging von OKEANOS aus (Bäumler)
- freie Imagination und poetische Leidenschaft, die ihn gegenüber Vergil erhebt (BODMER)
- Es ist Homers Größe, daß er aus den beiden Reichen (Leben und Tod) weder ein Rätsel, dessen Lösung es gäbe, noch einen metaphysischen Dualismus gemacht hat, sondern sie verbunden hält, wie sie in allem Leben, zumal im großen und bewußten, wesentlich verbunden sind. (Freyer)
- Seine Blindheit ist nur das äußere ZEICHEN des inneren Lichts, das ihn erfüllt und Dinge sehen läßt, die andere nicht sehen können. In diesem körperlichen Gebrechen kommt allerdings noch ein anderer Gedanke der Vorzeit zum Ausdruck, der nämlich, daß die Verfertiger von Gedichten, Bildwerken und sonstigen Artefakten aus den Reihen der für den Krieg und Kampf Untauglichen hervorgehen müssen. (Hauser)
- hat die Götter und Helden lächerlich vorgestellt, weil er nicht wie VERGILIUS für einen Augustus etwas Majestätisches, sondern für den griechischen PÖBEL etwas Lustiges hat machen wollen (LEIBNIZ)
- vollkommener SIEG der apollinischen ILLUSION
- der künstlerische WILLE will sich anschauen ohne IMPERATIV → das ist das SCHÖNE, das gegen das LEIDEN siegt, der vollkommene naive KÜNSTLER
- ist als Dichter der Ilias und der Odyssee keine historische Überlieferung, sondern ein ästhetisches Urteil (NIETZSCHE)
- Tod und Leben sind für ihn keine Gegensätze, sondern bedingen einander: Geburt und Tod stehen einander gegenüber, dazwischen liegt das Leben (ROSENBERG)
- kennt keine Orgien, keinen Enthusiasmus im SINNe der PRIESTER und Philosophen (SCHELLING)
- bei Homer ist alles IDEAL bei sinnlichster Schönheit und WAHRHEIT (SCHILLER)
- seine Epen waren nicht nur Dichtung, sondern Texte von allgemeinerer, höherer Verbindlichkeit; sie enthielten Aussagen über geschichtliche Tatbestände und Erinnerungen, über religiöse bzw. mythologische Vorstellungen und moralische Normen, und sie konnten denn auch mit ihrer umfassenden Autorität für die verschiedensten Lehren in Anspruch genommen werden (Wehrli)